Auf dem Konzil zu Konstantinopel (553) waren die Person und die
Lehre des Origenes verurteilt worden. Davon betroffen war u. a. auch die Idee
von der Präexistenz, der Seelenwanderung und der Reinkarnation als Bestandteil
seines Weltbildes.
1. Das Leben des Origenes (185-254)
Origenes stammte aus einer wohlhabenden ägyptischen Familie. Seine Eltern waren
— ebenso wie einige seiner Vorfahren — Christen. Seine Heimatstadt Alexandrien
war damals eine Hochburg griechischer Bildung und Wissenschaft; die Christen
stellten dort eine Minderheit dar. Den ersten Unterricht erhielt Origenes von
seinem Vater, der ihn schon früh mit der Bibel vertraut machte. Später ging er
in die Schule des Neuplatonikers Ammonius Sakkas (gest. ca. 242) zu Alexandrien,
aus der auch Plotin (205—270) kam.
Im Jahre 202 starb Leonidas, der Vater des Origenes, den Märtyrertod. Als nun
das väterliche Vermögen eingezogen wurde, musste er für seine Mutter und seine
sechs Geschwister sorgen. Er erteilte schon in jungen Jahren Unterricht auf dem
sprachlichen und geschichtlichen Sektor. Aber bald schon widmete er sich dem
theologischen Unterricht.
Einigen Quellen zufolge war Origenes bereits ab 202/203 Leiter der
Katechetenschule in Alexandria - als Nachfolger des Clemens aus Athen. Nach
anderen Quellen ist dies so zu verstehen, dass diese Schule als Institution erst
ab 217 bestand und vorher dort private Lehrtätigkeit ausgeübt wurde. Origenes
hatte die Leitung der alexandrinischen Katechetenschule bis 231 inne.
Origenes lebte in strenger Askese. Er verteidigte den Glauben der Kirche
gegenüber häretischen Gruppen, deren es in Alexandrien viele gab (z. B.
Gnostiker).
Der Unterricht in der Katechetenschule zu Alexandrien war nicht mit dem üblichen
Taufunterricht der Kirche zu vergleichen. Zur Zeit der Christenverfolgung war
auch ein geregelter Unterricht nicht möglich. Es dürfte so gewesen sein, dass
anfangs Heiden zu Origenes kamen, um etwas über seinen Gott zu erfahren; von
ihnen starben einige als Märtyrer.
Auch später war es den gebildeten Heiden, die seinen Unterricht besuchten,
völlig freigestellt, ob sie sich taufen ließen oder nicht. Auch getaufte
Christen erweiterten und vertieften ihren Glauben bei Origenes. Seine Schüler
lernten durch ihn auch andere Glaubensformen kennen, um sich mit ihnen
auseinandersetzen zu können.
Zum Unterricht gehörten auch Mathematik, Geometrie, Astronomie und die übrigen
antiken Wissenschaften. Das Ziel des ganzen Unterrichts war die Theologie. Der
Weg über die weltlichen Wissenschaften sollte die Menschen lehren, durch das
Kennenlernen der Schöpfung Einsichten zu gewinnen. Dazu aus seinem Werk „De
principiis" I, 1,6:
„Unsere Vernunft erkennt also, da sie Gott nicht an sich, so wie er wirklich
ist, betrachten kann, aus der Pracht seiner Werke und der Schönheit seiner
Geschöpfe den Vater des Alls."(Görgemanns/Karpp
S109))
Die letzte Wahrheit sollte schließlich in den Worten Christi erkannt werden. Den
Unterricht für die „Fortgeschrittenen" leitete Origenes selbst. In der
Katechetenschule wurde aber auch „Elementarunterricht" erteilt.
Bedeutendes leistete Origenes auf dem Gebiet der Bibelforschung: Er erlernte die
hebräische Sprache, um dann den Urtext mit allen ihm bekannten griechischen
Übersetzungen zu vergleichen (dieses Werk ist bekannt als „Hexapla").
Origenes unternahm mehrere Reisen: nach Rom; später zum Statthalter der Provinz
Arabien, der seinen Unterricht wünschte; von dort nach Palästina. Im Jahre 218
oder 222 wurde Origenes von der Mutter des Kaisers Severus Alexander, Julia
Mammäa, nach Antiochien eingeladen, um ihr einiges von seiner Theologie
vorzutragen.
