Bin Ich es den Du liebst?
von Hans Dienstknecht


nächstes Kapitel                                 zurückblättern                               zum Anfang des Buches

4.

Mit der Frage Gehen wir morgen an die Arbeit? war ein erster wichtiger Abschnitt abgeschlossen, vielleicht sollte ich besser sagen "umrissen" worden. Denn abgeschlossen würde alles erst wieder im Himmel sein. Diese erste Etappe meiner bewußten "Heimreise" hatte zum Ziel gehabt, mich aufzuklären über die Schöpfung, den Fall und die Entstehung der Materie, aber auch zu den Fragen nach dem Woher?, Warum? und Wohin?. Mir war völlig klar gewesen, daß es nur Bruchstücke einer unendlich großen Weisheit waren, weil ich mehr als diese kleinen Glieder einer nicht überschaubaren Kette gar nicht hätte aufnehmen können.

So blieben wir aus der Sicht meines Lichtes an der Oberfläche, doch selbst diese Oberfläche hatte für mich so viel Tiefe, daß ich nur schrittchenweise dort hineingeführt werden konnte, weil ich mich sonst heillos verirrt hätte. Aber ein Lehrer wie mein Licht dosiert auf das Gramm genau.

Das Leben nach dem Tod wurde für mich ebenso zur Realität wie die Wiederverkörperung oder Reinkarnation. Ich erfuhr, was es mit dem Karma - einer anderen Bezeichnung für "Seelenbelastung" - auf sich hat, und daß es nicht nur keinen Widerspruch zur Gerechtigkeit Gottes darstellt, sondern sich nahtlos in das Gesetz der Liebe einfügt. Ich bekam eine leise Ahnung davon, wie die Gnade Gottes wirkt, und was die Erlösertat Christi bewirkt hat. Das erste Verständnis für die oft so unterschiedlich verwendeten Begriffe von Körper, Seele und Geist wurde geweckt. Und manchmal, wenn es mir wie Schuppen von den Augen fiel, und ich endlich nach vielen Jahren der geistigen Blindheit die ersten Zusammenhänge sehen konnte, reihte sich ein Aha-Erlebnis an das andere.

Vor allem aber wurde mir zur Gewißheit, daß Gott die Liebe ist und in mir, in jedem lebt. Das war für mich das Wichtigste.

Es wäre völlig sinnlos gewesen, ohne diese Grundbausteine in einen weiterführenden Abschnitt zu gehen. Das wäre so, also wollte man einen Brief schreiben, ohne vorher das Alphabet gelernt zu haben. Die Notwendigkeit einer Grundaufklärung leuchtete mir ein; ja, ich brauchte sie sogar. Das mag an der Struktur meiner Psyche oder meines Denkens liegen, weil ich trotz aller Bereitschaft zur Hinwendung an eine höhere Macht meine Schritte nicht im Unverständnis und in der Unlogik tun konnte und wollte. So saugte meine Seele, einem trockenen Schwamm gleich, die wunderbaren Weisheiten aus dem Geist regelrecht auf und begann zu erblühen.

Im nachhinein kann ich klar erkennen, wie sich das Bild zusammensetzte. Die ganzen Belehrungen, unsere gemeinsamen Gespräche, mein Suchen, jede Antwort und jedes Finden - all das war logisch aufeinander aufgebaut und zielgerichtet. Es war einer Wanderung vergleichbar, die nach Kompaß durchgeführt wird. Ich traf am Ende des ersten Abschnitts gewissermaßen "im Ziel" ein.

Wenn ich wollte, könnten wir nun gemeinsam den nächsten Abschnitt erschließen. Das verbarg sich hinter der Frage Gehen wir morgen an die Arbeit?. Ich war gespannt gewesen auf das, was auf mich zukommen würde. Mein Licht hatte mich nicht im unklaren gelassen.

Die vor uns liegende Teilstrecke ist der hinter uns liegenden ähnlich. Deine Erkenntnisse werden natürlich andere sein, und dein Horizont wird sich weiten. Das Prinzip aber, nach dem wir vorgehen, wird das gleiche sein, auch wenn die direkte Steuerung auf das Ziel hin nicht immer gleich so deutlich zu erkennen ist wie zuvor. Das liegt an der neuen Materie, die ein erheblich breiteres Spektrum hat.

Das Beispiel eines Puzzles scheint mir jetzt angebracht. Aufbauend auf dem, was du in dir erschlossen hast, werden wir einen Ausschnitt nach dem anderen dort anfügen, wo er hingehört - nicht unbedingt immer an das zuletzt gelegte Teil, aber immer dem Großen und Ganzen dienend.

"Und wenn das Bild dieses zweiten ‘Bauabschnitts’ langsam zu erkennen ist und schließlich als Ganzes vor uns liegt?"

