Alles endet im Licht
von Hans Dienstknecht
ISBN 3-00-002287-2 

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7 Göttliche Gerechtigkeit = ein Prinzip für alle

 

Mein Wunsch war natürlich, daß mir das Licht erschien. Doch inzwischen war mir auch klargeworden, daß ich dies nicht so ohne weiteres erwarten konnte. Mich einfach zur Ruhe zu begeben und mit der größten Selbstverständlichkeit der Welt - als ob ich Anspruch darauf hätte - die Erscheinung zu begrüßen, das würde nicht gehen. Mir wurde etwas Wunderbares geschenkt; ich würde mich dieses Geschenkes würdig erweisen müssen. Noch war es ein Vorschuß, das stand für mich fest. Es glich einer hilfreich ausgestreckten Hand einem Kleinkind gegenüber, das die ersten Schritte tut. Ich würde mitmachen müssen - und wollen. Allein das ehrliche Ringen schon, auch wenn das Ergebnis noch viel zu wünschen übrig ließ, würde von meiner Liebe anerkannt werden. Immerhin war es ja die Liebe. Daß sie sich nicht von einem Suchenden und Mühenden zurückziehen würde - der willens, aber noch nicht erfolgreich war, - das war für mich gewiß.

Ich freute mich also auf meinen "Boten des Himmels", wie ich ihn inzwischen getauft hatte, und ich wurde nicht enttäuscht. Strahlendes Licht erfüllte plötzlich den Raum, und ein Friede umfing mich, der mir fremd war.

Auch du bist ein Bote des Himmels (Hatte er oder es wieder in meinen Gedanken gelesen?). Ich brauche nicht deine Gedanken zu lesen, um dich zu kennen. Du bist wie ein offenes Buch für mich; wir sind miteinander verbunden. Du und ich, wir sind Geschwister. Und nicht nur wir beide. Jeder Mensch, jede Seele, jedes geistige Wesen ist des anderen Bruder oder Schwester.

"Weil wir alle den gleichen Ursprung haben, die gleiche Heimat. Vor allem aber", mir war, als würde mein Herz ein wenig überfließen, "den gleichen Vater."

Dein und mein Vater ist der Eine, Gott, die unendliche Liebe. Er ist der Vater aller Kinder hier, in den Himmeln und den vielen außerhimmlischen Bereichen. Er ist der Urgrund aller Geschöpfe, weil alles aus Ihm und durch Ihn ist.

Ohne belehrend zu wirken, brachte das Licht ganz sachte, Schritt für Schritt, neue Begriffe ein und erweiterte so das Spektrum seiner führenden Aufklärung, ohne mich zu überfordern. Das war mir schon einmal aufgefallen. Diesmal waren es die "außerhimmlischen Bereiche" und die nicht zum ersten mal verwendete Mehrzahl von Himmel, nämlich "die" Himmel. Ob es mehrere gab? Am liebsten hätte ich gleich alles dazu gefragt, was mir in den Sinn kam. Gleichzeitig erkannte ich aber auch, daß dann die ganze Sache ausufern würde, weil eine Antwort viele neue Fragen aufwerfen würde. Ein "roter Faden" wäre so nicht zu halten gewesen. Außerdem würde das Licht dies nicht mitmachen. Mit Recht, wie ich mir eingestehen mußte. Also schwieg ich.

Du wirst alles erfahren und erkennen, was für dich wichtig ist. Es hilft dir nichts, deinen Kopf mit Wissen zu füllen, das du noch nicht umsetzen kannst. Wissen für sich allein ist wie eine hohle Frucht. Wenn es dazu dient, die geistige Entwicklung zu fördern, erfüllt es einen Sinn. Dient es dazu, vor anderen zu glänzen und sich selbst größer erscheinen zu lassen, als man ist, dann behindert oder vereitelt es die Entwicklung. Es wäre dann besser, auf dieses Wissen zu verzichten.

Mit jeder Minute bekam ich, liebevoll aber unmißverständlich, eine Lektion.

"Ich vertraue dir blind", sagte ich aus tiefster Überzeugung. "Doch zum besseren Verstehen: Ist nicht eine Portion Grundwissen nötig, um überhaupt an sich arbeiten zu können? Wie kann man, ohne von den Dingen überhaupt zu wissen, eine seelische oder geistige Entwicklung einleiten? Bedarf es nicht zum Beispiel des Wissens um Gott, um sich für oder gegen Ihn zu entscheiden?"

Ich merkte, wie ich wieder begann, mich langsam "in Fahrt" zu reden. "Wie soll man hinter das Schicksal schauen, wenn man nichts über Wirkungen und Ursachen weiß? Wie kann man hinter den Sinn des Daseins kommen, wenn man nicht ein paar Informationen hat?"

