Bin Ich es den Du liebst?
von Hans Dienstknecht


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15.

Es waren erst wenige Tage vergangen seit der Teilaufklärung über die Vorgehensweise der Finsternis. Mein Licht hielt es jedoch für angebracht, mir die restlichen - die vorerst restlichen - wichtigen Aspekte zu erläutern und meinen Blick in eine ganz bestimmte Richtung zu lenken. Mir schien, als sollte ich so etwas wie einen "Schnellkurs im Durchblicken" machen. Anders konnte ich es mir nicht erklären.

An der Spitze des besprochenen Kampfes steht auf der Seite des Lichtes unser Bruder Christus. Ich muß auf diesen Punkt noch einmal zurückkommen, weil es für dein Vertrauen in Seine Führung, für die Sicherheit und die Freiheit, die du dadurch gewinnst, unumgänglich ist, daß du die Zusammenhänge richtig verstehst. Ich bitte dich um deine Aufmerksamkeit; es ist entscheidend.

Das Ziel der gefallenen Engel war ursprünglich eine eigene Schöpfung. Als dies mißlang, strebten sie die Auflösung der gesamten Schöpfung an. Der niedrigste Punkt jener Bereiche, die sich durch ihre Abkehr von Gott gebildet hatten, war und ist das materielle Universum, genauer: die Erde. Dort begann durch die Inkarnation des Christus-Geistes bei der Geburt des Kindes in Bethlehem ein geistiges Geschehen ungeahnten Ausmaßes. Gott selbst griff - wenn du so willst - als die bedingungslose Liebe in das Geschehen ein und stellte sich in Christus an die Spitze des Kampfes. Ein Aufschrei des Schreckens und der Wut ging durch die Dämonen-Welten, als sie den Schachzug des Lichtes erkannten.

33 Jahre später war dieser Kampf zugunsten des Lichtes entschieden, denn mit dem Tod des Menschen Jesus verströmte sich die geistige Kraft des Christus i n die Seele eines jeden Menschen und in alle Seelen in den Astralbereichen. Es ist die zusätzliche Energie, die seither dir und jedem zur Verfügung steht, um den Weg zurück in die Himmel erfolgreich gehen zu können.

Und noch etwas darfst du nicht aus den Augen verlieren, weil du sonst allzuleicht ein verführtes Opfer wirst.

Ich war so konzentriert wie selten. Es war einer jener Augenblicke, die mir fast heilig zu sein schienen, weil sie so eine enorme Kraft und Weisheit enthielten.

Wie leicht bestätigt der Mensch, daß Gott die Liebe ist, ohne daran zu denken, daß Er dann auch nur aus der Liebe heraus handeln kann. Weil dem so ist, konnte es nur einen einzigen Weg geben, die abgefallenen Kinder zurückzuholen. Es ist ein Weg, den menschliches Bewußtsein sich weder ausdenken kann noch versteht.

Die Liebe mußte der Dunkelheit beweisen, daß das Böse, das aus Gewalt, Haß und Vernichtung besteht, durch die selbstlose, gewaltfreie, verzeihende Liebe besiegt werden kann. Jesus Christus hat dadurch, daß Er sich hat kreuzigen lassen, die Überlegenheit der Liebe offenkundig gemacht und ist gerade durch diese Tat im Geistigen Sieger geblieben.

"Hätte Er, rein theoretisch, die gleichen oder ähnliche Mittel angewendet wie Seine Gegner, denen Er ja von Seinem Bewußtsein, Seiner Kraft und Größe um ein unnennbar Vielfaches überlegen war, und damit den Kampf im Äußeren gewonnen, so hätte die Finsternis dennoch den Sieg davongetragen, weil sie bewiesen hätte, daß das Böse in der Lage ist, die Liebe zur Aufgabe ihrer Prinzipien zu zwingen. Ist das so?"

Genauso ist es. Eine solche Überzeugung, daß die Liebe die stärkste Kraft darstellt - nicht nur als Theorie, sondern auch in ihrer praktischen Vorgehensweise -, ist für die allermeisten von euch unvorstellbar. Und doch steht auf dem Banner, das im Unsichtbaren das Heer des Lichtes mit sich trägt: "Die Liebe wird siegen"; auf dem Banner des Gegners steht nach wie vor: "Ihr werdet vor unserer Macht kapitulieren".

"Und die Figuren in diesem Spiel sind die Menschen, die mal in diese, mal in jene Richtung tendieren und gezogen werden."

"Wir werden die Menschen beeinflussen, verführen und halten", steht auf einer weiteren Fahne der Finsternis. Und auf einer weiteren des Lichtes steht: "Ich werde Meine Kinder zum Guten anhalten".

Nun kennst du auch diesen Teil des Hintergrundes. Noch etwas gilt es, sich immer wieder ins Gedächtnis zu rufen. Der Kampf scheint für das Licht schon deshalb viel schwerer zu sein, weil es die Menschen und Seelen weder beeinflußt noch verführt noch hält. Der freie Wille bleibt in jedem Fall gewahrt.

Die Dunkelheit kennt diese Rücksichtnahme nicht. Sie täuscht, lügt, verspricht und fälscht. Deshalb ist es auch so wichtig, seinen Verstand zu gebrauchen und sein Urteilsvermögen zu entwickeln, das aus dem sich langsam erschließenden Bewußtsein kommt. Die Unterscheidung der Geister ist heutzutage wichtiger denn je.

