Das Glaubensbekenntnis von Ephesus gab bald
Anlass zu erneuten Auseinandersetzungen. Die bindende Lehrmeinung war nun die von den zwei
Naturen Christi (Dyophysitismus). Daran nahm die alexandrinische Schule großen Anstoß.
Was man dort als Meinung vertrat, lautete:
Wenn man von zwei Naturen Christi spreche,
so sei dies nur vor der Menschwerdung berechtigt; nach der Menschwerdung jedoch sei die
menschliche Natur in die göttliche verwandelt worden, in ihr aufgegangen; der Leib
Christi gleiche also nicht unserem menschlichen Körper, denn er sei ja vergöttlicht
worden. Der Erlöser habe also nur eine Natur besessen (Monophysitismus).
Daher galt den strengen Monophysiten das
Bekenntnis von Ephesus als nestorianisch und damit als häretisch.
Als Eutyches, ein Klostervorsteher in
Konstantinopel, offen die monophysitische Meinung vertrat, wurde er im Jahre 448 auf einer
Synode in Konstantinopel von dem dortigen Patriarchen abgesetzt und exkommuniziert. Als
Eutyches dagegen protestierte, zog der Streit weite Kreise. Eutyches wurde vor allem vom
Nachfolger Cyrills, Dioskur (Patriarch von Alexandrien), unterstützt.
Schließlich griff Papst Leo 1.
(440461) ein und nahm in einem Lehrbrief vom 13.6.449 Stellung zu den beiden Naturen
Jesu. Es heißt darin u. a.:
,Jede Natur nämlich bewahrt ihre
Eigentümlichkeit unversehrt. So tritt denn der Sohn Gottes in diese Welt ein und steigt
von seinem himmlischen Thron herab, ohne dabei die Herrlichkeit seines Vaters zu
verlassen... Derselbe, der wahrer Gott ist, ist zugleich wahrer Mensch... Wie Gott nicht
verändert wird durch sein Erbarmen (in der Erniedrigung), so wird auch der Mensch (in Jesus Christus) durch die
(göttliche) Würde nicht verschlungen. Jede der beiden Naturen (,Gestalten)
vollbringt (vielmehr) in Gemeinschaft mit der anderen, was ihr eigentümlich ist. - . .
Wegen dieser Einheit der Person also, die man sich bei den beiden Naturen denken
muss,
steht geschrieben, der Menschensohn sei vom Himmel gestiegen (vgl.Joh. 3, 13), während es
doch der Gottessohn war, der von der Jungfrau, aus der er geboren wurde, Fleisch
angenommen hat; und wiederum wird gesagt, der Sohn sei gekreuzigt worden und begraben,
während er doch - . - in der Schwachheit seiner menschlichen Natur gelitten hat. ".
Damit hatte der Papst der alexandrinischen
Schule eine klare Absage erteilt.
Dioskur versuchte mit allen Mitteln, dies
rückgängig zu machen. Auf sein Betreiben berief Kaiser Theodosius II. für das Jahr 449
ein allgemeines Konzil nach Ephesus ein. Dioskur führte den Vorsitz, der päpstliche
Legat mußte sich mit der zweiten Stelle begnügen. Dioskur wurde von seinen Mönchen und
vom kaiserlichen Militär unterstützt; die Soldaten schreckten nicht vor rohesten
Gewaltanwendungen zurück.
Auf diese Weise wurde Eutyches
rehabilitiert; die Lehre von den beiden Naturen Christi wurde verworfen, die
Schriftstücke des Papstes nicht einmal vorgelesen. Die 135 Konzilsväter wurden unter
Androhung von Misshandlungen gezwungen, ihre Unterschrift zu geben teilweise auf
leere Blätter. Eine Reihe von Bischöfen, die des Nestorianismus verdächtigt wurden,
setzte Dioskur ab; u. a. waren dies: Theodoret von Cyrus (bereits in Kapitel 9. Genannt),
Domnus von Antiochien und Ibas von Edessa.