Und du glaubst, daß Informationen und Wissen erforderlich sind, um sich auf den Weg zu Gott zu machen?

"Ja, das glaube ich."

Aber du glaubst nicht, daß Information und Wissen zwangsläufig zu Gott führen?

"Nein, natürlich nicht, sonst müßten ja alle Leute mit Wissen automatisch Gottsucher oder -finder sein."

Wenn also Information und Wissen nicht notwendigerweise zu Gott führen, dann kann dies auch keine unabdingbare Voraussetzung sein. Muß es dann nicht einen anderen Mechanismus geben, der die Menschen auf den Weg ins Licht bringt?

"Warum muß es das?" Ich verstand die Logik nicht.

Weil Gott die Liebe ist, und weil die Liebe die Gerechtigkeit beinhaltet. Das heißt gleichzeitig, daß alle Menschen auf der ganzen Welt und alle Seelen in den jenseitigen Welten die gleichen Chancen haben müssen - sofern sie diese nicht selbst beschnitten oder zerstört haben. Aber selbst dann sind sie nicht verlassen. Sie fangen bei ihrer Suche nur etwas weiter vorne an als andere.

Ich versuchte zu verstehen, aber es war nicht einfach.

"Du glaubst also ..." Ich zuckte ein bißchen zusammen, als mir diese Formulierung bewußt wurde. Da ich nicht im Traum daran dachte, die Kompetenz des Lichtes in Frage zu stellen, konnte und wollte ich natürlich auch nicht diskutieren. Ich konnte die Aufklärung annehmen oder nicht. Das war doch auch schon was.

"Entschuldige", sagte ich, "ich drücke es anders aus. Du willst mir damit sagen, daß es nur der Beachtung eines Aspektes bedarf, der Erfüllung eines Gebotes? Also eine Voraussetzung für alle Menschen gleichermaßen, um in den Himmel zu kommen? Egal, ob einer Wissen hat oder nicht, ob er klug oder dumm, reich oder arm, gesund oder krank ist, in Afrika oder Europa lebt, Atheist, Moslem oder Christ ist?"

So ist es.

Ich konnte dem noch nicht folgen. "Aber ist es nicht so, daß man wenigstens ein bißchen was wissen muß, um überhaupt auf irgend etwas aufbauen zu können?" Noch gab ich nicht auf. "Ganz ohne Kenntnis der einfachsten Zusammenhänge, ohne Hinweise oder vielleicht sogar Beweise kann doch keiner aus seinen Startlöchern heraus."

Jeder spricht sich selbst. (Was war das?) Aber nicht jeder braucht diese Anstöße, wie sie dir zuteil werden. So manch einer verfügt über einen Reifegrad, den ihm seine Umwelt nicht ansieht. Er redet nicht, er l e b t , was er empfindet. Du kannst natürlich unseren nächtlichen Austausch, deine Unterweisung als eine besondere Auszeichnung deiner Person ansehen. Keiner könnte dich daran hindern. Doch überlege einmal, ob es nicht erkenntnisreicher wäre, noch andere Möglichkeiten in Betracht zu ziehen.

Einfühlsamer konnte man mich wirklich nicht auf meine Fehler und Schwächen hinweisen; aber damals fiel es mir noch schwer, darin ausschließlich die Liebe und Hilfe zu erkennen. Ich schluckte daher, war aber so vernünftig, mir ein bißchen Bedenkzeit zu erbitten. Ich dachte nach.

Es stimmte: Demut war noch nie eine Stärke von mir gewesen. Früher hatte ich sie mit Fügsamkeit verwechselt und deshalb als alter Rebell, der ich war, abgelehnt. Später schien es mir nicht mehr erforderlich zu sein, darüber nachzudenken, weil ich mich inzwischen als einen netten und freundlichen Mitmenschen betrachtete. Arroganz fehlte mir weitgehend, da war ich mir ziemlich sicher. Aber, so mußte ich jetzt vor mir selber zugeben, das Fehlen von Arroganz bedeutet nicht unbedingt das Vorhandensein von Demut. Auch eine noch so feine Abwertung eines anderen Menschen - das kam mir in diesem Augenblick - stellt ein Höherstellen des eigenen Ichs dar. Meistens war sie zudem gar nicht so fein, sondern recht massiv. Damit gab es in meiner Welt ganz Gute, weniger Gute, Mittlere, Schlechte, ganz Schlechte und die Allerletzten. Natürlich zählte ich mich nicht zu den ganz Guten ... oder vielleicht doch?

Ich merkte, daß ich mich verrannt hatte und mich in einer Sackgasse befand. Aber zumindest wollte ich, wenn ich schon ein schlechter Analytiker war, doch wenigstens ehrlich zu mir und meinem Licht sein.

