Alles endet im Licht
von Hans Dienstknecht
ISBN 3-00-002287-2 

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13. Die Liebe, die Freiheit und der Fall

 

Die Vorbereitungen für meine Tagestour waren am nächsten Morgen relativ schnell getroffen. Peter war schon unterwegs; ich wartete noch auf zwei Pakete, die ich für Kunden mitnehmen sollte. Eva hatte Kaffee für uns beide gemacht und beendete gerade ein Angebot, "... ohne das du nicht losfahren darfst", hatte sie mir ans Herz gelegt. Als sie damit fertig war und es mir gab, sagte sie unvermittelt:

"Hast du dich noch mal mit der Reinkarnation beschäftigt?"

"Ja", sagte ich nur, abwartend, was da kommen würde. Eva wollte auf etwas anderes hinaus.

"Meine Oma hat mitbekommen, wie ich unseren Pfarrer vor ein paar Tagen danach gefragt habe. Nach dem Abendessen hat sie uns etwas erzählt, das hängt mit dem Tod von meinem Opa zusammen. Vielleicht erinnerst du dich, er ist vor zwei Jahren gestorben."

Ich nickte. Ich erinnerte mich gut daran, weil ich damals angefangen hatte, mir die ersten, oberflächlichen Gedanken zu dieser Thematik zu machen. Ausschlaggebend war die Grabrede des Geistlichen gewesen, der es verstanden hatte, Trost und Hoffnung zu spenden. Er hatte seine Rede unter das Motto "Wir sind nur Gast auf Erden und wandern ohne Ruh' ..." gestellt, dem Text eines Kirchenliedes, das ich selbst früher gesungen hatte. Aber erst viele Jahre später, auf der Trauerfeier von Evas Großvater, hatten die Worte etwas in mir ausgelöst. Die intensive Fortsetzung davon erlebte ich in diesen Tagen.

"Oma weiß zwar nichts von Reinkarnation, aber ich hatte ihr wohl mit meiner Frage ein Stichwort gegeben. Denn sie erzählte uns an diesem Abend etwas, das sie bisher wie einen Schatz gehütet hatte." Eva schaute mich fragend an. "Willst du's wissen?"

"Natürlich, jetzt hast du mich neugierig gemacht."

So erfuhr auch ich davon, daß der Verstorbene seiner Ehefrau zweimal des Nachts erschienen war. Sie beteuerte immer wieder, daß es kein Traum gewesen sei. Ihr Mann sei plötzlich vor ihrem Bett gestanden, sie selbst sei schlagartig hellwach gewesen. Angst hätte sie keine gehabt, es wäre im Gegenteil schön gewesen, ihn zu sehen. Das einzige, was sie ein bißchen gestört hätte, sei gewesen, daß sie darauf nicht vorbereitet war bzw. das nicht hätte einordnen können. Wo war er jetzt? War er noch "der Alte"? Was machte er da?

Als er ihr das erste Mal erschien, so ihr Eindruck, hätte er ein wenig kraftlos und gedrückt gewirkt. Gesprochen hätte er nichts. Beim zweiten Mal wäre seine Erscheinung wesentlich kraftvoller und heller gewesen, und er hätte ihr - ohne etwas zu sagen - vermittelt, daß es ihm gut ginge.

Obwohl sie sicher war, das tatsächlich erlebt und nicht geträumt zu haben, habe sie sich nicht getraut, mit jemandem darüber zu sprechen.

"Was hältst du davon?" fragte mich Eva zum Schluß.

"Ich glaube, sie hat nicht geträumt. Viele Menschen haben Gleiches oder ähnliches erlebt."

"Dann gibt es deiner Meinung nach so etwas wie ein Leben nach dem Tod?"

"Nicht nur 'so etwas'", antwortete ich. "Ich bin inzwischen fest davon überzeugt, daß es gar nicht anders sein kann."

Sie war nachdenklich geworden. "Darüber müssen wir uns gelegentlich unterhalten", meinte sie. Ich sagte nicht "ja" und sagte nicht "nein". Ablehnen wollte ich ein solches Gespräch nicht, denn erstens mochte ich sie, und zweitens würde ja auch die Möglichkeit bestehen, daß wir beide etwas lernen könnten. Andererseits wollte ich mich davor hüten, mit Halbwissen hausieren zu gehen, das ich selbst noch nicht zu einem Teil meines Lebens gemacht hatte.

