"Unter Kaiser Justinian 1.
(527565), Nachfolger des Kaisers Justin, erlebte das byzantinische Reich noch einmal
Tage des Glanzes und Ruhmes. Das Ziel des großen Herrschers war die Wiederaufrichtung des
römischen Weltreiches auf christlicher Grundlage. Diesem Ziele dienten seine siegreichen
Kriege gegen Vandalen und Ostgoten, seine Maßregeln zur Ausrottung des Heidentums und der
Häresie, das Riesenwerk der Gesetzeskodifikation und eine unermüdliche organisatorische
Tätigkeit in Staat und Kirche, zahlreiche herrliche Kirchenbauten, vor allem in
Konstantinopel und Ravenna. Die Kirche des Reiches beherrschte Justinian vollständig;
sein Zeitalter ist die klassische Epoche des Cäsaropapismus. Als theokratischer Herrscher
und Schützer der Orthodoxie hielt er sich für berechtigt und verpflichtet, Dogma und
kirchliche Disziplin bis ins einzelne zu normieren und zugleich staatlichen Zwecken
dienstbar zu machen. Für Fragen des Glaubens lebhaft interessiert, trat er selbst als
theologischer Schriftsteller und Disputator auf. Seine Einmischung in die
Glaubensstreitigkeiten stürzte freilich das Reich in neue unheilvolle Wirren, und die
Hauptaufgabe, die er sich setzte, die Monophysiten mit der Kirche wieder zu versöhnen,
blieb ungelöst."
11.1
Monophysitische
Wirren
,,Die Kaiserin Theodora (gest. 548),
Justinians kluge und energische Gemahlin, war im stillen dem Monophysitismus zugetan, der
die Interessen der Frömmigkeit besser zu wahren schien. Auf ihr Betreiben wurde ein
geheimer Monophysit, Anthimus, auf den Bischofsstuhl der Hauptstadt (Konstantinopel)
erhoben (533). Als aber bald nachher Papst Agapet (535536) in Konstantinopel
erschien, bewirkte er beim Kaiser seine Ersetzung durch den orthodoxen Mennas (536).
Agapet starb unerwartet rasch während seines Aufenthaltes in der Residenz (April 536).
Nun suchte die ränkevolle Kaiserin den Monophysitismus sogar nach Rom zu verpflanzen, um
ihn mit Hilfe des Papsttums zur Herrschaft zu bringen. Der ehrgeizige römische
Archidiakon Vigilius, Apokrisiar, d.i. päpstlicher Gesandter am byzantinischen Hofe,
ging auf ihren Antrag ein und erlangte unter Verdrängung des gotenfreundlichen
rechtmäßigen Papstes Silverius (536 bis 537) mit Hilfe des kaiserlichen Feldherrn
Belisar 537 in der Tat den römischen Bischofsstuhl.
Silverius starb bald im Elend des Exils auf
der Insel Pontia (Dezember 537), und Vigilius wurde nun allgemein anerkannt. Aber zu einer
offenen Erklärung zugunsten des Monophysitismus war er nicht zu bewegen und konnte bei
der einmütigen Haltung des Abendlandes wohl auch nicht anders. In einem Schreiben an den
Kaiser und den Patriarchen Mennas bekannte er sich ausdrücklich zum Chalcedonense (540).
Die Stellung der Monophysiten blieb aber während der ganzen Regierung Justinians im
Orient bedeutend."
Vor allem in Armenien und Ägypten gewannen
die Monophysiten immer mehr Einfluss.
Zur Verdeutlichung der politischen Lage
Italiens:
Unter den letzten weströmischen Kaisern
hatten die germanischen Söldnerführer immer mehr Macht bekommen, da sie für die
Verteidigung des Reiches nötig waren. Der letzte weströmische Kaiser Romulus Augustulus
war schließlich von dem germanischen Söldnerführer Odoakar im Jahre 476 abgesetzt
worden; dieser ernannte sich selbst zum König von Italien. Mit Einverständnis des oströmischen
Kaisers fielen die Ostgoten in Italien ein; im Jahre 493 wurde Odoakar von dem
Ostgotenkönig Theoderich getötet; Theoderich beherrschte nun Italien. Nach seinem Tod kam es zu Zwistigkeiten
zwischen den Ostgoten und dem oströmischen Kaiser. Zwei Jahrzehnte lang versuchte Ostrom,
Italien wieder in seine Macht zu bekommen. In dieser Zeit wurde Rom fünfmal belagert. Die
Eroberung Roms im Jahre 536 durch den oströmischen Feldherrn Belisar ermöglichte die
Ernennung des Vigilius zum Papst. Erst im Jahre 553 wurden die Ostgoten
endgültig von Belisars Nachfolger, Narses, besiegt.