Mit absoluter Sicherheit gab es Menschen, nicht nur irgendwo auf der Welt, sondern auch in meiner Nähe, deren Herz viel größer war als meines. Diese Menschen mußten nicht in höheren Positionen oder Akademiker, Wissenschaftler, Politiker und Theologen sein. Sehr wahrscheinlich würden gerade sie es sogar schwerer haben. Es mußten - es waren! - Menschen, die Mitgefühl in ihren Augen hatten, Selbstlosigkeit in ihren Händen und Barmherzigkeit in ihren Herzen. Es waren Menschen, die sich schwer taten, mit geschliffenen Formulierungen zu glänzen und einen Brief fehlerfrei zu schreiben - und die keine Ahnung hatten von Karma und Wiedergeburt. Die aber dennoch dort, wo sie hingestellt waren, voller Bescheidenheit und Dankbarkeit ihren Platz ausfüllten.

Es tat ein bißchen weh, die eigene Unfertigkeit zu erkennen, und das alles ausgelöst durch ein paar ganz einfache Fragen.

"Mir würde es sehr schwer fallen, vielleicht wäre es mir sogar unmöglich, ohne Hintergrundinformationen oder Hilfen oder Anstöße auf die Suche nach dem Sinn des Lebens zu gehen", sagte ich nach einer Weile. "Ich ziehe meinen Hut vor den Menschen", und ich meinte das inzwischen ehrlich, "die die Stärke haben, auf ihr Herz zu hören, und die ihren Weg gehen. Möglicherweise ohne dies zu wissen, aber unbeirrbar."

Was mußt du wissen, um zu lieben? Es ist sicher eine Hilfe - so wie es dir geschieht -, ein Wissen zu erhalten, um daraus weitere Schlüsse ziehen und sich für oder gegen ein bestimmtes Verhalten entscheiden zu können. Nicht umsonst erfährt gerade diese eure Zeit die Gnade der Fülle aus den Himmeln. So können auch diejenigen Menschen angesprochen und eventuell zum Nachdenken angeregt werden, die zu schläfrig sind, um aus den bereits sichtbaren und erfahrbaren Informationen die notwendigen Konsequenzen abzuleiten.

Die Liebe Gottes, die du gerade - noch aus großer Distanz - anfängst zu erahnen, schenkt euch Wissen, damit ihr die Liebe entwickeln lernt. Damit hat Wissensvermittlung einen Sinn: Das Erkennen eures wahren Wesens und eurer Verstrickungen in dieser Welt, die Hilfe bei eurer Entscheidung für eine Veränderung hin zum Guten, die schrittweise Überwindung eurer Fehler und das gleichzeitige Hineinwachsen in eine universelle Liebe. Wissen, das nicht diesen Zielen dient, lenkt euch ab und ist im Prinzip nutzlos.

Wenn d u Wissen benötigst, weil dies deine Entwicklung am ehesten fördert, so entspricht dieses Erfordernis deiner Mentalität, deiner Seelenbeschaffenheit. Nimm dieses Wissen, gebrauche deinen Verstand, und vergiß dein Herz dabei nicht.

Doch kannst du dir vorstellen, daß es auch anders geht? Anders gehen muß, weil Gott alle Seine Kinder gleich liebt? Einem
j e d e n Kind muß die Möglichkeit gegeben werden, auf einem Weg zu Ihm zurückzufinden, den a l l e gehen können. Ob sie Wissen erhalten oder nicht. Diesen Weg zurück gehen bereits diejenigen, welche die Barmherzigkeit in ihren Herzen haben, wie du es ausdrückst. Kannst du dir vorstellen, welches göttliche Prinzip hier wirkt?

Ich war fasziniert von dieser Art Austausch. Es war etwas so zwingend Logisches darin, etwas so außerhalb jeden Disputs Liegendes und doch gleichzeitig völlig frei irgendwelcher Einflußnahme, daß ich den Wunsch hatte, so lange wie möglich dieser absoluten Souveränität und Freiheit nahe zu sein. Am liebsten für immer.

Es gab also ein Prinzip, das für alle galt. Und es gab nicht mehr als dieses eine Prinzip, diesen einen Maßstab. Es konnte nicht mehr geben, weil dies der Gerechtigkeit Gottes entgegenstehen würde. "Chancengleichheit für alle, würden wir heute sagen", dachte ich. An jeden Menschen wurde dieser Maßstab angelegt. Jeder konnte ihn an sich selbst anlegen, um Gut und Böse, richtig und falsch zu unterscheiden - und dann, in freier Entscheidung, entsprechend handeln.

