Der trinitarische Streit hatte sich nun zum
christologischen Streit ausgeweitet. Bisher formulierte die Kirche als bindende
Lehrmeinung:
Noch war keine Aussage darüber gemacht
worden, in welchem Verhältnis göttliche und menschliche Natur in Christus zueinander
stünden. Während der christologischen Streitigkeiten bildeten sich dann zwei extrem
einander widersprechende Meinungen aus, die einen tiefen Zwiespalt in der Christenheit
verursachten. Zwar war die christologische Frage erstmals durch die Arianer und
Apollinaris offen zutage getreten; doch die Voraussetzungen dafür waren schon seit langer
Zeit vorhanden:
Großen Einfluss auf die Entwicklung der
Glaubenslehre übten zwei theologische Schulen aus. Diese hatten eine unterschiedliche
Arbeitsweise und kamen auch zu gegensätzlichen Ergebnissen.
8.1
Die
Katechetenschule von Alexandrien
Als erste bekannte Lehrer wirkten dort
Pantanus von Sizilien (ca. 180-200) und Clemens von Athen (ca. 190-203). Dessen Nachfolger
war Origenes, der größte Theologe der griechischen Kirche. Im 4.Jahrhundert lehrte dort
Didymus der Blinde (bereits in Kapitel VI genannt). Besondere Bedeutung für den
christologischen Streit bekam Cyrill, der zu Anfang des 5. Jahrhunderts dort unterrichtete
und im Jahre 412 Patriarch von Alexandrien wurde.
In dieser Schule wurde das platonische
Denken gepflegt beeinflusst von den Lehren des Juden Philo (s. Kapitel 1) und vom
Neuplatonismus.
Zum Verständnis der Heiligen Schrift
bediente man sich dort allegorisch-mystischer Erklärungen: Das Erkennen sollte über den
wörtlichen Sinn hinausgehen.
In der alexandrinischen Schule wurde eine
innige Verbindung von göttlicher und menschlicher Natur in Christus gelehrt. Cyrill, der
von der ,,einen Natur des fleischgewordenen Logos" sprach, wählte zur Verdeutlichung
folgendes Bild: "Die göttliche Natur durchdringt die menschliche wie das Feuer eine
glühende Kohle oder ein brennendes Stück Holz".
Dies trug ihm den Vorwurf ein, er ließe in
seiner Lehre die menschliche Natur in der göttlichen aufgehen, bzw. er wurde die beiden
Naturen miteinander vermischen (letzteres wurde mit dem griechischen Ausdruck Synkrasis
bezeichnet).
Ein ähnliches Bild wie bei Cyrill findet
sich bereits bei Origenes, in seinem Werk "De principiis", II, 6, 56 .
Aus diesem Bild wird eines deutlich:
Origenes nimmt zwar an, dass in Christus eine "menschliche Vernunftseele" war
(im Gegensatz zu Apollinaris, s. Kapitel VII, 2), dass diese aber durch einen
einmaligen festen Entschluss zum Guten keine Entscheidungsmöglichkeit zum Bösen mehr
hatte. "Das göttliche Feuer selbst" durchdrang alles, war somit das Bestimmende
in Christus.
Die ,,menschliche Vernunftseele", von
der Origenes hier spricht, ist also doch etwas anderes als die, welche einem Menschen zu
eigen ist. Ein weiteres Bild zeigt dies ebenfalls: Sie war ,,Gefäß" für den Logos.
Origenes vertritt also die
,,Ein-Natur-Lehre". In dem Werk ,,De principiis" finden sich auch Anklänge an
die "Zwei-Naturen-Lehre". Basil Studer bezweifelt jedoch die Echtheit der
betreffenden Stellen (s. dazu auch Kapitel 12. 2).
8.2
Die Exegetenschule von
Antiochien (Exegese Schriftauslegung)
Begründer dieser Schule war Lucian von
Antiochien (gest. 312). Er stand auf der ,,origenistischen Linken" und lehrte einen
strengen Subordinatianismus (s. Kapitel 1 und 3); aus seiner Schule war Arius
hervorgegangen. Die Antiochener waren dem Stoizismus zugetan und pflegten das
aristotelische Denken. Zur Schriftauslegung bedienten sie sich der buchstäblichen,
grammatisch-historischen Erklärung und standen deshalb im Rufe des Rationalismus.
Für Diodor von Tharsus (gest. 392) war das
Menschsein Christi so sehr in den Vordergrund getreten, dass er nur mehr eine moralische
Verbindung zwischen Gott und Christus anerkannte. Dieser Auffassung folgte auch Theodor
von Mopsuestia (352428). Beide trennten göttliche und menschliche Natur in Christus
so sehr voneinander, dass sie bezogen auf Christus von zwei Söhnen Gottes
sprachen. Nestorius trug diese Lehrmeinung noch um einiges verschärft durch
seine Predigten in die Öffentlichkeit; ab dem Jahre 428 war Nestorius Bischof von
Konstantinopel.
Die Antiochener verwendeten verschiedene
Bilder, um ihre Anschauung darzulegen: Der göttliche Logos wohnt in dem Menschen Jesus
wie in einem Tempel oder einem Kleid; die Verbindung gleicht der zwischen Mann und Frau in
der Ehe; oder: göttliche und menschliche Natur in
Christus verhalten sich zueinander wie die Götterstatue zum Tempel.
Im 5. Jahrhundert waren es nicht nur die
beiden verschiedenen Lehrmeinungen von Alexandrien und Antiochien, die
aufeinanderprallten. Es spielten noch alte Rivalitaten und Feindschaften dabei eine Rolle:
Cyrill war Patriarch von Alexandrien,
Nestorius Patriarch von Konstantinopel. Da Alexandrien Hort der Wissenschaften war und
Konstantinopel Kaiserresidenz, waren beide Städte auf ihren Einfluss und ihre Bedeutung
bedacht.
Außerdem war das Verhältnis zwischen
Alexandrien und Konstantinopel empfindlich durch die Auseinandersetzungen zwischen
Theophilus und Johannes Chrysostomus (s. Kapitel VI, b) getrübt worden. Zwischen Cyrill
(Neffe und Nachfolger des Theophilus) und Nestorius war also aus mehreren Gründen
eine heftige Gegnerschaft zu erwarten.
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