11.2 Origenistische
Wirren (2. Origenistische Streit)
Wie bereits (in Kapitel 6) geschildert,
wurden um das Jahr 400 origenistische Mönche aus Ägypten vertrieben, die sich zum Teil
in Palästina niederließen. In der nun folgenden Zeit schlossen sich vor allem gebildete
Mönche dem Origenismus an, ebenso wie es im ägyptischen Mönchtum der Fall gewesen war. Die Origenisten hatten bereits seit langer
Zeit unterschiedliche Auffassungen von der Auslegung der ursprünglichen Lehre, was zu
Spaltungen und gegenseitigen Anfeindungen führte:
Die Isochristen vertraten die Meinung: Alle
Seelen, die gleichzeitig erschaffen wurden, waren einander gleich; auch die Seele Christi
gleiche der menschlichen Seele. Am Ende der Entwicklung gebe es keinen Unterschied mehr
zwischen Christus und den Menschen.
Die Protoktisten lehrten: Die
(präexistierende) Seele Christi ist anders als die menschliche Seele, weil sie als erste
unter allen anderen erschaffen wurde. Die Protoktisten entfernten sich immer mehr
aus dem Lager der Origenisten und näherten sich der katholischen Seite, also der
offiziell vertretenen Lehrmeinung.
Die Origenisten traten also im 6.
Jahrhundert nicht mehr als einheitliche Gruppe auf; auch ihre Sympathien zu anderen
Gruppen waren nicht mehr auf einen Nenner zu bringen. Gemeinsamkeiten dürften vor allem
mit einem Großteil der Monophysiten bestanden haben; das Verbindende war die Lehre von
der einen Natur Christi, die auch Origenes vertreten hatte (s. Kapitel 8); daneben gab es
allerdings auch Streitpunkte zwischen beiden Gruppen. Bei all dem ist es wichtig, zu wissen,
dass
die im 6. Jahrhundert vertretene Meinung der Origenisten nicht unbedingt mit der
ursprünglichen Lehre des Origenes übereinstimmt.
,,Die sog. neue Laura bei Thekoa war das
Hauptlager der Origenisten, ihr Hauptgegner der hl. Sabas, Abt der alten oder großen
Laura bei Jerusalem und Oberhaupt der palästinensischen Mönche. Seine Bemühungen, den
Kaiser Justinian gegen Origenes zu stimmen, waren anfangs erfolglos. Nach seinem Tode (532)
gewann die origenistische Richtung in Palästina und darüber hinaus sogar noch weitere
Verbreitung; zwei ihrer Anhänger, die gelehrten Mönche Domitian und Theodor Askidas,
wurden durch Justinian auf Bischofsstuhle (Ancyra und Cäsarea in Kappadozien) befördert
(537). Aber bald darauf folgte ein Umschlag. Der Oberabt Gelasius vertrieb über 40
Origenisten aus der alten Laura. Als diese sich ihrerseits mit Hilfe der Bauern zu
Ausschreitungen gegen ihre Gegner hinreißen ließen und beide Teile weitere
Unterstützung fanden, trugen die Antiorigenisten (Sabaiten) den Sieg davon. Sie
bestimmten den Patriarchen Ephram von Antiochien zu einer formellen Verurteilung des
Origenismus, und der Patriarch Peter von Jerusalem sandte eine von ihm ausgearbeitete
Klageschrift gegen die Origenisten an den Kaiser (542).
Justinian, der so gern theologisierte,
erließ 543 ein Edikt, in welchem neun Sätze des Origenes und seine Person verurteilt
waren; sein Name war ferner dem Verzeichnis der Ketzer beigefügt, die von den Bischöfen
und Äbten bei ihrem Amtsantritt anathematisiert ( verdammt, verworfen) werden
mussten. Origenes, der größte Theologe der griechischen Kirche, der Sohn eines
Märtyrers und selbst Konfessor, war so mit Arius (s. Kapitel 3) und anderen Häretikern
auf eine Linie gestellt! Aber da alle Bischöfe des Reiches, auch Mennas von
Konstantinopel und Papst Vigilius (537555) dem Edikte zustimmten, so hatte ihn
tatsächlich die Gesamtkirche dreihundert Jahre nach seinem Tode in der schärfsten Form
verdammt."