Ich spürte, daß es leichter war, logisch zu denken, wenn ich mich "seelisch völlig entspannte" und mich voller Vertrauen einfach dem Licht hingab. Sobald negative Emotionen in mir aufstiegen - was ich zwar erkennen, aber nur schwer kontrollieren konnte -, verflüchtigte sich die Fähigkeit zum klaren Denken und machte einem persönlich gefärbten Urteil und einer dementsprechend kurzsichtigen Meinung Platz. Ich nahm mir vor, auf diese Fußangel besonders zu achten und mich der geistigen Führung anzuvertrauen, so gut ich es konnte.

"Wenn dem so ist", dachte ich laut und begann langsam, die sich daraus ergebenden Konsequenzen für die unterschiedlichen Religionen und Glaubensgemeinschaften dieser Welt zu erkennen, "dann müßte dieser eine Maßstab überall bekannt sein, und jeder Mensch müßte danach leben können. Dem Prinzip nach", schränkte ich ein.

Die Schlußfolgerungen daraus schienen mir noch zu gewagt.

Zieh' sie trotzdem.

Ich zog sie, sehr vorsichtig. "Wenn nur dieser eine Maßstab und sonst nichts wirklich wichtig ist, dann ist alles andere, was sich um diesen Kern herum drapiert, ihn oftmals dekorativ bis zur Unkenntlichkeit ausschmückt, unwichtig." Die fundamentale Bedeutung dieser Aussage empfand ich zwar schon, konnte sie aber noch nicht definieren.

Nachdem ich mir vorgenommen hatte, in der Logik zu bleiben, mußte ich dies auch tun, egal, wie überraschend, unangenehm oder unannehmbar das Ergebnis auch sein mochte.

Das Ergebnis ist nur dann unangenehm oder unannehmbar, wenn es nicht in das Weltbild eines Menschen hineinpaßt, oder er es nicht hineinpassen läßt. Dann wird er sich nicht nur dem Ergebnis widersetzen, sondern schon dem Ansatz. Wenn er dagegen unvoreingenommen und einigermaßen frei in seinem Denken ist, dann kann ihn das Resultat höchstens überraschen oder verwundern und, wenn er vielleicht sogar auf der Suche nach der Wahrheit ist, mit tiefer Freude erfüllen.

Diese Freude fühlte ich schon jetzt in mir wachsen. Ich nahm meine letzte Überlegung wieder auf. "Das, was dann aber unwichtig, ja überflüssig und sogar störend ist, gerade das ist es aber doch, was die verschiedenen Weltanschauungen und Religionen voneinander trennt."

Unterscheidet, ist das richtige Wort. Nichts ist voneinander getrennt.

"Mehrere Klassen besser als ich", dachte ich neidlos. Ich war mir sicher, daß mein Licht diese bewundernde, warmherzige Keckheit verstand. Ich traute ihm sogar allerhand an Humor zu. Es würde ihn auch gewiß benötigen bei seiner schwierigen Aufgabe; denn Führer oder Begleiter oftmals widerspenstiger und uneinsichtiger Menschen zu sein, das schien mir eine sehr schwere Arbeit zu sein, die mit Lächeln und Humor (himmlischem natürlich, falls es so etwas gab) leichter zu erledigen war. Ob auch Gott ...?

Mich liebevoll von meinem Ausflug zurückholend (wie eine Mutter ihr verspieltes Kind), verstärkte das Licht für einen Moment seine Strahlung und nahm mich sachte darin auf.

Gott ist auch die Freude, und jedes Wesen aus Ihm ist Freude. Es ist eine Freude anderer Art, als ihr sie hier auf der Erde kennt. Eure Späße sind nicht selten verletzend und derb. Selbst das, was ihr Humor nennt, ist nach unseren Maßstäben noch grob und weit entfernt von dem, was wir empfinden. Eine "gelassene Heiterkeit", um eure Worte zu gebrauchen, würde auf unser Wesen vielleicht am ehesten zutreffen. Sie entspringt unserer absoluten Willensfreiheit, unserer Unabhängigkeit und unserer Liebe.

"Danke", konnte ich nur sagen.

Obwohl es so schien, als ob wir von Thema zu Thema springen würden, war das Ganze für mich doch wie aus einem Guß. Nie hatte ich das Gefühl, wir würden uns verzetteln oder auf unwichtige Nebengeleise kommen. (Wenn überhaupt jemand, dann höchstens ich.) Mein Licht hielt den Gesprächsfaden in der Hand. Deshalb war ich sicher, daß wir alles, was für mich wichtig war, auch miteinander bereden würden.

