Alles endet im Licht
von Hans Dienstknecht
ISBN 3-00-002287-2 

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15. Kommt da was aus "heiterem Himmel"?

 

Majestätische Schönheit erfüllte den Raum. Das Licht war da; ich war glücklich.

Du bist einen Schritt vorangekommen. Die Liebe konnte dich einiges erkennen lassen.

Und so, als wenn Lob Gift wäre - was es für das Ego sicher auch ist - fügte mein Licht hinzu:

Doch vergiß nicht, daß "eine Schwalbe noch keinen Sommer macht", wie ihr es ausdrückt. Je mehr Erkenntnisse der Mensch sammelt, um so mehr sollte seine Demut wachsen. Doch die Fallen, die die Dunkelheit aufstellt, sind zahlreich. Und die des Hochmuts sind die häufigsten. Die Gefahr ist übergroß, aus den sich erschließenden Zusammenhängen und der Anhäufung von Erkenntnissen eine eigene Entwicklung abzuleiten, die der anderer Menschen voraus ist.

Wenn sie es tatsächlich ist, wird sich das Gefühl des Besser-Seins verlieren. In dem Maße, wie dies geschieht, wird es einer Selbstlosigkeit und Demut Platz machen, die mehr und mehr das Ziel ins Auge faßt, dem Nächsten zu dienen. Und dies ohne Lob, ohne Anerkennung, ohne Rücksicht auf die eigene Person.

Ich dachte wieder einmal, ohne daran zu denken, daß für mein Licht alles offenbar war - ob ausgesprochen oder "nur" gedacht: "Aus dem Geistigen zu sprechen, wenn alles in einem erschlossen ist, ist sicher kein großes Problem. Wenn man das aber als Mensch hört, ist das viel komplizierter, auch wenn man es rundherum akzeptiert und vom Prinzip her bejaht."

Ich spreche nicht aus der Theorie.

Ich bekam einen kleinen Schrecken. Nicht im entferntesten hatte ich beabsichtigt, meinem Licht vorzuhalten, es habe aus seiner Position heraus gut reden. Was ich hatte denken wollen, betraf eher die Schwierigkeit des Umsetzens (meine Schwierigkeit, mußte ich zugeben), also weg vom Wissen, hin zum Tun. Das erschien mir mit einem riesigen Aufwand verbunden, einer ewig langen Arbeit an sich selbst.

Aber die Bemerkung hatte mich auch neugierig gemacht. War mein Licht schon einmal inkarniert?

"Du weißt, wie ich es gemeint habe", sagte ich.

Eine geistige Entwicklung braucht eine Entscheidung, sie braucht Hilfe, und sie braucht Zeit. Du wirst nicht eines morgens wach und bist liebevoll, tolerant, geduldig und frei, nur weil du dir dies, und sei es noch so fest, vorgenommen hast. Dein Entschluß setzt lediglich einen Prozeß in Gang. Die Arbeit, die sich daraus ergibt, mußt du tun - wenigstens einen Teil davon, d e i n e n Teil.

Jeder Mensch muß dies tun, keiner kommt daran vorbei. Das galt für mich, bei meinen Inkarnationen, ganz genauso. Es liegt im freien Willen begründet. Du kennst den Weg, das heißt du kennst Gut und Böse, du hast die Zehn Gebote, die Bergpredigt und das allen übergeordnete Gebot der Gottes- und Nächstenliebe. Und du hast dein Gewissen. Welche Wegweiser, glaubst du, brauchst du noch?

Ich überlegte kurz. "Eigentlich keine", wollte ich gerade sagen, als mir einfiel, daß dann die nächste Frage wohl lauten würde: Wann, glaubst du, fängst du an? "Und?", dachte ich. "Was wäre schlimm daran? Willst du denn nicht?"

Sicher wollte ich; außerdem würde mein Licht das sowieso nicht fragen. Eine solche Frage zu stellen, das würde höchstens ich bei einem anderen tun, weil mir das mit dem freien Willen meines Nächsten noch nicht in Fleisch und Blut übergegangen war. Behutsam ausgedrückt.

Doch, fiel mir ein, da wäre noch etwas!

"Alle Wegweiser sind da", sagte ich. "Nur ... wie kann ich sinnvoll und effektiv an mir arbeiten, wenn ich im einzelnen nicht weiß, woran? Was liegt in mir? Welche Belastungen trage ich in meiner Seele? Wann kommt welcher 'Bumerang' auf mich zurück? Wie ist das mit meinem Karma? Wenn ich mir vorstelle, daß ich das wie einen Rucksack immer mit mir herumtrage ... also, ich weiß nicht ..."

Jeder Mensch trägt s e i n Karma. Es ist die Summe seiner Verstöße gegen das Liebegebot. Kein Mensch ist vollkommen frei davon. Wäre er das, dann hätte er sein Bewußtsein absolut erschlossen, nicht ein Schatten wäre mehr in seiner Seele. Er wäre wieder zu dem reinen Geistwesen geworden, das er von Urbeginn an war und ewig sein wird. Er hätte die Vereinigung mit seiner Quelle, mit Gott, wieder erreicht - und müßte augenblicklich diese Materie verlassen, weil er sich auf oder in ihr nicht mehr halten könnte.

Das Karma in seinem Umfang und seiner Bedeutsamkeit ist jedoch bei allen Menschen unterschiedlich. Es ist individuell, weil es durch den freien Willen eines jeden individuell verursacht wurde.

Eines war mir in den vergangenen Tagen schon klargeworden: Jeder Mensch trug sein "Päckchen", wie es eine Redeweise ausdrückt. Nicht bei allen war dies offensichtlich; aber selbst bei denen, die reich, schön, jung, gesund oder alles auf einmal waren, gab es einen Schwachpunkt. Man müßte ihn erkennen können, würde man genauer hinsehen. Die sogenannten Schicksalsschläge, seien es kleine oder große, trafen augenscheinlich mehr oder weniger alle Menschen, wenn dies auch von der Schwere, der Menge und den Zeitintervallen her gesehen variierte. Man konnte den Eindruck haben, daß hier nach einem Gießkannenprinzip sowohl Schlechtes wie auch Gutes wahllos über die Menschen ausgegossen wurde.

Wer seine Zuflucht nicht zum Zufall nahm, der mußte hier ein irgendwie geartetes, anscheinend ungerechtes göttliches Verteilersystem vermuten - oder an Karma glauben ...

"Gott ist doch die Barmherzigkeit ...", begann ich, wußte dann aber nicht so recht weiter. Ich rechnete schon mit der Aufforderung, meinen Verstand zu gebrauchen, doch das Licht erkannte meine Unfähigkeit, an diesem Punkt durch eigenes Denken weiterzukommen.

Gott i s t die Barmherzigkeit. Wie wolltest du, wie wollte ein jeder ohne Seine Barmherzigkeit wieder in die Himmel finden? Doch Seine Gerechtigkeit gilt allen.

Nimm das Bild einer Waagschale, die sich im Gleichgewicht befindet. Wenn du nun deine Seite zu deinen Gunsten veränderst, so bedeutet dies gleichzeitig, du veränderst die Seite des Nächsten zu dessen Ungunsten. Was wird die Gerechtigkeit tun?