Bei diesen Vorgängen hatte der
Hofpatriarch Mennas die Antiorigenisten unterstützt. Eifersüchtig auf Theodor Askidas,
hatte er erwartet, dass dieser bekannt als Origenist die Unterschrift unter
das Edikt verweigern und damit seine Macht verlieren würde. Es geschah jedoch das
Gegenteil: Askidas unterschrieb (zum Schein?) und behielt seine Schlüsselstellung am
Kaiserhof.
11.3
Der
Drei-Kapitel-Streit
Bischof Theodor Askidas nutzte weiterhin
seinen großen Einfluss bei Hof: Da er selbst Origenist war, wollte er eine weitere
Verfolgung der Origenisten verhindern und wählte dazu ein wirksames Mittel: Er lenkte den
Sinn des Kaisers auf eine andere wichtige Angelegenheit, die ihn fortan ganz in Anspruch
nehmen sollte.
Seit dem Konzil von Chalcedon (s. Kapitel
10) war es immer aussichtsloser geworden, die Monophysiten wieder in die Kirche
zurückzuführen. Die politische Einheit des Reiches war dadurch ernsthaft bedroht.
Theodor Askidas machte nun dem Kaiser einen
Vorschlag, wie die Monophysiten wieder zu versöhnen seien: Der Kaiser müsse sich nur
eindeutig gegen führende Theologen der antiochenischen Schule aussprechen, die als
Verfechter der Zwei-Naturen Lehre aufgetreten waren. Diesem Rat folgend, erließ Kaiser
Justinian im Jahre 544 (eventuell auch schon im Jahre 543) ein Edikt gegen die sogenannten
"Drei Kapitel". Darin sprach er das Anathem (die Verdammung) über:
a) Person und Schriften des Theodor von
Mopsuestia (er war der Lehrer und geistige Vater des Nestorius), s. Kapitel 13, 2;
b) die Schriften des Theodoret von Cyrus,
in welchen er Cyrill und die Beschlüsse von Ephesus angreift und Nestorius verteidigt, s.
Kapitel 9 und 10;
c) einen ähnlichen Brief des Ibas von
Edessa an den Perser Maris, in welchem er Theodor verteidigt und ebenfalls Cyrill
angreift, s. Kapitel X; (ein Perser als Adressat war aus einem bestimmten Grund
verdächtig: Persien war eine Hochburg der Nestorianer geworden; daß man sie am
persischen Hof unterstützte, war ein Ausdruck politischer Gegnerschaft zum römischen
Reich).
Da das Konzil von Chalcedon (451) Theodoret
von Cyrus und Ibas von Edessa restituiert hatte, wurde es von den Monophysiten des
Nestorianismus bezichtigt. Dieser "Stein des Anstoßes" sollte nun durch die Verwerfung der Drei
Kapitel beseitigt werden. Kaiser Justinian konnte mit dieser
Maßnahme aber noch mehr erzielen:
Kaiserin Theodora war dadurch
zufriedengestellt;
die Origenisten begrüßten die
Verurteilung des Theodor von Mopsuestia, weil er den Origenismus bekämpft hatte;
auch einige Sabaiten, die Gegner der
origenistischen Mönche (s. Kapitel 11, 2), feindeten die Schriften
des Theodor von Mopsuestia an seine Verurteilung war also in ihrem Sinne.
Es war das Bestreben des Kaisers, alle
Unruheherde im Reich zu beseitigen, da sie ihn an der Verwirklichung seiner politischen
Ziele hinderten. Gleichzeitig beschwor er dadurch aber neuen Aufruhr herauf; denn trotz
seiner Beteuerung, er wolle die Konzilsbeschlüsse nicht antasten, war die Verurteilung
der Drei Kapitel doch eine Anfechtung dieser Beschlüsse.
Selbst die morgenländischen Bischöfe
unterschrieben deshalb erst, als ihnen der Kaiser mit Absetzung drohte. Der Hofpatriarch
Mennas leistete seine Unterschrift mit dem Vorbehalt, dass er sie nur geben könne, wenn
auch der Papst einverstanden sei. Der päpstliche Legat Stephan, der eine entschiedenere
Ablehnung des kaiserlichen Ediktes forderte, entzweite sich daraufhin mit Mennas.