Ich wunderte mich über Eva; anscheinend ließ ihr das Thema keine Ruhe, denn sie fragte mich: "Wo aber sollen die Toten denn sein? Gibt es so eine Art 'Unterwelt'? Was soll das denn für einen Sinn haben?" Sie schüttelte den Kopf. "Und dann die zweierlei Erscheinungen ein und derselben Person: einmal traurig und grau, das andere mal freudig und hell. Wenn es nicht meine Oma wäre, die das erzählt hat, ich glaube, ich hätte denjenigen für ...", sie fuhr mit ihrer Hand zweimal vor ihrem Gesicht vorbei, "... gehalten."

Unser Lehrling kam aus seiner Frühstückspause zurück; Eva und ich hatten unsere heute einmal auf eine ganz andere Art genutzt. Das Telefon klingelte, und über den Hof rief mir jemand durch das offene Fenster zu, daß die Pakete fertig seien.

"Ich denk' darüber nach", antwortete ich. Das war nur die halbe Wahrheit. Die ganze war, daß mein eigenes Nachdenken ohne die liebevolle Aufklärung des Lichtes nicht zu einer gescheiten Antwort führen würde. Aber das konnte und wollte ich ihr nicht sagen.

 

*

 

Ich löste mein Versprechen insofern ein, als daß mir Evas Geschichte nicht aus dem Kopf ging. Sie hatte mich, ohne daß sie es wollte und wußte, dazu gebracht, mich mit der Frage zu beschäftigen: Was geschieht "drüben"?

Natürlich hätte ich in entsprechenden Büchern suchen und lesen können. Aber die Bücher von Max hatte ich nicht dabei - ich war ohnehin nicht sicher, ob ich bei ihm etwas über jenseitige Welten mitgenommen hatte - und kaufen wollte ich mir keine. Hinzu kam, daß mir deren Wahrheitsgehalt auf einmal nicht mehr absolut sicher erschien. Ich erinnerte mich nämlich daran, beim Lesen in der Stadtbücherei recht unterschiedliche Schilderungen und Interpretationen des Jenseits gefunden zu haben. Das Wichtigste aber war wohl: Ich hatte mein Licht. Gab es nicht ein Sprichwort, das sinngemäß lautete: Warum gehst du zum Schmidtchen, wenn du zum Schmidt gehen kannst?

Während der Fahrtzeiten zwischen meinen Besuchen dachte ich über die Jenseits-Frage nach, ohne jedoch zu einer Antwort zu kommen. Ich mußte einsehen, daß ich hier mit meinem Denken an eine Grenze kam, die ich nicht überwinden konnte. Vieles von dem, was mir in den vergangenen Tagen und Nächten mit Hilfe des Lichtes klargeworden war, ließe sich (... wenn du dabei die Logik nicht verläßt, erinnerte ich mich) schlußfolgern und reichte jetzt schon für eine Richtungsänderung in meinem Leben aus. Wissen über andere, für uns unsichtbare Welten ergab sich nicht durch nachdenken. Dazu brauchte ich entweder mein Licht oder andere Quellen, was ich aber nicht wollte.

"Eigentlich hätte schon die einzige Erkenntnis ausreichen können, daß die Liebe und Gerechtigkeit für alle die gleichen Kriterien ansetzt, um dem Leben einen anderen, neuen Sinn zu geben", dachte ich. "Aber so, wie die meisten Menschen einschließlich meiner Person sind, scheinen weitere Erklärungen und Erläuterungen unumgänglich, um ein bißchen was in Bewegung zu setzen. Schade, daß wir so schwerfällig sind ..."

Ich fuhr allein auf einer abseits gelegenen Landstraße. Plötzlich hatte ich das Gefühl, daß das Licht mir nahe war. "Näher als sonst", dachte ich, "tagsüber verspüre ich dich so gut wie nie" - als mir einfiel, daß es mir ständig nahe war. Ein "Abstand" wurde immer nur von mir hervorgerufen, wenn ich zum Beispiel auf mich bezogen und damit gedanklich "weit weg" war.

"Was würde es dir helfen, viel über die Seelenbereiche zu wissen?" ging mir ein Gedanke durch den Kopf. "Das Entscheidende weißt du: Gott ist die Liebe, und der Weg zu Ihm führt über die gelebte Liebe."