"Du schneidest damit ein Thema an", sagte ich, "zu dem ich einiges auf dem Herzen habe. Zuvor aber: Wer kämpft alles auf der Seite des Lichtes? Und wer auf der Gegenseite?"

Der Kampf spielt sich, wie schon erwähnt, im Unsichtbaren ab. Dort werden die Schachzüge geplant, vorbereitet und in die Wege geleitet. Beide Seiten brauchen aber Menschen, um ihre Vorsätze auf der Materie durchführen zu können. Deshalb haben beide ihre menschlichen Helfershelfer, die versuchen, die jeweiligen Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die zwei Heere bestehen also aus denen, die im Geistigen arbeiten, und aus denen, die ihre Interessen vertreten, die oft genug mit einem ganz bestimmten Auftrag, einer gezielten Absicht inkarniert sind. Und sie bestehen aus denen, die hier auf der Erde gewonnen werden können, entweder die Truppe der einen oder der anderen Seite zu verstärken.

"Und ständig pfuscht der eine dem anderen ins Handwerk ‘rein," fiel mir dazu ein, wobei ich für einen Augenblick die von mir selbst empfundene Segnung dieser Stunde vergaß, "indem er versucht, das, was der Gegner gerade ankurbelt, zu unterminieren."

Abgesehen von deiner Ausdrucksweise ist die Aussage korrekt.

"Und keiner merkt was. Ist doch wahr ...", dachte ich. Meine kleine Verstimmung galt der Tatsache, daß das alles so eindeutig und so logisch war, aber keiner etwas davon wußte.

"Da wird von Sünde und Versuchung, Tod und Teufel, Himmel und Hölle gesprochen, und fast keiner hat eine Ahnung, wie die Wirklichkeit ... aussieht." Ich rief mich noch rechtzeitig zur Ordnung, sonst hätte ich "funktioniert" gedacht und mir wieder eine Rüge eingehandelt.

Wer auf der Seite des Lichtes kämpft, weißt du. Wer die Gegenseite darstellt, wer zu ihr gehört, und wie sie im einzelnen vorgeht, wird weder von Gott noch von uns verraten. Mit den Mitteln des Verrats kämpft die Dunkelheit. Das Licht geht anders vor, woran du wiederum die unterschiedlichen Grundsätze des Handelns erkennen kannst. Einerseits verrät die Liebe nicht, obwohl sie alles sieht und weiß, andererseits kann sie ihre Kinder nicht blind herumlaufen lassen.

"Also muß sie sie warnen oder aufklären und ähnliches tun. Sie müßte schreien, sie müßte rütteln, sie müßte ... ich weiß, was ich täte. Aber gut", gab ich zu, "ich bin ja auch noch nicht die Liebe. Und was tut sie nun genau?" wollte ich wissen.

Sie gibt jedem Maßstäbe an die Hand. Du hast zum einen dein Gewissen, du hast das Hauptgebot der Gottes- und Nächstenliebe, die Zehn Gebote - falls du sie zusätzlich zum Hauptgebot noch brauchst - und die Bergpredigt. Weiterer Kriterien bedarf es nicht, um Gut und Böse unterscheiden zu können.

Ich hatte mich wieder beruhigt. "Entschuldigung", sagte ich, "du kennst mich ja." Ein besonderer Lichtstrahl signalisierte einerseits Verständnis, andererseits fast so etwas wie eine gewisse Ergebung in das Schicksal, mein Führer zu sein. Das tat mir leid. "Ich liebe dich doch", sagte ich, "und es wird auch von mal zu mal besser mit mir."

Dem gibt es nichts hinzuzufügen.

Wo waren wir stehengeblieben? Richtig, bei den Kriterien. Jetzt fiel mir auch wieder ein, was ich noch auf dem Herzen hatte: die Unterscheidung der Geister. Ich bat um einige Hinweise.

Was nun folgt, auch wenn es dir in Ansätzen schon bekannt ist, hat in seiner Wichtigkeit einen vielleicht noch höheren Stellenwert als das Wissen um den unsichtbaren Kampf. Es ist das Zentralstück entweder einer Entscheidung für den Herrn oder aber für irgendeinen der sogenannten Meister.

Der Fall wurde gestoppt durch Christus, die Erlösertat wurde vollzogen durch Ihn, die Himmel haben sich wieder geöffnet durch Ihn, und die Kraft, die du und mit dir jeder Mensch und jede Seele in sich trägt, ist Seine Kraft. Es ist weder die Kraft irgendeines anderen "Erlösers", Weltenlehrers oder Meisters. Es ist die Kraft des Christus, der Liebe Gottes. Eine andere Kraft als die Kraft Gottes gibt es somit in dir nicht!

Dies nicht nur zu hören und zu erkennen, sondern a n z u e r k e n n e n , macht den entscheidenden Unterschied. Es ist für den größten Teil der Christen leider ebenso neu wie für die Anhänger anderer Religionen. Während Letztere Christus oftmals einen niederen Rang zuweisen und Ihn einstufen als einen von vielen Weisen oder Propheten, glauben die Christen zwar an Ihn; aber mangels richtiger Unterweisung bleibt auch bei Ihnen die erlösende Christuskraft unverstanden. Genauso stößt die Tatsache, daß überhaupt eine göttliche Kraft i m Menschen lebt, die ihn voller Weisheit und Liebe führen möchte, vielerorts auf Unverständnis und Ablehnung. Obwohl alle vom "Blut der Erlösung" sprechen.