"Sie wird veranlassen, daß das Gleichgewicht wiederhergestellt wird. Das kann nur durch einen Regelmechanismus geschehen, der immer und überall wirkt, sei es im Großen oder Kleinen." Dann rutschte mir heraus:

"Das ist aber eine harte Gerechtigkeit. Sie erinnert mich an 'Auge um Auge, Zahn um Zahn'."

Für wen ist es eine harte Gerechtigkeit? Für dich, der du ein Unrecht begangen hast? Oder für deinen Nächsten, dem Recht widerfährt? Wenn nun nicht du der Verursacher, sondern der Betroffene wärst: Wäre es dann auch eine "harte" Gerechtigkeit, wenn deine Waagschale wieder aufgefüllt und so das Gleichgewicht wiederhergestellt würde?

Schon war ich wieder mit dem Rücken an der Wand. Die Frage erforderte keine Antwort. Mein Licht verspürte, daß mir ein Beispiel helfen würde.

Ich gebe dir ein Bild. Angenommen, du schlägst einen anderen Menschen. Dieser hegt daraufhin einen Groll gegen dich. Du weißt, daß keine Schuld "von alleine" vergeht. So lange also der Groll deines Nächsten besteht, wird er nach einer Möglichkeit suchen, es dir "heimzuzahlen". Vielleicht ergibt sich eine solche Gelegenheit in dieser Woche, diesem Monat, diesem Jahr oder diesem Leben nicht mehr. Wenn sie sich aber ergibt, und wenn dein Nächster seinen Groll dann noch in sich trägt, kann es ohne weiteres geschehen, daß e r diesmal d i c h schlägt. Eure Rollen sind vertauscht.

Für dich, der du nicht mehr daran denkst oder nicht mehr um das damalige Vorkommnis weißt, kommt der Schlag "wie aus heiterem Himmel", ungerecht und grundlos. Euer "Konto" aber ist ausgeglichen, das Gleichgewicht wiederhergestellt.

"Es bleibt ausgeglichen, vorausgesetzt, ich schlage nicht zurück - im guten Glauben, das Recht dazu zu haben ..."

So ist es. Kannst du dir vorstellen, daß es auch eine andere Möglichkeit gibt, den Schlag zu verhindern?

Jetzt wurde es interessant, und langsam ahnte ich auch, auf was mein Licht hinaus wollte. Früher wären mir in etwa folgende Möglichkeiten eingefallen: Dem anderen aus dem Weg zu gehen, einen Selbstverteidigungskurs zu belegen oder sich einen Bodyguard zuzulegen, eine Festung zu bauen oder auszuwandern, falls es sich um eine größere Sache handelte. Unter dem Gesichtspunkt, daß sich keine Energie automatisch "verliert", waren diese Antworten natürlich ebenso falsch wie: "... einfach Gras über die Sache wachsen lassen."

"... umwandeln ... auflösen ..." kam mir in den Sinn. Nur so konnte es gehen, wenn ich den Schlag verhindern und gleichzeitig nicht in Versuchung geraten wollte, durch ein Zurückschlagen meinerseits den Kreislauf von Ursache und Wirkung in Gang zu halten.

"Den Schlag einstecken zu müssen, ihn gewissermaßen als Ausgleich ertragen zu müssen, ist eine Möglichkeit. Die Alternative dazu ist die, mich mit meinem Nächsten zu vertragen. Ich bitte um Verzeihung, er verzeiht mir, sein Groll verschwindet, er schlägt nicht zurück, und die Wirkung der von mir gesetzten Ursache hat sich aufgelöst. Sie wurde praktisch umgewandelt: Aus der negativen Energie des Zorns wurde die positive Energie der Versöhnung."

Die Antwort war klar, die Lösung lag regelrecht "auf dem Tisch". Wenn mir auch die Tragweite des soeben Erarbeiteten noch nicht klar war, so fiel mir doch gewissermaßen ein Stein vom Herzen. Und dennoch dachte ich: "Wenn das immer so einfach wäre ..."

Mein Licht hatte natürlich "mitgehört".

Wir haben noch nicht darüber gesprochen, wie leicht oder schwer so etwas ist. Verfalle nicht in den so häufig gemachten Fehler, zwar ein Prinzip zu bejahen, seine Anwendung aber als so schwierig anzusehen, daß dadurch das Prinzip fast schon wieder in Frage gestellt wird.

Es hatte ja recht. "Entschuldige", sagte ich.

Die Gerechtigkeit erfordert den Ausgleich. Du kennst jetzt die Alternativen: Der Mensch versöhnt sich und macht, soweit dies erforderlich und möglich ist, wieder gut - oder sein Karma trifft ihn früher oder später. Dann muß er ertragen, was ihn trifft; er muß abtragen. Erkennt er sein Unrecht nicht, besinnt er sich nicht, verstrickt er sich womöglich tiefer und tiefer in sein Karma, so bleibt als einziger Weg des Ausgleichs die Abtragung.

Mir kam der Gedanke, wie blind ich viele Jahre meines Lebens verbracht hatte; ähnlich wie mir würde es vermutlich den meisten Menschen gehen. Das Leben schien mir auf einmal ein ganz schön gefährliches Wagnis zu sein: Ich führte einen Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner! Wie sollte ich diesen Kampf je gewinnen? Jetzt wußte ich zwar um die Gefahr, aber damit wurde sie nur geringfügig kleiner.

Mit der Akzeptanz von Karma und Wiedergeburt hatte sich so manche Frage gelöst. Viele blieben aber noch unbeantwortet. Ich nahm mir vor, es so zu halten, wie mein Licht es mir angeraten hatte: Nicht durch scheinbare Schwierigkeiten, Unmöglichkeiten, noch nicht erkannte Lösungen und nicht verstandene Antworten an dahinter wirkenden Gesetzmäßigkeiten zu zweifeln.

Denn es gab schon noch einiges, das mich im Zusammenhang mit dem Karma interessierte: Gab es keine Ausnahmen von der Regel, beispielsweise bei größeren Unglücken oder Katastrophen? Konnte es nicht doch einmal "Unschuldige" treffen? Ließe sich jeder Unfall, jede Krankheit, Behinderung oder Notlage durch Karma erklären? (Die ersten Warnlampen gingen in mir an.) Konnte man von einer Wirkung auf die Ursache schließen? (Immer mehr Warnlampen ...) Konnte man auf Grund eines Karmas, das einer zu tragen hatte ...

Bevor alle Lampen die Gefahr signalisierten, die sich durch ein solches Denken in bezug auf meinen Nächsten ergab, erkannte ich sie und setzte für einen Moment mein Denken aus. Noch war nichts passiert, aber ...

Wessen Bewußtsein reicht aus, die Hintergründe einer euch offensichtlich scheinenden Abtragung zu erkennen? Was wißt ihr über die Seelen, die freiwillig die Schuld anderer auf sich nehmen, damit diese - nicht so belastet - einen Auftrag erfüllen können? Was wißt ihr über die Liebe so mancher Seele zu Gott, die in dem stillen Annehmen ihres Leids eine Möglichkeit sieht, Ihm näherzukommen?

Es gab einen Menschen, dessen Bewußtsein ausreichte: Jesus von Nazareth. In Ihm war die Liebe Gottes inkarniert, der Christus.

