Dieser Artikel
ist
erschienen in der Zeitschrift
"Grenzgebiete der Wissenschaft" Heft 3 und 4
Jahrgang 45 (1996) ISSN 10218130. Abdruck
mit freundlicher Genehmigung des Verlages.
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Über
den Autor
Gerhard Adler, geb. 1941, Anglistik- und Geschichtsstudium, als Publizist
vorwiegend an Fragen der Weltanschauung und des Menschenbildes interessiert.
Leiter der Abteilung Literatur im Radioprogramm des Südwestfunks
Baden-Baden. Von seinen Veröffentlichungen seien erwähnt: Revolutionäres
Lateinamerika (1970); Die Jesus-Bewegung. Aufbruch der enttäuschten
Jugend (1972); Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde....
Parapsychologie, Okkultismus und Religion (1974 und 1976); Wiedergeboren
nach dem Tode? Die Idee der Reinkarnation (1977, 1980 und 1986); Erinnerung
an die Engel. Wiederentdeckte Erfahrungen (1986); Die Engel des
Lichts. Von den Erstlingen der Schöpfung (1992); als Herausgeber: Tausend
Jahre Heiliges Rußland. Orthodoxie im Sozialismus {1987 und 1988); Komm,
Trost der Nacht. Ein Brevier {1989).
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Zusammenfassung
ADLER,
Gerhard: „Denn immer ist das Ende dem Anfang ähnlich". Origenes -
Ketzer oder Kirchenvater?
Auf
Origenes von Alexandreia (185-254) beruft sich die wachsende Zahl von Zeitgenossen,
die sich für die Idee der Seelenwanderung erwärmt. Die Kirchengeschichte
gedenkt seiner stets mit Superlativen: als des ersten, des größten
Theologen, aber auch als des Erzhäretikers. Wer jedoch hat schon genau
gelesen, was in dessen umfangreichem Werk wirklich steht? Es gibt kaum eine
bibel- und kirchenkritische These unserer aufgeklärten Schriftgelehrten von
heute, die nicht schon zu Origenes' Zeiten die Gemüter bewegt hätte. Nur
dies hat es bei Origenes nicht gegeben: die ermüdende Anthropozentrik der
heutigen Theologie, die permanente Beschäftigung der Kirche mit sich selbst.
Diese Häresie der lähmenden Selbstbespiegelung findet sich beim amtlich
verurteilten Häretiker Origenes nicht, dafür aber eine erfrischende Sicht
auf Mensch, Welt und Gott, eine vitale Auseinandersetzung mit den Gegnern
von Juden und Christen im Hellenismus, bei der man im großen und ganzen alles
vorgedacht findet, was uns heute noch weltanschaulich umtreibt.
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I. ORIGENES
UND SEINE ZEIT
„Welcher
vernünftige Mensch wird annehmen, ,der erste, zweite und dritte [Schöpfungs-]
Tag sowie Abend und Morgen' seien ohne Sonne, Mond und Sterne geworden und der
sozusagen erste sogar ohne Himmel? Wer ist so einfältig zu meinen, ,Gott
habe' wie ein Mensch, der Bauer ist, ,im Osten einen Park in Eden gepflanzt'
und darin einen sichtbaren und mit den Sinnen wahrnehmbaren ,Baum des
Lebens' geschaffen, so daß man, wenn man seine Frucht mit den leiblichen Zähnen
genoß, das Leben empfing, dagegen am ,Guten und Bösen' Anteil erhielt, wenn
man von dem entsprechenden Baum nahm und aß? Wenn es weiter heißt, ,Gott sei
am Abend im Park gewandelt' und ,Adam habe sich unter dem Baume versteckt',
dann wird, glaube ich, niemand daran zweifeln, daß dies bildlich mittels
einer nur scheinbar und nicht leibhaftig geschehenen Geschichte auf gewisse
Geheimnisse hinweist. Aber auch wenn ,Kain aus Gottes Angesicht geht', ist
es den Tieferblickenden klar, daß dies den Leser veranlaßt zu untersuchen,
was das Angesicht Gottes und das Daraus-Fortgehen bedeuten. [...]
Sogar
die Evangelien sind voll von Darstellungen derselben Art, (z. B.) wenn der
Teufel Jesus ,auf einen hohen Berg' führt, um ihm von dort .die Königreiche
der ganzen Welt und ihre Herrlichkeit zu zeigen'. Denn wer von denen, die
derartige Stellen nicht bloß oberflächlich lesen, würde nicht die Meinung
verwerfen, mit dem leiblichen Auge, das Höhe braucht, um das tiefer Gelegene
wahrnehmen zu können, sei das Reich der Perser, Skythen, Inder und Parther
und die Verherrlichung der Könige durch die Menschen erblickt worden?"
1
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1. Schriftverständnis
Diese Bemerkung zu sachgemäßem Verständnis
der Heiligen Schrift stammt nicht etwa von einem aufmüpfigen,
historisch-kritisch arbeitenden Exegeten unserer Tage. Die Fragestellung wirkt
zwar durchaus gegenwärtig und mag sogar — für Unkundige in der
Bibelwissenschaft - als aufklärerisch erscheinen. Doch das Zitat wurde
schon um 225 niedergeschrieben, ist also an die 1770 Jahre alt. Somit steht es
ganz am Anfang des Bemühens seitens der Christen, ihre Bibel methodisch zu
durchdenken. ORIGENES, der Verfasser dieses Textes, bringt schon - ein gutes
Jahrhundert nach der Entstehung des Neuen Testaments - so ziemlich alle
Probleme auf den Punkt, die einen jeden umtreiben, der ernsthaft mit der
Schrift befaßt ist. So kümmert sich ORIGENES bereits um einen zuverlässigen
Originaltext der Bibel, also um philologische Genauigkeit. Die ungezählten
inhaltlichen Probleme, an denen noch die heutigen Leser Anstoß nehmen
- in unserem Beispiel ist es der Schöpfungsbericht -, will er mit einer
Methode lösen helfen, die von drei verschiedenen Sinnebenen der einzelnen
Stellen ausgeht. So wie der Mensch in Leib, Seele und Geist gegliedert sei,
meint ORIGENES mit so manchem jüdischen Gelehrten seiner Zeit, so sei auch in
vielen Bibelstellen ein quasi körperlicher Sinn auszumachen, nämlich das
ganz primäre wörtliche Verständnis; ferner eine übertragene Bedeutung, die
der Psyche entspreche; schließlich sei da noch ein geheimnisvoller dritter
Sinn, der sich nur dem geistbegabten Menschen erschließe. Diese Lehre vom dreifachen
Schriftsinn, dem leiblichen, dem seelischen und dem geistlich-pneumatischen,
findet also ihre Entsprechung in der origeneischen Anthropologie.
Auch
in Schriftworten, die man Jesus persönlich zuschreibt, sucht ORIGENES nach
einem verborgenen Sinn.