Einiges war angeschnitten, einige Fragen standen noch im Raum: Was bedeutete der Vater für mich? Warum läßt Gott das Leid zu? Was war nun mit der Reinkarnation? Welches Fazit ergab sich aus der Erkenntnis, daß nur ein Maßstab für alle Seine Kinder der Gerechtigkeit Gottes entsprechen konnte? Dann waren da natürlich noch die vielen Fragen, die ich noch gar nicht gestellt hatte, und die vielen Aspekte, die sich notwendigerweise aus den Antworten ergeben würden. Es war eine ganze Menge, empfand ich, das noch im Dunkeln lag. Doch wir würden dieses Dunkel gemeinsam erleuchten; ich wußte es.

Ich weiß, daß du mich liebst und mir vertraust. Du wirst erkennen und begreifen. Alle Aspekte des Lebens, der gesamten Schöpfung, sind - vergleichbar einem riesigen Netz - miteinander verbunden. Wie unter einer Decke, welche die Wahrheit noch verhüllt, liegen für dich und die meisten Menschen die sogenannten "Geheimnisse Gottes" verborgen. Ist es für die Wahrheitsfindung wohl entscheidend, welchen Zipfel deiner Unwissenheit wir zuerst lüften?

Soviel hatte ich inzwischen begriffen: Es konnte nur eine Wahrheit geben, alles andere mußten Aspekte davon sein. Doch mein Verstand würde nicht ausreichen, diese eine Wahrheit in ihrer ganzen Bedeutung zu erfassen.

Auch wenn es nur eine Wahrheit gibt, so kann für dich doch immer nur das Wahrheit sein, was du momentan als Wahrheit erkennst. Was du nicht als Wahrheit akzeptierst, wird für dich keine Stufe auf deiner Entwicklung sein, auf der du aufbauen kannst. Und wenn es tausendmal die reinste Wahrheit wäre.

"Deshalb kann und wird sie mir von dir auch nur in einem Umfang gezeigt, den mein Bewußtsein aufnehmen kann." Jetzt verstand ich. Die Aspekte, die mir ein neues, tiefergehendes Verständnis vermittelten, konnte ich mir zu eigen machen. Ich konnte darauf aufbauen, indem ich nicht aufhörte, mich selbst immer wieder zu hinterfragen - alleine oder mit Hilfe des Lichtes. Und ich konnte dieses Hinterfragen ausweiten und anwenden auf alte und neue Heilslehren, auf die "Großen dieser Welt" und alle, die vorgaben, Lösungen für die seelischen und materiellen Probleme der Menschheit zu haben.

Darum, das erkannte ich, war es egal, an welchem Knotenpunkt des Netzes man begann. Wenn man nicht zu früh aufhörte, Fragen zu stellen und Antworten zu prüfen, mußte man des Rätsels Lösung finden. Das Licht hatte sich bei mir für den Einstieg mit der Frage Und wer bist du? entschieden; das wohl deshalb, weil es auf diese Weise für mich und mein Denken am einfachsten war. Bei anderen Menschen konnte das ganz anders sein.

Du bist auf dem richtigen Weg. Entscheidend ist, daß du und jeder, der die Wahrheit wirklich sucht, nach dem ersten Knoten den zweiten, dann den nächsten, den übernächsten und so weiter löst. Du bist der Lösung eines Knotens von vielen relativ nahegekommen: Es gibt nur
e i n e Richtschnur, um sich dem Licht der Himmel wieder zu nähern. Was darüber hinaus angeboten, gelehrt, dogmatisch vorgeschrieben und als zwingend notwendig angepriesen wird, lenkt vom Kern der Wahrheit ab.

"Dann lenken aber alle Religionen oder zumindest die meisten von der Wahrheit ab."

Um welchen Kern herum "drapieren" denn, wie du es ausdrückst, eure vielen Religionen und Gruppen ihre eigenen Vorstellungen von dem Weg zur Seligkeit?

Jetzt gingen mir die Augen auf und das, was ich bisher nur vage erkannt hatte, ließ sich plötzlich fassen.

"Um die zentrale Aussage: die Liebe."

Um d i e Liebe, die erst in ihrer vollen Bedeutung durch Jesus von Nazareth in die Welt kam. Es ist die Liebe, die alles versteht, die alles verzeiht, die sich verschenkt, die nichts erwartet - die selbstlose Liebe.

Ich begann, schrittweise zu begreifen. Noch konnte ich mit der Bedeutung des Wortes "selbstlos" nicht viel anfangen; was das praktisch heißt, würde mir schon noch klarwerden oder klargemacht werden. Wichtiger für mich war die Erkenntnis, daß die Glaubensaussagen und -vorschriften aller Religionen der Welt auf die einzig und allein entscheidende Aussage und Aufforderung: Liebe! Liebe Gott, deinen Vater, und deinen Nächsten wie dich selbst verdichtet werden konnten. Was für Konsequenzen müßte das nach sich ziehen ...

"Da ausschließlich Liebe und nichts anderes gefordert ist ..."

... g e b o t e n ist. Gott ist die Freiheit.