Wessen Bewußtsein so weit, so umfassend geworden ist, daß er die Belastungen seines Nächsten erkennt, dessen Liebe ist auch so groß und selbstlos geworden, daß er nicht mehr be- und verurteilen kann. Und er wird erst recht nicht mehr richten. Er kann sehen, kann verstehen, er kann helfen und heilen. Er liebt. Gibt es viele Menschen auf eurer Welt, die dies von sich sagen können?

Ich war wieder einmal still geworden. Mein Licht gab mir so vieles zum Nachdenken. Und das war, wenn ich das richtig sah, ja erst der Anfang. Ich wollte niemals mehr mein Licht verlieren. Es sollte bei mir bleiben, bis ... bis wohin? Das würde sich ergeben. Wir würden uns natürlich in der folgenden Zeit nicht übers Wetter unterhalten, sondern es würde mich lehren, und ich würde lernen.

Es gab noch so viel zu lernen, das hatte ich inzwischen begriffen. Gemeinsame Jahre lagen vor uns, die gewiß nicht langweilig würden. Im Augenblick beschäftigten mich zwei Fragen: Was hatte es mit dem Christus auf sich, den das Licht schon mehrmals erwähnt hatte? Und: Wie konnte ich mein Karma rechtzeitig erkennen, damit der Kampf gegen meinen unsichtbaren Gegner nicht einseitig zu meinen Lasten ausgehen würde, sondern im Gegenteil von mir gewonnen werden könnte?

Eine dritte Frage fiel mir ein: Gegen wen kämpfte ich da eigentlich? Wer zwang mir aus welchen Gründen diesen Kampf überhaupt auf?

Ehe ich überlegt hatte, ob und wie ich meine Fragen richtig formulieren sollte, begann das Licht.

Glaubst du, es wäre für dich leichter, wenn du um dein Karma wüßtest?

"Aber sicher", erwiderte ich spontan.

Eine kleine Pause des Lichtes ließ mich ob meiner Spontaneität ein wenig unsicher werden. "Ich stelle es mir wenigstens vor", schob ich nach.

Kannst du dir dein Karma vorstellen?

"Nein ..." Ich zögerte. Worauf wollte mein Licht hinaus?

Weißt du, wie oft du schon auf Erden warst?

"Nein. Sagst du es mir?" Die Frage war vermutlich sehr dumm, weil das Licht es nicht einmal für nötig hielt, darauf einzugehen.

Wenn du einen großen Berg Kies abzutragen hättest: Wäre es dir dann eine Hilfe, wenn du dir ständig den Umfang der noch nicht erledigten Arbeit bewußt machtest? Wäre das motivierend? Oder wäre es nicht einfacher, du würdest dich auf das konzentrieren, was unmittelbar vor deiner Schaufel liegt?

Jetzt wurde mir klar, was mir mein Licht damit sagen wollte. Es beflügelt einen Menschen nicht, um den Karma-Berg zu wissen, der möglicherweise noch abgetragen oder umgewandelt werden muß.

Im Gegenteil: Allein der Rückblick auf das eigene Versagen dieses Lebens, auf das Erkennen vermeidbarer Fehler, auf das noch anstehende Vergeben-Müssen und die noch auszusprechenden Bitten um Vergebung - das allein kann schon schwer genug sein, um jeden Morgen einen neuen und weitgehend unbelasteten Start in den Tag zu vollziehen. Wie schwer müßte es erst sein, auf die Summe vieler Leben zu blicken, und trotzdem voller Hoffnung, Mut und Freude immer wieder neu zu beginnen, weiterzumachen und durchzuhalten ...

"Du hast es schwer mit mir", sagte ich und meinte es ehrlich. "Manchmal dauert's ein bißchen länger."

Ein Liebelichtstrahl, der mich kurz berührte, war die Antwort. Es war eine Geste des Verstehens und der Ermutigung.

Nach und nach erschließen sich dir die ersten kleinen "Geheimnisse" Gottes. Gott hat in Seiner Gnade deine Erinnerung und die jeder Seele, die zur Inkarnation geht, abgedeckt. Es wäre eine zu große Last, ständig mit dem konfrontiert zu sein, das es noch zu bearbeiten gilt - und dennoch bist du nicht blind in deinem Kampf gegen dich selbst.

Es war ein unscheinbarer, kleiner Nebensatz, und doch ließ er mich aufhorchen. Gegen wen kämpfte ich? Gegen mich selbst? Das war nicht die Antwort, die ich erwartet hatte. Ich verstand wieder nicht.

Und etwas zweites verstand ich ebensowenig: Wenn ich nicht blind war, mußte ich sehend sein. War ich sehend?

Die Menschen stellen sich den geistigen Gegner als die große Finsternis vor, falls sie sich überhaupt etwas vorstellen. Sie denken an den Teufel, an das Riesenreich der Dämonen, gegen das es anzutreten gilt. Vielleicht hilft ihnen diese Vorstellung von einem übergroßen Feind, eine bessere Entschuldigung für ihre Niederlagen zu finden oder auch dafür, daß sie oftmals den Kampf erst gar nicht aufnehmen.

Sicher gibt es die Dunkelheit, das Böse. Sicher gibt es Dämonen und Seelen, die versuchen, Einfluß auf die Menschen zu nehmen. Dies geschieht in einem weitaus größeren Umfang, als ihr es ahnt. Deshalb ist zurecht von dem Kampf der Finsternis gegen das Licht die Rede.

Die Finsternis jedoch braucht Menschen, wenn sie ihren Einflußbereich auf dieser Erde behalten oder - kurzfristig - erweitern will. Sie verführt, belügt, täuscht, schmeichelt, flüstert ein, stachelt auf, streichelt das Ego ... sie bedient sich deiner und aller Schwächen. Ohne diese Schwächen vermag sie nichts, ist sie nichts.

Willst du gegen sie kämpfen, dann kämpfe gegen deine Schwächen. Willst du sie besiegen, dann besiege deine Schwächen. So entziehst du ihr den Boden.

Ich hatte fasziniert zugehört und kaum zu atmen gewagt. Etwas sehr Wichtiges war mir übermittelt worden: Die Dunkelheit war genausowenig abstrakt wie das Licht, wie Gott. Gewiß waren beide nicht so real sicht- und fühlbar wie die Materie; aber ebenso, wie Gott in mir war, konnte das Böse um mich sein. Ich konnte dies nicht verhindern, kein Mensch konnte das. Auch Jesus war in der Wüste versucht worden. Das gehörte wohl zur "Chancengleichheit" für beide Seiten.

Was ich aber verhindern konnte war, daß sich die Ideen und Vorstellungen, die die Finsternis an mich herantrug, in mir breitmachten. Dies war mir möglich, indem ich den Kampf in mir und gegen mich, gegen mein Ego, aufnahm.

Du betrachtest die Finsternis als einen Gegner, als deinen Feind, den es zu besiegen gilt. Dabei kannst du leicht übersehen, daß diejenigen, die die Finsternis gebracht haben, deine Brüder und Schwestern sind. Auch wer sich der Dunkelheit bedient, ist und bleibt ein Kind Gottes, ebenso alle, die auf ihrem Erkenntnisweg die Dunkelheit zur Zeit erforschen.