„Was könnte unvernünftiger sein als das Wort: ,Grüßet
niemanden unterwegs!', das nach Meinung der schlichten Gläubigen der Erlöser
den Aposteln aufgetragen hat? Aber höchst unglaubwürdig ist auch das Wort
vom Schlag auf die rechte Backe, da beim Schlagen jeder, wenn er nicht etwa
ein Gebrechen hat, mit der rechten Hand auf die linke Backe schlägt. Unmöglich
ist es sodann, dem Evangelium abzunehmen, daß ,das rechte Auge Anstoß
bereitet'. Denn selbst wenn wir einmal zugeben, daß im Sehen jemand Anstoß
nehmen kann: wieso muß man, da doch beide Augen sehen, die Schuld auf das
rechte schieben? Wer würde denn, wenn er sich beschuldigen muß, ,eine Frau
so angesehen zu haben, daß er sie begehrte', die Schuld einzig auf das rechte
Auge schieben und dieses zu Recht .ausreißen'? [...] Alles dies haben wir
gesagt, um zu zeigen, daß die göttliche Kraft, die uns die heilige Schrift
schenkt, nicht das Ziel verfolgt, wir sollten allein das vom Wortlaut Dargebotene
aufnehmen; denn dies ist zuweilen im Wortsinn nicht wahr, sondern sogar unvernünftig
und unmöglich. (Weiter wollen wir zeigen,) daß in die wirkliche Geschichte
und die im Wortsinn nützliche Gesetzgebung einiges andere hineingewoben ist.
Doch soll niemand annehmen, wir sagten dies ganz allgemein, es habe sich gar
keine Geschichte (in der Schrift) zugetragen, weil sich manche nicht
zugetragen hat, und man habe gar kein Gesetz wörtlich zu befolgen, weil
manches Gesetz im Wortlaut unvernünftig oder unmöglich ist, oder die
Aufzeichnungen über den Erlöser seien als sinnliche Wirklichkeit nicht wahr
oder keines seiner Gesetze oder Gebote sei zu befolgen. [...] die
geschichtlich wahren Stellen sind viel zahlreicher als die hineingewobenen
rein geistlichen Stellen. [...] Der wissenschaftlich Gebildete wird allerdings
in manchen Fällen schwanken und ohne eingehende Prüfung nicht entscheiden können,
ob der betreffende als geschichtlich geltende Bericht im Wortsinne geschehen
ist oder nicht und ob der Wortlaut eines bestimmten Gebotes zu befolgen ist
oder nicht."2
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2. Hexapla
Die Spitzfindigkeiten der Bibelausleger haben
also eine lange Geschichte. ORIGENES selbst steht bereits in der Tradition
rabbinischer Gelehrsamkeit. Und was nun die christliche
Auseinandersetzung mit dem Bibeltext angeht, deren wissenschaftliches oder
doch zumindest methodisches Herangehen, so beginnt dies mit ORIGENES.
Vor
aller Deutung jedoch muß es dem ernsthaften Bibelforscher um die Frage gehen:
Was steht denn wirklich da im Wortlaut der Schrift und wie zuverlässig ist
dieser Wortlaut uns überliefert? ORIGENES wollte auch dieses Problem lösen.
Staunend und bewundernd steht man vor den auf uns gekommenen Resten seiner
sechsspaltigen Bibelausgabe, einem zu seiner Zeit ungeheuren Unterfangen. Die Hexapla, so ihr griechischer Name, an der er von 228 an sein weiteres Leben
lang gearbeitet hat, diese „Sechsfache" enthält zunächst den Text der
hebräischen Bibel, dem in einer zweiten Kolumne die Aussprache des hebräischen
Wortlautes in griechischen Buchstaben folgt; dann stehen vier, teilweise
noch mehr Übersetzungen des Alten Testaments in griechischer Sprache zum
Vergleich nebeneinander. Das Hauptanliegen des ORIGENES war es, die berühmte
Septuaginta, also die von jüdischen alexandrinischen Gelehrten in
vorchristlicher Zeit ins Griechische übersetzte Heilige Schrift, mit dem hebräischen
Urtext vergleichen zu können. Da beide Texte, der hebräische und der
griechische der Septuaginta, zu seiner Zeit sozusagen als göttlich
inspiriert, geradezu diktiert betrachtet wurden, auch von ORIGENES selbst, ist
dessen Freimut erstaunlich, mit dem er nach allen Künsten der philologischen
Akribie die kleinen und großen Unterschiede, Abweichungen und Auslassungen
mit textkritischen Zeichen markiert. ORIGENES steht also christlicherseits am
Anfang der wissenschaftlichen Schrifteditionen. Er hat zu diesem Zweck die
hebräische Sprache erlernt und sich nicht gescheut, bei jüdischen Gelehrten
Rat einzuholen.
Freunde
und Anhänger, aber auch seine Gegner sprechen von ORIGENES ausnahmslos in
Superlativen. Im wissenschaftlichen Rang, im Guten wie im Bösen ist er stets
der Erste, der Größte, aber auch der Schlimmste aller Häretiker nämlich,
der Häresiarch. Er gilt nicht nur als der Begründer der Bibelwissenschaft,
sondern als der größte Theologe des christlichen Altertums überhaupt, und
gleichzeitig als der Erzketzer. Was weiß man eigentlich von ihm? Welche
Fakten bleiben nach so vielen Jahrhunderten bestehen vor dem kritischen
Blick der Wissenschaftler, wenn man hagiographische Schönfärbereien und
unberechtigte Verunglimpfungen gleichermaßen auszuscheiden bemüht ist?
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3. Leben
Es spricht für die Bedeutung des ORIGENES
bereits zu seinen Lebzeiten, daß EUSEBIOS in seiner berühmten
Kirchengeschichte ein ganzes Buch, das sechste, weitgehend dem ORIGENES
widmet. Aus dieser auf 312 datierten Quelle, aus der erhaltenen
Korrespondenz, aus den wenigen autobiographischen Rückschlüssen, die sich
aus den origeneischen Werken selbst ziehen lassen, entwerfen die Historiker
das folgende biographische Gerüst:
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a) Jugend
Alexandreia
in Ägypten ist vermutlich die Geburtsstadt unseres ORIGENES. Sein Name ist
zwar ägyptisch-heidnisch, bedeutet er doch der „von Horus Geborene",
doch sein Elternhaus bekennt sich zum Christenturn. Mehr noch: Der Vater Leonides,
vermutlich römischer Staatsbürger, wird im Jahre 202 unter Kaiser Septimius
Severus wegen seines religiösen Bekenntnisses enthauptet. Da sein Sohn in
diesem Zusammenhang als siebzehnjährig erwähnt wird, kann man auf das Jahr
185/86 als Geburtsjahr des ORIGENES schließen.
Hier
setzt auch das sechste Buch der Kirchengeschichte des EUSEBIOS von Kaisareia
ein, unsere wichtigste und ausführlichste biographische Quelle, die möglicherweise
schon eine Tendenz zu legendärer Ausschmückung enthält. Doch sie beruht
auf Aussagen von Zeitgenossen und auf Originaldokumenten. Es heißt da zum
Beispiel über den religiösen Eifer des Märtyrersohns:
„Da
erfaßte auch die Seele des noch jugendlichen Origenes die Begeisterung für
das Martyrium, so daß er sich geradewegs in die Gefahren begeben und in den
Kampf stürzen wollte. Es hätte nun nicht viel gefehlt, und er hätte sein
Leben eingebüßt, wenn nicht die göttliche, himmlische Vorsehung zum Nutzen
vieler durch seine Mutter seinem Eifer entgegengetreten wäre. Zunächst bestürmte
ihn die Mutter mit Worten und bat ihn, Rücksicht auf ihre mütterliche Liebe
zu nehmen. Als sie aber sah, daß er auf die Nachricht von der Gefangennahme
und der Einkerkerung des Vaters ganz im Verlangen nach dem. Martyrium
aufging und sich noch leidenschaftlicher darnach sehnte, versteckte sie alle
seine Kleider und nötigte ihn so, zu Hause zu bleiben. Doch da ihn der für
sein Alter ungewöhnlich große Eifer nicht in Ruhe ließ und er nicht untätig
bleiben konnte, schickte er, weil er nichts anderes tun konnte, an den Vater
einen Brief mit der dringlichen Aufforderung zum Martyrium. Wörtlich mahnte
er ihn darin: ,Hab acht, daß du nicht unsertwegen deine Gesinnung änderst!"3
Da
das große Vermögen des Vaters der kaiserlichen Schatzkammer zufiel, mußte
er mit seinen Angehörigen an den lebensnotwendigen Dingen Mangel leiden.
