Alles endet im Licht
von Hans Dienstknecht
ISBN 3-00-002287-2 

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17. Ein guter Übergang

 

Zwei Frauen der Putzkolonne fanden den Mann am frühen Morgen. Sie hatten vor etwa 20 Minuten ihren Dienst angetreten und waren bei ihren Reinigungsarbeiten an ein Zugabteil gekommen, dessen Vorhänge zugezogen waren. Ganz ungewöhnlich war das nicht, auch wenn es nicht die Regel war, weil der zugbegleitende Bahnbeamte beim letzten Durchgang die Vorhänge normalerweise an ihren ursprünglichen Platz zurückschob.

Eine der beiden Frauen war dennoch ein bißchen stutzig geworden. Sie öffnete langsam die Tür, als erwartete sie etwas Unangenehmes. Dann stieß sie einen Schrei aus. "Käthe, da drinnen ist jemand." Dann trat sie schreckensbleich ein paar Meter zurück.

Die andere Frau schaute vorsichtig zwischen den Vorhängen durch und sah einen Mann, der mit weit ausgestreckten Beinen in der linken Ecke saß. Der Kopf war ihm auf die Brust gefallen, die Brille lag auf dem Boden. Ein Blatt Papier, anscheinend ein Brief, war ihm aus den Fingern geglitten und bedeckte halb die Brille. Auf seinem Schoß lag noch das Kuvert. Ein Foto, das einen etwa fünf Jahre alten Jungen zeigte, war bis fast vor die Türe gerutscht.

Es war eindeutig, daß der Mann nicht schlief. Beide Frauen hatten in ihrem Leben zwar noch nicht viele Tote gesehen, aber der hier war tot. Das war ihnen klar.

Es dauerte nicht lange, bis die Polizei eintraf; auch der Notarzt war bereits unterwegs. Es bestätigte sich, daß der Mann tot war. Gewaltanwendung konnte bei dieser ersten, oberflächlichen Untersuchung nicht festgestellt werden; die Todesursache zu diagnostizieren würde ohnehin Sache des Mediziners sein. Es schien auf den ersten Blick, als sei der Mann eingeschlafen und einfach nicht mehr aufgewacht.

"Vielleicht Herzversagen." Einer der Beamten zuckte die Schultern. "Das sollen andere 'rauskriegen."

Ein zweiter Beamter war damit beschäftigt, den Brief zu überfliegen. "Muß von seiner Tochter sein, heißt Anne. Die Anrede lautet 'Lieber Papa'.

"Und das Bild?"

"Zeigt wahrscheinlich sein Enkelkind." Der Beamte drehte das Kuvert um. "Vielleicht wissen wir schon, wer er ist oder besser, wer er war. Der Brief ist adressiert an einen 'Ferdinand Frei'."

Inzwischen hatte sein Kollege die Brieftasche des Toten und darin seine Papiere gefunden. "Du scheinst recht zu haben. Ferdinand Frei, 63 Jahre alt ..."