Es ist für menschliches Empfinden nicht leicht zu verstehen, daß auch der oder die Verursacher des Bösen, wie ihr die Gegensatzkräfte bezeichnet, ihren Platz in den Himmeln haben. Und doch sind es Engel wie du und ich. Wenn vom Kampf gegen die Finsternis die Rede ist, so kann daher niemals deren Vernichtung gemeint sein. Am Ende des Kampfes steht die freiwillige Rückkehr der Abgefallenen, weil sie im Licht der unendlichen Barmherzigkeit und Liebe Gottes ihren Fehler erkannt haben.

Erst viel später konnte ich wirklich verstehen, was mir mein Licht gesagt hatte: Bekämpfe das Negative i n d i r , doch liebe deinen Nächsten, auch wenn er in deinen Augen im Moment das Böse verkörpert. Er ist dein Bruder, deine Schwester.

Nach einer Pause, die ich benötigte, um das Gehörte wenigstens halbwegs einordnen zu können, kam das Licht auf meine Fragen zurück, die noch nicht beantwortet waren.

Du hast den Wunsch in dir, mehr über Christus zu erfahren. Laß uns dies auf morgen verschieben. Soviel vorab: Die Frage nach einer möglichen Hilfe auf dem Weg zurück, die dich des öfteren beschäftigt hat, ist mit Ihm - Christus - beantwortet.

Ich wollte etwas sagen, besann mich aber gerade noch eines Besseren. "Morgen" hatte mein Licht gesagt. Und "übe dich in Geduld", sagte ich mir.

Doch unsere nächtliche Begegnung war noch nicht zu Ende. Fehlte für heute noch etwas? Ja, das Licht hatte nicht vergessen, daß ich wenig mit der Überlegung anfangen konnte, ich sei bei meinem Kampf nicht blind, und noch weniger mit meiner Schlußfolgerung, daß ich dann sehend sein müßte.

Weißt du nicht mehr, daß du deine erste Lektion in "sehen" schon hinter dir hast? Natürlich bist du noch nicht sehend. Wer so lange blind war, braucht Geduld. Doch du bist auf einiges aufmerksam geworden; ich habe dir dabei geholfen. Es betraf dein Fehlverhalten ...

Und ob ich mich erinnerte.

Je aufmerksamer du durch den Tag gehst, je sensibler deine geistigen Antennen werden, um so mehr kannst du die Sprache des Tages erkennen. Es ist d e i n Tag, denn er spricht zu dir so, daß du ihn verstehen kannst. Zu einem anderen Menschen spricht er auf eine andere Art und Weise, so daß jener ihn verstehen kann.

Der Tag teilt dir mit, was es zu bearbeiten gilt. Er zeigt dir deine Schwächen, die Einfallspforten der Finsternis. Und er erinnert dich durch Menschen, Geschehnisse, Emotionen und vieles mehr ununterbrochen an deinen "Karma-Rucksack", wie du es formuliert hast. Er fordert dich durch dein Gewissen, durch Begegnungen und Gespräche auf, an dir und in dir zu verändern, was nicht dem Gebot der Liebe entspricht. Er bringt dir durch seine Sprache, die auf dich zugeschnitten ist, frühere Situationen zu Bewußtsein, in denen du falsch gehandelt hast. Er zeigt dir durch kleine und große Nöte, durch schlimme und weniger schlimme Krankheiten, was dabei ist, sich als Wirkung an dir auszudrücken.

Wenn du gelernt hast, auf deinen Tag zu hören, wenn du seine Signale nicht übersiehst, kannst du so im Laufe der Zeit ein Gespür für deine Vergangenheit bekommen, für das, was noch in dir liegt und sich auch durch dein Verhalten ausdrückt.

"Und dann?" fragte ich.

Dann liegt es an dir, was du mit diesen Impulsen anfängst. Du hast den freien Willen. Du kannst die Sprache des Tages "abschalten", du kannst sie wahrnehmen, aber ihre Botschaft nicht erkennen wollen, oder du kannst beginnen, ihre Hinweise ernstzunehmen.

Tust du Letzteres, wird es ein bewußtes, interessantes und reiches Leben werden.

Eine allerletzte Frage mußte ich noch stellen, obwohl ich die Antwort schon ahnte. Vielleicht war mein Licht heute ein wenig nachsichtig und erinnerte mich nicht wieder sofort daran, meinen Verstand zu gebrauchen ...

"Wenn man wachsam durch den Tag geht, wie ich es lernen möchte, und wenn man daran geht, das Erkannte guten Willens und nach besten Kräften zu bearbeiten: Kann man dann damit rechnen, den eigenen Bumerangs, die noch unerkannterweise unterwegs sind, mehr oder weniger rechtzeitig auszuweichen?"

Keinem bürdet das Schicksal mehr auf, als er zu tragen vermag. Dafür sorgt die Gnade Gottes. Wer die Schritte sieht, die es zu vollziehen gilt, und wer sie dann auch tut, trägt so Stein für Stein seines Karmas ab.

Wer die Warnhinweise, die ihm das Leben gibt, mißachtet, der wird möglicherweise von seiner eigenen Karma-Lawine überrollt. Dann steht er ungläubig und fragend vor den Scherben seines Lebens und klagt den Gott an, an den er Zeit seines Lebens nicht geglaubt hat.

Ich war erfüllt, stille und voll tiefen Friedens. Von mir aus hätte diese Nacht kein Ende nehmen müssen. Doch ich fühlte, daß wir uns dem Ende unserer Unterhaltung näherten. Nicht zum ersten Mal überraschte mich, wie genau "dosiert" mein Licht mich aufklärte, wie genau es mich führte. Nie zu wenig, nie zu viel, für mich wie "maßgeschneidert". Ich sagte es ihm.

Nimm dir ein Beispiel daran, schien ein letzter Strahl seiner Liebe zu sagen. Überfordere auch du deinen Nächsten nicht. Reden ist Silber, lieben ist Gold.

 

*

 

Anne kam gegen Mittag. Wir nahmen uns in den Arm und hielten uns für einen Moment fest. Dann trat sie, mich noch immer haltend, einen kleinen Schritt zurück und schaute mich an.

"Bist du zufrieden mit dem, was du siehst?" fragte ich.

Schalk blitzte in ihren Augen auf. "Nicht schlecht, aber auch nicht ganz gut."

"Und wie soll ich das verstehen?"

Ihre Hand fuhr über mein Haar. "Die grauen Stellen setzen sich langsam durch ..."

"Du hast doch immer für ältere Herren mit grauen Schläfen geschwärmt."

Sie ließ sich nicht beirren. "... aber die lichten Stellen leider auch." Ich drehte sie herum und wollte ihr einen Klaps geben, doch sie wich mir aus. Dafür drehte sie sich einmal um sich selbst und fragte mich dann übermütig: "Und du? Bist du auch zufrieden mit dem, was du siehst?"

Je älter sie wurde, um so ähnlicher wurde sie ihrer Mutter. "Wie könnte ich damit unzufrieden sein", antwortete ich. Ich nahm sie bei der Hand. "Aber mal im Ernst, wie geht es dir?"

Inzwischen waren wir ins Wohnzimmer gegangen. Anne fragte, ob sie Kaffee für uns zwei machen sollte.