Diese Synode ging als Räubersynode in die
Geschichte ein; sie hatte allerseits Widerspruch erregt, und Papst Leo 1. versuchte Kaiser
Theodosius noch im selben Jahr zu bewegen, eine neue allgemeine Synode einzuberufen,
jedoch ohne Erfolg.
Nachfolger Theodosius II. war General
Marcian, der die Schwester des Kaisers, Pulcheria (s. Kapitel 9), geheiratet hatte und so
zum Kaiser wurde (450457); er berief für das Jahr 451 ein allgemeines Konzil ein.
Es sollte zuerst in Nicäa stattfinden, wurde jedoch vor der Eröffnung nach Chalcedon
verlegt. Dieses Konzil weist von allen Konzilien im Altertum die höchste Teilnehmerzahl
auf: etwa 600, davon 5 Abendländer.
Die Synoden von 325, 381 und 431 wurden als
ökumenische Synoden bestätigt, die Beschlüsse der Räubersynode von 449 für ungültig
erklärt. Dioskur wurde abgesetzt und vom Kaiser ebenso wie Eutyches in die
Verbannung geschickt. Die beiden Antiochener Theodoret von Gyrus und Ibas von Edessa
wurden voll rehabilitiert (Domnus von Antiochien war bereits gestorben).
Das Glaubensbekenntnis von Chalcedon hatte
den Lehrbrief Leos 1. zur Grundlage und lautete:
"Den heiligen Vätern folgend, lehren
wir alle übereinstimmend, als einen und denselben Sohn unseren Herrn Jesus Christus zu
bekennen. Derselbe ist vollkommen in der Gottheit und derselbe vollkommen in der
Menschheit, zugleich wahrhaft Gott und wahrhaft Mensch aus Vernunftseele und Leib, mit dem
Vater wesenseins der Gottheit nach und zugleich mit uns wesenseins der Menschheit nach, in
jeder Hinsicht uns ähnlich, ausgenommen die Sünde. Vor den Zeiten aus dem Vater geboren
der Gottheit nach, ist derselbe am Ende der Tage um unseretwillen und unseres Heiles wegen
aus Maria der Jungfrau, der Gottesgebärerin, der Menschheit nach hervorgegangen. Wir
bekennen ihn, als einen und denselben Christus, Sohn, Eingeborenen, in zwei Naturen
unvermischt, unverwandelt, ungetrennt, ungesondert erkannt, wobei keineswegs die
Verschiedenheit der Naturen um der Einung willen aufgehoben wird, sondern die
Eigentümlichkeit einer jeden Natur erhalten bleibt und sich zu einer Person (griech.:
Prosopon) und einer Hypostase verbindet. Wir bekennen ihn nicht als in zwei Personen
gespalten und getrennt, sondern als einen und denselben Sohn, Eingeborenen, Gott, Logos,
Herrn, Jesus Christus, wie vorzeiten die Propheten über ihn und dann er, Jesus Christus,
selbst uns unterwiesen haben und wie es das Symbol der Väter uns überliefert hat."
Damit war sowohl der Nestorianismus als
auch der Monophysitismus verurteilt worden. (Gegen die Nestorianer gerichtet war:
"ungetrennt, ungesondert", gegen die Monophysiten: "in zwei Naturen
unvermischt, unverwandelt".)
Nachwirkungen des
Konzils
Die Konzilsbeschlusse stießen auf den
erbitterten Widerstand der Monophysiten. Das geht zum Beispiel aus dem Glaubensbekenntnis
des Monophysiten Philoxenus von Mabbug (gest. 523) hervor:
,,Wir verdammen das Konzil von Chalcedon,
weil es in dem einen Herrn Jesus Christus, dem einziggeborenen Sohn Gottes, eine
Unterscheidung vornimmt in Naturen, Attribute und Tätigkeiten, in himmlische und irdische
Merkmale, göttliche und menschliche Eigenschaften. Es sieht ihn an, als sei er zwei, und
führt so die Vorstellung von vier (Personen in die Dreieinigkeit) ein. Es betet einen
gewöhnlichen Menschen an, und in jeder Einzelheit umschreibt es ihn als ein Geschöpf; es
stimmt mit dem verderblichen Nestorius überein, der
verflucht und zur Vernichtung bestimmt ist. Aus diesem und vielen ähnlichen Gründen
haben wir das Konzil von Chalcedon verdammt und werden es stets verdammen."