Eindeutiger Widerstand erhob sich von
seitens der abendländischen Bischöfe. Dies hatte für den Kaiser auch politische
Bedeutung: Da sich Italien fast ganz in der Hand der Ostgoten befand, die auch noch
Unterstützung vom einfachen Volk erhielten, fiel in den Augen des Kaisers dem Klerus die
wichtige Aufgabe zu, das Land durch seine Kaisertreue wieder an das oströmische Reich zu
binden, so lange kein militärischer Sieg möglich war. Justinian plante nun, zuerst den
Papst zur Annahme seines Edikts zu bewegen, um damit auch die abendländischen Bischöfe
für sich zu gewinnen.
Der Papst sollte aus diesem Grund nach
Konstantinopel kommen; unter entsprechenden Druck gesetzt, reiste Papst Vigilius
schließlich am 22. 11. 545 von Rom ab; nach mehreren Aufenthalten traf er am 25. 1. 547
in Konstantinopel ein.
Dort trat bald der Gegensatz zum Kaiser und
zum Hofpatriarchen Mennas offen zutage. Mennas ließ den Papst aufgrund dessen aus den
Diptychen streichen. Zeitweise wurde der Papst sogar seiner persönlichen Freiheit
beraubt. Viele morgenländische Bischöfe standen auf seiten des Kaisers. Auf Drängen des
Kaisers erklärte sich der Papst dann doch verhandlungsbereit, worauf er wieder in die
Diptychen aufgenommen wurde.
Am 11. 4. 548 gab der Papst sein
"Iudicatum" heraus, in welchem er gleichzeitig die "Drei Kapitel"
verurteilte und alle bisherigen vier ökumenischen Konzilien bekräftigte.
"Dieser Schritt des Papstes rief unter
den Abendländern die größte Aufregung hervor. Man sah darin einen Triumph des
Cäsaropapismus Justinians, eine unerlaubte Begünstigung der Monophysiten und eine
Untergrabung der Autorität des Konzils von Chalcedon. Die Afrikaner unter Führung des
Bischofs Reparatus von Karthago schlossen Vigilius geradezu aus ihrer Kirchengemeinschaft
aus, bis er Buße tue (550). Facundus, Bischof von Hermiane, und andere afrikanische
Theologen eröffneten eine scharfe literarische Polemik gegen die Justinianische
Kirchenpolitik und zur Verteidigung der "Drei Kapitel". Unter diesen Umständen
wurde zwischen Papst und Kaiser das Übereinkommen getroffen, dass zur Beilegung der
Wirren eine allgemeine Synode veranstaltet und bis dahin in der Sache nichts weiter getan
werden solle."
Der Kaiser wollte damit auch die Zustimmung
der abendländischen Bischöfe erreichen; deren Gegnerschaft hätte sich, wie bereits
erwähnt, für ihn politisch verhängnisvoll ausgewirkt. Nun ließ der Kaiser
vorübergehend Milde gegen Vigilius walten: Er gab ihm sein "Iudicatum"
zurück. Es wird jedoch überliefert, dass Vigilius dem Kaiser auf Eid versprechen
musste,
die Ablehnung der "Drei Kapitel" auf dem Konzil zu veranlassen.
Entgegen den getroffenen Vereinbarungen
veröffentlichte der Kaiser im Juli 551 ein neues Edikt "de recta fide" gegen
die "Drei Kapitel", was auf den Einfluss von Theodor Askidas (Monophysit und
Origenist, genannt in den Kapiteln 11, 2 und 3) zurückzuführen war. Dies verschärfte
den Gegensatz zwischen den morgenländischen und den abendländischen Bischöfen, die sich
bereits wegen des Konzils in Konstantinopel befanden. Um die Unterstützung der
Abendländer wieder zu gewinnen, die er als Papst nun einmal benötigte, zeigte sich
Vigilius dem Kaiser gegenüber nicht mehr gefällig sondern erhob Einspruch gegen das
Edikt.
