Bin Ich es den Du liebst?
von Hans Dienstknecht


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13.

Am nächsten Morgen erwachte ich früh und frisch. Unsere nächtliche Unterhaltung hatte mich gestärkt. Ich freute mich auf den mit Arbeit vollgepackten Tag, der vor mir lag. Wie immer in den letzten Wochen nahm ich mir nach dem Frühstück Zeit, in mein Inneres zu gehen. Nach den Aufklärungen und Hilfen der letzten Nacht war mir dies ein besonderes Anliegen.

Heute morgen war in erster Linie Dank in meinem Herzen. Ich mußte ihn nicht unbedingt formulieren, das wußte ich. Ich brauchte daher nicht nach schönen Worten zu suchen, um einen sprachlich möglichst korrekten Satz zustande zu bekommen. "Gott schaut nicht auf meine Worte, sondern in mein Herz", dachte ich. Wenn ich lernen würde, mein Herz sprechen zu lassen, so müßten eigentlich, wenn die richtigen Empfindungen darin wären, auch die richtigen Worte herauskommen. Und wenn es keine Worte wären, so müßten doch auch die darunter liegenden Empfindungen und Gefühle ausreichen.

"Worte sind eigentlich nur Krücken", war mein nächster Gedanke. "Weil wir untereinander nicht in der Lage sind, ohne Worte zu kommunizieren - es sei denn, die Situation ist stark emotionsgeladen -", schränkte ich ein, "bedienen wir uns der Sprache." Sollte es nicht möglich sein, im Inneren ohne Sprache auszukommen? Oder nur das aufsteigen zu lassen, was sich von alleine formuliert?

Ich schloß einfach die Augen und bat die Kraft des Christus in mir (indem ich mich an "meinen Bruder und Freund" Jesus Christus wandte), mich bei der Kontrolle meiner Gedanken zu unterstützen. Denn schon wollten sie zu der anstehenden Tagesarbeit vorauseilen. Dann machte ich in Empfindungen "mein Herz auf" und ließ alles hinausströmen, was ich an Dankbarkeit empfand. Es mischten sich einzelne Gedanken und unausgesprochene Worte hinein; das störte mich absolut nicht. Es war gut so. Die Nähe einer Kraft, die man nur spüren, aber nicht näher beschreiben kann, war für mich beinahe greifbar.

Ich blieb eine Weile in dieser inneren Haltung, " ... die einem Gebet gleichkommt", dachte ich plötzlich.

Es ist ein Gebet.

Mein Licht war also auch da. Ich versuchte, noch stiller zu werden, noch tiefer einzutauchen in ein inneres Licht, das ich mir vorstellte. Ich sah dieses Licht in der Nähe meines Herzens. Es vergrößerte sich, durchdrang von innen her meinen Körper und strahlte schließlich nach außen. Ich war im Mittelpunkt dieser Strahlkraft, und gleichzeitig war sie in meiner Mitte. Meine Dankbarkeit war inzwischen mehr und mehr einem Gefühl der Geborgenheit und einer bisher nicht erlebten Sicherheit gewichen. "Das muß mein erstes Empfinden dafür sein, was mein Licht ‘Sicherheit in Gott’ genannt hatte", ging es mir durch den Kopf. So nahe, so geliebt, so beschützt.

Ich konnte gar nicht anders, als mein Herz bis an seine, wenn auch noch bescheidenen Grenzen aufzumachen. Zaghafte, aber auch zum ersten mal bewußt aus meinem Inneren hinausgelassene Empfindungen der Liebe stiegen empor. Worte waren nicht nötig; ich hätte sie auch nicht formulieren können. Ich kam mir vor wie ein kleines Kind, das sich nicht nur entschlossen hatte, irgendwann einmal laufen zu lernen, sondern dem der erste Schritt nun unmittelbar bevorstand. Wohin würde mich mein Schritt führen? Was lag vor mir? Im Kopf hatte ich alle Antworten parat. Und mein Herz? Wollte es den Schritt nur tun - oder tat es ihn auch?

Die höchste Form der Liebe ist die Hingabe.