Diese Unwissenheit macht sich die Finsternis zunutze. Selbst die Aufklärung über die wahren Hintergründe, würde sie denn gegeben, fällt nicht gleich vom Kopf ins Herz und führt damit auch nur schwer zur praktischen Arbeit mit dieser Kraft.

Erinnere dich daran, daß die Dunkelheit mit größter Raffinesse vorgeht. Was, glaubst du, verspricht mehr Erfolg bei der Verblendung der Massen: Wenn du behauptest "Es gibt keinen Gott", oder wenn du den Verunsicherten, Verzweifelten, Suchenden - die durchaus aufrichtigen Herzens, aber oftmals blind sind - das schön verpackte Angebot machst "Liebe Freunde, ihr habt so viele unbeantwortete Fragen auf eurem Weg zu Gott. Kommt, ich gebe euch die Antworten und zeige euch den richtigen Weg"?

Die Antwort lag für mich klar auf der Hand. Ich sagte es auch. Viele würden sich verführen lassen.

Nicht sie "würden", sie lassen sich bereits verführen. Viele sind dabei, die nach dem Christus ihres Herzens in den Kirchen gesucht, Ihn dort aber nicht gefunden haben. Sie hängen oftmals einer der vielen, scheinchristlichen Lehren an, die eines gemeinsam haben: Es kann nur ein ähnlicher, nicht aber d e r Jesus Christus gepredigt werden. Es sind zwar Feinheiten, die den Unterschied ausmachen, andererseits sind sie aber s o fein gar nicht. Auch Christen und Menschen, die noch nach Ihm suchen, könnten erkennen, daß es sich n i c h t um den Erlöser handeln kann, wenn sie richtig hinsehen und hinhören würden.

" ... und wenn sie um die Erlöserkraft im Menschen wüßten."

Mein Licht machte eine kleine Pause. Ich ordnete das Gehörte, da ich annahm, daß noch einiges kommen würde, das auch seinen Platz brauchte. So war es denn auch.

Eine der beliebtesten Verdrehungen besteht darin, Jesus oder Christus zu einem der vielen anderen Meister zu machen, vorzugsweise zu einem der "aufgestiegenen Meister". Es ist dabei gar nicht nötig, die geistige Tragweite Seiner Erlösertat abzustreiten. Da sie ja weitgehend ohnehin nicht richtig erkannt wird, kann man diesen Punkt vernachlässigen. Dafür macht man den Menschen Jesus, der nach Seiner Kreuzigung, die Er überlebt haben soll, angeblich nach Indien gegangen ist, zu einem Meister neben anderen. Damit wird, ohne daß man es ausdrücklich betonen muß, Christus - die Liebe des Vaters in Jesus - demontiert.

Als Ersatz spricht man von einem sogenannten "Christusbewußtsein", das zu erlangen allen möglich ist, und das auch andere große Weisheitslehrer außer Jesus in sich erschlossen haben.

Die gleiche Vorsicht ist auch dort geboten, wo die Rede davon ist, daß du Gott bist. Nicht nur a u s Ihm, sondern Ihm g l e i c h , weil du ja ein Teil von Ihm bist.

Schärfe deine inneren und äußeren Sinne auch, wenn es um die Wiederkunft Christi geht.

Mein Licht mußte das große Fragezeichen bemerkt haben, das sich in mir aufgetan hatte. Es ging nämlich gleich auf meine sich schwach abzeichnende Unsicherheit ein. Wie sollte ich oder ein anderer das alles auseinanderhalten und richtig einschätzen können?

Sicher erfordert eine Entscheidung, die deinen Weg möglichst nicht unnütz verlängern soll, Klarheit. Laß uns gerade diesen letzten Punkt nehmen, die Wiederkunft. Du hast vor gar nicht langer Zeit über das Thema "Entscheidungen" gesprochen. Meinst du, du kannst eine Antwort geben, die dich auch später noch zufriedenstellt?

Also gut, ich war gefordert. Zu Wiederkunft fielen mir ein: die geistige und die körperliche. Darum würde es gehen, nahm ich an. Würde Christus im Geiste erscheinen, oder käme Er als Mensch wieder, in einer erneuten Inkarnation? So wie damals in Bethlehem? Ich vermutete, daß mir mein Licht half, denn die Antwort zeichnete sich auf einmal ab.

"Mit dem Wissen um die Erlösung kann es nur eine Antwort geben: Es wird eine Wiederkunft im Geiste sein. Weil mit der Erlösung der Teil der Inkarnation des Christusgeistes - ich sag mal, ohne daß du bitte gleich mit mir schimpfst - ‘erfolgreich’ abgeschlossen war, der den Stillstand des Falls zur Folge hatte, wird es keine Notwendigkeit geben, diese Tat noch einmal zu vollbringen. Daher kann die Wiederkunft eigentlich nur im Geiste erfolgen." (Soweit ich das überblicken konnte.)