Dann wirst du feststellen, daß es vom ersten Bild gar nicht getrennt ist, sondern beide Bilder, ohne daß du es bemerkt hast, zu einem verschmolzen sind.

"Geht es dann noch weiter? - Stop", hatte ich gerufen, "ich nehme die Frage zurück, weil ich sie mir selbst beantworten kann." Aber auch, wenn es noch weiterginge, so würde doch dieser Abschnitt ebenfalls eine Art Ziel, vielleicht etwas Ähnliches wie einen vagen Abschluß.

Hast du eine Sehnsucht oder eine Vorstellung? Was würdest du gerne entwickeln? Und mit welchem Ziel?

Die Frage war für mich überraschend gekommen. Es war mir nicht möglich gewesen, sie auf Anhieb zu beantworten. Es sollte ja auch etwas Realistisches sein ... Meinem Vater in meinem Inneren näherzukommen, das gehörte sicher zu meinen Sehnsüchten. Aber das erschien mir zu allgemein. Es würde sich als Folge sowieso einstellen, nahm ich mal an. Und als Zwischenschritt? Schließlich hatte ich gesagt:

"Ich würde gerne einige Zusammenhänge besser verstehen lernen, ein wenig Einblick erhalten in das Wirken der unsichtbaren Kräfte und vielleicht erkennen oder noch besser erfahren, wie die Führung durch Christus erfolgt. Denn damit, glaube ich, steht und fällt das Vertrauen."

Dann laß uns gemeinsam an diesem Bild arbeiten, einen Schritt nach dem anderen tun. Schon während des Zusammenstellens unseres Puzzles wird vieles von dir abfallen, vor allem die Reste deiner Ängste. Am Ende dieses Wegabschnittes wird ein besonderes Geschenk für dich bereitstehen, etwas, das du ein Leben lang ersehnt hast.

Was mochte das sein? Ich hatte überlegt, aber keine Antwort gefunden. Daß mein Licht um meine Sehnsucht wußte, war wieder einmal ein Beweis für mich gewesen, wie gut es mich doch kannte. "Was wird am Ende auf mich warten?" hatte ich gefragt.

Deine Freiheit.

*

Etwa von diesem Zeitpunkt an änderte sich der Zyklus des Erscheinens. Mein Licht trat nicht mehr regelmäßig auf den Plan. Es hatte mir vorgeschlagen, die Intervalle den jeweiligen Erfordernissen anzupassen. Das war gewiß auf der Weisheit gegründet, den von jeher in mir vorhandenen Wunsch nach Wissen nur insoweit zu erfüllen, als dies mit meinem geistigen Wachstum vereinbar war. Außerdem, so war ich aufgeklärt worden, sei immer die Gefahr gegeben, daß meine Liebe zu meinem Licht für mich zu einer Bindung werden könnte. Ein Übermaß an persönlicher Zuneigung sei aber nicht das Ziel unseres brüderlichen Zusammenseins. Dieses besteht in der freiwilligen Hinwendung und Hingabe an den Einzigen, dem alles gebührt - an Gott, deinen, meinen, unser aller Vater.

Als Ziel konnte und wollte ich dies gerne akzeptieren, aber es schien für mich noch in weiter Ferne zu liegen. Doch ich verstand ein wenig die Beweggründe für diese Entscheidung und stimmte - mehr oder weniger freiwillig - unserer neuen Vereinbarung zu. Mein Licht würde wissen, wann Neues zu lernen erforderlich war, neue Erkenntnisse vorbereitet werden mußten, für mich unlösbare Fragen im Raum standen, oder ich auch einfach nur seine Nähe und Wärme, seinen Trost und seine Liebe vermißte.

Unabhängig von dem, was wir abgesprochen hatten, konnte ich selbstverständlich immer dann mein Licht um Beistand bitten, wenn ich das Gefühl hatte, dringend himmlische Hilfe zu benötigen. Ein Gedanke, und wenn du mich wirklich brauchst, bin ich da. Ich bin ohnehin an deiner Seite.

Es geschah, kaum daß ich eingeschlafen war. Vor meinen geistigen Augen begann ein Strahlen, das größer und größer wurde und die Wände meines Schlafzimmers zu sprengen schien. Nichts blendete mich. Einige der äußeren Spitzen dieses sonnengleichen Lichtes berührten mich zart, streichelten mich gleichsam und öffneten - so meinte ich - mein Herz. Oder sie weiteten vorsichtig mein Bewußtsein. Oder wie und was auch immer. Ich war glücklich.

Die Liebe Gottes segnet dich durch mich. Sein Friede hüllt dich ein, und in dem Maße, in dem du ihn aufzunehmen vermagst, bleibt er bei dir.