Es war, als würde ich eine Art Zwiegespräch mit mir selbst führen. "Ich wäre beruhigter, und irgendwie wäre eine Lücke ("sag' ruhig W i s s e n s - lücke") gefüllt. Es würde mir das Verstehen erleichtern."

"Richtig verstehen kann man nur mit dem Herzen."

Ich blieb hartnäckig. "Soll dies denn ein Geheimnis für mich bleiben?"

"Nichts wird dir ein Geheimnis bleiben. Vergiß nicht, dein wahres Wesen ist göttlich. Alles hat seine Zeit. Vielleicht gibt es Wichtigeres für dich?"

"Was könnte das sein?"

"Gebrauche deinen Verstand."

Ich hatte mir wieder einmal selbst ein Bein gestellt. Es war ja nicht das erste Mal, daß ich an die Benutzung meiner grauen Zellen erinnert wurde. Nur: War es diesmal mein Licht gewesen? Mein Gewissen? Oder führte ich tatsächlich schon Selbstgespräche? Was immer es war: Den Verstand zu gebrauchen, konnte nie schaden.

Was war wichtiger als zu wissen, wie viele Welten es gab, wie sie aussahen, wo sie waren, wie viele Menschen, nein Seelen, auf oder in ihnen lebten?

"Willst du mir helfen?" muß ich gedacht haben, ohne daß es mir bewußt gewesen war.

"Eva hat dich unter anderem nach dem Sinn gefragt. Könnte das eine Spur sein?"

Ich war weit und breit allein auf der Straße. Es gelang mir, ohne daß meine Aufmerksamkeit beeinträchtigt wurde, darüber nachzudenken.

Das stimmte, Eva hatte auch nach dem Sinn gefragt. Gut. Da bei Gott alles seinen Sinn hatte, mußte auch in dem Weiterleben der Seele ein Sinn liegen. "Logisch, zähle einfach wieder 1 + 1 zusammen", sagte ich mir.

Sinnvolles Handeln ist immer zielgerichtet. Das Überleben der Seele wäre das eine; aber nur Überleben um des Überlebens willen, ergäbe keinen Sinn. Das andere wäre die Weiterentwicklung der Seele, eine irgendwie geartete Veränderung, die Schaffung eines Ausgleichs für negative Handlungen oder was immer.

Wo lag das Ziel, wenn alles Sinnvolle zielgerichtet war? Das Ziel, war ich aufgeklärt worden, war der Ausgangspunkt: die Himmel. In sie konnte ausnahmslos jeder erst dann zurück, wenn er die Himmel wieder in sich trug. Bis dahin lebte er außerhalb, entweder auf der Erde - wie ich und Milliarden Menschen mit mir - oder in irgendeinem der jenseitigen Bereiche. Auch wenn es bei Gott keine Zeit gab, so konnte es doch nicht sein, daß die Seelen der Verstorbenen auf ewig im Jenseits außerhalb der Himmel verblieben. (Oder waren es die Verstorbenen selbst? Ich wußte es noch nicht.) Das würde ja keine Rückkehr bedeuten; es käme einer Art Verbannung gleich. Verbannung - wofür? Für eine Schuld, die bei Gott nicht mehr existierte, wenn der Mensch oder die Seele diese Schuld vielleicht längst schon wiedergutgemacht oder ausgeglichen hätte?

Ich spürte, daß ich kurz vor einer Antwort war, mit der ich mich zufriedengeben könnte.

"... wiedergutgemacht ... ausgeglichen ..."

Ich hörte genauer in mich hinein.

"... ausgeglichen ... umgewandelt ... aufgelöst ... erlöst ... erlöst ..."

 

*

 

Über Mittag besuchte ich ein kleines Geschäft im Hinterland, dessen Inhaber schon seit vielen Jahren ein treuer Kunde von uns war. Ich hatte mir angewöhnt, die Mittagspause immer dann bei diesem Kunden zu verbringen, wenn meine Tour mich in diesen Teil meines Verkaufsgebietes führte. Ich war vor Jahren einmal zum Essen eingeladen worden, und das hatten wir dann so beibehalten. Inzwischen waren er, seine ganze Familie und ich gute Freunde geworden.

"Nimmst du noch ein Stück Kuchen, Ferdinand?" fragte mich seine Frau Brigitte, nachdem ich einen schon zweimal vollgeschöpften Suppenteller geleert hatte.