Allein Gott würdigte ihn seiner Fürsorge."4
Der Siebzehnjährige, offenbar hochbegabt und
frühreif, muß nun für die Mutter und sechs jüngere Geschwister sorgen. Er
tut dies als „Grammatiklehrer". Eine reiche christliche Dame kommt zu
Hilfe; sie unterstützt das jugendliche Genie, das auf diese Weise auch noch
den Studien nachgehen kann.
ORIGENES
wirkt in einer Zeit wiederholter Christenverfolgungen. Für die geistig
aufgeschlossenen Zeitgenossen bedeutet die Bekämpfung der jungen Gemeinschaft
eine Herausforderung, sich mit der neuen Religion zu befassen; wenn Menschen
Kerker, Folter, Flucht und Tod auf sich nehmen, muß von dieser christlichen
Lehre offenbar eine besondere Kraft ausgehen. Da der Klerus Alexandreia
verlassen hat, übernimmt es der noch jugendliche ORIGENES, die neuen
Christen und die in weltanschaulich aufgewühlter Zeit Suchenden in der
Lehre der Kirche zu unterweisen. Achtundzwanzig Jahre lang, heißt es, habe er
die Katechetenschule in Alexandreia geleitet.
„Origenes
stand im 18. Lebensjahre, als er Vorsteher der Katechetenschule wurde. Hier
erzielte er zur Zeit der Verfolgungen des Aquilas, des Statthalters von Alexandreia, große Erfolge und erwarb sich durch seine Freundlichkeit und
seine Gefälligkeit, die er gegen alle heiligen Märtyrer, unbekannte und
bekannte, bewies, bei allen Gläubigen einen sehr gefeierten Namen. [...] Er wäre
auch, wenn er so mutig zu den Märtyrern trat und sie offen und frei mit einem
Kusse begrüßte, oftmals von dem herumstehenden wütenden Pöbel fast
gesteinigt worden, wenn er nicht ein für allemal unter dem Schütze der göttlichen
Rechten gestanden und so stets auf wunderbare Weise entkommen wäre."5
Der Nachwelt eingeprägt hat sich ein eher
pikantes Ereignis, das auch EUSEBIOS erwähnt: die Selbstkastration. In
asketischem Übereifer wollte der jugendliche ORIGENES sich und die schönen
Ägypterinnen in der Katechetenschule vor Versuchungen des Fleisches
bewahren. Später wird er selbst in seinen Bibelkommentaren diese Tat als
unangemessen bezeichnen. Bei einigen Forschern ist diese Episode umstritten,
jedenfalls hat sie keinen erkennbaren Einfluß auf seine Wesensart gehabt.
Bei EUSEBIOS lesen wir:
„Origenes,
der in dieser Zeit an der Katechetenschule zu Alexandreia wirkte, vollzog eine
Tat, die zwar noch unreifen jugendlichen Sinn verriet, aber zugleich auch ein
herrliches Zeugnis von seinem Glauben und seiner Enthaltsamkeit gab. Er faßte
das Wort ,Es gibt Verschnittene, die sich um des Himmelreiches willen selbst
verschnitten haben' allzu wörtlich und unbesonnen auf. In dem Glauben, das
Heilandswort zu erfüllen, und zugleich in der Absicht, damit jedem Verdachte
und schändlicher Verleumdung, wie sie von heidnischer Seite wider ihn, den
noch jugendlichen christlichen Lehrer nicht nur von Männern, sondern auch von
Frauen erhoben werden könnten, den Boden zu entziehen, ließ er sich dazu
hinreißen, dieses Herrenwort in die Tat umzusetzen."
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b)
Inneres Erlebnis
Die ungeheure Arbeitsenergie des ORIGENES gilt
der Heiligen Schrift, ihrem rechten Verständnis und ihrer Rechtfertigung
vor der antiken Götterlehre, die gleichzeitig die römische Staatsreligion
darstellt. Um der Auseinandersetzung mit dem Geist seiner Zeit gewachsen zu
sein, um die christliche Lehre vor den Denkern seiner Epoche erfolgreich
darstellen zu können, unternimmt ORIGENES ein gründliches Studium der
Philosophie. Die damit in Zusammenhang stehenden wissenschaftlichen Streit-
und Einzelfragen müssen uns hier nicht beschäftigen. Immerhin ist
bemerkenswert, daß ORIGENES wahrscheinlich AMMONIOS SAKKAS, einen Vertreter
des sogenannten mittleren Platonismus, zu seinen Lehrern zählte, bei dem auch
PLOTIN studiert hat. Ein inneres Erlebnis, eine Art Bekehrung, läßt
ihn in diesen frühen Jahren die weltlichen Werke aus seiner Bibliothek verkaufen.
Der Erlös, eine regelmäßige Zuwendung von vier Oboloi, stellt ihn frei für
die intensive Arbeit an der Bibel.
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c)
Lehrer
Dieses Studium hat ihn bis an sein Ende
begleitet, und Theologie blieb für ihn zuerst Bibelauslegung. In Predigten
und Kommentaren hat er im Verlauf seines, für damalige Verhältnisse sehr
langen, Lebens fast die gesamte Bibel des Alten und des Neuen Testaments
interpretiert. Der Asket ORIGENES, der mit den bescheidensten Mitteln seinen
persönlichen Unterhalt bestritt, bezeichnete sich selbst als hart. Für das
antike Mönchtum wurde er zum prägenden Vorbild. Der Beiname „der Stählerne"
oder „der Diamantene", mag ein Familienname sein; meistens wird diese
Bezeichnung auf seinen asketischen Ernst und Arbeitseifer hin gedeutet.
Von
seinen Reiseaktivitäten ist eine mehrmonatige Fahrt nach Rom um 215 belegt;
ORIGENES habe die dortige, im Vergleich mit Alexandreia schon ältere, Kirche
kennenlernen wollen, heißt es bei EUSEBIOS. Von den Schriften aus dieser Zeit
sind nur Bruchstücke erhalten.
Ein
wichtiger Förderer von Origenes' Arbeit ist ein gewisser Ambrosios, ein
reicher Mann offenbar, der immer wieder in Vorworten anerkennende Erwähnung
findet. Dieser Ambrosios, dem die Nachwelt es verdankt, daß von den
Arbeiten des Kirchenvaters immerhin einiges erhalten geblieben ist, hat die
materiellen Voraussetzungen für ORIGENES' weitgespanntes Schaffen gewährleistet,
nämlich durch die Finanzierung einer Art Schreibbüro. EUSEBIOS:
„Es
standen nämlich Origenes beim Diktieren mehr als sieben Schnellschreiber zur
Verfügung, welche sich zu bestimmten Zeiten ablösten; nicht geringer war die
Zahl der Reinschreiber nebst den im Schönschreiben geübten Mädchen. Die für
dieses ganze Personal notwendigen Ausgaben bestritt Ambrosios in reichlichem
Maße. Ja er nahm sogar mit unsagbarem Eifer an der mühevollen Bearbeitung
der göttlichen Schrift teil, wodurch er Origenes ganz besonders zur Abfassung
seiner Kommentare antrieb."7
Ambrosius fühlt sich seinem Lehrer ORIGENES zu
großem. Dank verpflichtet. Durch die Begegnung mit ihm war er aus der
geistigen Bindung an eine gnostische Sekte befreit worden. EUSEBIOS berichtet
in diesem Zusammenhang über ORIGENES' Wirken und den Erfolg, aber auch über
die umfassende Lehrweise, die auch profane Fächer einschloß:
„Damals wurde auch Ambrosios, ein Anhänger der Häresie
des Valentinos, durch die von Origenes verkündete Wahrheit überführt, so daß
er, wie von einem Lichte innerlich erleuchtet, zur wahren Lehre der Kirche übertrat.