Als Origenes, der inzwischen zu großer Berühmtheit gelangt war, im Jahre 231
wiederum nach Palästina reiste, wurde er dort zum Presbyter geweiht. Bischof
Demetrius von Alexandrien - wohl eifersüchtig auf seinen Ruhm — nahm dies zum
Anlass, um Origenes auf zwei ägyptischen Synoden verurteilen zu lassen; der
Grund war, dass eigentlich Demetrius für diese Weihe zuständig gewesen wäre und
nicht der Bischof von Jerusalem. Origenes wurde exkommuniziert und ausgewiesen.
Er begab sich daraufhin nach Cäsarea, wo man das Urteil nicht anerkannte, und
gründete dort eine neue Schule, die bald hohes Ansehen genoss. In Cäsarea
schrieb Origenes einen Großteil seiner Werke.
Oftmals bekam Origenes den Auftrag der Kirche, häretische Gruppen wieder auf den
Boden des rechten Glaubens zu bringen. Deshalb war er auch oft auf
Synodalverhandlungen zugegen.
Während der Christenverfolgung unter Kaiser Decius im Jahre 249 wurde auch
Origenes in den Kerker geworfen und gefoltert; er sollte verbrannt werden,
erlangte jedoch die Freiheit wieder und starb im Jahre 254 entweder in Cäsarea
oder in Tyrus.
2. Die Lehre des Origenes
Die Lehre des Origenes wird im folgenden anhand seines Werkes „De principiis" (griech.:
Peri archon) aufgezeigt, das innerhalb seiner Schriften eine besondere Stellung
einnimmt und das schließlich zu seiner Verurteilung führte. Dieses Werk gilt als
die erste systematische Darstellung der christlichen Glaubenslehre.
Nach einem Bericht des Hieronymus in Epistula 84,10 war dieses Werk von Origenes
nur für einen kleinen Kreis gedacht; ein Freund und Gönner habe es erst später
allgemein bekannt gemacht.
Zum Titel des Werkes: Er kann bedeuten „Grundlehren" oder „Hauptlehren", aber
auch die „Ursprünge", die „ersten Dinge"; in diesem Werk geht es also vor allem
um die „Grundprinzipien des Seins"(Görgemanns/Karpp
S10).
Die griechische Urfassung des Werkes ist uns nicht erhalten. Es liegt lediglich
eine lateinische Übersetzung des Rufinus (s. Kapitel VI, a) vor, die im Jahre
398 entstanden ist. Diese Übersetzung entspricht jedoch nicht völlig dem
Originaltext. Der Grund dafür ist darin zu suchen, dass Rufinus in den
origenistischen Streitigkeiten Ende des 4. / Anfang des 5.Jahrhunderts die Lehre
des Origenes verteidigte und verhindern wollte, dass sie als ketzerisch
verurteilt würde. Deshalb beseitigte er die kühnsten Formulierungen.
Auslassungen und Umarbeitungen kommen vor allem bei folgenden Themen vor:
Trinitätslehre; Natur Christi; Präexistenz der Seele; Auferstehung; Weltende.
Rufinus betont in seiner Vorrede vor dem 1. Buch des aus 4 Büchern bestehenden
Werkes, er wolle bei der Übersetzung so vorgehen wie auch Hieronymus,
a) bei der Übersetzung anderer Werke des Origenes: nämlich so,
„dass der lateinische Leser nichts in ihnen findet, was von unserem Glauben
abwiche" (I Praef. Ruf. 2 in (Görgemanns/Karpp
S77)). Rufinus stellt im folgenden
fest, dass Bücher des Origenes an vielen Stellen von Häretikern und Böswilligen
entstellt sind, und fährt fort: „Wo wir deshalb in seinen Büchern etwas fanden,
was seinen eigenen rechtgläubigen Lehraussagen über die Trinität widersprach,
die er an den übrigen Stellen gegeben hatte, so haben wir das als verfälscht und
unzugehörig entweder ausgelassen oder nach der Norm formuliert, die wir bei ihm
selbst vielfach ausgesprochen fanden." (I Praef. Ruf. 3).