"Nein, danke." Ich hob abwehrend die Hand.

"Aber einen Kaffee, oder?" Sie kannte mich. Ihr Mann war in der Zwischenzeit ins Geschäft im vorderen Teil des Hauses gegangen, um einen Auftrag für mich zusammenzustellen, wozu er im Laufe des Vormittags nicht mehr gekommen war.

"Nimm dir so lange die Zeitung", sagte Brigitte zu mir, während sie in die Küche ging, um den Kaffee zuzubereiten. "Es dauert noch ein wenig, bis Bernd fertig ist."

Kaum hatte ich die Zeitung aufgeschlagen, fiel mein Blick auf eine Meldung mit der Überschrift Deutsche glauben an einen Gott. Mich wunderte inzwischen nicht mehr, daß meine Augen praktisch "geführt" wurden, nachdem die Sache mit dem Zufall ausgedient hatte. In dem kleinen Artikel hieß es:

"Eine deutliche Mehrheit der Deutschen von 56,8 Prozent hat ihren Glauben an Gott nicht verloren. Das ist das Ergebnis einer Umfrage unter 2000 Bürgern. Unklarer werden die Vorstellungen der Deutschen allerdings, wenn es darum geht, was Gott denn nun ist oder tut: 48,5 Prozent der Befragten sehen Gott in der Natur. 43,9 Prozent halten ihn für eine universelle Kraft. 44,9 Prozent meinen, er zeige sich im Handeln der Menschen. 33,1 Prozent sagen, er schaue dem Weltgeschehen tatenlos zu. 21,4 Prozent der Befragten dagegen weisen ihm eine aktive Rolle zu."

Brigitte mußte beim Abräumen des Tisches mitbekommen haben, daß ich diesen Artikel las, denn sie fragte mich: "Was hältst du davon?"

Zuerst wollte ich sagen, daß ich es für erschreckend hielt, was für verworrene Vorstellungen die meisten Menschen von Gott haben. Dann besann ich mich aber gerade noch rechtzeitig. Keinem stand es zu, die Ansicht eines anderen zu verurteilen. Aufklären, wenn er gefragt wurde, wenn er dazu die nötige Kompetenz hatte und die erforderliche Toleranz an den Tag legte - ja. Doch hatte ich die schon?

Brigitte bemerkte mein Zögern; sie schien nicht recht zu wissen, wie sie es deuten sollte.

"Ich wollte dir damit nicht zu nahetreten", sagte sie dann.

"Nein, nein, das hast du ganz und gar nicht getan", antwortete ich. "Es ist nur so, daß ich mich gerade mit dieser Frage beschäftige."

Sie setzte sich, ein wenig neugierig geworden, zu mir an den Tisch. "Das ist schon komisch, Ferdinand. Wir kennen uns jetzt schon so viele Jahre. Wir haben uns alles Mögliche erzählt, nur darüber haben wir nie gesprochen."

"Vielleicht hast du gespürt, daß ich noch nicht so weit war", dachte ich, sprach es aber nicht aus. Dagegen sagte ich: "Ich bin erst ein Anfänger. Und du?"

"Ich glaube, ich auch", entgegnete sie. Eine große Ernsthaftigkeit strahlte jetzt von ihr aus, die ich in der Vergangenheit nicht bemerkt hatte. "Auf eine gewisse Art und Weise bleibt man wohl immer Anfänger ..."

Warum hatte ich das Gefühl, daß dies bei ihr nicht ganz stimmte? War ihre Bescheidenheit der Grund dafür? Oder waren meine "Antennen" empfindlicher geworden? Oder war es beides?

Mir kam eine Frage in den Sinn, bei der ich einen Moment überlegte, ob ich sie ihr stellen konnte. Ich entschloß mich, es zu wagen. Vielleicht fand ich einen Menschen, der praktisch das bereits lebte, was sich in mir in der Theorie aufzubauen begann.

"Wo suchst du Ihn, oder wo hast du Ihn gefunden?"

Sie zögerte nicht einen Augenblick. Ihre Antwort kam ebenso einfach wie überzeugt:

"In mir."