Aber noch sehr viele andere gelehrte Männer kamen, da sich der Ruf des
Origenes überallhin verbreitete, zu ihm, um einen Beweis von der Tüchtigkeit
des Mannes in den heiligen Wissenschaften zu erhalten. Zahlreiche Häretiker
und nicht wenige von den angesehensten Philosophen hörten mit Eifer ihm zu
und ließen sich von ihm ebenso in den göttlichen Dingen wie auch in der
heidnischen Philosophie unterrichten. Diejenigen, welche er für begabt
erachtete, führte er nämlich auch in die philosophischen Fächer ein, indem
er ihnen Unterricht in Geometrie, Arithmetik und den anderen grundlegenden
Wissenschaften erteilte, sie mit den verschiedenen Systemen der Philosophen
bekannt machte, deren Schriften erklärte, kommentierte und im einzelnen
kritisierte, was ihm auch bei den Heiden den Ruhm eines großen Philosophen
eintrug. Auch viele von denen, die der Bildung ferne standen, veranlaßte er
zum Studium der allgemeinen Wissenschaften, indem er ihnen erklärte, daß sie
damit eine nicht wenig nützliche Unterlage für das Verständnis der göttlichen
Schriften gewönnen. Aus diesem Grunde hielt Origenes die Pflege der
weltlichen Wissenschaften und der Philosophie für sich selbst für sehr
notwendig."8
Schon zu seiner Zeit und bis in die Gegenwart
wurde die Frage gestellt: War denn dieser ORIGENES nicht eher ein Philosoph in
der Nachfolge PLATONs denn ein Christ? Eine sehr frühe Antwort seitens eines
heidnischen Philosophenkollegen zeigt die große Spannung zwischen griechischem
Denken und christlichem Glauben auf, die aus ORIGENES' Werk tatsächlich
herausgelesen werden kann. EUSEBIOS ist es wiederum, der uns den Ideenstreit
überliefert:
„Ich erwähne Porphyrios, der noch zu unserer Zeit
in Sizilien gelebt hat und gegen uns Schriften verfaßte, in welchen er die göttlichen
Schriften zu lästern suchte und der Bibelexegeten gedachte. Da er an den
Lehren keineswegs etwas aussetzen konnte, verlegt er sich aus Mangel an
Beschuldigungsgründen darauf, zu schimpfen und die Schrifterklärer zu
verleumden, vor allem Origenes. Nachdem er gesagt, er habe ihn in seiner
Jugend kennengelernt, sucht er ihn zu verlästern, empfiehlt ihn aber , ohne
es zu merken. Wo er nicht anders konnte, berichtet er über ihn die Wahrheit;
wenn er aber glaubte, daß man es nicht merke, ersinnt er über ihn Lügen.
Bald macht er ihm den Vorwurf, daß er Christ sei, bald verwarf er seine
Fortschritte in der Philosophie. Vernimm seine eigenen Worte!
Da
einige, statt sich von der Erbärmlichkeit der jüdischen Schriften abzuwenden,
nach befriedigenden Lösungen suchten, verloren sie sich in verworrene, dem
Texte nicht entsprechende Erklärungen, welche nicht so sehr eine Verteidigung
der fremden, als vielmehr Anerkennung und Lob der eigenen Sache zum Ziele
haben. Diese Exegeten reden groß daher, die klaren Worte des Moses seien Rätsel;
sie verhimmeln dieselben als Gottesworte voll heiliger Geheimnisse und betören
durch ihren Schwindel die Fähigkeit zur Kritik. [...] Diese törichte Methode
möge man an einem Manne beobachten, mit dem auch ich in meiner frühesten
Jugend verkehrt habe, nämlich an Origenes, der in hohem Ansehen stand und
noch heute durch seine hinterlassenen Schriften in Ansehen steht und dessen
Ruhm bei den Lehrern dieser Gedanken weit verbreitet ist! Er war Schüler
des Ammonios, des verdientesten Philosophen unserer Zeit. Wissenschaftlich
hatte Origenes von seinem Lehrer sehr viel gewonnen, doch schlug er - was
die rechte Entscheidung fürs Leben anbelangt - einen entgegengesetzten
Lebensweg ein. Ammonios nämlich wandte sich, obwohl von seinen Eltern als
Christ im Christentum erzogen, sobald er zu denken und zu philosophieren
anfing, sofort der den Gesetzen entsprechenden Lebensweise zu. Origenes aber
irrte, obwohl als Grieche unter Griechen erzogen, zu barbarischer
Dreistigkeit ab. Ihr zuliebe verkaufte er sich und seine Bildung. Sein Leben
war das eines Christen und widersprach den Gesetzen. In seiner Auffassung von
der Welt und von Gott dachte er wie ein Grieche und schob den fremden Mythen
griechische Ideen unter. Ständig beschäftigte er sich nämlich mit Platon.
Er war vertraut mit den Schriften des Numenios, Kronios, Apollophanes,
Longinos, Moderatus, Nikomachos und der berühmten Männer aus der pythagoreischen
Schule. Er benützte aber auch die Bücher des Stoikers Chairemon und des
Cornutus, von welchen er die allegorische Auslegung der heidnischen Mysterien
erlernte, und wandte diese Methode auf die jüdischen Schriften an.'
So
sagt Porphyrios im dritten Buch seiner Schrift ,Gegen die Christen'. Wahr ist,
was Porphyrios über die Tätigkeit und das reiche Wissen des Origenes sagt.
Doch lügt er offensichtlich, wenn er behauptet, Origenes sei vom Heidentum
aus übergetreten und Ammonios sei vom gottesfürchtigen Leben zum Heidentum
abgefallen. Wie konnte er, der gegen die Christen schrieb, anders als lügen?"9
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d)
Priester
28 Jahre lang hat ORIGENES in Alexandreia als
Lehrer gewirkt, schon zu seiner Zeit in der ganzen damaligen Welt berühmt, so
sehr, daß ihn selbst die Mutter des Kaisers Alexander Severus, Mammaea,
um 232 nach Antiocheia einlud, um dort seine Vorträge zu hören. Reisen
hatten ihn auch nach Athen und Kappadokien, nach Arabien und vor allem nach
Palästina geführt. Durch seine Aufenthalte in Jerusalem und Kaisareia,
lateinisch Caesarea Maritima, erwarb er sich dort zwar bischöfliche Freunde,
ab er das ließ wiederum seinen Heimatbischof, Demetrios von
Alexandreia, zu seinem Feind werden. Der Hintergrund ist verflochten und
nicht gänzlich zu klären.
ORIGENES,
zu dieser Zeit zwar Lehrer in theologischen Dingen, sogar mit Billigung seines
Bischofs, aber ohne die sakramentale Weihe eines Priesters, war in Palästina
als Prediger im Gottesdienst aufgetreten, und zwar im Auftrag der dortigen
Bischöfe. Seinem eigenen Bischof mißfiel dies. Ob es sich dabei nur um eine
disziplinäre, kirchenrechtliche Angelegenheit handelte, um persönliche
Animositäten, um einen Prestigekampf zwischen der Hierarchie und einem
weltweit angesehenen Laien, oder aber, vielleicht auch gleichzeitig, um
dogmatische Lehrstreitigkeiten, ist ungeklärt. Als jedoch die palästinischen
bischöflichen Freunde den ORIGENES, der nun nicht aus ihrer Diözese stammte,
gar im Jahre 230 zum Priester weihten, betrieb der eigentlich dafür
zuständige Demetrios die Verurteilung des ORIGENES - wohl auch mit dem
Hinweis auf das Alte Testament, ein Verschnittener könne gar nicht Priester
werden. Damit war dem Wirken des ORIGENES in Alexandreia ein Ende gesetzt.