Daraufhin gab der Kaiser Befehl zur
Gefangennahme des Papstes. Dieser flüchtete am 14.8.551 zusammen mit 13 abendländischen
Bischöfen in eine Kirche; dort wollte er verkünden, dass er sowohl Theodor Askidas als
auch Mennas aus der Kirchengemeinschaft ausschließe. Das kaiserliche Militär versuchte,
ihn mit Gewalt aus der Kirche zu entfernen, was beim Volk großen Aufruhr verursachte. Der
Kaiser erkannte, dass er zu weit gegangen war, und versprach, für die Sicherheit des
Kirchenoberhauptes zu sorgen. Als der Papst jedoch in seinen Palast zurückgekehrt war,
sah er sich doch als Gefangenen behandelt und von Intrigen umgeben. Daher floh er,
begleitet von seinen Bischöfen, am 23. 12. 551 nach Chalcedon, um in der dortigen
Konzilskirche Asyl zu suchen. Im Januar 552 ließ er von dort aus das Dekret gegen Theodor
Askidas und Mennas veröffentlichen; am 5.2.552 richtete er ein Rundschreiben an die ganze
Christenheit.
Am kaiserlichen Hof suchte man nun
einzulenken. An der Spitze der morgenländischen Bischöfe entschuldigten sich Theodor
Askidas und Mennas beim Papst; alles, was bisher gegen die ,Drei Kapitel" unternommen
worden sei, wäre vorläufig ungültig. Der Papst kehrte nach Konstantinopel zurück.
11.4
Das 5. Ökumenische
Konzil zu Konstantinopel
Nachfolger des im Jahre 552 verstorbenen
Hofpatriarchen Mennas war Eutychius geworden. Dieser überreichte dem Papst am 6.1.553 ein
Glaubensbekenntnis und bat ihn um Klärung des Drei-Kapitel-Streits durch ein allgemeines
Konzil; in einem Brief vom 8. 1. 553 erklärte sich der Papst damit einverstanden. Doch
nun begann zwischen Kaiser und Papst eine Auseinandersetzung um den Tagungsort und die
Teilnehmer. Vigilius verlangte, dass ebenso viele abendländische wie morgenländische
Bischöfe anwesend sein sollten und dass das Konzil im Abendland (Italien oder Sizilien)
stattfinden solle. Eine Einigung mit dem Kaiser kam nicht zustande.
Da der Kaiser die Wünsche des Papstes
über die Durchführung des Konzils nicht berücksichtigt hatte, war es dem Papst klar,
dass die Entscheidung über die "Drei Kapitel" wieder vom Kaiser (mit
Unterstützung der morgenländischen Bischöfe) erzwungen würde. Daher zog er sein
früheres Einverständnis zurück und verweigerte die Teilnahme.
Was sich zwischen dem 8. 1. 553 und dem 5.
5. 553 (der Konzilseröffnung) abgespielt hat, ist nicht genau überliefert. Die
Nachforschungen von F. Diekamp und J. Straub ergeben folgendes:
Die zum Konzil geladenen Bischöfe waren
bereits in Konstantinopel anwesend; die Verhandlungen über die "Drei Kapitel"
konnten jedoch wegen der ablehnenden Haltung des Papstes nicht beginnen.
Das Konzil war ursprünglich nur wegen des
Drei-Kapitel Streites einberufen worden. Seit dem Herbst des Jahres 552 verlangte jedoch
auch der origenistische Streit in Palästina eine neue Entscheidung. Trotz des Edikts von
543 gegen Origenes und den Origenismus war keine Ruhe im palästinensischen Mönchtum
eingekehrt. Es kam immer wieder zu Kämpfen zwischen Origenisten und ihren Gegnern.
Seit 547 war der Bruch innerhalb der
Origenisten in Isochristen und Protoktisten (s. Kapitel 11, 2) offen zutage getreten. Im
Sommer 552 vereinigten sich die Protoktisten, die auch die Präexistenz der Seelen
ablehnten, mit den Orthodoxen; daraufhin reisten Vertreter der Protoktisten und der
orthodoxen palästinensischen Mönche nach Konstantinopel, um Kaiser Justinian eine
Schrift gegen die Isochristen zu überreichen.
Während ihres Aufenthaltes in
Konstantinopel verstarb im Oktober 552 Patriarch Petros von Jerusalem. Die Isochristen
bestimmten daraufhin eigenmächtig einen aus ihren Reihen, Makarios, zu seinem Nachfolger
und verursachten damit erneute Unruhen in Jerusalem. Darüber war der Kaiser so erzürnt,
dass er Makarios sofort wieder absetzte und die Klageschrift gegen die Origenisten
(Isochristen) um so bereitwilliger annahm.