 

*

 

In dieser Nacht hielt sich das Licht nicht mit Vorreden auf, sondern kam direkt "zur Sache". Vielleicht lag dies daran, daß ich mich bis in den Schlaf hinein mit dem beschäftigte, was mir der Tag alles gezeigt hatte. Meine letzten Gedanken vor dem Einschlafen - das wußte ich noch, als das Licht kam - waren um die Frage gekreist, wer denn nun nach dem sogenannten Tod weiterlebt: die Seele des Verstorbenen oder der Verstorbene selbst. Und, das fiel mir noch ein, was die Aussage für den Menschen bedeutet, daß "Gott im Menschen lebt".

Das Verstehen erleichtert sich, wenn du um die Schöpfung weißt und als Ausgangspunkt für deine Erkenntnis den "Fall" nimmst und dann schrittweise vorgehst.

Jedes Geschöpf ist a u s Gott - im Gegensatz zu dem, was
d u r c h Menschen geschaffen wird, zum Beispiel durch deren handwerkliche Arbeit. A u s Gott zu sein bedeutet, ein Teil Seines Selbst zu sein, Seine Liebe, Sein Gesetz in sich zu tragen. Deshalb konnte ich dir sagen: "Du bist göttlich". Jedes Seiner Geschöpfe ist und bleibt göttlich, ob es in den Himmeln lebt oder sich daraus entfernt hat. Für die Entfernung aus den Himmeln kann es auch andere Gründe geben als die Auflehnung gegen Gott. Die Menschwerdung eines geistigen Wesens kann durchaus ein Akt der selbstlosen Liebe sein. Du erkennst daran, daß mehr als nur ein Aspekt maßgebend dafür ist, daß es Seelen und Menschen gibt.

Ich hörte so aufmerksam zu wie selten, oder wie noch nie. Entscheidende Aufklärung stand mir bevor, ahnte ich. Außerdem begann sich eine größere Ernsthaftigkeit in mir breitzumachen. Das betraf nicht nur diese Nacht; ich hatte es schon in den letzten Tagen verspürt. Es war keine Ernsthaftigkeit im Sinne von Humorlosigkeit, sondern mehr ein Ernstnehmen des sich erweiternden Horizonts und der Wunsch, dies in mein Leben einzubauen. Ich war also ganz Ohr, sozusagen "im Schlaf hellwach."

Dadurch, daß die Fallwesen - also die ehemaligen Engel - in ihrem Eigenwillen eine eigene Schöpfung nach ihren Vorstellungen anstrebten, verstießen sie gegen göttliches Gesetz. Je intensiver und je öfter dies geschah, um so mehr entfernten sie sich aus den Himmeln, um so niedriger schwangen ihre früher so strahlenden Erscheinungen, um so mehr verdichteten sich die Bereiche, die sie schufen, und um so kleiner und "blasser" wurden auch ihre geistigen Energiekörper, das Göttliche in ihnen. Verschwinden aber oder sich auflösen konnten und können sie nicht. Gott vernichtet nicht Sein eigenes Leben.

Ich drücke es für dich vereinfacht aus, schien mir ein Strahl seines Liebelichtes sagen zu wollen, und ich antwortete durch die Empfindung tiefen Vertrauens.

Da jedes Geschöpf Gottes als höchstes und teuerstes Gut den freien Willen erhielt, ließ die ewige Liebe ihre Kinder gewähren. Der tiefste Punkt des Falls war erreicht, als sich die Materie zu bilden begann, das materielle Universum mit seinen unzähligen Formen einschließlich eures Planeten Erde. Von dieser materiellen Verdichtung waren auch die Fallwesen betroffen, also nicht nur die Welten oder Bereiche, die sich durch die Zuwiderhandlung gebildet hatten, sondern sie selbst auch.

Das einstmals strahlende Geistwesen hatte sich "eingehüllt". In seinem tiefsten Inneren war immer noch sein göttlicher Ursprung, sein Erbe - ihr würdet vielleicht sagen: fast nicht mehr "sichtbar" oder zugedeckt. Um diesen Kern herum hatten sich, einer Zwiebel ähnlich, die Schwingungen der Welten gelegt, die durch den Fall entstanden waren, und in die sich das Fallwesen begeben hatte.

Du erinnerst dich sicher daran, daß sich gleiche Schwingungen anziehen und ungleiche abstoßen?

Ich nickte.