Bittere Klagen sind darüber nicht überliefert, denn ORIGENES neigte nicht
zum Kreisen um die eigene Person, sondern blieb ganz auf seinen
geistig-geistlichen Auftrag gerichtet.
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e)
Kaisareia
Jedenfalls zieht er - wohl 232 - nach Kaisareia
und begründet dort eine neue Schule. Sie wurde berühmt, nicht zuletzt durch
ihre Bibliothek, in der noch EUSEBIOS viele uns verlorengegangene
Originalschriften einsehen konnte. Von nun an wirkt der berühmte Autor und
Prediger hauptsächlich in Kaisareia. Und aus den nun folgenden Jahren sind
wichtige und umfangreiche Schriften erhalten, wenn auch teilweise nur in
lateinischer Übersetzung. Fast täglich war ORIGENES in den Gottesdiensten
als Ausleger der Bibel aktiv, seine Schnellschreiber stenographierten viele
seiner Homilien.
Über
die Lehrtätigkeit in Kaisareia, vor allem über die Ausstrahlung seiner
Persönlichkeit, informiert auch eine Lobrede seines Schülers GREGOR, der später
Bischof werden sollte und mit dem Beinamen Thaumaturgos, also Wundertäter,
im Heiligenkalender steht.
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f) Verfolgung
und Tod
Unter Kaiser Maximinus Thrax (seine
Regierungszeit ist 235 - 238) bricht eine neue Christenverfolgung aus, in
der die Schrift „Über das Martyrium" entsteht, die ORIGENES einigen
Glaubensbrüdern widmet, die in konkreter Gefahr sind. Das Werk erinnert uns
an seine frühe Jugend, als er den Brief an den Vater im Gefängnis schrieb.
ORIGENES, der für sich das Martyrium ersehnt hatte, wird dessen nicht gewürdigt.
Doch unter Kaiser Decius (249 - 251) wird auch er verhaftet und schwer
gefoltert. EUSEBIOS zählt auf:
„seine
vielen harten Leiden um der Lehre Christi willen, seine Einkerkerung und
seine körperlichen Qualen, seine Schmerzen in den eisernen Ketten und in
den Winkeln des Verlieses, die vieltägige Ausspannung seiner Füße. bis zum
vierten Loche des Folterblockes, die Bedrohungen mit dem Feuertode, das
geduldige Ertragen aller anderen von den Feinden ihm zugefügten Drangsale,
den Abschluß des gegen ihn eingeschlagenen Verfahrens, wobei der Richter
eifrigst mit allen Mitteln darnach strebte, ihn ja am Leben zu erhalten,
ferner die von ihm sodann noch abgefaßten und hinterlassenen Schriften,
welche für Trostbedürftige von großem Nutzen sind"10
.Die Absicht der Christentumsgegner, ORIGENES über
Kerker und Folter zur Apostasie zu verleiten, scheiterte; der Abfall hätte
unter den jungen Christen eine große Wirkung" gehabt. Andererseits
suchte man auch nicht
seinen
Tod, weil man die Propagandawirkung des Martyriums fürchtete. ORIGENES aber
starb, wohl auch infolge der erlittenen Quälereien, - so nimmt man an -
zwischen 251 und 254. Sein Grab wurde noch im Mittelalter in Tyros gezeigt.
EUSEBIOS kennt das genaue Datum nicht, vermerkt aber zur zeitlichen Einordnung
dies:
„Als
[Kaiser] Decius, ohne ganze zwei Jahre regiert zu haben, zugleich mit seinen Söhnen
ermordet wurde, folgte Gallus. Um diese Zeit starb Origenes im Alter von 69
Jahren."11
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4. Werke
Wir
wollen nun in die Werke des ORIGENES hineinlesen, einige wichtige
Schriften wenigstens zitatweise kennenlernen. Doch dazu zunächst noch einige
erläuternde Vorbemerkungen.
Was
ist eigentlich typisch für unseren ORIGENES, welches von seinen Büchern
zeigt den wahren Kirchenvater? darf man fragen - und wird darauf keine
eindeutige Antwort erhalten. Der Umfang des Werks ist zunächst einmal
riesig. Von über zweitausend Büchern ist in der Antike übertreibend die
Rede; immerhin überliefert der Übersetzer und spätere Origenes-Gegner
HIERONYMOS recht umfangreiche Titellisten. Davon ist nur ein Bruchteil auf
uns gekommen. Aber dieser Bruchteil umfaßt schließlich in der traditionsreichen
Kirchenväterausgabe von Migne mehr als elftausend engbedruckte und schwer
lesbare Spalten in griechischer und lateinischer Sprache. Noch in unserem
Jahrhundert wurden Schriften oder Bruchstücke entdeckt im originalen
Griechisch, und die Edition der Werke ist keineswegs abgeschlossen. In
deutscher Sprache liegt keine vollständige Übersetzung vor. Die Hauptwerke
jedoch, aus denen wir auch zitieren wollen, sind zugänglich, zumindest über
Bibliotheken. Die Editionsgeschichte zeigt, wie mühsam und umstritten jede
Herausgabe ist. Die Deutungen des origeneischen Werks, die Kontroversen und
Einzeluntersuchungen füllen im wörtlichen Sinn ganze Bibliotheken.
Dennoch
wagen wir es, mit dem Vorbehalt des anthologischen Zugangs, über Ausschnitte
auf ein komplexes Werk neugierig zu machen, übrigens blieb schon der
christlichen Antike keine andere Wahl: Angesichts des Werkumfangs erstellten
die Kirchenväter BASILEIOS DER GROSSE und GREGOR VON NAZIANZ im Jahre 360 die
berühmte „Philokalia" - einen anthologischen Durchblick anhand ausgewählter
Zitate.
Nach
unserem biographischen Kurzbericht wollen wir also Einblick nehmen in die
schriftliche Hinterlassenschaft des ORIGENES. Das brisante Frühwerk, das als De
principiis lateinisch überliefert ist, und das zwanzig Jahre später
verfaßte, in griechischer Sprache erhaltene apologetische Opus Contra
Celsum (Gegen Kelsos also), diese beiden Schriften dienen uns als
repräsentative Texte aus dem vielgestaltigen Gesamtwerk. Für die Vorstellung
seiner exegetischen Arbeit sollen die Kommentare zum Matthäusevangelium und
zum Römerbrief dienen.
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a) De
principiis
Zwischen 220 und 250 entstand das umstrittenste
Werk, eine systematische Abhandlung über den christlichen Glauben, eigentlich
die erste Glaubenslehre in Buchform. Sie trägt den griechischen Titel peri
archon; uns ist davon aber nur eine lateinische Übersetzung erhalten, De principiis.
Rufinus von Aquileja, der Übersetzer, hat das umfangreiche Werk auch gekürzt
und bearbeitet; in seinem Vorwort nennt er aber ganz offen die Kriterien für
seine Modifikationen: die Rechtgläubigkeit, wie sie damals verstanden wurde.