Darauf war ich nicht vorbereitet; ich wußte auch nicht gleich, was da gerade geschehen war. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte die Augen geöffnet, um mich umzuschauen und in die Realität wieder zurückzufinden, von der ich für einen Moment glaubte, sie verlassen zu haben. "Was war das für ein glasklarer Gedanke?" überlegte ich. "Fast so deutlich, als hätte ich ihn mit meinen Ohren vernommen." Es war nichts Unangenehmes, Aufdringliches daran gewesen. Im Gegenteil: Er war von Sanftheit und dennoch von Stärke geprägt. Er hatte mich nur unvorbereitet angetroffen ...

"Die höchste Form der Liebe ist die Hingabe", klang es in mir nach. Hingabe an den Einen, der alles ist, und aus dem alles ist. Ich war dabei, dieser Hingabe entgegenzugehen; sie nicht nur mit Worten aus der Ferne zu begrüßen, sondern ihr die Hand zu reichen. Es war eine kleine Hand, das war mir klar, doch ich würde sie voller Vertrauen ausstrecken. Würde, wollte oder tat ...?

Auf einmal war die Erinnerung an die "Stimme" da, die in der Friedhofskapelle in mir und zu mir gesprochen hatte: Ich Bin da. Es war die gleiche.

"Bist Du es?" fragte ich in mich hinein - und vielleicht gleichzeitig zu den Sternen empor und in die Unendlichkeit hinaus. Ich weiß es nicht mehr. Zu sehr hielt mich die Einmaligkeit des Augenblicks gefangen. Wen ich mit der Frage meinte, schien ich nicht genauer bestimmen zu müssen. Es gab für mich nur Einen.

Ich Bin es.

Ich ließ es wie ein Echo immer und immer wieder in mir nachhallen: Ich Bin es.

Sollte ich etwas antworten? Und wenn, was? Konnte ich so ohne weiteres eine Kommunikation beginnen? War dieses gerade beginnende Aufbrechen dafür überhaupt gedacht? Ich erinnerte mich an das erste Auftreten des Lichtes. Damals war ich genauso sprachlos gewesen. Damals war mir die Aufforderung mitgegeben worden Gebrauche deinen Verstand. Und heute ...?

Heute war es eine Frage.

Bin Ich es, den du liebst?

Ich blieb noch lange Zeit, nachdem meine Empfindungen abgeklungen waren, in meinem Sessel sitzen. Wie mit Feuer schien sich die Frage in meine Seele eingebrannt zu haben. Im allerersten Moment wollte ich sie spontan beantworten und rufen "Ja, du bist es ...", doch dann hielt ich inne. Nicht umsonst war die Frage gestellt worden. Ihre für mich etwas ungewöhnliche Formulierung bedeutete ja nicht, daß man sie nicht mit Ja beantworten könnte oder sollte. Eines jedoch war mir in den Minuten, die ich noch in der Stille verbrachte, klargeworden: Es sollte ein wohlüberlegtes, aus tiefstem Herzen kommendes und in völliger Freiheit gesprochenes Ja sein, das die Hingabe an die Liebe einschloß. Und es sollte nach Möglichkeit dauerhaft sein, auch wenn es immer wieder neu gegeben werden müßte. So nahm ich mir die Frage mit in den Tag, obwohl ich die Antwort in mir schon wußte.

Als ich meine Augen öffnete, bemerkte ich erst die Tränen, die mir die Wangen hinuntergelaufen waren.

*

Im Büro gab es nur ein paar Anrufe zu erledigen. Die Besuche waren vorbereitet, Eva hatte auch nichts mehr für mich, so daß ich schon früh losfahren konnte. Der Vormittag verging wie im Flug; der Besuch gegen 11.30 Uhr beschränkte sich auf ein Gespräch von zwei Minuten, weil mein Gesprächspartner kurzfristig aus dem Haus mußte. Ich überlegte, daß ich den nächsten Kunden erst ganz kurz vor Mittag erreichen würde, was bei ihm aber nicht erwünscht war, weil sich unser Gespräch dann möglicherweise ein Stück bis in die Mittagspause hineinziehen würde. So entschied ich mich dafür, schon jetzt einen Platz für meine Pause zu suchen. Wie fast immer fand ich einen abseits gelegenen Waldparkplatz. Es hatte aufgehört zu regnen, doch der Boden war naß, so daß ich im Wagen sitzen blieb. Ich kurbelte das Fenster ein Stück herunter, brachte meinen Sitz in Schräglage und schloß die Augen. Jetzt konnte ich mir Zeit nehmen, über mein inneres Erlebnis vom Morgen nachzudenken.