"... geboten ist, heißt dies gleichzeitig, daß alles andere die seelische Entwicklung im besten Fall nicht fördert, im schlimmsten Fall hemmt oder, noch schlimmer, verhindert."

Damals war mir noch nicht klar, daß eine Entwicklung nicht auf Dauer verhindert werden kann. Wollte ich überhaupt eine Formulierung dieser Art gebrauchen, dann wäre der Zusatz "vorübergehend" in diesem Zusammenhang richtiger gewesen. Doch selbst dahinter setzte ich später ein großes Fragezeichen. Im Moment ließ das Licht meine Aussage so stehen.

Noch rechtzeitig erinnerte ich mich daran, daß ich auf meine Emotionen achten wollte, um mir einen ungetrübten Blick bewahren zu können. Doch ich war "warmgelaufen".

"Da alles außer der Liebe für das Seelenheil nicht erforderlich oder gar schädlich ist, kann es weggelassen werden. Vielleicht muß es sogar weggelassen werden, um der Seele zu ermöglichen, sich zu entfalten. Die Anweisungen für ein Leben der Liebe machen nur einen verschwindend kleinen Teil der ganzen Lehren aus; die Auslegungen, die kirchlichen Ge- und Verbote, Riten, Vorschriften, Dogmen und vieles mehr nehmen den weitaus größeren Platz ein. Sie bilden sogar vielfach das entscheidende Kriterium, ohne deren Beachtung und Erfüllung - zumindest nach der offiziellen Lehre so mancher Kirche - noch nicht einmal das Seelenheil in Aussicht gestellt werden kann. Ich sag' dir ein Beispiel."

Wieder hatte ich vergessen, daß ich mein Licht nicht aufklären mußte. Ich war dabei, unsere Rollen zu vertauschen. Es nahm meinen Eifer nachsichtig-gelassen, beinahe eine Spur amüsiert (?) hin, nach dem Motto: Wenn du es brauchst, und wenn es dich glücklich macht ...

"Während meiner Kirchenzugehörigkeit wußte ich nicht viel von dem, was ich wirklich glauben mußte. So geht es im übrigen fast jedem in der Kirche. Mein Wissen beschränkte sich auf das, was man erzählt bekam. Später habe ich mich dann ein wenig mit Dogmen und diesen Dingen beschäftigt und einiges herausgefunden. Es gibt dort Glaubensvorschriften, da sträuben sich dir ..., entschuldige, ... einem die Haare. Man muß nur mal damit anfangen, sich mit dem auseinanderzusetzen, was man glauben muß. Denn ein Dogma, wie unverständlich es auch sein mag, ist ein verbindlich zu akzeptierender Glaubenssatz, dessen Leugnung die Exkommunikation nach sich zieht. Was natürlich so gut wie niemand weiß, weil man es ihm vorsichtshalber nicht sagt. Denn würde man dies den Gläubigen sagen, würden sich die allermeisten als bereits exkommuniziert erkennen und sicher nicht mehr viel Interesse daran haben, nur noch zahlend dabeibleiben zu dürfen."

Ich holte einmal tief Luft um sicherzustellen, daß ich in der Ruhe blieb. Dann griff ich zwei Lehrsätze von vielen heraus. (Das Erinnern an einen irgendwann einmal gelesenen Text schien mir in der Aura meines Lichtes selbstverständlich zu sein.) Bei dem einen ging es um die Unterwerfung aller Menschen unter den römischen Papst, was zum Heile jedes Menschen unbedingt notwendig ist, bei dem anderen um die Feststellung, daß niemand außerhalb der katholischen Kirche des ewigen Lebens teilhaftig wird, sondern vielmehr dem ewigen Feuer verfällt ...

"Beide Lehrsätze", konnte ich mir nicht verkneifen zu sagen, "enthalten den ausdrücklichen Zusatz 'unfehlbar', sind daher dogmatisch verpflichtend und können nicht mehr zurückgenommen werden."

Die souveräne Art und Weise, wie mein Licht auf meine gefühlvoll vorgetragenen Ausführungen reagierte, hätte mir damals schon als Vorbild dienen können. Aber so weit war ich noch nicht.

Wenn der Mensch glaubt, mit seinem Verstand die Lehre der Liebe ergänzen oder verbessern zu müssen, dann kann er niemals im Sinne Gottes handeln. Auch dann, wenn vorgegeben wird, der Geist Gottes habe eure Hochgestellten oder Führer inspiriert, seid ihr nicht von der Verpflichtung entbunden, die "Geister" zu prüfen, wie ihr es ausdrückt. Kommt die Botschaft, die Anweisung, die Richtlinie oder die Aufklärung aus der Liebe? Oder wird damit ein Exclusivanspruch verbunden, der auf der Erfüllung von Vorschriften basiert, obwohl es doch um nichts anderes als um die Umsetzung des Liebegebotes geht? Wenn dies geschieht, entfernen sich nicht nur Religionen und Menschen voneinander, auch der Verursacher entfernt sich von der Wahrheit. Denn die Wahrheit heißt "liebe". Sonst nichts.