"Später". Jetzt blieb ich hartnäckig. "Du hast meine Frage noch nicht beantwortet." Ob das ein gutes oder schlechtes Zeichen war, fragte ich mich.

"Also gut", sagte Anne, "komm', setzen wir uns für einen Moment." Sie schaute mich an. "Bist du noch der Alte?"

Was kam jetzt? Natürlich war ich noch "der Alte"; andererseits, wenn ich an mein Licht dachte ...

Anne wartete meine Antwort nicht ab, vielleicht hatte ich auch zu lange gezögert. "Weißt du noch, was du früher konntest?" Ich schaute sie fragend an, sie machte weiter. "Du hattest so eine Art sechsten Sinn. Wenn mich was beschäftigte, hast du es oft erfaßt, ohne daß ich es dir groß erklären mußte. Meinst du, du kannst es noch?"

Ich lächelte, weil mir einige der Gelegenheiten einfielen, auf die Anne anspielte. Sie nahm das als Zustimmung. "Dann versuch's doch mal; spüre in mich hinein."

Es klappte noch, es war gar nicht schwer. Sorgen schien sie keine zu haben, im Gegenteil ... Das Gegenteil von Sorgen ist Freude. Eine junge Frau in diesem Alter voller Freude, und dann diese Augen, das konnte nur eines bedeuten ...

"Du bist verliebt", sagte ich.

So war es. Später, bei einer Tasse Kaffee und selbstgebackenem Kuchen, den Anne mitgebracht hatte, erfuhr ich mehr. Er war zwei Jahre älter als sie, hieß Michael, studierte Musik - "... und liebt mich - und ich ihn", beendete sie schließlich ihre Geschichte.

Ich freute mich für sie und sagte es ihr. Vor drei oder vier Jahren, erinnerte ich mich, als sie schon einmal bis über beide Ohren verliebt war, konnte ich noch nicht so frei reagieren wie jetzt. Ein Stückchen Eifersucht war damals in mir gewesen - nicht viel, aber bei näherem und ehrlichem Betrachten auch nicht zu übersehen. Der Vater hat wohl langsam ausgedient, hatte ich mir eingeredet. Völlig zu unrecht, wie sich herausstellte, und ich vor mir selbst beschämt eingestehen mußte. Ein wenig hatte natürlich auch die Sorge mitgespielt, ob sie "dem Leben schon gewachsen" war.

Wir überlegten gemeinsam, was wir an diesem Wochenende machen wollten. Wie sich herausstellte, hatte Anne nur bis Sonntag mittag Zeit. Ihr Dienst als Krankenschwester ließ dies leider nicht anders zu. Also teilten wir uns die Zeit entsprechend ein und nahmen uns einen Besuch auf dem Friedhof vor, weil Anne zum Grab ihrer Mutter wollte, und das Durchsehen meiner Kleidung nach losen oder fehlenden Knöpfen, nach möglichen Löchern in Strümpfen, ausgeleierten Gummibändern in Schlafanzug- und Unterhosen und so weiter (Anne bestand darauf; als Tochter eines alleinstehenden Vaters wäre das ihre Pflicht, meinte sie augenzwinkernd). Eine gemeinsam zubereitete Pizza würde uns am Abend die Zeit geben, um noch manches miteinander besprechen zu können.

So hielten wir es. Auf dem Friedhof kümmerten wir uns um das Grab, indem wir ein bißchen an der niedrigen Hecke herumschnitten, die wir einmal als Eingrenzung gepflanzt hatten, und ein paar verwelkte Blätter und Blüten auszupften. Ich ging nicht oft auf den Friedhof, weil ich schon früher die Meinung vertreten hatte, die durch das Licht zur Gewißheit geworden war: Daß unter der Erde niemals meine Frau liegen konnte, sondern nur eine körperliche Hülle, die inzwischen auch nicht mehr existierte. Wollte ich meiner Frau nahe sein, konnte ich dies tun, wo immer ich war. Aus diesem Grund war auch das Grab entsprechend schlicht.

Es mußte an der Atmosphäre des Friedhofs liegen, daß meine Gedanken sich ununterbrochen mit der Wahrheit beschäftigten, die mir mein Licht nahegebracht hatte. Dabei stellte ich mir die Frage, wann und wie ich Anne von dem Geschenk erzählen sollte, das ich des Nachts bekam. War vielleicht die stille Bank in unserer Nähe der geeignete Ort? War die Gelegenheit hier und jetzt die richtige?

"Warum willst du es ihr erzählen?" Sie ist meine Tochter, sie ist mir nahe. "Warum ...?" Wenn sie da gewesen wäre, als das passierte, hätte ich es ihr zuerst erzählt. "Warum ...?" Gibt es einen Grund dafür, warum nicht? "Würde es ihr helfen?" Peter habe ich es doch auch nicht verschwiegen.

"Ist was, Papa?"

"Bitte?" Ich schaute aus meiner gebückten Haltung zu Anne empor.

"Ich habe für einen Augenblick geglaubt, du führst Selbstgespräche. Du scheinst irgend etwas gemurmelt zu haben ..."

Mir war tatsächlich nicht aufgefallen, daß ich mich in Form von Frage und Antwort mit mir selbst unterhielt und dabei einiges halblaut ausgesprochen haben mußte. Schnell versuchte ich, das Ganze ins Lächerliche zu ziehen. "Das ist die Folge, wenn man so einsam und allein ist."

"Armer Kerl." Ihre Augen blitzten. "Wenn wir wieder zu Hause sind, bedaure ich dich ein bißchen."

"Hüte dich," schloß ich das Thema ab und widmete mich wieder unserer kleinen, gemeinsamen Arbeit. Jetzt paßte ich besser auf mich auf.

Peter habe ich es doch auch nicht verschwiegen. Gut, das Erlebnis war damals zu überwältigend gewesen, ich mußte mich jemandem mitteilen. Peter war da, und Peter war mein Freund. Außerdem war er mir eine sehr große Hilfe gewesen, als es in dieser Anfangsphase darum ging, die richtigen Schlüsse zu ziehen und uns durch gegenseitiges Fragenstellen und Antwortenfinden weiterzuführen. Inzwischen hatte das Licht mit seinen Belehrungen eine geistige Tiefe erreicht, in die der Verstand - mein Verstand - alleine nicht weiter eindringen konnte, auch wenn er nach wie vor seinen Teil an unserer Arbeit leisten mußte. Bald, das spürte ich, war darüber hinaus ohnehin die Praxis gefordert.

Hatte es also Sinn, Anne an diesem Wochenende mit Wissen und Erkenntnissen zu überschütten? "Reden ist Silber, lieben ist Gold." Und wenn ich ihr soviel sage, daß sie es gerade verstehen kann? Daß es ihr eine Hilfe ist? "Wenn es dir darum geht, ihr zu helfen, dann mach' es anders" Wie? "Laß die Dinge doch einfach geschehen. Oder glaubst du an den Zufall?"

Anne hatte diesmal nichts gemerkt. Sie unterbrach meinen Gedankenstrom mit der Frage nach dem Grab eines gemeinsamen, früheren Bekannten. Ich erklärte ihr in etwa die Lage; und während sie sich aufmachte, um danach zu suchen, entschied ich mich, das Licht vorerst nicht zu erwähnen.

