Katholisches Sonntagsblatt der Diözese Rottenburg-Stuttgart
Nr.17/2008 vom 27.April 2008 Seite 36-37

Glauben und Vernunft gehören zusammen
aus Origenes von Alexandrien:
"Von den Prinzipien" (vor 220 n. Chr.)

Er lehrte Heiden und Christen die Grundlagen des christlichen Glaubens:

Origenes von Alexandrien (um 185- um 254n. Chr.)

von Dr. Georg Röwekamp


Die 165 Bischöfe waren sich einig. Noch vor Beginn der eigentlichen Versammlung hatte ihnen der Vorsitzende das Schriftstück mit 15 Irrlehren vorgelegt. So wie sie da standen, waren es wirklich Lehren, die nur schwer als christlich gelten konnten. Leute, die zum Beispiel meinten, Christus habe für verschiedene Wesen verschiedene Gestalt angenommen und der Leib des Auferstandenen sei kugelförmig und »ätherisch«, gehörten einfach nicht zur Kirche. So stimmten die Bischöfe dem Antrag zu, dass Anhänger solcher Lehren aus der Gemeinschaft der Kirche ausgeschlossen gehören.

 

So geschehen im Jahr 553 bei dem von Kaiser Justinian einberufenen Konzil in Konstantinopel. Zwar war  kein bestimmter Mensch in dem Beschluss namentlich genannt, aber jeder wusste, gegen wen er gerichtet war - gegen Origenes und seine Anhänger sowie gegen  das Hauptwerk des alexandrinischen Theologen. Und das, obwohl der schon 300 Jahre tot war. So wurden in den Jahren, die auf dieses Konzil folgten, viele Werke des Origenes vernichtet und nicht mehr weiter überliefert. Das ereignete sich vor allem im Osten des Römischen Reiches; im Westen überlebten zumindest einige lateinische Übersetzungen, unter anderem von jenem Hauptwerk, das Origenes »Von den Prinzipien« genannt hatte. Zum Glück. Denn bei diesem Buch handelt es sich um die erste systematische, zusammenhängende Darstellung des christlichen Glaubens. Origenes, um 185 n. Chr. im ägyptischen Alexandria geboren, dessen Vater bei einer Christenverfolgung ums Leben gekommen war, behandelt darin Gott, den Vater, Jesus Christus, den Heiligen Geist, alle Vernunftwesen (Engel, Dämonen, Menschen), den Kosmos und die Heilige Schrift - eben die Hauptlehren und »Prinzipien« des Christentums. Hervorgegangen ist das Buch aus Vorlesungen, die Origenes an seiner privaten Schule gehalten hat - für Heiden und Christen. Deshalb steht er in diesem Buch im ständigen Gespräch mit der »Wissenschaft« seiner Zeit, mit Ansichten verschiedener Philosophen, Naturkundler und Anhänger an­derer Bekenntnisse.

Wie die Bilder der Bibel verstehen?  

Bei allem geht er aus vom überlieferten Glaubensbekenntnis. Dies versucht er mit Hilfe und im Rahmen der Begriffe seiner Zeit verständlich zu machen: Wie muss man sich den Gott denken, von dem die Bibel spricht? Und wie sind die sehr menschlichen Bilder zu verstehen, in denen sie von Gott redet? Oder: Wie kann man sich eine leibliche Auferstehung vorstellen, nachdem eine Wiederherstellung des Körpers doch unmöglich und unsinnig ist?

Verborgener Sinn hinter den Worten

Nach Meinung des Origenes können sich die biblisch-christliche Wahrheit einerseits und die philosophische Vernunft nicht widersprechen: Der Glaube muss vernünftig sein. Deshalb nimmt er in biblischen Texten, die wörtlich genommen nicht »wahr« sein können, einen verborgenen, symbolischen Sinn an - so etwa bei der Erzählung vom Paradies.

Neben den grundlegenden Wahrheiten der biblischen und frühchristlichen Überlieferung gibt es außerdem für Origenes eine Reihe von Fragen, die in der Überlieferung nicht eindeutig beantwortet werden, die aber zum Verständnis der Welt dennoch wichtig sind und die den Theologen von Gott sozusagen zur Erforschung offen gelassen wurden. Hier sind für ihn auch unterschiedliche Meinungen unter Christen möglich. Zu diesen Themen gehört für ihn beispielsweise die Frage nach der Seele. Origenes meinte, diese müsse schon vor dem jeweiligen Menschen existiert haben und sich mehr oder weniger von Gott ab­gewandt haben - nur so konnte er die scheinbare Ungerechtigkeit erklären, die in den unter­schiedlichen »Startbedingungen« der Menschen auf Erden besteht. Am Ende, so war Origenes aber auch überzeugt, würden alle Seelen wieder ganz zu Gott zurückkehren.

Mit Irrlehrern in einen Topf geworfen

Dies war denn auch einer der Vorwürfe, die man bald gegen Origenes und sein Werk erhob: Er lehre die Erlösung sogar des Teufels und zerstöre damit die christliche Moral. Denn wenn am Ende alle Wesen erlöst würden, gebe es ja keinen Grund mehr, sich sittlich gut zu verhalten. Einige meinten sogar, zu diesem Konzept gehöre bei Origenes auch die Seelenwande­rung, weil dies der Weg sei, für schlechte Taten zu büßen. (Die Entscheidung darüber, was Origenes zu einigen Punkten tatsächlich gesagt hat, wird dadurch erschwert, dass schon die oben genannten Übersetzer, je nach ihrer Haltung zu Origenes, sein Werk unterschiedlich übersetzten.)