Mein anfänglicher Übereifer hatte sich etwas gelegt. Er hatte einer ab und zu schon erkennbaren Zurückhaltung Platz gemacht, so daß ich nicht mehr unbedingt der erste sein mußte, der unseren Gesprächsreigen eröffnete. Ich wußte inzwischen ohnedies, daß ich alles sagen und fragen konnte, was ich manchmal so drängend auf dem Herzen hatte. Verlorengehen konnte nichts, höchstens etwas an mir vorbeigehen, wenn meine Aufmerksamkeit von einer Pseudo-Dringlichkeit überlagert wurde. Später würde es erneut auf mich zukommen, dank der Geduld meines Lehrers und Freundes.

So wartete ich auch diesmal ab. Als jedoch nach einiger Zeit mein Licht immer noch schwieg, begann ich.

"Ich freue mich, daß du da bist, und ich danke dir."

Die Antwort war lediglich ein leichtes Pulsieren seiner Strahlung. Nun gut, dann müßte ich wohl weitermachen. Ich ging in Gedanken durch, was ich in den letzten Tagen und heute erlebt hatte. Ein wenig fiel mir ein, das zu besprechen sich lohnen könnte; beispielsweise die Sache mit der direkten Kommunikation, über die ich eben noch nachgedacht hatte. Daß ich meine frühere Lehrerin besuchen würde, war sicher kein Thema (wobei ich wieder einmal völlig vergaß, daß mein Licht dies längst wußte).

Schließlich gab es da noch einen Impuls vom letzten Mal - eigentlich war es mehr eine als Aufklärung verpackte Aufgabe:

Wenn du einer Sache auf den Grund gehen willst, dann versuche, soweit das dein Bewußtsein erlaubt, nach Möglichkeit den Anfang zu finden. Und der liegt sehr oft noch viel weiter vorn, als du glaubst.

Ich mußte nicht sehr intelligent geschaut haben; vielleicht nahm ich auch an, das wäre schon alles gewesen. Was sollte ich damit anfangen? Doch es ging weiter.

Jedes Geschehen läßt sich in einzelne Abschnitte zerlegen. Kein Abschnitt steht für sich allein da. Das Prinzip der Kausalität verbindet sie. (Seit ich dieses Prinzip begriffen hatte - es wird auch das Gesetz von Ursache und Wirkung oder von Saat und Ernte genannt -, hatte sich mein Weltbild gewaltig verändert. Vor allem aber mein Verständnis von der Gerechtigkeit Gottes.) Fällt dir nun ein Zustand ins Auge, der dir zu denken gibt, oder den du besser verstehen möchtest, dann gehe in der Kette ein Glied zurück und noch eines und noch eines und so weiter, bis du nicht mehr weiter zurück kannst - weil du vermeintlich glaubst, am Anfang angekommen zu sein. Doch das ist selten der Fall. Fast immer ist es so, daß deine Fähigkeit zu weiterem Erkennen, zum Durchschauen noch davor gelagerter Ursachen, nicht ausreicht.

An dieser Stelle schien es angebracht, mir ein wenig Mut zu machen. ... n o c h nicht ausreicht.

Diese kleine Analyse-Methode gebe ich dir als Hilfe an die Hand. Mit ihr kann man ähnlich arbeiten wie mit dem Warum-warum-warum?-Verfahren. Sie läßt sich im übrigen nicht nur auf die sich verschlimmernden Zustände in eurer Welt anwenden, auf die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und sozialen Mißstände und die Verarmung des Inneren. Genauso kann man mit ihr eine positive Entwicklung untersuchen. Und sie funktioniert nicht nur vom Ist-Zustand aus zurück, sondern ebenso vom Ist-Zustand aus nach vorn, Richtung Ziel.

Das war damals der Schwerpunkt der nächtlichen Unterweisung gewesen. Es folgten dann noch einige Details, aber nicht sehr viele. Ich sollte ja lernen, meinen eigenen Blick hinter die Kulissen zu werfen. "Aus der himmlischen Trickkiste", hatte ich gedacht und es erst bemerkt, als es schon gedacht war. Mein Licht war davon unbeeindruckt geblieben; mir hatte es leid getan.

Daß ich mich an diese Aufgabe nicht richtig herangewagt hatte, lag nicht an einer mangelnden Ernsthaftigkeit. Ich hielt mich einfach noch für unfähig, solche Überlegungen oder Beobachtungen mit einem halbwegs zufriedenstellenden Ergebnis abschließen zu können. Mein hoher Anspruch an mich selbst, dem ich nicht würde gerecht werden können, stand mir im Weg. Wieder einmal.