Du siehst, daß manches wirklich "ganz einfach" ist, wenn man einmal den richtigen Ansatz gefunden hat.

Ich fügte noch einen Gedanken hintenan. "Deshalb wird die Erlösung auch dann und dort geleugnet - zwar indirekt, damit es nicht gleich auffällt, aber doch immerhin erkennbar -, wenn von der bevorstehenden Wiederkunft im Fleische gesprochen wird."

Plötzlich erinnerte ich mich an das Buch "Maitreya - Christus oder Antichrist?"1), das ich schon im Zusammenhang mit der Verführung der Jugend erwähnt hatte. Es würde sich lohnen, es noch einmal in Ruhe durchzulesen. Es behandelte genau das Thema, das mir mein Licht gerade nahebrachte. Ich glaube, ich hatte es mir mal von Max, dem Schwiegersohn von Peter, geborgt. Max! Siedendheiß fiel mir ein, daß ich noch zwei Bücher von ihm ungelesen auf meinem Nachttisch liegen hatte. Ich müßte sie bald lesen. Oder ich müßte sie ihm zurückbringen, ohne hineingeschaut zu haben. Ich würde ihn fragen.

Ganz zu Ende war unsere heutige Lehrstunde noch nicht.

Die einzige auf Dauer wirkungsvolle Methode, die vielen Fallen zu erkennen, ist in ein Bewußtsein hineinzuwachsen, das lernt, in die Dinge hineinzuspüren. Es ist mit dem Aufruf Christi gleichzusetzen, die Liebe zu leben; denn dadurch schärfen sich deine inneren Sinne, deine Intuition. Das ist nichts anderes, als daß der Geist in dir, der ja um alle Dinge weiß, langsam beginnt, deinem Menschen seine mühsame Arbeit abzunehmen.

Da die Fallen raffiniert aufgebaut und überall zu finden sind, gehört auch Aufmerksamkeit auf einem anderen Gebiet dazu. Es betrifft dein Ego.

Ich kam nicht gleich darauf, was mein Licht meinte, weil ich in meiner Erinnerung kramte, anstatt mein Herz zu fragen. "Haben wir schon mal darüber gesprochen?"

Vielleicht nicht direkt, aber bestimmt in einem Rahmen, der es dir möglich macht, auch diese Falle zu erkennen.

Wenn es mein Ego betraf - nicht nur deines - (Gott sei Dank!), dann hatte es was mit Selbstwertgefühl, Aufwertung, Hochmut, Gefallen-Wollen und ähnlichem zu tun. Was waren die Merkmale eines Gotteskindes? Demut, Bescheidenheit, Vertrauen, Nächstenliebe - und das in Verbindung mit Kraft, Sicherheit, Weisheit, Liebe und vielem mehr. Also mußte das Gegenteil die offene Tür darstellen, die gegensätzlichen Kräften den Zugang ermöglichte.

Du wirst nie verhindern können, daß du angegriffen und versucht wirst, weil dies dem Gesetz des freien Willens entgegenstehen würde, das auch die Finsternis mit Recht für sich beansprucht. Gerade darin liegt ja für dich und für sie der Wert einer Versuchung. Du kannst erkennen, ob du in Liebe schon ein klares Nein sagen kannst, und die Gegenseite wird feststellen, wie wirkungsvoll ihr Schwert dir gegenüber noch ist, oder wie wirkungslos es schon geworden ist.

"’Ein Vampir kann dich nur besuchen, wenn du dein Fenster offengelassen hast’, habe ich mal irgendwo gelesen."

Das ist sehr treffend ausgedrückt. Achte daher darauf, ob du ein oder mehrere Fenster aufläßt. Wie sie heißen mögen, hast du eben schon beantwortet. Nimm einfach die Spiegelbilder der von dir aufgezählten, positiven Eigenschaften. Dann schaust du in dich hinein, ob solche Türen und Fenster noch vorhanden sind, und als nächstes suchst du einen offenen Spalt oder mehrere. Dann kannst du dich ja entschließen, alle Fenster und Türen oder auch nur einige zu schließen.

Es gibt nur ein kleines Problem dabei.

"Und das wäre? Wenn du es mir verrätst?"

Vampire finden sich in der Dunkelheit hervorragend zurecht. Sie entdecken auch dort noch einen offenen Spalt, wo du absolut sicher bist, alles fest verschlossen zu haben ...

"Du machst mir wieder Mut", murmelte ich.

... aber ich bin ja bei dir. Möchtest du noch eine kleine Anregung mitnehmen?

"Danke im voraus dafür; ich meine das ernst."

Ich weiß. Du hattest dir, wenn ich mich recht entsinne, einige Bücher ausgeliehen, um sie im Urlaub zu lesen. Zwei müßten eigentlich noch irgendwo ungelesen liegen. ("Das stimmt, gerade eben sind sie mir eingefallen.") Schau doch gelegentlich mal hinein. Viel Freude beim Lesen.

Das rief in mir etwas wach. Aber was? Ach ja: Viel Freude bei deiner alten Lehrerin.

Gedanken darüber, ob ich Max die Bücher ungelesen zurückbringen sollte, brauchte ich mir jetzt nicht mehr zu machen. Und mein Puzzle? Ich hatte das Gefühl, es wuchs und wuchs ...