So eindringlich es auch gewesen war, und so dankbar ich mich auch fühlte, so wollte ich doch nicht den Fehler begehen, nun in einer falschen Euphorie und im Überschwang meiner Gefühle innerlich abzuheben. Darin erkannte ich eine Gefahr und erinnerte mich an einen Ausspruch, den ich irgendwo einmal gelesen hatte: "Sei wachsam, wenn du etwas willst. Denn sobald du einen starken Wunsch verspürst, dieses oder jenes haben oder tun zu wollen, ist deine Kritikfähigkeit eingeschränkt." Wie wahr, hatte ich dabei in Rückerinnerung an so manche Zielsetzung in meinem Leben gedacht. Denn eines hatte ich erkannt: Man kann sich kaum ein drängendes Bedürfnis erfüllen und gleichzeitig neutral dagegenstehende Argumente in Betracht ziehen. Die allgemeine Praxis war: Dann lieber gleich die Augen vor möglichen Bedenken verschließen oder verschließen lassen.

Also bleib’ wachsam, Ferdinand.

Eine kluge Entscheidung, mein Bruder.

Wie schön, daß mein Licht da war. Hier hatte ich doch eine Kompetenz, mit der ich reden konnte; sicher auch einmal in der Ausführlichkeit, wie dies sonst meist nur nachts möglich war.

"Du hast alles miterlebt?"

Und mitgefühlt. Meine Freude war und ist groß. Ich habe mir gedacht, daß du Fragen dazu hast.

"Du hast vor Wochen zu mir über die sogenannte Innere Stimme oder das Innere Wort gesprochen, die Kommunikation mit Gott, dem Vater, bzw. Christus, dem Bruder. Heute morgen, das war der Anfang, so habe ich es empfunden. Eigentlich habe ich es in der Situation schon gewußt, auch wenn es überraschend geschah.

In mir streiten zwei Gefühle, und ich bitte dich, mir zu helfen, sie zu ordnen. Einerseits, habe ich gelernt, Gott und Christus leben in jedem. Ein Gespräch mit Ihm oder Ihnen ... ?" Ich zögerte.

Der Vater und Ich sind eins, hat Christus in Jesus von Nazareth gesagt. Gehst du zum einen, bist du gleichzeitig beim anderen. Und umgekehrt.

" ... ein Gespräch mit Ihm müßte also das Allernormalste sein, in etwa so, als wenn ich mich mit Anne oder Peter oder meinem Nachbarn unterhalte. Andererseits ist es etwas so Gravierendes, Entscheidendes, fast wie der Durchbruch eines Dammes - nur im Positiven -, daß ich darin nur schwer eine Normalität sehen kann."

Das ist ein wichtiger Punkt. Doch so kompliziert dir die Lösung auch erscheinen mag, die Antwort ist denkbar einfach. Es ist beides: das Größte und das Alltäglichste zugleich. Das bleibt auch später so, ja bis in alle Ewigkeit, nur ist die Empfindung zu Anfang besonders stark, weil es ein neues, ungewohntes Erleben darstellt.

Es ist deshalb das Größte, weil es nichts Größeres gibt, als mit dem Leben in dir, mit dem höchsten Bewußtsein, Kontakt zu haben. Aus dieser Quelle bist du, diese Quelle nährt dich, und in diese Quelle wirst du wieder eintauchen. Für alle Ewigkeit. Was kann eine größere Bedeutung haben? Es liegt an dir, was du aus diesem ersten Kontakt machst. Du kannst ihn pflegen, ihn ausbauen, ihn enger und inniger werden lassen. Du kannst ihn auch, was ich nicht annehme, links liegenlassen, ohne daß sich die Liebe dir verweigert, wenn du später, nach Monaten oder Jahren, den Kontakt wieder suchst.

Wachsen deine Sehnsucht und Liebe, dann nimmst du diese zuerst kleinen Zwiegespräche - eigentlich sind es mehr Impulse - mehr und mehr in dein Leben, d.h. in deinen Beruf, deine Freizeit, deine Interessen hinein, so daß es für dich einmal selbstverständlich sein wird, mit dem Wort in dir zu kommunizieren. Du wirst dann auch nicht mehr konzentriert hinhören müssen - was sowieso falsch ist und in den seltensten Fällen gelingt -, sondern du läßt es geschehen in dem tiefen Vertrauen, daß du im richtigen Moment das Richtige "gesagt" bekommst.