Die Monophysiten hatten zwar eine
gemeinsame Grundidee, zerfielen aber in viele Splittergruppen. Neben extremen Monophysiten
gab es solche, die die Entscheidungen von Chalcedon deshalb nicht anerkannten, weil sie in
ihren Augen dem Nestorianismus keine eindeutige Absage erteilt hatten.
Es gab auch Gruppen, die den Leib Christi
(vor der Auferstehung) nicht als vergöttlicht betrachteten; ihrer Meinung nach habe
Christus zwar eine (zusammengesetzte) Natur besessen; aber dies sei genauso wie beim
Menschen zu erklären, bei dem sich ja auch Leib und Seele vereinigt haben. Einige Gruppen
hielten den Leib Christi für unverweslich, manche auch für nicht erschaffen.
Die Monophysiten in ihrer Gesamtheit
stellten nun einen gefährlichen Unruheherd im Reich dar. Oftmals verbanden sich mit den
religiösen Motiven auch politische Bestrebungen (vor allem in Syrien und Ägypten), die
auf eine Loslösung vom Reich abzielten.
Unter Einsatz aller Mittel brachten die
Monophysiten die Patriarchate Alexandrien, Antiochien und Jerusalem in ihre Gewalt. Kaiser
Leo 1. (457474) setzte die Monophysiten zwar wieder ab, was jedoch ihrer
Machtentfaltung nur kurzzeitig Einhalt gebot. Bald hatten sie viele Bischofssitze in ihren
Händen und erhielten nach dem Tode Leos 1. Unterstützung von dem Usurpator Basiliskus
(475476). Dieser erließ als erster christlicher Kaiser ein Glaubensedikt; darin
wurde sowohl der Lehrbrief des Papstes Leo I. als auch das Glaubensbekenntnis von Chalcedon anathematisiert (verdammt); 500 morgenländische Bischöfe leisteten ihre
Unterschrift. Allen Gegnern wurden Strafen angedroht.
Basiliskus wurde im Jahre 476 von Kaiser
Zeno (474471) besiegt. Dieser versuchte, den Religionsfrieden im Reich
wiederherzustellen. Im Jahre 482 gab er ein Religionsgesetz (das "Henotikon")
heraus; Patriarch Akacius von Konstantinopel hatte es in Übereinkunft mit dem Patriarchen
Petrus Mongus von Alexandrien, einem Monophysiten, formuliert. Es beschwor jedoch nur
erneute Streitigkeiten herauf, da es weder für die eine, noch für die andere Partei
annehmbar war; es hatte das Konzil von Chalcedon indirekt verworfen das war für
die Monophysiten zu wenig, für die Dyophysiten zu viel.
Die Auseinandersetzungen mit Rom, die sich
als Folge des Henotikon ergaben, endeten damit, dass Papst Felix II. (483 bis 492) den
Bann über Akacius aussprach. Dies war der Anlass für eine Kirchenspaltung zwischen Rom
und Konstantinopel, das Akacianische Schisma (484519). In dieser Zeit breitete sich
der Monophysitismus im Orient noch mehr aus. Kaiser Anastasius (491518), der die
Monophysiten begünstigte, gelang es nicht, wieder eine Versöhnung mit Rom
herbeizuführen; dies erreichte erst Kaiser Justin (518527). Alle Bemühungen, die Monophysiten wieder
in die Kirche zurückzuführen, hatten nicht den erhofften Erfolg (s. auch Kapitel 11).
Der Monophysitismus blieb als selbständige Lehre bestehen; häufig verband sich damit
auch eine kulturelle Loslösung vom Griechentum. So bildeten sich in einigen Ländern
nationale Kirchen aus, die teilweise auch heute noch bestehen, zum Beispiel in Ägypten
(die Kopten), in Syrien (die Jakobiten), außerdem in Armenien, Mesopotamien, Abessinien.
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