Der Kaiser hatte nun vor, den Origenismus
durch die in Konstantinopel versammelten Bischöfe verdammen zu lassen und so die
Streitigkeiten in Palästina endlich zu einem Abschluss zu bringen. Der Papst erklärte
sich noch vor den Verhandlungen in einem Brief an Justinian damit
einverstanden. Da er jedoch alles daransetzte, die geplante ökumenische Synode in der vom
Kaiser festgelegten Form zu verhindern, stimmte er der Eröffnung eines allgemeinen
Konzils selbst für Beratungen, die in seinem Sinne waren nicht zu.
Kaiser Justinian schickte an dieselbe
Synode, die später die "Drei Kapitel" verwarf, einen Brief über den
Origenismus der Isochristen, dem 15 Anathematismen angefügt waren. Etwa im März/April
553 verwarf diese Synode den Origenismus, wobei sie die 15 Anathematismen des Kaisers
übernahm.
Da dies alles vor der eigentlichen
Konzilseröffnung am 5. 5. 553 (Beginn der Sitzungen über die ,Drei Kapitel")
stattfand, wird in manchen Quellen die Verdammung des Origenes und des Origenismus auf dem
5. ökumenischen Konzil zu Konstantinopel gar nicht erwähnt; das heißt, in diesen
Quellen werden die oben genannten 15 Anathematismen nicht als Konzilsentscheidungen
gewertet.
Im Gegensatz dazu berichten viele Quellen
von der Verdammung des Origenes und des Origenismus auf dem 5. ökumenischen Konzil,
oftmals unter besonderem Hinweis auf die Präexistenz der Seelen und die Apokatastasis (s.
Kapitel 12, 2).
,Wichtig sind dabei vor allem die Zeugnisse
aus der ersten Zeit nach dem Konzil, so z. B. von:
a) Evagrios, Kirchenhistoriker, geb. um
536;
b) Kynllos von Skythopolis,
Kirchenhistonker, Zeugnis v. 557;
c) Eulogios, Patriarch von Alexandrien, 5
80607;
d) Verfasser der Osterchronik (anonym) aus
Byzanz, 630641;
e) Sophronius, Patriarch vonJerusalem,
Zeugnis von 634;
f) Georgios, Mönch und Presbyter, um 639;
g) Anastasios Sinaites, Traktat entstanden
692695;
h) Georgios Monachos, Chronist, 842867.
Von Evagrios, Anastasios Sinaites und
Georgios Monachos ist bekannt, dass sie gute Sachkenntnis über die Konzilsakten besaßen.
Die Aussagen der oben genannten Autoren
werden bekräftigt durch die Akten der Lateransynode (649), des 6. ökumenischen Konzils
zu Konstantinopel (68068 1) und der Trullanischen Synode (692).
*
Am 5. 5. 553 wurden die Sitzungen des 5.
ökumenischen Konzils über die "Drei Kapitel ohne den Papst (weil der Kaiser
keinen weiteren Aufschub duldete) von dem neuen Hofpatriarchen Eutychius eröffnet. Der
Kaiser selbst war zwar nicht anwesend, das schmälerte jedoch seine
Einflussmöglichkeiten
nicht. Die 151 anwesenden Konzilsväter waren überwiegend Morgenländer. Die Sitzungen
verliefen ganz im Sinne des Kaisers.
Am 14. Mai verbot der Papst in seinem
"Constitutum 1" die Verurteilung der "Drei Kapitel"; 16 Bischöfe (in
der Mehrheit Abendländer) unterzeichneten. Dieses Schriftstück wurde den Kaiser
übermittelt, der jedoch die Annahme verweigerte. In der 7. Sitzung am 26. 5. 553 wurde den
Versammelten mitgeteilt, dass der Kaiser den Namen des Papstes aus den Diptychen streichen
lasse; dies wurde von der Synode gebilligt.
Mit der 8. Sitzung am 2.6. 553 endete das
Konzil. Das Ergebnis waren 14 Anathematismen, die in der Hauptsache vom Kaiser
verfasst
waren, das heißt, sie enthalten die 13 Capitula des Edikts von 551 "de recta
fide" weitgehend wörtlich. Sie befassen sich mit der Trinität, der
Menschwerdung Jesu und speziell mit den "Drei Kapiteln". Canon 11 verurteilt
Häretiker, die bereits von vorausgehenden Konzilien verurteilt worden waren, so z. B.