Insofern ist es etwas Selbstverständliches, etwas Alltägliches. Warum sollte Gott auch schweigen in dir, in jedem? Würdest du dich weigern, mit deinen Kindern zu sprechen? Daß Seine Kinder Ihn nicht hören, ist eine ganz andere Sache. In ihrem eingeschränkten Bewußtsein schließen sie daraus, daß Er schweigt. Und nicht nur das: Sie be-schließen, daß es so sein muß und machen es zu ihrer Lehre oder Ideologie.

Mein Licht ließ mir im Anschluß an diese Erläuterungen Zeit, darüber nachzudenken. Schließlich kam der wohl noch fehlende Teil.

Vor e i n e r Gefahr kann ich dich nicht deutlich genug warnen, der Gefahr des Hochmuts. Es ist a b s o l u t n i c h t s B e s o n d e r e s , was dir widerfahren ist, und du wirst dadurch erst recht nicht zu etwas Besonderem. Es ist, und hier komme ich wieder auf das Alltägliche, etwas ganz Normales, das im Gesetz der Liebe vorgesehen ist, und das jeder früher oder später erleben wird. Verhalte dich also am besten so, wie bisher; bleib’ so, wie man dich kennt.

Mit einer Art Schmunzeln fügte mein Licht hinzu: Was dich natürlich nicht davon abhalten sollte, kontinuierlich kleine und größere Verbesserungen an dir vorzunehmen.

"Danke für die Warnung, ich will sie beherzigen. Und wenn ich sie doch einmal - nur aus Versehen, weißt du - vergesse, dann hoffe ich doch, daß du mich erinnerst. Oder?"

Darauf kannst du dich verlassen; das ist nicht die Frage. Die Frage ist: Dringe ich dann zu dir durch?

"Also wenn du das nicht schaffst ...", dachte ich. ("Achtung, Freund hört mit!") Zu spät. Wieder war es passiert.

Bei deinem Eigenwillen und deiner - entschuldige - Sturheit ist mir das nicht immer gelungen. Glaubst du mir? Oder soll ich dich erinnern an ...

"Entschuldige", sagte ich rasch und meinte es ehrlich. "Natürlich glaube ich dir; ein bißchen habe ich mich ja dank deiner Hilfe schon kennengelernt." Ich wollte die Zeit unseres Beisammenseins nützen. Es gab noch vieles im Zusammenhang mit der Inneren Stimme, das ich nicht verstand. Vielleicht konnte das eine oder andere doch noch besprochen werden.

"So, wie du es mir geschildert hast, vergleiche ich das, was ich heute morgen erlebt habe, mit einem Raumschiff und einer Raumstation, die sich langsam nähern. Zuerst sieht man sich nur auf dem Radarschirm, dann mit dem Auge; je näher man sich kommt, um so besser kann man sich erkennen, schließlich erfolgt das Andocken. Damit ist der erste Kontakt hergestellt."

Mit diesem ersten Kontakt tritt das Abenteuer, das schon vorher begonnen hat, in eine andere Phase. Du wirst keine sofortige Veränderung bemerken; deine Aufmerksamkeit ist nach wie vor gefordert, vielleicht mehr noch als zuvor, weil die Angriffe raffinierter geführt werden; deine Arbeit an dir selbst wird nicht aufhören, sie wird jedoch leichter werden, wenn du lernst, dem Wort in dir zu vertrauen. Du wirst der gleiche bleiben - abgesehen von den schon erwähnten Verbesserungsmöglichkeiten -, aber deine Schritte werden nun etwas sicherer werden. Das Bein, das du aus dem Sumpf gezogen und auf festen Boden gestellt hast, findet nun Halt.

Aber - du mußt aufpassen. Das erste Aufbrechen bedeutet weder Garantie noch vorläufige, geschweige denn endgültige Sicherheit; es ist eher so etwas wie eine Verheißung. Es muß auch nicht sein, daß du nun kontinuierlich im Ausbau deiner Kommunikation mit Gott voranschreiten wirst. Es werden Tage und Wochen dazwischen sein, da wird es dir schwerfallen, die innere Verbindung herzustellen oder aufrechtzuerhalten. Da wirst du kein Wort in dir vernehmen, auch wenn du noch so sehr hinhörst.