*

Der nächste Tag sah mehrere Besuche in einer Ecke meines Gebietes vor, in die ich nicht so regelmäßig kam. Ich hatte bis zu meinem ersten Kunden eine Fahrtzeit von etwa anderthalb Stunden vor mir und war deshalb entsprechend früh losgefahren. Eva hatte mir die nötigen Unterlagen hergerichtet und noch ein Stückchen Schokolade dazugelegt. Ich würde ihr gelegentlich auch mal wieder eine Kleinigkeit mitbringen.

Der Verkehr auf der Straße war schwach, so daß ich die Zeit nutzte, um über das Besprochene der letzten Nacht und der letzten Tage nachzudenken. "Wenn ich zusammenfassen müßte", dachte ich, "wie würde ich das mit wenigen Sätzen formulieren?"

Also: Die große Auseinandersetzung hat einen unüberschaubaren, geistigen Hintergrund. Hier auf der Erde wird der Kampf zwar ausgetragen; dennoch ist das, was weltweit festzustellen ist, nur die Spitze eines Eisbergs. Die Dunkelheit will den Niedergang, das Licht die Rückführung aller Menschen und Seelen. Beide arbeiten mit unterschiedlichen Methoden, beide haben ihre Anhänger und Helfershelfer. Jesus von Nazareth hat das Gesetz der Himmel in dem Gebot der Gottes- und Nächstenliebe auf den Punkt gebracht, auf die Kurzformel: Liebe - und sonst nichts! Er führt als der Christus Gottes seit 2000 Jahren das Heer des Lichtes an. Das Christentum ist seitdem das Bollwerk gegen die Dunkelheit. Es ist die Barriere, die dem Ansturm standhält, ihn zurückwirft und zum Gegenangriff übergeht. Mit der gleichen Kraft, die Jesus Christus gelehrt hat, und mit der Er vorangegangen ist - mit der Kraft der Liebe ...

Was hatte ich da zuletzt gedacht? Da war wohl meine Phantasie mit mir durchgegangen. Schön wäre es ja gewesen, aber es war Wunschdenken, mehr nicht. Wie hatte doch Viktor Gabliczek gesagt: " ... wir sind schwache Menschen!"

Zumindest aber mußte das, was sich als mein Wunschbild gezeigt hatte, so vorgesehen gewesen sein, denn ich konnte mir nicht vorstellen, daß der Schachspieler Gott einen Zug bis ins letzte Detail vorbereitet, ohne an die "Nachbearbeitung" zu denken. Also war es so, daß die Anhänger und Nachfolger des Jesus von Nazareth die Aufgabe übernommen hatten, den Kampf, dessen Ausgang im Geistigen bereits feststand, auf der Materie weiterzuführen. Mit welcher Absicht? Mit dem Ziel, ein hochwirksames, undurchdringliches Bollwerk oder eine sich nach vorne schiebende Barriere zu sein. Den besten Feldherrn und die schärfste und dennoch sanfteste Waffe hatten Seine Nachfolger auf ihrer Seite. Was war aus der Barriere geworden? Augenscheinlich war sie überrannt worden und lag nun in zwei großen und vielen kleinen Teile da. Das eine große Stück hatte sich mehr auf einen Dogmen-und-Sakramente-Status zurückgezogen, das andere auf die Glauben-und-Gnade-Linie. Wirklich ernstzunehmende Gegner, die der Finsternis noch eine Niederlage hätten zufügen können, waren es keine mehr.

Da hatten sich plötzlich interessante Fragen aufgetan. Konnte ich, um hier die Antworten zu finden, die Methode des Fragens-im-Rückwärts- oder Vorwärtsgang anwenden? Oder einfach nur warum?, warum?, warum?. Oder war es vielleicht noch einfacher?

Obwohl ich keineswegs bummelte, wollte mich unbedingt jemand überholen. An einer günstigen Stelle gab ich ihm ein Zeichen, und kaum hatte ich richtig hingeschaut, war er schon vorbei und nach ein paar Sekunden hinter der nächsten Kurve verschwunden.

Also, wie sollte ich die Sache angehen?

Gibt es nun ein geistiges Immunsystem?

"Oh", sagte ich überrascht, "ich danke dir."

Das war doch ein Ansatzpunkt. Das Immunsystem des etablierten Christentums hatte seine Aufgabe nicht erfüllen können! Konnte ich an die weitere Analyse herangehen wie ein Arzt, der seinen Patienten untersucht? Einfach nur, um in einer Art Bestandsaufnahme etwas festzustellen und nicht, um den Patienten mit Vorwürfen zu überhäufen? Ich wollte es versuchen.

Hatten wir nicht erst in der Nacht über die Angriffe auf das Ego gesprochen? Ich versetzte mich in die Lage der Gegenseite: Welche Punkte würde ich mir als Angriffsziele aussuchen? Diejenigen, die ganz gut gesichert waren? Bestimmt nicht. Oder die Schwachstellen? Vielleicht sogar ein paar Pforten, Türen oder Fenster, die gar nicht bewacht waren, oder die man völlig vergessen hatte? Schon eher. Würde ich den Belagerten ein Angebot machen? Und was würde ich ihnen anbieten?