Es entstand eine kleine Pause, die ich dazu nutzte, mich für einen Moment in der Rolle des Rechthabenden, Überlegenen zu fühlen. Dann wurde ich auf den Boden zurückgeholt.

Das ist die eine Seite. Doch es gibt auch noch eine andere, und die betrifft dich - dich und jeden Menschen. Du wirst erst später richtig verstehen, was ich dir jetzt sage: Du befindest dich auf der Erde im Herrschaftsbereich des Hochmuts. Die Gefahr ist übergroß, aus einer kleinen oder großen Erkenntnis heraus andere Anschauungen oder Menschen zu beurteilen.

Ich wollte etwas sagen, doch vor der liebevollen Autorität des Lichtes schloß ich den Mund gleich wieder. Fast hatte ich die Empfindung, als hätte mein Licht - bildhaft ausgedrückt - eine Hand erhoben.

Ich weiß. Du glaubst, du beurteilst nicht, sondern du stellst nur fest. Doch sei dir stets der Gratwanderung bewußt, auf der du dich dabei befindest. Der Schritt von feststellen zu bewerten ist nicht groß, und der von be-urteilen zu verurteilen erst recht nicht.

Und dann wurde mir - im positiven Sinne - eine Lektion erteilt, die mich über eine lange Zeit beschäftigte.

Hast du dir nie Gedanken darüber gemacht, daß ein anderer nur dann Macht über dich ausüben kann, wenn du es zuläßt? Du wirst sagen: "Er ist stärker als ich". Wäre nicht richtiger zu antworten: "Ich bin zu schwach"? Wenn du aber zu schwach bist, weil du noch nicht das entwickelt hast oder entwickeln wolltest, was es zu entwickeln gilt - wem willst du die Schuld dafür geben? Ist es fair, den anderen verantwortlich zu machen, wenn er dich gängelt, bevormundet, benachteiligt oder unterdrückt? Oder ist es nicht vielmehr so, daß du sehr oft sowohl Anstrengungen als auch Konsequenzen scheust, mit denen du deine Schwächen überwinden könntest?

Bist du nicht am Ende vielleicht sogar mitverantwortlich dafür, daß der andere sich versündigt hat, weil du ihm durch deine Schwäche erst zur Ausübung seiner Macht verholfen hast?

Mein Licht ließ mich für eine Weile mit meinen Gedanken allein. Mir war klar, daß ich noch lange brauchen würde, um das soeben Gehörte wirklich zu verstehen und vor allem, mein Verhalten danach auszurichten. Andere Ansichten oder Lehren, die doch offensichtlich falsch waren, nicht zu bewerten oder zu beurteilen - das müßte eine Toleranz, eine Weisheit voraussetzen, die mir übermenschlich erschien. So war es im wahrsten Sinne des Wortes wohl auch: über-menschlich.

Ich nahm schließlich den Faden wieder an der Stelle auf, wo ich durch meine Beleuchtung der zwei Dogmen abgewichen war. "Laß mich zusammenfassen, was wir erarbeitet haben", bat ich. "Gott hat in Seiner Gerechtigkeit allen den gleichen Maßstab gegeben, um zu Ihm zu finden ..."

Zurückzufinden. Es war keine Unterbrechung, sondern - wie selbstverständlich - eine Ergänzung, eigentlich eine Berichtigung. Alles ist aus Ihm, und alles ist von Ihm ausgegangen. Alle Menschen und Seelen haben ihre Heimat, ihren Ursprung in den Himmeln. Aus den unterschiedlichsten Gründen haben sie ihr göttliches Zuhause verlassen. Weil Gott die Liebe ist und die Allmacht hat, wird Er
a l l e zurückholen. A l l e werden zu Ihm zurückfinden. Gott wird keines Seiner Kinder an die Finsternis verlieren
.

Das waren wieder neue Wahrheiten für mich. Dort hinein paßte nicht die Lehre von der ewigen Verdammnis. Ich nahm mir vor, später unbedingt darauf zurückzukommen, weil ich über das "Wie?" und "Weshalb?" mehr wissen mußte - bis mir klar wurde, daß ich auch ohne mein wißbegieriges Fragen die Antworten erhalten würde. Die Zusammenhänge würden sich vermutlich von selbst ergeben.