Zu Hause fand Anne dann nach längerem Durchsuchen meiner Schränke in der Tat einiges, das sich in ihren Augen zu flicken lohnte. Ich gab mich nach einem kleinen Disput geschlagen; ich wollte ihr die Freude nicht nehmen, die sie offensichtlich dabei empfand, ihren Vater vor Verwahrlosung zu schützen. Außerdem versprach sie mir, diese Art von Hausdurchsuchung frühestens erst wieder in einem Jahr durchzuführen.

Während sie sich also mit Nadel und Faden über einen Handtuchaufhänger hermachte, der drohte, in den nächsten Tagen abzureißen, fragte sie mich:

"Was ist eigentlich aus deiner Saat und Ernte oder Ernte und Saat geworden? Du hast vor ein paar Tagen am Telefon so ... so komisch geklungen."

"Habe ich das?" antwortete ich, um Zeit zu gewinnen.

"Ja, du hast dich angehört, als könntest du entweder etwas nicht glauben oder hättest gerade das Rad erfunden. Oder beides auf einmal. Außerdem hast du gesagt, wenn ich das richtig im Gedächtnis habe, du hättest mir vieles zu erzählen. Gilt das noch?"

Jetzt war ich an der Reihe. Was sollte ich ihr sagen? Ich hatte mich inzwischen dazu durchgerungen, ihr einen kleinen Teil der Geschichte zu erzählen - den Teil, der auch ohne die Erwähnung der Lichterscheinung möglich und auch noch logisch war. Es ging mir nicht darum, ihr eine noch unbekannte Wirklichkeit vorzuenthalten. Im Gegenteil, ich wünschte ihr, daß diese Wahrheit auch zu einem Teil ihres Lebens würde. Doch ich begann zu begreifen, daß die Schritte dorthin, die richtigen Schritte, oftmals viel wichtiger waren als die Darreichung oder Darstellung des Ergebnisses - und sei dieses auch noch so richtig, noch so klar und noch so wahr. Schließlich hatte auch ich dies am eigenen Leib durch mein Licht erfahren, das mich auch nicht von einem Augenblick zum anderen mit der Wahrheit konfrontierte.

Also redete ich von dem, was mich in den letzten Tagen beschäftigt hatte, was mich auf einmal interessierte. Anne war eine gute Zuhörerin. Ich hatte bei ihr auch nicht zu befürchten, daß sie mich für verschroben oder wunderlich hielt, was sie mir gegenüber aber nicht kritikunfähig machte. Ich sprach von meinem Besuch in der Stadtbücherei, von der Lektüre, die ich gelesen hatte und davon, daß mir in diesem Zusammenhang das Gesetz von Ursache und Wirkung klargeworden war, wobei sie mir mit ihrem Hinweis am Telefon geholfen hätte.

"Schlußendlich", sagte ich, meine Teilgeschichte der letzten Tage abschließend, "hat mir das alles zu einem anderen Bild von Gott verholfen. Darüber aber zu sprechen, das ist noch zu früh."

Eine Zeit lang herrschte Schweigen zwischen uns. Es war die gleiche angenehme Stille, die ich auch so gut mit Peter teilen konnte. Dann, während sie sich einen meiner Socken vornahm, sagte sie:

"Papa, weißt du eigentlich, daß ich manches von dir gelernt habe?"

"Das hoffe ich." Wir zwei konnten es einfach nicht lassen. "Außerdem scheint mir das eine wichtige Funktion der Erziehung zu sein, daß die Kinder von den Eltern lernen." Ich fügte hinzu: "Auch wenn das heutzutage vielen als altmodisch erscheint."

"Jetzt muß ich aber die Kinder verteidigen", erwiderte sie. "Man kann nur lernen, wenn man etwas richtig vorgemacht bekommt."

"Also haben die Eltern den 'Schwarzen Peter'. Hab ich's doch befürchtet."

"Nein, im Ernst."

"Natürlich hast du recht. Nur habe ich das früher, ganz früher, nicht begriffen. Da habe ich noch gedacht, daß die Kinder nur dann einigermaßen gut geraten, wenn sie das tun, was ihre Eltern ihnen sagen."

"Das meine ich ja gerade, Papa. Und dann hast du was anders gemacht." Anne langte für einen Moment nach meiner Hand. "Das hat's mir dann leichter gemacht."

Ich wußte, was sie meinte. Mich hatte über viele Jahre eine Frage beschäftigt, deren befriedigende Antwort ich lange Zeit nicht gefunden hatte: Wie konnte ich mein Kind dazu bewegen, gut und richtig zu handeln, ohne es mehr oder weniger dazu zu zwingen, falls es nicht freiwillig dazu bereit war? Im Prinzip ging es darum, ob auch ein Kind Anspruch auf seinen freien Willen hat - von grundsätzlichen Fragen der Verantwortung des Erwachsenen einem Kind gegenüber einmal abgesehen. Denn Druck auszuüben, im schlimmsten Fall gar den Willen gewaltsam oder durch die Anwendung psychologischer Mittel zu unterdrücken, ließe sich in meinen Augen nicht mit dem Wunsch vereinbaren, freie und verantwortungsbewußte Menschen zu erziehen. Selbst wenn eine solche "Programmierung" zu einem "guten" Menschen führt, der "richtig" handelt, mußte dieser Weg der falsche sein.

Anne und ich hatten, soweit ich mich erinnern konnte, nie über dieses Thema gesprochen. Deshalb wunderte ich mich jetzt.

"Du bist mir in einigen Dingen ein Vorbild geworden." Sie winkte ab, als ich protestierend die Hand hob. "Das war nicht immer so, deshalb sollst du dir auch nichts darauf einbilden. Aber du hast ja noch rechtzeitig gelernt. Und dann konnte auch ich etwas damit anfangen."

Ehe ich fragen konnte, was sie konkret meint, sagte sie: "Mama war mir übrigens auch Vorbild. Vielleicht", wieder dieses Blitzen in den Augen, "hast du es ja auch von ihr gelernt."

"Vielleicht verwechselst du mich auch ..."

Sie wurde jetzt wieder ernst. "Ich habe mich oft gefragt, was es gewesen ist oder noch ist, das uns so nahe gebracht hat - näher, als wir uns sowieso schon immer waren. Heute weiß ich es, und ich habe mir vorgenommen, es später nicht anders zu machen. Ich glaube, das Geheimnis liegt darin, etwas, das man als richtig erkannt hat, vorzuleben und nicht vorzureden. Und dabei den anderen trotzdem völlig los und frei zu lassen. Das muß schwer sein, wenn man sieht, daß der andere eigene Wege geht. Es muß noch schwieriger sein, ihn gleichzeitig im Herzen zu behalten ..."

"So war es aber bei dir nicht", unterbrach ich sie.

"Nein, ich war ja auch ein 'braves Mädchen'. Aber ich hatte meinen eigenen Kopf, meine eigenen Vorstellungen, auch ich habe rebelliert."

"In Grenzen."

"Ich glaube, das habe ich dir zu verdanken. Das ist es, was ich meine, von dir gelernt zu haben. Unter anderem."