Hinzu kam die Tatsache, dass Origenes sich in der Sprache und den Begriffen seiner Zeit (und seiner philosophischen Gegner) ausdrückte, um sich verständ­lich zu machen. Schon bald nach seinem Tod konnte man ihm, angesichts veränderter Zeit und Sprache, deshalb den Vorwurf machen, er lehre etwas Ähnliches wie seine Gegner, das heißt bestimmte heidnische Philosophen und Irrlehrer.

Als schließlich einige seine Lehre weiterentwickelten und dabei etwa die merkwürdigsten Vorstellungen über die Auferstehung als Lehre des Origenes ausgaben, war der Zeitpunkt gekommen, zusammen mit diesen Lehren auch Origenes selbst zu verurteilen. Denn vielen - heute würde man sagen: fundamentalistischen - Christen war der Versuch, den Glauben in Einklang mit der Vernunft auszulegen, schon lange ein Dorn im Auge gewesen. Ihnen ging es um ein wörtliches Auslegen der Bibel und die richtig zitierte Glaubensformel - unabhängig von ihrem Verstehen.

Auseinandersetzungen mit dem Bischof

Erste Auswirkungen solcher Kritik hatte Origenes schon zu Lebzeiten zu spüren bekom­men: Nach Auseinandersetzungen mit dem Bischof von Alexandrien verließ er um 230 n. Chr. seine Heimat und ließ sich in Cäsarea in Palästina nieder. So starb er auch nicht in Ägypten, sondern im Ausland - wahrscheinlich an den Folgen der Misshandlungen, die er als Christ in der - Verfolgung des Kaisers Decius im Jahr 250 erlitten hatte.

Origenes wollte »reine Ordnung« bewahren

In Wirklichkeit wollte Origenes im Kampf gegen die Häretiker seiner Zeit »die reine Ordnung der Religion bewahren«, wie sein Schüler Pamphilus von Cäsarea rund 50 Jahre nach seinem Tod in einer ersten Verteidigungsschrift für ihn geschrieben hatte. Darin hatte er auch zahlreiche Zitate aus den Büchern »Von den Prinzipien« zusammengestellt, um die Rechtgläubigkeit von deren Autor zu beweisen.

Im Gespräch mit allen Suchenden

Man muss nicht jede der in den »Prinzipien« von Origenes vertretenen Meinungen teilen. Der Versuch, im Gespräch mit allen Suchenden der Wahrheit näher zu kommen, ausgehend von der biblischen Überlieferung und doch die Fragen und Nöte der
Menschen im Blick, ist aber bis heute vorbildlich. Deshalb haben das Werk und sein Autor auch im 20. Jahrhundert mit dazu beigetragen, die katholische Theologie aus ihrer Erstarrung zu befreien: Forscher wie Karl Rahner, Henri de Lubac und Jean Danielou,
ohne die das 2. Vatikanische Konzil nicht denkbar ist, haben von Origenes gelernt und ihn weitgehend rehabilitiert. Und dass eine Formulierung des Glaubens in den Begriffen unserer Zeit, eine Übersetzung der biblischen Botschaft in eine Sprache, die Menschen von heute erreicht, noch immer und immer wieder notwendig ist, zeigt die gegenwärtige Situation der Kirche deutlich.         

 

Georg Röwekamp

 

WÖRTLICH

Da nun viele, die sich zum Glauben an Christus bekennen, nicht nur über kleine und kleinste Dinge uneins sind, sondern sogar über große und größte, nämlich über Gott, über den Herrn Jesus Christus selbst und den heiligen Geist, und nicht nur darüber, sondern auch über die Geschöpfe ... deshalb scheint es notwendig, zuerst in diesen einzelnen Fragen eine klare Linie und eine deutliche Richtschnur festzulegen und dann erst nach den übrigen Dingen zu forschen ... Man muss also gleichsam von grundlegenden Elementen dieser Art ausgehen, wenn man ein zusammenhängendes und organisches Ganzes aus all dem herstellen will; so kann man mit klaren und zwingenden Be­gründungen in den einzelnen Punkten die Wahrheit erforschen und... ein organisches Ganzes herstellen aus Beispielen und Lehrsätzen, die man entweder in den heiligen Schriften gefunden oder durch logisches Schlussfolgern und konsequente Verfolgung des Richtigen entdeckt hat.

Origenes, aus der Vorrede zu »Von den Prinzipien«

ZUM SELBSTSTUDIUM

Origenes: Vier Bücher von den Prinzipien. Hrsg. und übers, von Herwig Cörgemanns und Heinrich Karpp. Wissenschaftliche Buch­gemeinschaft, Darmstadt 1992, 888 Seiten, 118 Euro.

ZUM WEITERLESEN

Christiana Reemts: Origenes.

Eine Einführung in Leben und

Denken. Echter Verlag, Würzburg 2004,168 Seiten, 14,80 Euro.

Wilhelm Ceerlings (Hrsg.): Theolo­gen der christlichen Antike. Eine Einführung. Wissenschaftliche Buchgemeinschaft, Darmstadt 2002, 226 Seiten, 29,90 Euro.

DER AUTOR

Dr. Georg Röwekamp ist Diplom-Theologe und Geschäftsführer von Biblische Reisen in Stuttgart. Er hat über die Kirchenväter promoviert.