Arius, Nestorius, Apollinaris. Origenes wird in Canon 11 erstmals auch als Häretiker
genannt, seine Person und Lehre verdammt. Das Edikt von 551 enthielt den Namen des
Origenes noch nicht.
Das Kapitel 12 geht nochmals auf die
Beschlüsse des Konzils ein.
Es werden 166 Unterschriften unter den 14
Canones überliefert, das sind 15 oder 16 Namen mehr, als die Anwesenheitsliste der 8.,
der letzten Sitzung aufweist. Da die griechischen Originalakten nicht mehr vorhanden sind,
lässt es sich nicht mehr "ermitteln, ob die... aufgeführten zusätzlichen
Unterschriften derjenigen Bischöfe, die nicht am Konzil teilgenommen hatten, bereits in
der ersten Fassung der Akten überliefert waren."30 .Der Papst verschlimmerte seine
Lage dadurch, dass er sich weigerte, die Konzilsentscheidungen anzuerkennen; wieder bekam
er die Macht des Kaisers zu spüren: Er wurde schlecht behandelt, seine drei römischen
Diakone wurden verbannt oder gefangengenommen.
Der Kaiser hatte die Gunst des
abendländischen Klerus nicht mehr so nötig, seit sein Feldherr Narses im Frühjahr 553
die Ostgoten besiegt hatte und damit Italien wieder dem oströmischen Reich einverleibt
war. Schließlich fügte sich Vigilius
krank und zermürbt dem Willen des Kaisers: Am 8. 12. 553 (Epistula II ad
Eutychium) und nochmals am 23. 2. 554 (Constitutum II) erklärte er sich bereit, die
Konzilsentscheidungen anzuerkennen. Diese beiden Schriftstücke enthalten die Verurteilung
der "Drei Kapitel" durch den Papst und gelten als seine Anerkennung der
Konzilsentscheidungen (die 14 Canones selbst weisen keine Unterschrift des Papstes auf).
Erst durch diesen Schritt waren die
Zerwürfnisse zwischen Kaiser und Papst aus dem Wege geräumt. Vigilius erhielt seine
Freiheit wieder. Ende 554 oder Anfang 555 reiste er aus Konstantinopel ab, aber er
verstarb auf dem Wege nach Rom am 7.6.555.
11.5 Zusammenfassung des
Zeitalters Justinians
a) Die zur 5. ökumenischen Synode nach
Konstantinopel einberufenen Konzilsväter verurteilten noch vor den Sitzungen über die
"Drei Kapitel" auf Weisung des Kaisers den Origenismus in 15 Anathematismen.
Diese Entscheidung war vor allem gegen die Isochristen, die origenistischen Mönche in
Palastina, gerichtet (s. Kapitel 11, 2).
Kaiser Justinian zog daraus aber auch
Nutzen für seine Einigungsversuche zwischen Monophysiten und Dyophysiten, da dies auch
als Zugeständnis an die Dyophysiten gewertet werden konnte, deren Zwei-Naturen-Lehre die
offizielle Lehrmeinung Roms war und ist.
Die Dyophysiten hatten Origenes wegen
seiner Lehre von der einen Natur Christi (s. Kapitel VIII, 1) und auch wegen anderer
Punkte seiner Lehre bekämpft die Monophysiten (wenigstens ein großer Teil vor,
ihnen) hatten Origenes aus demselben Grunde geschätzt.
Mit der Verdammung des Origenismus wurde
gleichzeitig auch die Lehre von der Präexistenz und der Seelenwanderung, die dann
enthalten war, verurteilt; dasselbe gilt für die Lehre von der Reinkarnation.
Ob nun die 15 Anathematismen zu den
Konzilsentscheidungen im engeren Sinne gezählt werden können oder nicht, gehört zu den
Streitfragen der Kirchenhistoriker. Jedenfalls wird in Can. 11 der 14 Anathematismen gegen
die "Drei Kapitel", die allgemein als Konzilsentscheidungen gelten, Origenes
erstmals als Häretiker genannt.
b) Nach 8 Sitzungen vom 5.5. 553 bis zum
2.6.553 wurden, dem Willen des Kaisers entsprechend, 14 Anathematismen über die
"Drei Kapitel" (s. Kapitel XI, 3) ausgesprochen. Wer dem nicht zustimmte,
musste
mit Bann oder Absetzung rechnen. Damit wollte Kaiser Justinian erreichen, dass der
christologische Streit, der seit dem Konzil von Ephesus (431) angedauert hatte, zu einem
Abschluss kam und zwar zu Gunsten der Monophysiten; durch dieses Entgegenkommen
hoffte der Kaiser, die Monophysiten wieder mit der Kirche vereinigen zu können. Die
Verurteilung der "Drei Kapitel" war gleichzeitig auch eine Entscheidung, die
sowohl von den Origenisten als auch von einem Teil der Sabaiten begrüßt wurde (s.