"Womit hängt das zusammen, oder wovon hängt das ab?"

Nimm dein Beispiel mit den Raumschiffen. Die Verbindung ist noch nicht stabil. Sie besteht, aus der Ewigkeit betrachtet, erst wenige hundertstel Sekunden. Würde im Weltraum ein Sturm wehen, so wärest du als das kleine Raumschiff davon betroffen, während das große Mutterschiff unbehelligt bleibt.

Hier auf der Erde wehen, auch im übertragenen Sinn, Stürme. Man wird versuchen, dir deinen Halt auf festem Boden wieder zu nehmen. Wenn man den Schritt schon nicht verhindern konnte, wird man doch Anstrengungen unternehmen, dich dazu bewegen sollen, ihn rückgängig zu machen. Am besten so, daß du es selbst nicht oder kaum bemerkst. Der einzige, der dies unterbinden kann - auch wenn er hier und da mal ein Scharmützel verlieren wird -, bist du. Vor ein paar Wochen hat einmal jemand gesagt: "Aber es kann Sie auch nichts und niemand daran hindern, eine ganz persönliche Entscheidung zu treffen ..."

"Ich erinnere mich schwach." Ich mußte lachen. "Gut, ich hoffe, diesen Teil habe ich verstanden. Ich will also nicht traurig sein, wenn es langsam und mit kleineren und größeren Pausen vor sich geht. Aber ich will aufpassen, daß ich ‘meine Linie’ beibehalte. Und dann lasse ich es kommen oder geschehen, wie Er es für richtig hält, und wie es Ihm möglich ist ..."

Seine Möglichkeiten hängen von dir ab, das weißt du. Ehrgeiz, Wünschen oder Wollen sind Gift für eine geistige Entwicklung."

" ... deren Motor einzig und allein die gelebte Liebe ist."

Ja, doch auch dann ist das, was im einzelnen aufbricht und wächst, verschieden. In erster Linie ist Sein Wort für dich persönlich gedacht als Anstoß, Ermutigung, Ermahnung, Unterstützung, als Impuls z.B. für eine bestimmte Situation, in der du dich gerade befindest. Das heißt nicht, daß du einem anderen nicht etwas vermitteln kannst, das du selbst erlernt hast und inzwischen lebst. Es wird auch passieren, daß Er durch dich deinem Nächsten etwas sagen wird, von dem du zunächst gar nicht annimmst, daß Er es war, der da gesprochen hat. Du hältst deinen Satz oder deine Aufmunterung für etwas, das aus dir kam.

"Ich glaube, das ist mir schon ein paar mal passiert. Immer dann, wenn ich nichts für mich wollte, wenn ich einfach nur für den anderen da war und es unbewußt einfach habe ‘reden lassen’. Hinterher habe ich mich manchmal darüber gewundert, daß nur ein Wort oder ein Satz bei dem anderen solch eine Wirkung hatte. - Dann war also Er das", sagte ich nachdenklich.

Er ist es viel öfters, als du denkst. Das gilt nicht nur für dich. Darin liegt ein kleines Geheimnis des Inneren Wortes: Anzunehmen und zu akzeptieren, daß nicht alles das, was du für deine Gedanken und Worte hältst, auch von dir ist. Diese Akzeptanz, daß Er auch d u r c h dich sprechen kann und spricht, ist der erste Schritt zur Anerkennung der Möglichkeit, daß Er auch i n dir spricht, und du Ihn bewußt wahrnehmen kannst. Wer dies nicht für denkbar hält, macht dem Geist in sich die Türe erst gar nicht auf.

"Ist es immer so?"

Nein, denke nur an Paulus. Das, was ich dir gerade erläutert habe, betrifft die ganz persönliche Zwiesprache Gottes mit seinem Kind. Bei den meisten beginnt sie unter ähnlichen Umständen wie bei dir, sofern sie diesen Aufbruch zulassen. Fast alle sind wie du überrascht bis erschüttert.

Vergiß deine Fragen nicht ... [ mir war gerade einiges in den Sinn gekommen] ... laß mich diesen Gedanken nur zu Ende führen.