Es war wirklich eine Gnade, einen geistigen Lehrmeister wie mein Licht zu haben. Natürlich war ihm längst bekannt, daß ich mich noch nicht wirklich mit meiner Übung befaßt hatte. Und genauso wußte es um die Gründe. Während ich immer noch überlegte, wo und wie ich anfangen sollte, nahm das Licht die Sache in die Hand.

Du hast dich gerade an unsere letzte Unterredung erinnert. Sie machte auf dich den Eindruck, sehr tiefsinnig und gewichtig gewesen zu sein. Und das Gehörte einmal - und sei es nur probeweise - anzuwenden, schien und scheint dir nicht leicht. Ich nickte. Dann laß uns, bevor du dir darüber bei Gelegenheit deine Gedanken machst, gemeinsam einige kleinere Schritte in eine andere Richtung tun. Ich bin sicher, daß du die nächsten, etwas größeren, dann selbst tun kannst. (War das eine Freude!) Laß uns mit dem heutigen Tag beginnen.

Ich ging den Tag noch einmal gedanklich durch. Dabei fielen mir auf und ein: mein Arztbesuch und der Anstoß bezüglich Verantwortung, den ich nochmals am Abend beim Lesen des Buches bekam, der Begriff Evolution, der mir beim Durchblättern der Zeitschrift regelrecht ins Auge sprang, die Verfallserscheinungen im Zusammenhang mit dem Gespräch bei meinem Kunden Klein, mein Nachdenken über die Frage der Kommunikation für jedermann und ... war da noch etwas?

Ja, du hast auch noch einmal über euer Gespräch nachgedacht, in dem es um das "Immunsystem" ging.

"Richtig, danke."

Wir können diesen Begriff bzw. das, was er für Mensch und Seele bedeutet, zurückstellen. Aber er kann später einmal der Ansatzpunkt für eine hochinteressante Überlegung sein, die nicht nur akademischer, sondern ganz praktischer Natur ist, nämlich der Frage nach deinem "geistigen Immunsystem".

Was sollte ich dazu sagen? Ich schwieg deshalb erwartungsvoll in der Hoffnung, bald einen neuen Baustein für meine geistige Entwicklung gezeigt zu bekommen. Ich wurde nicht enttäuscht. Ich wurde nie enttäuscht.

Das Wissen darüber, daß und wie dein Tag zu dir spricht, konnte ich dir bereits vermitteln. Es auch anzuwenden und einen Nutzen daraus zu ziehen, fällt dir noch schwer. Doch das soll dich nicht verzagt machen, es wird sich ändern. Du wirst lernen, in allem, was dir begegnet, die Hilfe und Führung zu erkennen. Sie stellt so etwas wie einen "himmlischen Dolmetscher" dar, um die Ausdrucksweise zu gebrauchen, die du manchmal bevorzugst.

Das, was es h e u t e anzuschauen gilt, oder was für dich zu lernen ansteht, was dir aber noch nicht direkt vermittelt werden kann, wird auf diese Weise in die Sprache des Tages verpackt. Du kannst sicher sein, daß nichts - absolut nichts - ohne Grund auf dich zukommt.

"Das hatten wir schon mal", dachte ich. Ich wußte ja, daß auf dieser Basis ein unerschütterliches Vertrauen aufgebaut werden konnte. Ein bißchen traurig war ich nur, weil ich meine Schwierigkeiten sah. Wie lange würde es bei mir wohl noch dauern, bis diese Überzeugung sich so fest in mir verankert hatte, daß sie zu einem Teil meines Wesens geworden war? Und bis ich gelernt hatte, in der Sprache des Tages die Hinweise und Anstöße für eine nächste Erkenntnis oder eine neue Erfahrung zu sehen?

Dann laß uns in die Praxis gehen.

"Nur zu gerne."

Nach der Sammlung von Wissen und der Erarbeitung grundsätzlicher Betrachtungen, die die Plattform deines geistigen Weiterschreitens bilden, gilt es nun, auch andere Zusammenhänge und feiner verzweigte Aspekte zu erfassen. Der Himmel hat dich im Verlauf des Tages an "Verantwortung, Evolution, Verfallserscheinungen und Kommunikation" herangeführt ...

Ich unterbrach kurz: "Vermutlich war noch viel mehr in den kleinen und größeren Ereignissen des Tages enthalten; ich konnte es aber nicht aufnehmen."

So ist es. Doch es reicht, das Wichtigste nicht zu übersehen. Jeder der vier Begriffe stellt eine Fundgrube herrlicher Schätze dar, wenn du bereit bist, in sie hineinzusteigen. Das muß nicht jetzt geschehen. Du wirst dies sicher in der kommenden Zeit einmal tun. Doch haben diese vier Begriffe auch etwas gemeinsam? Lassen sich Zusammenhänge erkennen? Kann man sie z.B. unter den Überbau eines einzigen Themas bringen? Denk nach.