Ich fühlte mich nicht so recht wohl in meiner Haut; eigentlich hätte es nach dieser Eröffnung durch meine Tochter umgekehrt sein müssen. Doch etwas beschäftigte mich: Wenn nur eine kleine Änderung im Verhalten, die Befolgung eines Gesichtspunktes des Liebegebotes und das Fehlen von Zwängen einen solch positiven Widerhall im Nächsten hervorrufen können, um wieviel mehr hätte man - hätte ich - helfen können, wieviel mehr könnte bewirkt werden durch Achtsamkeit und durch das Anlegen gleich welchen Maßstabes an sich selbst zuerst.

"Wie bist du darauf gekommen?" fragte ich.

"Mir ist etwas aufgefallen, nicht erst heute", war ihre Antwort. "Früher, wenn du eine Idee hattest, vermißte ich bei dir die Toleranz. Nicht, daß die Ideen oder Vorstellungen falsch waren; sie mußten nach Möglichkeit nur für alle gelten, am besten noch von der gleichen Minute an. Heute bemerke ich die Toleranz an dir."

"Ich danke dir für deine hohe Meinung. Sie ist nur bedingt richtig, und zwar insofern, als ich noch übe."

"Komm, freu' dich und sei dankbar." Sie legte ihr Nähzeug zur Seite und rutschte zu mir auf die Couch. "Ich weiß, daß du mir Zeit läßt, über das nachzudenken, was du mir eben alles erzählt hast. Und das ist es auch, was ich meine: Du legst keine Power mehr in deine Aufklärung. Der Herr Lehrer ist verschwunden." Sie kniff mir in die Seite. "Der Papa ist da."

Ich legte meinen Arm um sie, und eine Weile sagten wir nichts. Ihren Kopf hatte sie an meine Schulter gelegt. So saßen wir da; ich konnte nicht verhindern, daß mein linkes Auge etwas feucht wurde. Dann atmete ich tief und sagte:

"Du, Anne ..."

"Ja, Papa?"

Ich zögerte - zu lange. Der Augenblick war vorüber. "Nichts", antwortete ich.

"Dann will ich dir was sagen. Ich habe noch mehr von dir gelernt. Ich kann auch in dich hineinspüren."

Ich war gespannt. "Dann versuch's mal."

"Du wolltest sagen: 'Ich hab' dich lieb'." Es folgte eine kleine Pause. "Ich dich auch."

"Auch Eltern können von ihren Kindern lernen", dachte ich und hielt mich für einen sehr glücklichen Vater.

 

*

 

Eine gute Stunde später begannen wir mit den Vorbereitungen für unsere Pizza. Anne übernahm die Führung; ich machte mich unter ihrer Anweisung daran, die notwendigen Zutaten heranzuschaffen. Einiges, von dem sie vermutete, daß es in meiner Küche fehlen würde, hatte sie vorsichtshalber mitgebracht.

Anscheinend beschäftigte sie noch unser Gespräch von vorhin - oder ein damit zusammenhängender Themenkreis; denn während sie den Teig knetete, fragte sie mich:

"Irgendeine östliche Religion sagt 'Der Weg ist das Ziel'. Was hältst du davon? Glaubst du, daß es so ist?"

Ich hatte mich, bedingt durch das Erscheinen meines Lichtes, in den letzten Tagen immer wieder einmal unter verschiedenen Aspekten mit dieser Frage befaßt. Es war schon eigenartig, daß Anne sie mir jetzt ebenfalls stellte. War ich eigentlich schon zu einer Antwort gekommen? Noch zu keiner endgültigen, stellte ich fest. Vielleicht schafften wir es ja gemeinsam.

"Am liebsten würde ich j-ein sagen, aber das wäre keine Antwort auf deine Frage." Ich überlegte noch, als sie weitersprach:

"Das hört sich für mich an wie 'Mache dich mal auf den Weg, das allein ist schon Sinn und Zweck genug'. Das ist mir zu wenig, zu unklar."

"Wie kommst du überhaupt darauf?" wollte ich wissen. "Eine verliebte, junge Frau ..."

Sie nahm mir das Olivenöl aus der Hand. "Verliebt sein heißt ja nicht, nur noch blind durch die Welt zu laufen ... Ich hatte mal einen Vater, von dem weiß ich, daß er schon mit zwanzig Jahren gesagt hat, er würde die Welt verändern, wenn er es könnte." Sie zupfte mich an meiner Nase, ich rieb einen Rest Tomatenketchup weg. "Hast du's geschafft?"

"Und ich hatte mal eine Tochter, die hat vergessen, was sie gelernt hat: 'Du sollst Vater und Mutter ehren ...'"

"'... auf daß es dir gut geht auf Erden' oder so ähnlich. Mir geht's doch gut. Schau mich an." (Wie gesagt, wir konnten es nicht lassen.) "Und weil ich als Apfel nicht weit von meinem Stamm gefallen bin, habe ich auch eine Portion geistigen Hungergefühls mitbekommen. Oder wie man es sonst bezeichnen will. Warum sollte ich mich also nicht nach meinem Weg oder meinem Ziel fragen? Wer weiß, vielleicht finde ich irgendwann oder irgendwo die Antwort."

Wir waren wieder ernst geworden. "Ich glaube, daß es ohne Ziel nicht geht. Das ist das eine; und ich glaube andererseits, daß man eine klare Vorstellung von dem Weg braucht, der zum Ziel führt, auch wenn dieser Weg an jeder Ecke oder Kreuzung Überraschungen mit sich bringt. Ich interpretiere deinen Satz so - nein, falsch, ich würde ihn so gar nicht sagen, sondern: 'Hab' ein Ziel, kenne und geh' deinen Weg, laß dich führen, sorge dich nicht - und du kommst ans Ziel'." Und um nicht den Eindruck zu erwecken, ich würde schon danach leben, fügte ich hinzu: "Theoretisch, versteht sich ..."

"Und praktisch?"

Beinahe hätte ich mich verraten, weil ich sagen wollte, daß ich dies vielleicht in ein paar Wochen, Monaten oder Jahren erklären könnte. Ich fragte stattdessen: "Soll ich den Käse reiben?"

"Und praktisch ...?"

Die Hartnäckigkeit hatte sie wohl auch geerbt. "Ja ... praktisch ...", antwortete ich. "Praktisch bedarf es einiger Voraussetzungen."

"Zum Beispiel des guten Willens ..."

"... der Erkenntnis ..."

"... der Freude und der Entscheidung." Sie schaute mich auffordernd an. "Jetzt bist du wieder dran."

"Vor allem bedarf es der Freiheit. Alles, was dich unter Druck dazu bewegen soll, etwas Bestimmtes zu denken, zu sagen oder zu tun, kann auf Dauer niemals wirkliche, ehrliche Früchte tragen. Bei dir nicht, bei keinem." Jetzt waren wir doch wieder bei unserem Thema von vorhin.

Anne hatte inzwischen den Teig fertig. Sie stellte die Schüssel an einen warmen Platz in die Nähe des Heizkörpers im Wohnzimmer und kam in die Küche zurück.

"Dann wird aber überall auf der Welt viel falsch gemacht", meinte sie.

"Und sowohl die Betroffenen als auch diejenigen, die ihre Befehle, Anordnungen, Vorschriften und Verbote erlassen und durchsetzen, merken nichts von der Unwirksamkeit ihrer Methoden, denn augenscheinlich funktioniert ja vieles auf diese Art und Weise bestens."