Wohl
schon zu der Zeit, als ORIGENES noch in Alexandreia wirkte, kam es zu
Kontroversen um dieses Buch, mit einem Nachhall bis in unsere Zeit. Jedenfalls
besteht durchaus die von PORPHYRIOS angemerkte Spannung zwischen Christentum
und platonischer Philosophie in diesem „Grundlagen"-Werk, wie sich der
Titel wiedergeben läßt.
Mit
größerer Nüchternheit als die Zeitgenossen des Alexandriners und seine späteren
kirchlichen Gegner sehen die Theologen heute den Streit um dieses Buch. Mit
gutem Recht geben die Fachleute zu bedenken: ORIGENES war ganz selbstverständlich
ein Kind seiner Zeit, geprägt von der griechischen Kultur, namentlich von
platonischem Gedankengut. Er hat eben versucht, in den Geist seiner Epoche
hinein die Lehre des Christentums zu „inkulturieren" - wie wir heute
sagen würden -, einzubringen in das Lebensgefühl, in die Ausdrucksmittel und
Paradigmen seiner Zeit. ORIGENES ging dabei Wege, die von der Schrift nicht
immer gedeckt waren, vor allem nicht von der nachfolgenden theologischen
Entwicklung.
Ein
zweiter Punkt: Bei den frühen kirchlichen Schriftstellern finden sich viele
Äußerungen, die nicht mit dem Schrifttum, das als kanonische Bibel
Anerkennung gefunden hat, übereinstimmen. Viele Zitate lassen sich ausfindig
machen, die der späteren kirchlichen Lehrentwicklung nicht entsprechen;
ORIGENES macht da gar keine Ausnahme. Die christliche Lehre war ja erst im
Entstehen begriffen. Und ORIGENES ist und bleibt, trotz aller Vorbehalte in
Einzelfragen, einer ihrer wichtigsten Begründer.
Zu
bedenken ist auch ein Drittes: Die großen dogmatischen Entscheidungen, die
das spätere Glaubensbekenntnis prägten und, negativ abgrenzend, zur Abwehr
sogenannter Häresien führten, diese Konzilsentscheidungen liegen ja erst nach
der Lebenszeit des ORIGENES. Nach heutigem Verständnis kann man deshalb
seine Rechtgläubigkeit nicht einfach nach Maßstäben bewerten, die es zu
seiner Zeit noch gar nicht gegeben hat. Die heftigen Verurteilungen des
ORIGENES, die dreihundert Jahre nach seinem Tod formuliert wurden, hatten wohl
auch nicht immer nur echte origeneische Aussagen zum Inhalt und erfolgten
nicht in der historischen und auch innerlichen Distanz, über die wir heute
verfügen.
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b) Reinkarnation
Nehmen wir jetzt als ein Beispiel die Thematik
der Reinkarnation, also die Idee von Seelenwanderung oder Wiedereinkörperung.
Als ein heute durchaus aktuelles Thema bietet es einen Zugang zu dem zeitlich
doch recht entlegenen Werk. Wie stellt sich ORIGENES zu dieser in der griechischen
Antike ganz selbstverständlichen Vorstellung? Zwei Voraussetzungen sind hier
zunächst festzuhalten. ORIGENES, und das ist die erste, sieht die Schöpfung
in ihrem Ursprung als eine Welt der körperlosen Geister. Daß die Welt
stofflich ist, daß Menschen einen Leib annehmen, ist für ihn erst die Folge
eines Fehlverhaltens der Geistwesen, sozusagen Konsequenz eines vorkosmischen
Sündenfalls. Die in vielen Weltentstehungen und Untergängen sich
vollziehende Evolution des Kosmos und seiner Bewohner wird schließlich auch
zurückkehren zum Ausgangspunkt, zum reinen Geist also. Hier verbindet sich,
und das ist der zweite Punkt, eine Deutung des Sündenfalls, wie er in der
Bibel und vor allem in außerbiblischen hebräischen Schriften beschrieben
ist, mit dem zyklischen Weltbild des antiken Griechenland. Die
Seelenwanderungslehre PLATONs und die bei ihm überlieferte Abfolge der großen
Weltenjahre stehen im Hintergrund des origeneischen Frühwerks. ORIGENES
bleibt in all diesen Aussagen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig
lassen, immerhin vorsichtig, wenn er, zum Beispiel, vom Ende der Welt sagt:
„Dabei
sprechen wir unsererseits mit großer Behutsamkeit, mehr als Untersuchende
und Erörternde denn als fest und sicher Behauptende (cum magno metu et
cautela). [...] Jedenfalls glauben wir, daß Gottes Güte durch seinen
Christus die ganze Schöpfung zu einem einzigen Ende führen wird, in dem auch
die Feinde unterworfen werden. [...] Wenn wir eine solche Vorstellung vom Ende
haben, wo ,alle Feinde Christus unterworfen sind', wo ,als letzter Feind der
Tod vernichtet wird', wo ,das Reich von Christus, dem alles unterworfen ist,
dem Gott und Vater übergeben wird': dann können wir von diesem Ende her auf
den Anfang der Welt blicken. Denn immer ist das Ende dem Anfang ähnlich; und
daher muß, so wie das Ende von allem eines ist, so auch ein Anfang von allem
angenommen werden; und so, wie die vielen Dinge ein Ende haben, so entspringen
die vielen Unterschiede und Abweichungen aus einem Anfang."12
Solche Vorstellungen trägt also ORIGENES an
die Bibel heran. Als Beispiel die Geschichte von den verfeindeten Brüdern
Esau und Jakob, in der die Zuneigung Gottes eigentlich dem Betrüger Jakob
gilt, nicht dem erstgeborenen Esau. ORIGENES bezieht sich auf den Römerbrief,
in dem Paulus über die Kinder Rebekkas die durchaus beunruhigende Bemerkung
macht:
„ihre Kinder waren noch nicht geboren und hatten
weder Gutes noch Böses getan; damit aber Gottes freie Wahl und
Vorherbestimmung gültig bleibe, nicht abhängig von Werken, sondern von ihm,
der beruft, wurde ihr gesagt:
Der
Ältere muß dem Jüngeren dienen;
denn es steht in der Schrift: Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehaßt.
13
ORIGENES greift die Frage des Paulus: „Heißt
das nun, daß Gott ungerecht handelt?"14
auf seine Weise auf
und erklärt dieses Ärgernis reinkarnatorisch:
„Wir müssen nur annehmen, daß [Jakob] auf Grund
von Verdiensten eines früheren Lebens von Gott mit Recht geliebt wurde, so daß
er auch nach Verdienst dem Bruder vorgezogen wurde. Dasselbe finden wir nun
auch bei den himmlischen Geschöpfen; hier müssen wir beachten, daß diese
Mannigfaltigkeit nicht der Urzustand der Schöpfung ist, sondern daß
infolge vorangehender Ursachen jedem Wesen nach dem Wert seiner Verdienste
vom Schöpfer ein Dienst zugewiesen wird, d. h. infolge der Tatsache, daß ein
jeder, sofern er als Intelligenz oder als vernünftiger Geist von Gott
geschaffen ist, entsprechend seinen geistigen Bewegungen und dem Denken seines
Herzens sich selbst mehr oder weniger Verdienste erwirbt und für Gott liebenswert
oder hassenswert wird."15
„Denn
Gott lenkt die Seelen nicht im Hinblick auf die, sagen wir, fünfzig Jahre des
irdischen Lebens, sondern auf die unendliche Ewigkeit; denn er hat die
geistige Substanz unvergänglich gemacht und ihm selbst verwandt, und die vernünftige
Seele ist nicht von der Heilung ausgeschlossen, als wäre sie auf das Leben
hier auf Erden beschränkt."16
Man
kann
„nur
eine Erklärung geben, die die göttliche Vorsehung von jeglichem Vorwurf
der Ungerechtigkeit freihält: nämlich, daß man bei ihnen gewisse frühere
Ursachen annimmt; die Seelen hätten, bevor sie im Körper geboren wurden,
irgendeine Schuld auf sich geladen in ihrem Denken oder in ihren Bewegungen,
und dafür seien sie von der göttlichen Vorsehung zu Recht verurteilt worden,
dies zu leiden. Denn die Seele ist immer freien Willens, sowohl wenn sie in
diesem Körper ist, als auch wenn sie außerhalb des Körpers ist".17
ORIGENES vertritt also die Willensfreiheit
gegen die Prädestination, eingebunden in die Wiedereinkörperungslehre,
zumindest aber in die Vorstellung einer Inkarnation infolge vorgeburtlichen
Fehlverhaltens. Auf diese Stellen aus dem Grundlagenwerk des ORIGENES, aus dem
wir zitiert haben, berufen sich viele Anhänger der Reinkarnationslehre. Mit
gutem Recht, so will es scheinen. Doch das ist nicht der ganze ORIGENES in
dieser Frage. Wir wollen noch zwei Äußerungen zitieren, die ORIGENES etwa
zwanzig Jahre später veröffentlicht hat, um das Jahr 250, nämlich in seinem
Kommentar zum Matthäus-Evangelium und in der Verteidigungsschrift gegen Kelsos.