Ich versuchte es, mit mehr als mäßigem Erfolg. Schließlich gab ich auf und bat um Unterstützung.

Hängen nicht alle Begriffe mehr oder weniger direkt mit der Urfrage des Menschen nach seinem Ursprung zusammen? Nimm das Wort "Evolution". Du hast heute darüber etwas gelesen, und ich habe dich zu dem Gedanken inspiriert, ob es wohl eine seelische Evolution oder so etwas Ähnliches gibt. Evolution bedeutet Weiterentwicklung, und das im Wechsel eines vorübergehenden Werdens und Vergehens, wie es dir die Natur vormacht. So gehört auch das, was sich als Verfallserscheinung darstellt, dazu. Sieh nur das Beispiel des Herbstes und das Ablegen des irdischen Körpers, von euch fälschlicherweise als Tod bezeichnet. Alles ist nur der Ausdruck eines ständigen Wandels, in den schon vor Urzeiten das Endziel hineingelegt wurde: die Vollendung im Angesicht des Schöpfers, die Wiedererlangung der bewußten Kindschaft Gottes.

Doch die Evolution ist damit nicht beendet, denn Gott und Seine Schöpfung sind unendlich.

Ich war mucksmäuschenstill. Das hätte mir noch gefehlt, daß eine solche Weisheitsvermittlung durch irgend etwas - und sei es nur die allerkleinste, dumme Gedankenregung in mir - gestört worden wäre.

Nahtlos fügt sich hier die von dir angefragte Kommunikation ein. Sie ist nicht das Thema dieser Stunde, doch soviel vorab: Sie steht auf meinem Lehrplan für dich als die Endstufe unserer Arbeit - noch in diesem Leben, wenn du es wirklich möchtest. Es ist die sogenannte "Innere Stimme" oder das "Innere Wort". Damit führt der Vater - oder die Liebe des Vaters, die in Jesus Christus in die Welt kam - Sein Kind selbst. Zwar ist meine Aufgabe als dein Begleiter dann nicht beendet, aber wenn dieser Kontakt hergestellt ist, trete ich zurück.

"Wie Johannes der Täufer in seiner Demut", dachte ich dann doch. "Er verwies auf den, der nach ihm kommen sollte, und dessen Schuhriemen zu lösen er sich nicht für würdig empfand."

Ich habe ein wenig vorgegriffen, um dir eine Freude zu bereiten. Denn was kann es Schöneres geben als zu w i s s e n - nicht nur zu glauben - und es dann auch zu erleben, daß die Liebe unseres himmlischen Vaters und damit Er selbst i n d i r lebt? Schick deine Sehnsucht so oft wie möglich voraus, und laß dich anziehen von dieser Liebekraft.

Die Frage nach dem Ursprung umfaßt also auch die Kommunikation, denn das Woher? beinhaltet auch das Wohin?: zurück zu Gott. In diesen großen Bogen, der sich in den Himmeln wieder schließt, ist auch dein Zwiegespräch mit Gott eingebunden. Es ist direkt und beidseitig, wie es das Wort "Zwiegespräch" schon ausdrückt; es ist klar, deinem Bewußtsein angepaßt und kann von nichts und niemanden gestört oder verhindert werden, wenn du es nicht zuläßt.

Ein stiller Jubel, der schier nicht aufhören wollte, brach aus meinem Herzen hervor. Darüber, daß der Mensch der Tempel des Heiligen Geistes ist, Gott daher in ihm wohnen muß, hatten wir in der Vergangenheit schon gesprochen; auch über die Bibelstelle: "Ich bin euch näher als eure Arme und Beine." Daß daraus aber - eigentlich völlig logisch, absolut folgerichtig - auch geschlossen werden durfte, Ihn in sich zu vernehmen, das hatte mein Licht mir bisher noch nicht gesagt. Der Grund dafür war ganz sicher darin zu suchen und zu finden, daß die Liebe nur in dem Maße vorgibt und führt, wie es der Lernende aufnehmen kann.

Daraus ergab sich dann auch, daß ein Zurückhalten von Erkenntnissen und Wissen kein Vorenthalten darstellt, sondern - sofern es von Liebe getragen ist - dem Schutz des Heranreifenden dient.

"Sehe ich das richtig? Ist das bei jedem so?" fragte ich.

Es ist bei jedem so, den das göttliche Gesetz führt. Auch die Entwicklung in den reingeistigen Bereichen verläuft nicht anders. Niemals wird die Liebe eines ihrer Kinder überfordern. Es geht Schritt für Schritt, Stufe für Stufe, bis zur vollen Entfaltung des Bewußtseins.