Ich setzte, dankbar für die Korrektur, den Gedankengang fort. "Er hat allen den gleichen Maßstab gegeben, damit jeder zu Ihm zurückfinden kann. Dieser Maßstab wurde verändert, ergänzt, verdreht und mit viel Überflüssigem und Irritierendem versehen, bis er oftmals nicht mehr zu erkennen war. Um sich auf den Weg zurück zu Gott zu machen, bedarf es daher nicht der Zugehörigkeit zu einer religiösen Ideologie oder Glaubensgemeinschaft, sondern eines Lebens, in dem das Bemühen um das rechte Miteinander im Mittelpunkt steht."

Wie sieht es nun mit dem Wissen aus? Du hast ein wenig, manch anderer auch, aber die Mehrzahl der Menschen hat dieses Wissen und andere Erkenntnisse nicht. Was glaubst du: Sind diese Menschen chancenlos, unfähig, vielleicht unwürdig?

Das wollte ich dich auch gerade fragen, hatte ich schon auf der Zunge, als mir noch früh genug einfiel, daß ich schon wieder dabei war, unsere Rollen zu vertauschen.

Was machte also jemand ohne Aufklärung? Wie detailliert mußte eine Information sein, um darin das Liebegebot erkennen und vielleicht sogar weitere Schritte des Nachdenkens tun zu können? Bedurfte es mehr oder weniger umfassenden Wissens um geistige Gesetze, um die Schöpfung, um die Finsternis und vieles mehr, um lieben zu üben und zu lernen? Oder war es möglicherweise anders herum, daß man - beinahe "automatisch" - auf den Weg zur Wahrheit fand, wenn man sich erst einmal auf den Weg der Nächstenliebe begeben hatte?

Wer auf der Welt weiß nicht, was gut und böse, richtig und falsch ist? Bedarf es tatsächlich einer äußeren Rechtsprechung, um deutlich zu machen, daß Mord und Totschlag gegen das Gesetz das Lebens verstoßen? Daß Diebstahl sich gegen den Nächsten richtet? Daß Gewalt, schon in kleinster Form, demütigt, verletzt und zerstört und damit dem Liebegebot entgegensteht?

Ich begann zu verstehen. Auch ohne Gesetzesvorschriften hat jeder Mensch eine Instanz in sich, die ihm Maßstab für Recht und Unrecht ist, wenn er will. Es ist sein Gewissen, wenn auch bei jedem unterschiedlich stark ausgeprägt. Nach diesen Unterschieden muß ich gelegentlich noch fragen, nahm ich mir vor; jetzt wollte ich nicht schon wieder abschweifen. Vielleicht würde ich es ja auch selbst herausfinden.

Das Entscheidende ist vor 2000 Jahren geschehen. Die Kunde von der Liebe des Vaters kam durch Christus in diese Welt. Er brachte den Menschen die Botschaft, die die Christen "Frohbotschaft" nennen, und die sie doch größtenteils nicht verstanden haben. Er verkündigte ihnen eine Ethik, der ihr den Namen "Bergpredigt" gabt. Diese ist über die Erde verbreitet. Wer sich entscheidet, d a n a c h zu leben, der wird feststellen, daß die meisten der Gesetzbücher dieser Welt ihre Notwendigkeit verlieren, weil deren Inhalte als Essenz in der Bergpredigt zusammengefaßt sind.

"Selbst wer sie nicht kennt", dachte ich, "ist dennoch nicht allein gelassen. Seine 'Stütze' ist sein Gewissen."

Vielleicht ahnst du schon die Größe und Liebe Gottes, die keines ihrer Geschöpfe ohne Hilfe läßt. Der eine braucht Wissen, der andere einen Anstoß. Ein dritter fragt sein Herz, ein vierter findet als Mitglied einer Religionsgemeinschaft in sein Inneres zu Gott. Entscheidend ist deshalb bei allem das T u n . Alles andere ist Schall und Rauch.

Damit brauchte ich meine Frage nach der Wichtigkeit des Wissens um die Reinkarnation nicht mehr zu stellen, die ich noch im Hinterkopf hatte. Sie war indirekt beantwortet worden. Wem es half, der konnte diese Erkenntnis nehmen, um daraus sein Verständnis für die Zusammenhänge von Leben und Tod abzuleiten. Wer dies für seinen Glauben und sein Weltbild nicht benötigte, der fand vielleicht seinen Ansatz für den Weg ins Licht im praktischen Bemühen. Der Einblick in die Verknüpfungen und geistigen Gesetzmäßigkeiten würde sich früher oder später von selbst einstellen.

Möglicherweise, dachte ich mir, waren diese Menschen besser dran. Ich wollte mich aber nicht davon abhalten lassen, doch noch ein wenig mehr zu erfahren. Für dieses mal jedoch war es anscheinend genug.

Meine Liebe begleitet dich.

Dann war ich allein. War ich wirklich allein?