"Erklärst du mir das genauer?" fragte sie.

"Aber nur, wenn du nicht anfängst zu weinen. Obwohl es schon traurig ist", gab ich zur Antwort.

"Das kommt doch nur von den Zwiebeln." Sie wandte den Kopf beim Schneiden ein wenig zur Seite, um das Tränen der Augen zu mildern. "Tust du's?"

"Eigentlich ist es ganz einfach", begann ich. "Es kommt einzig und allein darauf an, welche Interessen du vertrittst: deine eigenen oder die des anderen."

"Ob du ihm wirklich etwas Gutes tun willst oder es nur so verpackst, daß er es annehmen kann. Oder noch schlimmer: Ob du ihm Angst machst, mit Strafe drohst und auch strafst, nur damit er das tut, was du möchtest. Meinst du es so, Papa?"

"Ja. Wenn es klappt, dann scheint die Welt einigermaßen in Ordnung zu sein. Ist sie dies aber tatsächlich? Ist sie ruhiger geworden, besser oder friedfertiger? Hat sich der einzelne auf Grund seiner Erkenntnis und seiner freien Entscheidung geändert? Oder hat er nur aus Angst ein äußeres Verhalten an den Tag gelegt, das seinem inneren Empfinden und Denken nicht entspricht? Wenn dies so ist", sagte ich, "und ich glaube, daß es fast überall so praktiziert wird, hat sich in Wirklichkeit nichts geändert, nichts gebessert. Im Gegenteil ..."

"Warum im Gegenteil? Es herrscht nach deiner Auffassung, die ich sogar teile, zwar eine aufgesetzte 'Ruhe im Land', in Staat, Kirche und Gesellschaft, aber immerhin - es ist eine gewisse Ruhe ..."

Ich brauchte einen Moment, um mir über etwas klarzuwerden. "Mußt du den Herd vorheizen?" fragte ich, um Zeit zu gewinnen.

"Aber Papa ..."

Ich überlegte laut. "'Im Gegenteil' bedeutet, daß sich beide in einer trügerischen Hoffnung wiegen. Die 'Oberen', weil sie glauben, alles Richtige und Notwendige angeordnet zu haben, und die 'Unteren', weil sie nichts mehr in Frage stellen, sondern ebenfalls der Meinung sind, mehr kann und braucht man nicht tun." Jetzt hatte ich's, genau das war es. "Wer sich jemandem auf einem gefährlichen Weg blindlings anvertraut, ohne den eigenen Verstand zu gebrauchen, der enthebt sich oftmals fälschlicherweise der Verantwortung, für sich selbst den Weg zu suchen. Das Bedürfnis, etwas selbst tun zu müssen und zu können, kommt gar nicht mehr auf. Es kann unter Umständen auch gar nicht mehr aufkommen, weil durch ein jahrelanges Unterordnen und Verdrängen des eigenen Empfindens eine Art 'Umprogrammierung' stattgefunden hat. Man hat sich tatsächlich geändert - im Äußeren. Man hält dieses angepaßte Verhalten für eine Besserung seines eigenen Menschen. Was wirklich darunter liegt und einer tiefgreifenden Bearbeitung oder Entwicklung bedarf, ist verschüttet. Was soll man noch verändern, noch entwickeln, wenn man nichts mehr erkennt? Das ist das wirklich Gefährliche."

"Um bei deiner Überlegung zu bleiben: Viele würden aber vielleicht einen falschen Weg gehen, wenn sie den gehen, den sie für richtig halten", antwortete meine Tochter.

"Ich habe das Gefühl", sagte ich, "daß wir langsam auf den Punkt kommen." Anne hatte die Pizza inzwischen in den Ofen geschoben.

"Schaffst du die Lösung in 20 Minuten?" fragte sie. "Dann ist die Pizza nämlich fertig."

"Mit deiner Hilfe schaffen wir das dreimal. Gibt es überhaupt einen falschen Weg?"

Sie schaute mich überrascht an. "Gibt es den nicht?"

"Meines Erachtens kommt es wiederum auf mein Motiv an, das meinem Verhalten gegenüber meinem Nächsten zugrunde liegt. Wenn für mich Erkenntnis und Entwicklung in freier Entscheidung Voraussetzungen sind, um an mein Ziel zu kommen, so gilt dies für jeden Menschen. Jeder hat Anspruch darauf, also auch mein Nächster." Ich fragte Anne: "Hast du bei deiner Entwicklung, bei deinem Lernen Fehler gemacht?"

"Aber sicher, schließlich lernt man doch aus Fehlern. Ohne Fehler zu machen, kann man höchstens auswendig lernen." Sie dachte einen Moment nach. "Aber das ist dann kein Lernen, das mir in Fleisch und Blut übergegangen ist und mir hilft."

"Würdest du deiner besten Freundin oder deinem Michael oder mir verweigern, lernen zu dürfen?"

"Natürlich nicht ..." Sie fing an zu begreifen. "Dann darf ich auch nicht verhindern, daß du deine Fehler machen darfst, machen
mußt ..."

"Es sei denn, du willst mich in meiner Entwicklung, meiner Entfaltung hindern."

"Aber ich darf dir helfen, Papa."

"Und ob, du hilfst mir ja ständig." Ich lächelte sie an. "Wenn du als Ältere einer Jüngeren, als Größere einer Kleineren oder als Wissende einer Unwissenden helfen willst, und deine Motivation uneigennützig ist, dann wirst du das Wohl des anderen Menschen im Auge haben. Du wirst helfen, aufklären, vormachen, vorleben und dort, wo es nötig ist, auch schützen. Aber du wirst den Weg des anderen, der ausschließlich sein Weg ist, den nur er gehen kann und gehen muß, niemals behindern ... es sei denn, du willst ihn in Unwissenheit und Unfreiheit halten."

Sie schaute mich mit ihren großen, braunen Augen an. "Ist das schwer?"

"Frag' mich was Leichteres", antwortete ich, "ich weiß es noch nicht."

Sie kam zu mir herüber und nahm mich in den Arm. "Ich glaube, jetzt schwindelst du", sagte sie und legte ihren Kopf an meine Schulter. "Dann gibt es gar keinen falschen Weg. Höchstens Umwege ..."

"Selbst das ist fraglich", entgegnete ich. "Aus einer höheren Sicht, da bin ich sicher, gibt es nur einen Weg, weil jeder Mensch nur auf diesem, seinem eigenen Weg gehen kann. Auf anderen Wegen kann er sich nicht entsprechend entwickeln und reifen ..."

"... und ohne Entwicklung und Reifung kommt er nicht zum Ziel", vervollständigte Anne meinen Satz. "Dann muß ich nur noch herausbekommen, wo mein Ziel liegt. Den Weg dahin hast du mir ja schon verraten."

Ich tat nicht nur erstaunt, ich war es wirklich. "Was habe ich verraten?" fragte ich. "Ich kenn' den Weg ja noch gar nicht" - noch kaum, fügte ich in Gedanken hinzu.

"Du hast gerade von helfen, vormachen, vorleben, schützen, freiem Willen und ähnlichem gesprochen. Das läuft für mich unter dem Begriff, jemanden mögen - ihn zu lieben."

"So wird es wohl sein", murmelte ich. "Ich glaube, die Pizza ist fertig."