"Bitte", sagte ich, "laß uns für einen Moment abschweifen." Da kein Einwand kam, bat ich:

"Erzähle mir mehr davon. Wie geht das vor sich? Wie war es bei mir? Wie war es bei dir? Hören die Kleinen Ihn so wie die Großen? Niemand sagt einem etwas darüber. Bitte!" Fast flehend schaute ich mein Licht an, angeregt durch seine Worte, aufgeregt wie ein kleines Kind.

Eine nicht zu beschreibende Geduld flutete zu mir herüber, hüllte mich ein und ließ mich wieder etwas ruhiger werden. Ganz feine Strahlen, in die zarte Pastelltöne eingewebt schienen, streichelten mich zärtlich, und unendlich nachsichtig bekam ich zur Antwort:

Mein kleiner, lieber, ungestümer Bruder. Sehnsucht hat sich in deinem Herzen breitgemacht - zur Freude der Himmel. Wie gleichst du doch einem Fohlen, das voller Tatendrang die Wälder und Weiden erkunden und erleben möchte, die noch außerhalb seiner Koppel sind. Laß dich niemals einschränken, was deine Liebe betrifft. Doch laß zu, daß sie vorsichtig in die richtigen Bahnen gelenkt wird, die wir aus dem Lichte vor uns sehen.

Lichtstrahlen kamen mir entgegen und formten sich zu einer Muschel. Ich legte meine Hand hinein und fühlte mich wie ein Kind, das sich voll und ganz seiner Mutter oder seinem Vater anvertraut.

Die Schöpfung ist aufgebaut auf Gesetzen, die unveränderlich sind, und in denen alles trotz größtmöglicher Freiheit des einzelnen nach einem Entwicklungsplan abläuft, den Gott in Seiner für keinen zu ergründenden Weisheit festgelegt hat. Auch im Himmel, auf einem Lichtstern oder einer Lichtsonne, muß ein Kind heranreifen. Es hat seine Familie, seine Verwandten, seine Freunde, seine Lehrer. Ein Engel wird also nicht gleich als strahlende Schönheit in seiner vollen Größe geschaffen oder geboren. (Auf die Ausnahmen, die es schöpfungsbedingt zu Anfang geben mußte, würde ich gerne verzichten - schien mir ein besonderer Strahl sagen zu wollen. Ich nickte sofort. Ich hätte alles akzeptiert. "Mach nur weiter.")

Das Heranwachsen eines Kindes wird von vielen Seiten liebevoll begleitet. In dem Maße, in dem das Kind an Hingabe, Weisheit und Erfahrung zunimmt, verändert sich seine Strahlung. Einerseits muß es ganz ähnliche Wesensmerkmale wie ein Menschenkind entwickeln oder verfeinern, andererseits geht es um den rechten Erwerb der Schöpfungskräfte, was für dich aber noch nicht zu verstehen ist, weil es Vergleichbares auf der Materie nicht gibt.

"Du sprachst gerade von den ähnlichen Wesensmerkmalen ...?"

Die sieben Grundprinzipien der Schöpfung müssen durch jedes Himmelskind erschlossen werden. Das sind Ordnung, Wille, Weisheit, Ernst, Geduld, Liebe und Barmherzigkeit. Zwar sind diese Kräfte schon in jedem angelegt, doch die Entscheidung, sie zu entwickeln und zur vollen Blüte zu bringen, trifft jedes Kind selbst. Die Liebe zu Gott, seinem Vater, ist dabei die treibende Kraft. Keiner handelt aus Ehrgeiz heraus oder um der Größte sein zu wollen. "Groß" wirst du erst dann, wenn die Demut voll und ganz zu dir gehört. Und deine größte Freiheit hast du erreicht, wenn deine Liebe-Hingabe an deinen Schöpfer, Gott und Vater vollkommen ist.

Mit dem geistigen Wachstum geht auch dein "energetisches" Wachstum einher, denn dein Körper ist höchste Energie, reinstes Bewußtsein. Deine Ausstrahlung wird größer, deine Schöpfungskräfte wachsen, deine Kenntnis und Einsicht nehmen scheinbar grenzenlos zu, und du kommst der unendlichen Liebe in dir näher und näher.

Du meinst jetzt vielleicht, du wärst ihr doch schon so nahe wie möglich, wie könntest du ihr da noch näher kommen? (Genau das hatte ich gedacht.) Schau, die Liebe und der gute Wille sind unverzichtbare Voraussetzungen, doch sie können gewisse, ihr würdet sagen "Fertigkeiten" nicht ersetzen. Und so kann auch kein Kind den Vater in sich vernehmen oder sehen, wenn das energetische Potential dazu noch nicht ausreicht. Es kann Ihn sehen, Ihn hören, Ihn besuchen, es kann Ihn liebkosen, es kann jederzeit zu Ihm kommen. Doch die Fähigkeit, Ihn i n s i c h zu schauen und dort auch mit Ihm zu sprechen und zu leben, hat es noch nicht entwickelt. Das ist erst noch sein Ziel.