Eine
erste Bemerkung erfolgt eigentlich nur so nebenbei, sie ist aber dennoch
deutlich. Zur Erklärung jener Stelle, in der Herodes Jesus als den wiedergekommenen
Täufer Johannes bezeichnet, den er selbst hat umbringen lassen, heißt es bei
ORIGENES:
„Es
könnte aber jemand sagen, daß Herodes und einige Leute aus dem Volke der
irrigen Lehre von der Seelenwanderung anhingen, so daß sie meinten,
derjenige, der einmal Johannes war, sei (neu) geboren worden und von den
Toten als Jesus wieder ins Leben gekommen. Aber auch diesen Irrtum kann
man nicht für wahrscheinlich halten, weil die Zwischenzeit zwischen der
Geburt des Johannes und der Jesu nicht mehr als sechs Monate beträgt.
18
Im
selben Matthäus-Kommentar nimmt ORIGENES zu einer weiteren, vielfach auf
Reinkarnation gedeuteten Perikope Stellung. Ist Johannes der Täufer
etwa der wiedergekommene Prophet Elija?
„Da
fragten ihn die Jünger: Warum sagen denn die Schriftgelehrten, zuerst müsse
Elija kommen? Er gab zur Antwort: Ja, Elija kommt, und er wird alles
wiederherstellen. Ich sage euch aber: Elija ist schon gekommen, doch sie
haben ihn nicht erkannt, sondern mit ihm gemacht, was sie wollten."
19
ORIGENES gibt eine Antwort, die wiederum
eindeutig ist. Und er nimmt die Schrift zum Zeugen gegen die von ihm früher
vertretene Wiedereinkörperungslehre:
„Dabei
scheint mir nicht die Seele Elias genannt zu werden; ich möchte nämlich
nicht in die Lehrmeinung von der Wiedereinkörperung verfallen, welche der
Kirche Gottes fremd ist und weder von den Aposteln überliefert ist, noch
irgendwo in den Schriften erscheint. Sie steht nämlich auch dem entgegen, daß
,das Sichtbare vergänglich' ist und daß diese Weltzeit eine Vollendung
erfahren wird, aber auch <der Erwartung'», daß sich jenes Wort erfüllt:
,Der Himmel und die Erde werden vergehen' und jenes andere: ,Die Gestalt
dieser Welt geht nämlich vorüber' und ,Die Himmel werden vergehen' und was
sich daran anschließt." 20
In
einer weiteren Schrift des späten ORIGENES findet sich eine gleichsinnige
Bemerkung. Sie steht in folgendem Zusammenhang: Kann denn die Weisheit der
Alten wirklich standhalten gegenüber der Gotteslehre der Bibel, fragt
ORIGENES ironisch-polemisch und spricht dabei auch die Seelenwanderungslehre
an:
„Wenn nun die Ägypter, um ihrer Lehre Würde zu
verleihen, die Verehrung ihrer Tiere theologisch zu begründen suchen, so sind
sie weise; wenn aber jemand, der dem Gesetz und dem Gesetzgeber der Juden
zustimmt, alle Dinge allein auf Gott, den Schöpfer der Welt, zurückführt,
so steht er in den Augen des Kelsos und seiner Gesinnungsgenossen
tiefer als einer, der die Gottheit nicht bloß zu vernünftigen und
sterblichen, sondern sogar bis zu den unvernünftigen Wesen herabzieht und
noch mehr erniedrigt als die fabelhafte Lehre von der Seelenwanderung, nach
welcher die Seele von dem Himmelsgewölbe herabfällt und bis zu den unvernünftigen
Tieren, nicht nur den zahmen, sondern auch den wildesten, herabsteigt. Wenn
die Ägypter solche Märchen erzählen, so glaubt man, sie hätten ihre
philosophischen Meinungen in Rätsel und geheimnisvolle Worte gekleidet; wenn
aber Moses, der für ein ganzes Volk schreibt, ihm seine Geschichte und seine
Gesetze hinterläßt, so werden ,seine Worte' für ,leere Fabeln' angesehen,
.die nicht einmal allegorische Auslegung zulassen'.21
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c)
Römerbrief
Wer
heute in Deutschland die Bibel liest, tut dies zumeist anhand einer revidierten
Luther-Übersetzung oder er benutzt die neuere Einheitsübersetzung, nach
der auch wir hier zitieren. Damit gerät automatisch der multikulturelle
Kontext der frühen Christenheit aus dem Blick. Der Apostel Paulus zum
Beispiel, dessen Brief an die Römer wir jetzt zum Thema machen wollen, kann
sich auf seine römische Staatsbürgerschaft berufen - er ist in Tarsus
geboren, im Gebiet der heutigen Südosttürkei. Seine Religion ist natürlich
die jüdische; als Schriftgelehrter liest er die Bibel hebräisch. Aber er ist
auch griechischer Kultur und verfaßt seine Briefe an die von ihm betreuten
Gemeinden in griechischer Sprache.
Für ORIGENES wiederum ist das Griechische wohl
die Muttersprache, und aus diesem Vorteil heraus steht er recht unabhängig
dem griechischen Text des Neuen Testaments gegenüber. Er scheut sich nicht,
penible Fragen nach der Satzstruktur zu stellen und nimmt sich auch die
Freiheit, das Griechisch des Apostels Paulus zu kritisieren. Er macht sich so
seine Gedanken und mutmaßt, in welchen Städten Paulus wohl seine Texte verfaßt haben könnte, und er geht auch dem Argumentationsduktus nach, wenn
er zum Beispiel zum Römerbrief bemerkt:
„So
wie der Apostel Paulus den Brief komponiert hat, wirkt die Gedankenfolge
fast im gesamten Text ziemlich inkonsequent. Denn einmal richtet sich sein
Wort gegen die Heiden, ein anderes Mal tritt es mildernd für sie ein."22
Nicht
uninteressant, ja für die meisten Leser überraschend, ist auch eine
Anmerkung zu den persönlichen Verhältnissen des Völkerapostels, die sich
auf frühe christliche Autoren stützen kann:
„Paulus ist nach der Überlieferung gewisser Leute
als Verheirateter berufen worden. Er spricht von seiner Frau im Brief an die
Philipper: ,Ich bitte auch dich, treue Gefährtin, nimm dich ihrer an!' Weil
er mit ihrem Einverständnis von ihr frei wurde, nennt er sich einen Sklaven
Christi. Wenn er aber, nach der Meinung anderer, als Freier berufen wurde, ist
er nichtsdestoweniger Sklave Christi."23
Auch für heutige Leser dürfte nun doch sehr
aufschlußreich sein, wie sich der Märtyrersohn ORIGENES, der die
Christenverfolgungen seiner Zeit erleben muß, gerade zu jener zentralen
Stelle des Römerbriefs stellt, die das Verhältnis zur Staatsmacht anspricht.