Deshalb konnte und kann kein Wesen in einem Bereich leben, ohne sich mit dessen Schwingungen "einzuhüllen". Die letzte, die äußere Hülle ist im Gegensatz zu den anderen Hüllen materieller Natur. Die anderen, die darunterliegenden, die praktisch von der Hülle des menschlichen Körpers eingeschlossen werden, sind nicht-materiell. ("Wie die ihnen entsprechenden Bereiche", dachte ich). Sie sind zwar auch noch relativ grob, aber sie sind nicht s o verdichtet, daß sie für euch sichtbar sind.

Ich verstand: "Sogar im Materiellen gibt es Schwingungsbereiche, die wir mit unseren Sinnesorganen nicht wahrnehmen können. Das gilt unter anderem für die Augen. Das Spektrum des sichtbaren Lichtes ist nur ein kleiner Teil viel größerer Wellenbereiche, die wir in ihrer Gesamtheit mit unseren Augen nicht erfassen können."

Die Menschen suchen immer nach "Beweisen". Dieses Beispiel könnte ihnen als ein solches dienen. Viele verlassen sich lieber auf ihre völlig unzureichenden Sinnesorgane, indem sie nur das glauben, was sie hören und sehen, riechen und fühlen. Oftmals täte es ihnen gut, sich an ihren Tieren ein Beispiel zu nehmen, die sich nicht so schlau wähnen und vielfach dennoch besser hören und sehen, riechen und fühlen.

Es war das erste oder eines der wenigen Male, daß ein Hauch von sanfter Mißbilligung (?) aus den Worten des Lichtes herauszuhören war. So schien es mir. Vielleicht empfand ich es aber auch nur deshalb so, weil ich noch nicht in der Lage war, Kritik so zu verpacken, daß sie bewertungs- und urteilsfrei war. Sobald mit ihr die Absicht verbunden war, nach Möglichkeit eine Änderung bei dem anderen auszulösen, sagte ich mir, war sie persönlich gefärbt und konnte vermutlich auch nicht mehr voll angenommen werden.

"Puh", dachte ich, "es lohnt sich, darüber gelegentlich nachzudenken."

Viele Tiere reagieren oftmals für euch unverständlich, besonders dann, wenn es um eure Verstorbenen geht. Was Tiere auf ihre Weise wahrnehmen, ist das, was Menschen allgemein als Seele bezeichnen, obwohl vielen nicht klar ist, was sie damit ausdrücken.

Gelingt es dir jetzt, die Begriffe "Geist", "Seele" und "Mensch" zu definieren?

Ich konzentrierte mich. Von den vielen Fragezeichen in mir hatte sich eine große Anzahl aufgelöst. Das "Bild" begann, sich abzurunden; der Weg zur Wahrheit war jetzt deutlich besser zu erkennen. Ich fing mit dem für mich Leichtesten an.

"Der Mensch ist die äußere, materielle Hülle. Diese ist für ein Leben auf der Erde, auf der Materie, erforderlich." Wo sollte ich weitermachen? Ich überlegte und stelle dann die Seele zurück, um mich zunächst dem Geist zuzuwenden, was mir nicht so schwierig erschien.

"Der Geist ist das Göttliche in jedem, es ist das, was nicht vernichtet werden kann und ... und ..." Ich fing an zu stottern.

... das in die Himmel zurückkehren wird. Es ist dein unsterbliches Wesen, geschaffen von Gott, ausgegangen von Gott und auf dem Weg zurück zu Ihm, wo es - früher oder später - eintreffen wird.

Für einen Augenblick erfüllte unbeschreibliche Freude mein Inneres. Das war die Hoffnung, nein, jetzt war es Gewißheit! Es war das, wonach ich mich ein Leben lang unbewußt gesehnt, was ich gesucht hatte: Die absolute Sicherheit zu haben, daß ich in das Haus meines Vaters zurückkehren würde. In diese Freude nahm ich das Begreifen hinein, daß dies für alle gilt, für Freunde, Bekannte, Unbekannte, für alle Völker, Rassen, Nationen, Religionsgemeinschaften - für alle. Wir alle waren aus den Himmeln, und alle würden zurückkehren. Was für ein gigantischer Plan, was für ein gigantisches Geschehen.

