Alles endet im Licht
von Hans Dienstknecht
ISBN 3-00-002287-2 

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18. "Dann laß uns gehen"

 

Der Raum um mich herum begann sich zu verändern. Die Dinge nahmen andere Konturen an, sie wurden weicher, transparenter. Die Farben begannen, auf eine andere Art zu leuchten, von innen heraus, anscheinend wie von selbst. Sie hatten auch ihre harten Kontraste verloren, Pastelltöne und ganz neue Farbtöne und -varianten herrschten auf einmal vor, die ich bis dahin nicht gekannt hatte. Und dann dieses eigenartige Strahlen ...

Das Licht! Mein Licht war da.

Du bist ein Kind der Himmel ... Wie oft hatte ich diese Stimme gehört. Wie vertraut war sie mir geworden ... doch du hast auch deinen Menschen kennengelernt, die andere Seite des Lichtes. Du hast geliebt, du bist gefallen, du bist aufgestanden, du hast gekämpft, hast verloren, hast wieder gekämpft, hast gewonnen ...

"Wir haben manchmal gewonnen. Du mußtest mich - leider - immer wieder daran erinnern, woher die Kraft kam, und wer mir viele Schritte entgegenkam, wenn ich nur einen einzigen in Seine Richtung tat."

Wenn du einmal zurückschaust, wirst du die vielen Kreuzungen sehen, an die du gekommen bist. Erkennst du, wie oft du in eine andere, in d e i n e Richtung wolltest? Und wie schwer es oft für dich war, wenn du sie eingeschlagen hast?

Ich nickte ein wenig betrübt. Da hatte ich mein Licht, meinen "Draht zum Himmel", wie ich es manchmal nannte, und war doch so oft noch in die alten Fehler verfallen.

Sieh' auch das Gute darin. Die Menschen fragen oft nach den Beweisen für die Führung Gottes. Würden sie, wie du es jetzt tust, auf ihr Leben zurückschauen, dann hätten sie alle Beweise, die sie brauchten. Aus einer anderen Sicht und mit etwas Abstand bestätigt sich, daß zuletzt doch alles gut war. Hast du Umwege gemacht?

Umwege? Ich erinnerte mich an ein Gespräch mit meiner Tochter Anne, bei dem wir zu der Überzeugung gekommen waren, daß es keine Umwege gibt.

"Umwege nicht", sagte ich, "aber ..."

... aber manches hätte schmerzloser und schneller gehen können, wolltest du sagen.

Ich nickte wieder. "Und es hätte sich mehr bewegen können. Ich hätte mehr bewegen können."

Was glaubst du: Spielt Zeit bei Gott eine Rolle?

Ich schaute mein Licht an und konnte ein Schmunzeln nicht verbergen. "Du bist der gewiefteste Lehrer, den ich mir vorstellen kann. Du hast es in unserer schönen, langen Zeit verstanden, mich in meine Eigenständigkeit hineinwachsen zu lassen. Wie hast du es gemacht? Durch Belehrungen oder Instruktionen? Selten. Nein, du hast - gefragt. Du hast mich in Sackgassen laufen lassen, du hast mich schmoren lassen, hast daneben gestanden und gestrahlt, hast gefragt, hast meinen Verstand gefordert ..."

Das war meine Absicht.

"... bis ich dahintergekommen bin, daß nicht du die Antworten wolltest, sondern daß die Antworten allein mir dienten. Aber ich falle nicht mehr darauf herein."

Jetzt lächelte mein Licht doch tatsächlich. Spielt also die Zeit eine Rolle?

Zum ersten Mal "in der Geschichte" - in unserer gemeinsamen Geschichte - drehte ich den Spieß herum.

"Laß uns gehen", sagte ich; und während ich mich anschickte loszumarschieren, fügte ich hinzu: "Natürlich spielt Zeit bei Gott keine Rolle. Also können wir - kann ich - auch noch bewegen, was noch bewegt werden muß."

Wohin gehst du?

Ich hielt inne. "Ich weiß es nicht."

Vertraust du mir?

"Ja."

Wie einen Mantel aus lichtem Kristall legte mein Licht seine Strahlen um mich.

Dann laß uns gehen.