Kapitel 11,3).
Die Beschlüsse des Konzils von
Konstantinopel im Jahre 553 waren nahezu wörtlich vom Kaiser selbst
verfasst worden (sowohl gegen den Origenismus als auch gegen die "Drei
Kapitel"). Diese Beschlüsse sollten der Einheit des Reiches zugute kommen: Sie
hatten den Zweck, miteinander verfeindete Parteien zu versöhnen und Unruheherde zu
beseitigen. Dass dies durch Glaubensentscheidungen überhaupt möglich, bzw. nötig war,
lag an der engen Verflechtung von Kirche und Staat.
Der Kaiser hatte nun sowohl eine
Entscheidung im Sinne der Monophysiten (b) als auch eine Entscheidung im Sinne der
Dyophysiten (a) gefällt; dadurch sollte eine Einigung der beiden sich befehdenden
Parteien zustande kommen. Wenn man sich vor Augen hält, in welche Wirren die
monophysitischen Streitigkeiten das Reich bereits gestürzt hatten (s. Kapitel 10), wird
es klar, dass es für den Kaiser eine politische Notwendigkeit war, diesen Konflikt aus
der Welt zu schaffen um welchen Preis auch immer.
Ebenso war es wichtig, dass wieder Ruhe
unter den palästinensischen Mönchen einkehrte, eine Entscheidung gegen die Origenisten,
bzw Isochristen (a) sowie eine Entscheidung im Sinne der Origenisten (b) sollten dazu
verhelfen. Diese Beschlüsse konnten jedoch nur den
Rang von Konzilsentscheidungen erhalten, wenn der Papst seine Zustimmung gab (s. Kapitel II).
Dass die Synode von
Konstantinopel im Jahre 553 als ökumenische Synode anerkannt wurde, lag nur daran,
dass
der Kaiser dies mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln vom Papst erzwang.
11.6 Nachwirkungen des
Konzils
"Auch die folgenden Päpste
anerkannten die Synode von Konstantinopel als fünfte allgemeine. Nicht so rasch aber
ließen sich die übrigen lateinischen Kirchen dazu bewegen, wie überhaupt jene Vorgänge
dem Ansehen des Papsttums und noch mehr dem des Kaisertums im Abendland schwer geschadet
hatten. Die afrikanischen Bischöfe folgten zum größeren Teile erst nach einigen Jahren.
Die Kirchenprovinzen Mailand und Aquileja zögerten noch länger. Sie trennten sich wegen
der Streitfrage eine Zeitlang sogar vom römischen Stuhle; der Einfall der Langobarden in
Italien im Jahre 568 begünstigte ihre Opposition, da er dem Kaiser die Anwendung von
Gewaltmaßregeln verbot. Das Schisma erlosch erst unter Papst Sergius 1. (687701)
völlig. Geraume Zeit war es übrigens auf einen ziemlich kleinen Umfang beschränkt. Die
Mailänder kehrten schon seit 570 allmählich zur Gemeinschaft mit der römischen Kirche
zurück. Der unter byzantinischer Herrschaft stehende Teil von Aquileja-Grado unierte sich
dagegen erst 607.
Die Monophysiten kehrten nicht mehr in die
Kirchengemeinschaft mit Rom zurück. Im 7. Jahrhundert wurden nochmals Versuche gemacht,
die Monophysiten durch die Anerkennung der Lehre von dem einen Willen in Christus
(Monotheletismus) wieder mit der Kirche zu vereinen. Das 6. ökumenische Konzil zu
Konstantinopel (680681) verwarf jedoch diese Lehre und betonte, Christus habe sowohl
einen göttlichen wie auch einen menschlichen Willen besessen, wobei sich der menschliche
nach dem göttlichen Willen gerichtet habe.
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