Liebestrahlen umfingen mich. In mir war Friede. Wie lange dauerte der Moment? Ich weiß es nicht. Mein Licht holte mich verständnis-innig in die "Realität" zurück. Was aber war die Realität? Die nicht zu beschreibende Freude, der tiefe Friede? Die Wirklichkeit unserer nächtlichen Begegnung? Oder der morgige Tag?

Und die Seele?

Ja, die Seele! Das Schwierigste hatte ich mir bis zuletzt aufgehoben.

"Die Seele muß das sein, was zwischen dem inneren, göttlichen Kern und dem äußeren, menschlichen Körper liegt ..." Mein Licht unterbrach mich zwar nicht, aber ich hatte auf Grund einer anderen Vibration seiner Strahlung den Eindruck, als würde es etwas ausdrücken wie ... so kann man es auch sagen ...

"... es müssen die Hüllen sein, die sich in den einzelnen Bereichen gebildet haben, durch die das geistige Wesen während seines Abstiegs gegangen ist." Göttlich oder positiv konnten diese Ummantelungen nicht sein, da sie ja erst durch die Abwendung von Gott entstanden waren. Wenn die Tatsache der Abkehr von Gott Sünde war (ich gebrauchte diesen Begriff ganz vorsichtig), dann war das, was die Hüllen ausmachte, durch die Sünde entstanden.

"Dann sind", sagte ich wieder laut, "die Hüllen die Seele oder die Seele ist die Summe der Hüllen oder ..."

... ihrer Belastungen; denn da sich die Wesen durch den Fall belastet hatten, kann man ihre Seelenhüllen auch als Belastungen bezeichnen.

"Mit diesen Belastungen aber kann niemand in den Himmel zurück." Ich überlegte. Mir war gerade etwas in den Sinn gekommen, das für mich noch unklar war.

"Habe ich nun eine Seele, oder bin ich eine Seele? Oder bin ich meine eigene Seele?"

Du kannst deine Seele nicht von deinem Körper trennen. Dies geschieht erst im Augenblick des Sterbens. Zuvor bist du beides. Deine Seele ist untrennbar mit dir verbunden. Alles, was du empfindest, denkst, sagst und tust, wird in deiner Seele registriert. Ich erinnerte mich, daß wir von den "Spuren" gesprochen hatten.

Das ist aber nur die eine Seite. Die andere ist, daß du ununterbrochen "aus deiner Seele heraus" handelst, aus deinem nicht-materiellen Energiekörper. Was in deiner Seele ist, und was du stündlich, minütlich, ja jeden Augenblick in sie hineinspeicherst, kannst du erkennen, wenn du auf deine Empfindungen und die daraus resultierenden Reaktionen achtest.

Anscheinend hatte mein Licht ein gewisses Unvermögen in oder an mir festgestellt, diese Erklärungen richtig einordnen zu können; denn es erläuterte mir:

Da alles Energie ist, ist auch dein Bewußtsein nichts anderes als Energie. Später einmal wirst du verstehen, daß d u überhaupt nichts anderes als Bewußtsein b i s t , individuelles Bewußtsein, ob vorübergehend im menschlichen Körper oder im Seelenleib oder ewig als strahlende, göttliche Energie.

Noch glaubst du, du h ä t t e s t ein Bewußtsein und trennst daher. Anders ist deine Frage nicht zu verstehen. Verläßt das irdische Leben deinen Körper, dann verläßt d u deinen Körper und lebst als Seele weiter.

Du kannst dich - oder dein Bewußtsein, wenn dies für dich verständlicher ist - im Laufe der Zeit verändern; du kannst deine Seelenschwingung erhöhen, so weit, bis sich die Belastungen schließlich aufgelöst haben. In dem Maße, wie dieser Prozeß fortschreitet, erweitert sich dein Bewußtsein, deine Belastungen verringern sich, und das göttliche Wesen in dir strahlt immer mehr durch. Ob aber nun Mensch, Seele oder später wieder reines, geistiges Wesen - in jedem Fall bist es d u .

Das Licht schwieg lange. Es war eine der längsten Unterweisungen, die mir bisher zuteil geworden waren. Viel Neues war darin, Entscheidendes, das mir zum Verstehen des Ganzen bisher gefehlt hatte. Ich wußte, daß mein Licht mich nicht überfordern würde - ganz im Gegensatz zu mir, der ich dies bei vielen Menschen und vielen Gelegenheiten schon getan hatte. Immer war ich in diesen Fällen der Ansicht gewesen, daß das, was ich als richtig erkannt hatte, auch jedem anderen einleuchten müßte. Was "freier Wille" heißt, und wie wichtig das Erkennen der geistigen und seelischen Aufnahmefähigkeit meines Nächsten war, das begann ich erst jetzt ganz langsam zu begreifen.