Rufinus schreibt zwar, er habe „nichts Eigenes vorgetragen" (Görgemanns/Karpp
S79); aber sein Wunsch, den Origenes vor Anschuldigungen zu schützen, tritt so
deutlich zutage, dass man mit gewissen Textänderungen rechnen muss. Dies kommt
auch in seiner Vorrede zum 3. Buch zum Ausdruck.
Hieronymus fertigte eine werkgetreue Übersetzung an, die Irrlehren in „De
principns" aufdecken sollte. Diese Übersetzung ist uns nicht überliefert. Teile
davon finden sich in Epistula 124 des Hieronymus an Avitus. Auch Briefe anderer
Gegner des Origenes lassen teilweise Schlüsse auf den Originaltext zu, ebenso
auch Schriften seiner Verteidiger.
Einige Abschnitte des griechischen Originaltextes sind in der „Philokalie" zu
finden, einer Anthologie, die zwischen 360 und 378 von Basilius dem Großen und
Gregor von Nazianz herausgegeben wurde.
2.1 Einige Punkte aus " de principiis"
- Gott ist körperlos und unermesslich.
- In welchem Maße ursprünglich der Subordinatianismus (Unterordnung des Sohnes
unter den Vater; Unterordnung des Heiligen Geistes unter den Sohn) gelehrt
wurde, lässt sich heute schwer sagen, da Rufinus besonders in diesem Punkt
Veränderungen vorgenommen hat. Auch wenn Arius aus der „origenistischen Linken" (s.
Geschichte Kapitel VIII, 2) hervorging, so ist der Arianismus (s.Geschichte
Kapitel III) doch nicht gleichzusetzen mit der Lehre des Origenes.
- Christus besitzt nur eine Natur. Der Schöpfer wird
deutlich von der Schöpfung abgegrenzt.
- Die erste Schöpfung war nicht materiell.
- Es gibt Stufen innerhalb der Schöpfung: verschiedene
nichtmaterielle Ebenen und die irdisch-sichtbare Welt.
- Die Engel, die der Anschauung Gottes „überdrüssig"
wurden, sind in tiefere Regionen „gefallen"; so wurden sie z. B. zu Dämonen
und auch zu Menschen. Moralisch sehr tiefstehende Menschen können manchmal auch in
Tierkörpern geboren werden.
- Die materielle Welt ist nur wegen des Versagens der Engel
entstanden.
- Die Erde ist eine Erziehungsstätte für den Menschen.
- Jedes Schicksal ist selbstverursacht; es hat die Funktion
eines „Heilmittels" für frühere Verfehlungen. Die Lebensumstände auf der
Erde bieten dem Menschen die Möglichkeit, zu lernen und sich zum Guten zu
entwickeln.
- Bei jedem Schicksal muss man von der Gerechtigkeit und
Güte des Schöpfers ausgehen.
- Ziel für den Menschen ist: Rückkehr in hohe
(nicht-materielle) Ebenen. Allgemeines Ziel in der Schöpfung ist die „Apokatastasis": die Rückkehr aller
Dinge an den ihrer Natur entsprechenden Ort.
Für den Menschen bedeutet das: „Ähnlichwerden mit Gott"; und aus der
„Ähnlichkeit" könnte „Einheit" werden, „weil in der Vollendung und dem Ende
,Gott alles und in allem' ist (vgl. l Kor. 15, 28)."(Görgemanns/Karpp S645
/III,6,1)
- Diese Apokatastasis vollzieht sich in vielen Etappen und Stufen. Für den
Menschen bedeutet das: Durchwandern vieler Entwicklungsstufen.
- Aufgrund des Gesagten ergibt sich eine Art
„Seelenwanderung": Vom Engel bis zum Menschen und wieder zurück zum Engel
(eventuell sogar mit einem Abstieg bis zum Tier). In dieser
„Seelenwanderung" liegt auch die Möglichkeit für den Menschen, mehrmals als
Mensch auf die Erde zu kommen.
- Es gibt eine Aufeinanderfolge von Weltenzyklen, das
heißt, es wird immer wieder einen „Fall" von hohen Wesen und damit neue
Weltenschöpfungen geben; wenn eine materielle Welt vergeht, wird die nächste
folgen. Dabei wird immer die unsichtbare Welt vor der sichtbaren vorhanden
sein.