Plötzlich weiß ich, wie ich vorgehen werde. Ich bin mir auch ganz sicher, daß ich gewinnen werde, und zwar schon aus einem einfachen Grund. Ich habe immer von den Belagerten gesprochen; das ist nur bedingt richtig. Ich weiß, daß sie belagert und angegriffen werden - von mir. Sie wissen es nicht! Sie halten es noch nicht einmal für möglich, daß so etwas geschehen kann! Sie werden erst dann erstaunt schauen, wenn ich bereits mitten in ihrer Stadt stehe! Und wenn ich mich dann noch mit einem provisorischen Heiligenschein - an einen richtigen komme ich ja leider nicht heran -, also mit einem provisorischen Heiligenschein zeigen werde, habe ich sicher die Hälfte, wenn nicht noch mehr, auf meiner Seite. Zum eigentlichen Kampf, außer zu ein paar kleinen Gefechten, wird es gar nicht gekommen!

Außerdem werde ich ihnen natürlich etwas mitbringen, wie es ein guter Freund tut. Was kann das sein? Ich brauche nur an das erwähnte Ego denken: Ich werde ihnen Macht, Ansehen und Reichtum anbieten (damit wäre ich beinahe, damals in der Wüste, schon einmal durchgekommen; leider nur beinahe). Das können sie nicht ablehnen, denn was ist dagegen ihr sogenannter innerer Reichtum, ihre Demut, ihre Liebe! Ich werde sie erst gar nicht zu der Erkenntnis kommen lassen, daß sie eine innere Rückverbindung zu ihrer Quelle haben; natürlich werden sie dann auch nichts vom Inneren Wort wissen, geschweige denn, das Wort in einer tiefen Liebesverbindung vernehmen. Ich werde den Glanz und das Laute meiner Welt dagegensetzen. Das war’s dann.

Ach ja, fällt mir dazu noch ein, natürlich dürfen sie das meiste von ihrer Ideologie behalten, leicht - aber entscheidend - verändert, versteht sich. Wenn ich es geschickt anstelle, werden sie die Änderung selbst vornehmen, und das auch noch in der besten - allerdings bereits von mir unterwanderten - Absicht, es im Sinne ihres Feldherrn zu tun. Und die Hauptsache ihres Tuns werde ich von innen nach außen verlagern, so daß sie sich mehr mit dem Drumherum beschäftigen. Nicht, daß an einem schönen Äußeren mit Blumen, Glocken, Festen, Umzügen, Zeremonien, Liedern und vielem mehr was falsch ist. Im Gegenteil: Aus meiner Sicht ist das goldrichtig, weil ich den Schwerpunkt darauf verlagern und sie - nicht alle, aber viele - davon abhalten werde, sich mit den wichtigen Dingen ihres Glaubens zu befassen. Das war’s aber dann wirklich.

Ich ziehe eine kleine Bilanz und betrachte, was schon war, und was - meinen Vorstellungen entsprechend - noch sein wird.

Leider konnte ich nicht verhindern, daß mancher nicht in der Still-gestanden-Haltung verbleiben wollte. Das wird auch künftig nicht anders sein. Auch kann ich nicht alle meine Schäfchen halten. Na gut, dann werde ich eben weiterhin versuchen, für jedes verlorengegangene ein neues zu finden.

An der ganzen Sache ist, wenn ich es recht bedenke, eigentlich wenig Gefährliches dran, zumindest nicht für mich persönlich. Mit Gewalt wird mich keiner von denen aus dem Licht zu einem Nachfolger des Mannes aus Nazareth bekehren; davon habe ich mich längst überzeugt. Sie halten ihre Sanftmut und Liebe für Stärke; ich halte sie für Schwäche.

Eine andere Gefahr besteht, das muß ich zugeben; allerdings mehr für das Wachstum meines Reiches und meiner Macht. Aber ich schätze sie nicht sehr groß ein: Es gibt in allen Teilen der zersprengten Barriere Menschen, die sich ihre Liebe und Sehnsucht zu ihrem Gott bewahrt haben; und nicht nur das. Sie suchen sie ständig zu vertiefen. Dem liegt anscheinend ein Prinzip zugrunde, das ich nicht verstehe. An diese Menschen komme ich nicht so richtig heran. Ein paar Angriffe hier, kleine Versuchungen dort, manchmal fallen sie auch, stehen aber mit der Kraft eines mich blendenden Lichtes immer wieder auf.

Wenn ich ehrlich sein soll [ jetzt muß ich lachen: Ich und ehrlich!] : Eigentlich komme ich an sie überhaupt nicht heran! Sie gehen schrittsicher durch ihre Welt, was mich insofern besonders ärgert, als es doch meine Welt ist, in der ich das Sagen habe. Sie aber sind geschützt. Da ist so ein Licht, das führt sie über die tiefsten Schluchten, durch die dunkelsten Wege und durch die unwirklichsten Regionen, ohne daß ich ihnen jemals ernstlich Schaden zufügen kann. Und wenn es in seltenen Fällen doch einmal gelingt, dann stellt sich hinterher heraus, daß es überhaupt kein Schaden für sie ist, sondern daß sie sich aus dem Trümmerhaufen (oder aus dem, was ich dafür halte) eine Brücke, eine Leiter oder sonst etwas bauen, und so auch die gefährlichsten Passagen mit einer traumwandlerischen Sicherheit überwinden. Wobei ich davon überzeugt bin, daß sie selbst noch nicht einmal im Detail wissen, was um sie herum eigentlich vor sich geht.