Du hast dir die Frage gestellt, was es bedeutet, daß Gott i n
jedem Menschen lebt. Kannst du dir nun selbst die Antwort geben?

"Wenn ich ... und mit mir jeder ..." Ich begann noch einmal. "Wenn ich in meinem Inneren ein Teil des göttlichen Lebens bin, dann läßt mich Gott auch nicht ... verhungern" (ein treffenderes Wort fiel mir so schnell nicht ein); "dann wird Er mich auch aus Seiner unendlich fließenden, göttlichen Quelle erhalten." Mir fiel ein Beispiel ein.

"Ich bin dann wie eine Glühbirne, durch die elektrischer Strom fließt. Über diesen Strom ist die Glühbirne mit dem Stromerzeuger verbunden." Ich brauchte solche und ähnliche Bilder oft, um mir selbst eine größere Klarheit zu verschaffen. Es war erstaunlich, wie treffend diese Bilder sein konnten. Ihr Wahrheitsgehalt lag häufig viel höher als das oft gebrauchte Wort vom "hinkenden Vergleich".

Wenn du also eine direkte, unmittelbare Verbindung zu deiner "Quelle" hast, zu deinem Vater, zu Gott, dann bist du an das größte Energiepotential angeschlossen, das es überhaupt gibt - auch wenn dir dies nie bewußt war.

Was ergab sich daraus? Da dieses Energiepotential die Liebe war, die sich ununterbrochen verschenkte, mußte es auch mir und jedem möglich sein, Kräfte über Kräfte zu erhalten. Wichtig dafür war, daß man darum bat und durch ein entsprechendes Verhalten die Voraussetzungen für das Fließen dieser Kräfte schaffte. Was war darüber hinaus erforderlich? In welchen Tempel, in welche Kirche mußte ich gehen? Welche Zeremonien mußte ich über mich ergehen lassen oder selbst vollziehen? An welche Orte mußte ich fahren, um dieser Liebe besonders nahe zu sein? Welche Vorschriften mußte ich beachten, welcher Gemeinschaft angehören? Wohin mußte ich mich mit meiner Bitte wenden?

Im gleichen Moment, da ich mir die Fragen stellte, war die Antwort schon da, so klar, wie sie klarer nicht sein konnte:

"Da jeder Mensch der Tempel des Heiligen Geistes ist, weil Gott in jedem wohnt, bedarf es keiner Vermittlung, keiner Übersetzung, keiner weiteren Verpflichtung. Wer in sein Inneres geht, der ist da. Er hat die Verbindung mit Gott, mit seiner Lebensquelle, hergestellt. Näher als die Liebe in mir kann mir nichts sein."

Mir fiel das Wort aus der Bibel ein: "Ich Bin euch näher als eure Arme und Beine". Jesus von Nazareth hatte dies gesagt. Was ich nicht verstand: Wieso er das sagen konnte, wenn es doch auf Gott zutraf? Wer war dieser Jesus, der sich auch als Christus bezeichnete? Vor ein paar Tagen hatte das Licht seinen Namen erwähnt - in einem wichtigen Zusammenhang, wie mir schwach bewußt wurde. An mehr erinnerte ich mich aber im Moment nicht.

Ihr habt ein Sprichwort, das wir diesmal gelten lassen sollten, auch wenn es in unserer Dimension keine Bedeutung hat: "Morgen ist auch noch ein Tag".

Dir ist viel Wissen zuteil geworden. Nutze es weise. Wissen für sich ist ohne Bedeutung; gelebtes Wissen dagegen wird zur Weisheit und lichtet die Seele.

Ein letzter Liebe-Gruß für heute berührte mich, dann ging mein Licht zurück, bis es - in meinen Augen - verschwand. Ich wußte jedoch, daß dies in der Wirklichkeit des Geistes, in der "wirklichen Wirklichkeit", nicht so war. Und so ging ich in die weitere Nacht mit dem Gefühl unendlicher Geborgenheit. Mein Licht war in meiner Nähe, mein Gott war in mir. Was sollte mich schrecken?