Andere Menschen haben die Aufgabe, Sein Wort im kleinen Kreis aufzunehmen und weiterzugeben, die Suchenden aufzuklären, vielleicht auch anderen dabei zu helfen, ihre ersten Erfahrungen mit der Inneren Stimme zu machen, die ersten Gedanken als Seine Gedanken zuzulassen und auszusprechen.

Wieder andere schreiben das, was die Stimme Gottes ihnen im Herzen mitteilt, nieder. Und dann vergiß nicht die Propheten der Zeit vor Jesus, auch nicht die Propheten des Urchristentums, durch die Gott die Gemeinden direkt belehrte, ehe das Prophetentum von der immer mächtiger werdenden, äußeren Organisation Kirche zurückgedrängt wurde. Und mit Jesus von Nazareth hat Gott nicht aufgehört - und Er wird nie aufhören -, zu Seinen Kindern zu sprechen. Du hast es ja in dir selbst erlebt, wenn auch erst im allerkleinsten Stadium. Alles das fällt unter das Innere Wort.

"Danke für die Ausführlichkeit. Du bist ein Schatz ..." Ich wollte den letzten Satz zuerst noch abstoppen, weil er mir als ein zu lockerer Spruch erschien, dachte dann aber: "Warum eigentlich? Es ist ja auch ein Schatz. Mein Schatz! Und ich bin ein Glückskind!"

Alle Kinder Gottes sind Glückskinder. Sie könnten es zumindest sein, wenn sie es zuließen. - Aber du hast noch etwas auf dem Herzen.

"Ich habe an die Gefahr gedacht, in die man doch geraten kann, wenn man allzu leichtgläubig und neugierig Versuche unternimmt, irgend etwas hören zu wollen."

Die Gefahr ist allgegenwärtig. Zahlreiche Fallen sind aufgestellt, um Ahnungslose hineinzulocken. Vorsicht ist also geboten. Diese Wege führen nicht zu Gott; sie machen dich im Gegenteil abhängig von Kräften, die das Streben zu Gott unterbinden wollen. Deshalb ist es richtig und wichtig, davor zu warnen.

Das Streben zu Gott kann aber auch unterbunden werden, wenn a l l e s verteufelt wird. Wer die direkte Kommunikation Gottes mit Seinen Menschenkindern leugnet, verhindert ebenfalls geistiges Wachstum und erreicht - ob er es will oder nicht - im Endeffekt das gleiche: Nämlich Stillstand der Söhne und Töchter, die sich auf den Weg ins Vaterhaus machen sollten und wollten.

"Mir scheint die Unterscheidung der Geister nicht einfach zu sein. Ich stell’ mir das vor wie eine Gratwanderung", gab ich zu bedenken.

Ja und nein. Ja, weil der Weg zu Gott immer einer Gratwanderung gleichkommt. Und nein, weil es eine einfache Regel ...

" ... ‘geben muß’, wirst du jetzt wahrscheinlich sagen, so wie ich dich kenne."

... geben muß, weil ansonsten nicht alle in der Lage wären, sich der Liebe in ihrem Inneren zu nähern. Daß dazu viele ganz offensichtlich nicht fähig sind, hat nichts mit der Regel zu tun. Es hängt damit zusammen, daß sie nicht wollen oder es nicht können oder es nicht besser wissen.

Diese einfache Regel heißt ... willst du sie nicht sagen? Du kennst sie doch!

"Ich kenne sie?" wollte ich schon fragen, besann mich dann aber und dachte lieber nach. Dieses "geben muß" erinnerte mich an unsere früheren, gemeinsamen Überlegungen, daß es einen Weg zu Gott geben muß, den alle gehen können. Ansonsten würde keine Chancengleichheit bestehen. Wir hatten diesen Weg herausgearbeitet: Liebe und sonst nichts! Es lag auf der Hand, daß beim Inneren Wort eine ähnlich gelagerte Gesetzmäßigkeit zugrunde liegen mußte.

Ich überlegte noch einmal kurz, dann war der erste Ansatz da.

"Weil das Innere Wort erfahren werden kann, muß es auch einen geschützten Weg dahin geben, weil ansonsten das liebende Kind sich dem liebenden Vater nicht gefahrlos nähern könnte. Es können also nicht alle Wege gefährlich sein; einer muß sicher sein."

Und dann hatte ich es.