Diesen Schutz haben übrigens nicht nur jene, die aus den christlichen Teilen der zerbrochenen Barriere kommen, sondern auch andere; allerdings nur dann, wenn ihr Streben nach selbstloser Liebe aus einem kindlichen Herzen kommt. Da spielt es dann keine Rolle, ob sie ihrem Gott einen anderen Namen geben. Es ist eigenartigerweise immer dasselbe Licht, das sie schützt, egal, aus welcher Religion oder Kultur sie kommen.

All jene, deren Anzahl sich in letzter Zeit zu meinem Bedauern ein wenig vergrößert, haben etwas gemeinsam. Das ist auch der Grund, warum ich sie kaum erreichen kann. Sie tragen eine ehrliche Sehnsucht nach der Liebe in ihrem Herzen, von der ich sie abhalten will. Zugegeben, da habe ich ein kleines Problem. Andererseits besteht es schon immer.

Zwar hatten sich meine Überlegungen auf einer wenig befahrenen Landstraße und in einer Zeitspanne von kaum mehr als 3 - 4 Minuten abgespielt, dennoch hatte ich das dringende Gefühl, daß es mir guttun würde, eine kleine Pause einzulegen. Ich fand bald einen Parkplatz, stieg aus, schloß den Wagen ab und ging ein paar Meter. Dabei atmete ich tief durch. Meine Hoffnung, ich könnte mich dadurch von dem Thema lösen, trog. Zumindest einige Gedanken gehörten wohl noch dazu, denn es dauerte nicht lange, bis der "Film wieder ablief". Zuvor aber bekam ich etwas zur Stärkung meiner Seele.

Mir ist bewußt, wieviel lieber du dich in Gedanken in die Geborgenheit und das Vertrauen hinein begeben würdest. Aber auch dann, wenn dich das, was dir im Moment durch den Kopf geht, nicht unbedingt aufbaut ("Das scheint mir aber diesmal eine Untertreibung deinerseits zu sein."), so entwickelt sich doch gerade ein für dein Verständnis unentbehrliches Teil deines Puzzles. Du weißt, daß du nicht allein bist. Sei so gut (Mein Licht hatte tatsächlich "sei so gut" gesagt!) und "schau" dir auch den Rest an.

Ein Mensch, bisher Vasall, Mitläufer oder auch einfach nur ein in den Tag hinein Lebender, beginnt sich immer dann abzusetzen und sich meinem Einfluß zu entziehen, wenn er eine Entdeckung macht: Wenn er nämlich den Schlüssel findet, von dem ich immer glaube, er sei unauffindbar tief im Menschen selbst versteckt: die Sehnsucht nach seinem Ursprung. Wenn das passiert, kann ich sicher sein, daß ich ihn nicht halten kann. Ich kann ihn eigentlich gleich abschreiben. Für mich ist er mit seinen neuen Interessen, die sich deutlich in seiner Seelenstrahlung ablesen lassen, wertlos geworden. Wertlos für den Moment, nicht aber gänzlich uninteressant. Denn hier und da gelingt es mir doch, durch geschickte Schachzüge auch so jemanden wieder in mein Boot zu holen. Das ist um so einfacher für mich, je mehr sich der Ausreißer in Sicherheit wähnt. Ich kann und darf ihn ja angreifen, wann und wo immer ich will. Dünkt sich einer schon mit einem Bein auf festem Boden, so winke ich mit ein wenig Stolz, einem ganz kleinen Gefühl der Überlegenheit - und schon habe ich ihn wieder. Ich habe seinen Blick getrübt (Nebel eignete sich gut dafür!), so daß sich sein geistiger Horizont eingeschränkt hat.

(Mir - Ferdinand Frei - war schon bewußt, daß ich seit einiger Zeit nicht mehr die Annahmeform hätte, würde und könnte verwendete, sondern die Tatsachenform habe, werde und kann. Das zeigte mir, wie sehr ich mich in meinem Rollenspiel in die Gegensatzkraft hineinversetzt hatte.)

Das Prinzip ist eigentlich recht einfach, ebenso die Anwendung, denn dafür stehen mir genügend Mittel zur Verfügung. Ein Problem tut sich nach wie vor dann auf, wenn sich das Wachstum von Sehnsucht und Liebe nicht verhindern läßt. Beim nächsten Schritt, der ernstlichen Hinwendung zu ihrem Feldherrn, um in seinen Spuren zu gehen, wird es für mich noch schwieriger. Fast aussichtslos ist es, wenn sich jemand diesem lächerlichen Gesetz der Liebe ganz unterstellt, sich der Liebe damit hingibt.

Ich kann nur froh sein, daß die Milliarden nicht sehen können, was im Unsichtbaren um sie herum geschieht. Sonst würden sie mir scharenweise davonlaufen. Wenn sie nämlich erkennen würden, in was für einen Schutz sie sich allein durch ein ehrliches Bemühen hineinbegeben - ich würde nacheinander alle verlieren.