Hat es dieses Ziel erreicht, ruht es auf ewig voll bewußt in Gott.

Lange Zeit schwiegen wir beide. Hatte ich schon einmal etwas Schöneres gehört? Ich konnte mich nicht entsinnen. Was konnte es Erstrebenswerteres geben, als für immer in diese Liebe einzutauchen?

"Achtung, du bist noch nicht wieder im Himmel", sagte etwas in mir. "So schön es ist, und so sehr es sich lohnt, für diese Aussicht einiges auf sich zu nehmen, so schnell wird dich auch wieder der Alltag mit deinem Menschsein konfrontieren."

"Ich weiß", gab ich zur Antwort, "mit dem Herzen im Himmel und mit den Beinen auf dem Boden."

So war’s richtig, und so wollte ich es auch halten. Neben meiner Sehnsucht hatte mein Licht auch ein wenig - nur ein ganz klein wenig - meine Neugierde geweckt. Ob es mir eine persönliche Frage beantworten würde? Böse würde es sicher nicht sein. Wer nicht wagt, der nicht gewinnt, fiel mir ein, und deshalb sagte ich:

"Du bist aus den Himmeln. Du hast es mir selbst gesagt." Und dann wußte ich es. Ich brauchte nicht mehr zu fragen, sondern konnte sagen: "Er spricht auch in dir!"

Mir war plötzlich klargeworden, daß es so sein mußte. Deshalb brauchte ich die Antwort auch gar nicht. Daß ich sie indirekt trotzdem in Form einer strahlenden Umarmung bekam, machte mich sehr glücklich.

Noch nie hatte unser nächtliches Zusammensein so lange gedauert. Von mir aus konnte es noch weitergehen. "Ich habe Zeit", dachte ich, "und einigermaßen frisch bin ich auch noch."

Morgens war ich trotz der nächtlichen Gespräche niemals müde. Ich fühlte mich im Gegenteil immer gestärkt, und das Geschehene hatte sich stets so tief eingeprägt, daß es auch im Wachzustand jederzeit abrufbar war. Was dem einen oder anderen meiner Freunde oder Kunden an mir vielleicht auffiel, war eine Lebensfreude und Zuversicht, die man früher an mir so nicht gekannt hatte. Um morgen früh brauchte ich mir also keine Gedanken zu machen, höchstens um meine momentane geistige Kondition und Aufnahmefähigkeit. Aber die konnte das Licht besser beurteilen.

Da du dich noch konzentrieren kannst, kommen wir nach unserem Ausflug zurück auf die Betrachtung deiner Tagesimpulse. Etwas steht noch aus: die Verantwortung. Sie paßt, wie alles andere, ebenso in das Bild. Sie gehört zur Evolution genauso wie die Unverantwortlichkeit zu den Verfallserscheinungen. Vor allem aber ist sie untrennbar mit der besprochenen Kommunikation verbunden, weil die Erfüllung dieser Sehnsucht unter anderem an die Voraussetzung geknüpft ist, daß der Mensch Verantwortung für sich selbst übernimmt. Du hast heute abend in einem anderen Zusammenhang darüber gelesen und dir deine Gedanken dazu gemacht.

"Das mit der Verantwortung geht mir schon seit langem durch den Sinn. Da liegt noch viel drin, spüre ich. Ich habe ja gerade erst die Oberfläche angekratzt."

Ist es nicht erstaunlich, daß sich so wenige Menschen die Frage nach der Eigenverantwortung stellen?

Für mein Licht war dieser Aspekt gewiß nicht erstaunlich. Es gab keine Frage, die im Lichte seines Bewußtseins keine Antwort fand. Also konnte dies nur ein Anstoß für mich sein, in diesen Komplex hineinzuschauen, der mir auf einmal eine Schlüsselrolle zu spielen schien. Es wäre vorschnell gewesen, das Vergnügen, die Trägheit, die Reizüberflutung, die Unwissenheit, das Desinteresse, die Ablenkung und vieles mehr als Begründung heranzuziehen. Das war nur ein ganz kleiner Teil der Wahrheit, und würde ich mich damit zufrieden geben, so würden andere sich ins Fäustchen lachen. Gefahr gebannt. Denn wieder einmal hätte einer zu früh mit dem Fragen aufgehört und sich nach den ersten, viel zu schnell gegebenen Antworten der dringend anstehenden Urlaubsplanung, einem oberflächlichen Fernsehprogramm oder den längst fälligen Renovierungsarbeiten zugewendet.