"Der einzig sichere Weg ist der, sich ausschließlich auf Gott oder Christus auszurichten. Auf nichts anderes. Nicht auf Menschen, nicht auf Gruppen und Gemeinschaften, nicht auf menschliche Führer, Meister oder Vordenker, nicht auf Techniken und Versprechungen." Noch etwas fiel mir dazu ein, auch wenn wir es schon kurz erwähnt hatten. "Kein Wünschen und Wollen, keine Neugierde, kein Hineinhören in eine unbekannte, unsichtbare Welt, ob da nicht vielleicht doch einer ist, der mir eine Frage beantwortet. Nichts als meine Sehnsucht und Liebe, die ich einfach aus meinem Herzen strömen lasse, ohne sie mit Erwartungen oder Ergebnissen zu verbinden.

Eine solche innere Haltung muß der sichere Wege sein, von dem du gesprochen hast. Denn wenn auch er nicht sicher ist, dann gibt es keinen."

Wenn dann die ersten klaren Gedanken im Menschen aufsteigen und er fragt: "Wer bist du, der mir das Wort in meine Gedanken gelegt hat?" kann und wird kein Wesen der Himmel außer Gott selbst deine Frage beantworten. Er wird ihm - wenn auch nicht mit gleichen Worten, weil dies nur ein Beispiel ist - sagen: "Ich Bin dein Vater seit Ewigkeiten".

So wird, so muß es geschehen.1)

Wer seine Hinwendung zu Gott vermischt mit anderen Interessen, läuft Gefahr, von Kräften beeinflußt zu werden, die seine Neigungen fördern und bestärken. Sie tun dies, indem sie sich wichtig machen, seine Unwissenheit ausnützen und ihm angeblich die "größten Weisheiten des Kosmos" offenbaren. Im günstigsten Fall erfährt er nichts entscheidend Neues, im schlimmsten Fall steht am Ende einer solchen Bindung physische und psychische Zerrüttung.2)

Mir fiel nach dieser gemeinsam herausgearbeiteten Erkenntnis ein Stein vom Herzen. Nicht so sehr meinetwegen, weil ich ja in der glücklichen Lage war, mein Licht zu haben, sondern wegen der Millionen Menschen, von denen ich nun wußte, daß sie geschützt waren, wenn sie auf ihrem Weg nicht ihr Ziel aus den Augen verlieren würden. Und dann gab es auch noch die Schutzengel und ihre Helfer, so daß keiner, der es ehrlich meinte, in Gefahr sein würde.

Zwei Dinge interessierten mich noch. Dabei hoffte ich auf eine gewisse Nachsicht meines Lichtes, weil meine Fragen doch mehr meinem Wissensdurst entsprangen. Ein bißchen war ich schon der Meinung, heute mitgedacht zu haben. Vielleicht würde das eine gewisse Großzügigkeit ...

Was mußt du denn noch wissen? ("Ich glaub’, ich liebe dich", dachte ich übermütig in Erinnerung an die Worte meines Freundes Peter. Und doch meinte ich es ernst.)

"Das eine ist, ob es viele Menschen auf der ganzen Welt gibt, die den inneren Kontakt zu Gott gefunden haben."

Du wärest überrascht, wie viele es sind. Du findest sie überall, und es werden immer mehr. Die Gnade Gottes verströmt sich in unvorstellbarem Maße gerade in dieser Zeit, in der die Dunkelheit versucht, die Menschen in ihrer Position des Stillstands zu halten oder sie in den Sumpf zu ziehen.

" Und das andere ..." Beinahe schwand mir der Mut, weil es doch eine sehr persönliche Frage war. Andererseits war mein Licht bei dem Geschehen heute morgen an meiner Seite gewesen. Und da wir Freunde waren, würde es mir vielleicht sagen, wie es bei ihm gewesen war. Hatte mir mein geliebter Bruder aus dem Licht doch einmal "verraten", daß er auch inkarniert ...

Ich will es dir sagen. Auch meine Innere Stimme sprach eines Tages zu mir, nicht ganz so sanft, wie du es erlebt hast. Sie sagte: "Erhebe dich aus dem Staub der Erde. Du bist Mein Sohn." Ich habe mich erhoben.

"Das war deine Wende."

Ja, doch es bedurfte noch eines zweiten Satzes, ehe ich mich wirklich besann.

"Möchtest du mir auch den sagen?" Ich war tief berührt.

"Künde von Meiner Liebe."