- Origenes nennt die Seele „etwas Mittleres zwischen dem
schwachen Fleisch und dem willigen Geist" (De princ. II, 8,4). Der Geist oder „Nus" (gnech.: „Nous") —
manchmal spricht Origenes auch von „Vernunft" - ist das Höchste im Menschen.
Nach Origenes wird der „Nus" durch den „Fall" zur Seele (Psyche)
- Für die Mängel der Welt sind die Geschöpfe
verantwortlich, nicht der Schöpfer.
- Auch Tiere haben eine Seele.
- Auch Gestirne sind beseelt.
Wörtliche Zitate aus „De principiis" finden
sie unter "Auszüge
aus de Principiis"
Eines ist bemerkenswert: Rufinus versucht, wie bereits erwähnt, das Werk „De
principiis" in einer Fassung zu bringen, die keinen Verdacht der Ketzerei auf
Origenes fallen lässt. Das Werk enthält in der vorliegenden Fassung einige
Stellen, die auf Präexistenz, Seelenwanderung, Reinkarnation hinweisen; diese
Stellen scheinen im Jahre 398 keinen Anstoß erregt zu haben.
Die Gedankengänge des Origenes in ihrer Gesamtheit waren allerdings nur für die
Gebildeten nachvollziehbar.
3. Die Bedeutung des Origenes
„Origenes ist ein Mann von glänzender Begabung, der größte Gelehrte und weitaus
der fruchtbarste theologische Schriftsteller der vornicänischen Zeit, daher der
,Stählerne' bzw. .Eherne' genannt, der einflussreichste Theologe der
griechischen Kirche überhaupt, der bedeutendste der Gesamtkirche vor Augustinus.
Basil Studer ist der Ansicht, „dass um die Wende vom vierten
auf das fünfte Jahrhundert der ganze christliche Westen mit Origenes bekannt
war." (Studer: ..Origenismus)
Was die Bedeutung des Origenes für die späteren Jahrhunderte betrifft, soll nur
einiges herausgegriffen werden:
Obwohl Origenes von der Kirche zu den Ketzern gezählt wird, wurde sein Werk „De
principiis" in Klöstern abgeschrieben und verbreitete sich so von Italien nach
Frankreich und Deutschland. Dabei wurden oftmals Warnungen vor seinen Irrlehren
hinzugefügt.
Für Thomas von Aquin war Origenes der geistige Vater des Arianismus.
Bei Dante erinnern die „Sphärenkörper" der Seligen an Origenes; in der
„Göttlichen Komödie" ist Origenes auch nicht bei den Ketzern zu finden.
Zwei gegensätzliche Beurteilungen aus der Reformationszeit:
Erasmus schätzte Origenes so sehr, dass er ihn „als Prediger und besten Ausleger
der heiligen Schrift pries, während Luther ihn wegen seiner spekulativen und
moralisierenden Theologie beiseite rückte und sich lieber zu Augustin und seiner
Gnaden- und Erwählungslehre bekannte."(Görgemanns/Karpp
S29)
Zwei Beispiele aus der Zeit der Aufklärung:
„An Origenes erinnert die Welt freier Geister und die Erlösung durch allgemeine
Vergeistigung in der Philosophie des Leibniz. Dieser bekannte sich ein Jahr vor
seinem Tode in einem Briefe an Remond ausdrücklich zu Origenes und seiner
Synthese von Christentum und Platonismus . . ,"(Görgemanns/Karpp
S30)
„Auch bei Lessing läßt nicht weniges an den Alexandriner denken: die umfassende,
dem Zeitalter des ,ewigen Evangeliums' zustrebende .Erziehung des
Menschengeschlechts', die Neueinkörperung der Seele nach dem Tode und vielleicht
auch die Vorstellung eines Weltenkreislaufs."(Görgemanns/Karpp
S43)
Die Frage, ob Origenes zu den Häretikern gerechnet werden muss oder nicht, wird
bis in unsere Tage erörtert. Je nach Betrachtungsweise kommt es dabei zu
gegensätzlichen Ergebnissen. Interessant ist, dass trotz der offiziellen
Verurteilung des Origenes durch die Kirche (im 6. Jahrhundert) auch heute die
Meinung vertreten wird, er sei „ein Mann der Kirche, der sich um
Rechtgläubigkeit bemüht."(Berner
S. 78)
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