Bisher habe ich das große Davonlaufen verhindern können. Wie? Gar nicht einmal auf eine so ausgeklügelte Weise, daß man es nicht hätte bemerken können. Ich habe mich lediglich eines alten Grundsatzes entsonnen, wonach Wachstum am besten dadurch gestört oder gar verhindert wird, indem man dem Boden die Nährstoffe entzieht.

Im übertragenen Sinn sind die Nährstoffe die Liebe. Ich habe mich deshalb gefragt: Was kann ich wirksam dagegen tun, daß sie sich entwickeln bzw. sich das, was sich bereits entwickelt hat, wieder zurückgeht? Denn die Liebe, weiß ich, zieht die Erkenntnis nach sich. Aber umgekehrt hat eine Liebe, die nicht gelebt wird, den Rückgang bzw. die Nichtentwicklung von Erkenntnis und Weisheit zur Folge. Dies machte ich mir zunutze.

Schon nach relativ kurzer Zeit begannen die Räder meines Vorhabens zu greifen: Rückgang der flammenden Begeisterung bedeutete Einschränkung der Erkenntnis. Das führte zwangsläufig zu Halbwissen und schließlich zur Unwissenheit. Daraus resultierten Fehlentscheidungen und falsche Lehren, die mir für viele hundert, wenn nicht gar tausend Jahre den von mir erhofften Stillstand sichern. Falsche Lehren ziehen ein falsches Verhalten nach sich. Die so dringend benötigte, geistige Führung konnte und kann nicht greifen. Reife, Einblick und ein tiefes Verstehen konnten auf diese Weise verhindert werden. So, wie ich das Ganze einschätze und überblicken kann, für alle Zeit.

Wäre mir das nicht so elegant gelungen, wie es sich heute darstellt, dann wäre genau das Gegenteil eingetreten: Die gelebte Liebe hätte zu vermehrter Aufklärung und Erkenntnis geführt, das Ergebnis daraus zu entsprechenden Entscheidungen mit der Folge einer intensiven Führung durch meinen gegnerischen Feldherrn, was wiederum das Innere Wort und schließlich die Vereinigung Gottes mit seinem Menschenkind nach sich gezogen hätte. Das war, ist und bleibt das Ziel meines Gegenspielers.

Dies konnte ich bisher auf breitester Front blockieren. Einige von ihnen glauben doch tatsächlich noch, sie wären das Bollwerk! Dabei habe ich meines zu einer grandiosen Festung ausgebaut, gegen die sie seit Jahrhunderten vergeblich anstürmen. Es war so einfach!

Allerdings habe ich nie vergessen, ihr Ego zu streicheln. Ich gab und gebe ihnen natürlich auch Ziele. Besonders die Schwachen und Schwankenden brauchen das. Sie formulieren - mit meiner Hilfe - diese sogar selbst und tun es heute noch so wie früher. Ihre Ziele lauten: Ein größtmögliches Stück des Kuchens durch möglichst große Mitgliedszahlen, möglichst große Einnahmen, möglichst großen Einfluß in Politik und Gesellschaft und bei einigen Kirchen eine möglichst komplizierte, spitzfindig durchkonstruierte Wissenschaft ihres Gottes, womit sie dann ihre Vermittlerfunktion begründen können. Fragt heute jemand nach geistigen Zielen - was zu meiner Freude so gut wie nie geschieht -, dann wird derart abstrakt auf den Himmel verwiesen, daß ein weiteres Hinterfragen beim Anblick des scharfen Schwertes der Theologie meist unterbleibt.

So habe ich viel Unwissenheit gesät, vermischt mit Un- und Halbwahrheiten. Die Saat ist prächtig aufgegangen. Ich brauche mir nur ab und zu die Friedhöfe anzuschauen. Ist das auf den Grabsteinen oft anzutreffende "Ruhe sanft" (natürlich am liebsten im Himmel) als Wunsch der Angehörigen für den "Toten" gedacht, dann kann ich das ja noch verstehen; mit der Realität, die so manchen erwartet hat und noch erwartet, hat das jedoch nichts zu tun.

Ich bin auf meine Leistung nicht wenig stolz.

Inzwischen war ich wieder bei meinem Wagen angelangt, schloß ihn auf und ließ mich schwer in meinen Sitz fallen. Ich war ganz schön durcheinander und wäre beinah in die Versuchung geraten, mich im Rückspiegel zu betrachten, um nach möglichen Hörnern auf meiner Stirn zu schauen. Das unterließ ich dann aber doch.

"Mußte das sein?" rief ich dafür in Gedanken meinem Licht zu. "Hättest du mir das nicht auf eine sanftere Art und Weise vermitteln können? Als ich mit meinen Überlegungen angefangen hatte, wollte ich nicht mehr als eine kleine Zusammenfassung für mich machen. ‘Wie würde ich das in wenigen Sätzen formulieren?’ hatte ich gedacht. Und nun so etwas!"

Dafür weißt du es jetzt aber ganz gewiß. Es sollte sich tief in deine Seele eingraben, um eine dauerhafte Erinnerung darzustellen, auf die du jederzeit zurückgreifen kannst. Schließe für einen kurzen Moment die Augen, laß dich von Licht einhüllen - und du bist wieder der alte.

So war es auch. Der Rest des Tages lief wie geführt.