An welche anderen hatte ich gerade gedacht? Welche Kräfte waren da am Werk? Was spielte sich vor unser aller Augen ab? Es mußte doch einen Grund dafür geben, daß die von mir aufgezählten Einflüsse so massiv auftraten. Wer setzte sie in die Welt und warum?

Gehe noch einen Schritt.

Wer hätte ihnen Einhalt bieten können? Warum war die Barriere, welche die innere Verarmung hätte verhindern können, in den Herzen der Menschen nicht vorhanden? Wer hatte den Menschen die Liebe Gottes vorenthalten? Warum war das Ziel so ungenau und wenig attraktiv beschrieben, daß sich kaum einer ernsthaft auf den Weg machte? Warum gab es keine ernstzunehmende Gegenwehr?

Noch einen Schritt.

Warum konnte Blech als Gold verkauft werden?

Ich machte eine Pause.

Ist es nicht schön zu erleben, was eine kleine Frage auslösen kann? Du siehst, wie einfach es im Grunde ist. Und dies waren nur F r a g e n - und noch nicht einmal die Antworten! Dennoch bist du schon ein kleines Stückchen eingedrungen in den Dschungel, den wir gemeinsam lichten wollen.

Die Methode des Fragens-im-Rückwärtsgang, die ich dir vor kurzem vorschlug, war dies zwar noch nicht. Aber auch so wirst du vorankommen. Du wirst überrascht sein, daß die Antworten in vielen Fällen klar auf der Hand liegen. Und dann wirst du dich fragen, warum du sie nicht schon viel früher gesehen hast.

Es war etwas Herrliches, auf diese Weise miteinander umzugehen, und es war viel, was ich erfahren hatte. Gab es noch etwas?

Willst du deinen Tag zusammenfassen?

Ich konnte es versuchen. Mein Licht hatte mich auf Zusammenhänge aufmerksam gemacht, auf den Überbau, unter dem mir ein Aspekt besonders auffiel: die Frage nach dem Woher? und Wohin?.

"Ich glaube, der Tag sollte mir helfen, meine Sinne zu schärfen für einen zentralen Punkt: für das in Vergessenheit geratene Thema der Unvergänglichkeit", sagte ich. "Wir sind nur dem äußeren Schein nach sterbliche Wesen. Unser Geist, der unser wahres Leben darstellt, ist unsterblich. Wir haben einen Ursprung, und wir haben ein Ziel. Wir sind von oben ausgegangen und unten angekommen. Wir werden das Unten wieder verlassen, um in das Oben wieder einzutreten. Mir diesen Kreislauf ins Bewußtsein zu rufen, der noch viele zu ergründende Tiefen hat, scheint mir der Sinn des vergangenen Tages zu sein."

Ich dachte kurz nach: "Ja, und weil es mit dem Wissen darum auch leichter fällt, Entscheidungen zu treffen ... wenn man möchte", fügte ich noch an, weil mir der freie Wille einfiel.

Anscheinend konnte man das so stehen lassen, denn die Antwort bestand in einem kurzen Aufleuchten, was ich als ermunternde Zustimmung deutete. In dem Moment fiel mir ein, daß ich auf meine Bitte "Erzähle mir mehr davon. Wie geht das vor sich?" zwar eine wunderbare Antwort erhalten hatte, die Frage "Wie war es bei mir?" aber noch offen war. Hatte mein Licht vergessen, darauf einzugehen? Sollte ich trotz der vorgerückten Stunde auf die Frage noch zurückkommen? Ich war natürlich an der Antwort stark interessiert, falls ich sie überhaupt erhalten würde. Doch langsam schlich sich auch das Gefühl ein, daß es im Moment reichen würde.

Ich habe nichts vergessen

Keine Ungehaltenheit, kein Vorwurf, keine Erklärung, einfach nur: "Ich habe nichts vergessen." Ob ich das jemals schaffen würde?

"Danke für deine Liebe, es war schön und reichlich diesmal. Ich bin froh, daß nicht alle Tage so vollgepackt sind."

Dir wurde viel gezeigt. Nun hast du Zeit und Gelegenheit, daraus etwas zu machen. Ich werde dir mit meinen Möglichkeiten dabei helfen. Nun aber werde ich gehen, obwohl ich bei dir bleibe.

Eine kleine Pause entstand.

Du benötigst also wirklich nichts mehr aus der himmlischen Trickkiste?

Mein Licht war unschlagbar. Ich winkte ab. "Danke."

Dann überließ es mich den weiteren Stunden der Nacht. Ich war nicht absolut sicher, was es mir noch in meinen Schlaf hinein sagte, aber es hörte sich an wie: Viel Freude bei deiner alten Lehrerin.