Die Verse l bis 7 aus Römer 13, die wir zunächst im Zusammenhang zitieren,
haben bekanntlich bis in unsere Gegenwart die Geister beunruhigt. Es heißt da
wörtlich:
„Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt
den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von
Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen
Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm
entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen. Vor den Trägern der Macht hat
sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne
Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, so daß du ihre
Anerkennung findest. Sie steht im Dienst Gottes und verlangt, daß du das Gute
tust. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt
sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem,
der Böses tut. Deshalb ist es notwendig. Gehorsam zu leisten, nicht allein
aus Furcht vor der Strafe, sondern vor allem um des Gewissens willen. Das ist
auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln
jene, die Steuern einzuziehen haben. Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid,
sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre."
24
Die Gewissensnot, die diese Stelle bei vielen
Christen unter diktatorischen Regimen ausgelöst hat, ist bekannt. Es scheint,
ORIGENES, der seinen Römerbriefkommentar in den Jahren 243 und 244 verfaßt
hat, ist durch das Paulus-Wort nicht in tiefe Skrupel verfallen. Ein
Ausschnitt aus seiner Deutung dieser berühmt-berüchtigten Stelle:
„Laßt uns also jetzt sehen, was der Apostel im
Folgenden noch anfügt:
Jede Seele sei den höheren Gewalten Untertan.
Meiner Meinung nach hat er es hier sehr gut gemacht, daß er den Ausdruck
,Seele' gebraucht, wenn er den Auftrag gibt, sie solle den Gewalten
unterworfen sein. Niemals nämlich hätte er gesagt, jeder Geist solle sich
der Gewalt unterwerfen, sondern jede ,Seele'. Von dieser Unterscheidung haben
wir schon oft geredet und gesagt, der Mensch werde manchmal durch die Seele,
manchmal durch das Fleisch und manchmal durch den Geist bezeichnet. Doch wenn
er vom besseren Teil her bestimmt und als geisterfüllter Mensch verstanden
werden soll, wird er ,Geist' genannt, wenn vom niedrigeren Teil her, ,Seele',
wenn er aber seinen Namen vom schlechtesten Teil her bekommt, wird er
,Fleisch' genannt. [...] Weil der Apostel den Glaubenden Vorschriften gibt,
will er jetzt also, daß wir, soweit es an uns liegt, die Ruhe und den Frieden
in diesem gegenwärtigen Leben bewahren. [...] Auch unser Herr hat nämlich
gesagt, solche, die in sich die Aufschrift des Kaisers hätten, sollten dem
Kaiser zurückgeben, was des Kaisers ist. [...]
Denn
es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt.
Jemand sagt vielleicht: Wie denn? Ist auch die
Gewalt, welche die Diener Gottes verfolgt, den Glauben bekämpft und die
Religion umstürzt, von Gott? Darauf wollen wir kurz antworten. Jeder weiß, daß das Sehvermögen uns von Gott geschenkt wurde wie auch das Gehör und
das Empfindungsvermögen. Obwohl wir dies also von Gott haben, steht es
trotzdem in unserer Macht, daß wir das Sehvermögen zum Guten oder zum
Schlechten gebrauchen [...]; darum ist das Urteil Gottes gerecht, weil wir
mit dem, was er uns zum guten Gebrauch gegeben hat. Mißbrauch treiben und es
uns zum Gottlosen und Schlechten dient. So ist also auch alle Gewalt von Gott
gegeben, damit sie das Böse bestraft, das Gute dagegen anerkennt'
[...]
Und
darum sagt Paulus: Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt
sich gegen die Ordnung Gottes [...]. Hier spricht er nicht von den
Gewalten, die Verfolgungen gegen den Glauben anzetteln; in einem solchen Fall
muß man nämlich sagen: ,Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.'
[...] ,[Es] bewegt mich, daß Paulus die weltliche Gewalt und den weltlichen
Richter als im Dienst Gottes stehend bezeichnet; und das sagt er nicht einmal,
sondern wiederholt es ein zweites und drittes Mal. Ich möchte also gern
erforschen, wieso der weltliche Richter Gottes Diener ist. Wir haben eine
Stelle in der Apostelgeschichte entdeckt; dort steht geschrieben, daß die
Apostel zusammenkamen und Verordnungen erließen, die wir als solche, die aus
dem Heidentum zum Glauben an Christus gekommen sind, befolgen sollten. Unter
ihnen befindet sich auch Folgendes [...]: ,Der Heilige Geist und wir haben
also beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen
Dinge: Enthaltung von Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktem und das Meiden von
Unzucht. Wenn ihr euch davor hütet, handelt ihr richtig. Lebt wohl.' Mit
diesen Geboten [...] werden weder Mord noch Ehebruch noch Diebstahl oder
gleichgeschlechtlicher Verkehr noch auch die übrigen Laster, die von göttlichen
und menschlichen Gesetzen bestraft werden, verboten. [...] Die übrigen
Verbrechen werden ja durch die weltlichen Gesetze bestraft. [...] Denn nicht
alle Verbrechen, die Gott bestraft haben will, wollte er bestraft haben durch
die Bischöfe und Leiter der Gemeinden, sondern er wollte sie bestraft haben
durch den weltlichen Richter. Im Wissen darum nennt Paulus ihn mit Recht den
Diener Gottes, der den bestraft, der das Böse tut. [...]
Wenn
wir nämlich zum Beispiel annehmen, die an Christus Glaubenden seien den
weltlichen Gewalten nicht unterworfen, sie brauchten keine Steuern zu zahlen
und keine Abgaben zu entrichten, niemandem Ehrfurcht und Achtung zu erweisen,
würden sie nicht dadurch mit Recht die Waffen der Regierenden und Fürsten
gegen sich kehren und ihre Verfolger entschuldbar, sich selbst aber schuldig
machen? Sie würden dann nämlich nicht mehr wegen ihres Glaubens, sondern
wegen Widersetzlichkeit bekämpft. [... ]
Denn wenn
wir den Weinberg des Herrn bearbeiten und den wahren Weinstock, der Christus
ist, in uns wachsen lassen, werden wir den weltlichen Dienern von diesem
Weinstock keine Steuern entrichten, sondern wir werden
dem Herrn selbst zur rechten Zeit die Früchte abliefern" .25
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II.
ORIGENES UND DIE FOLGEZEIT
Die
Lektüre alter Autoren bedeutet kein reines Vergnügen, vielmehr Anstrengung
und Herausforderung an die Geduld. ORIGENES stellt wegen des Umfangs und der
problematischen Überlieferung seines Werkes ganz besondere Anforderungen an
den Leser. Die gelehrten Übersetzer und Ausdeuter haben mit ihren
Editionsproblemen, Interpretationen und Detailstreitigkeiten eine kaum mehr
überschaubare Literaturflut erzeugt. Keine Deutung ist unwidersprochen
geblieben, selbst zur puren Biographie werden unterschiedliche Daten
vorgebracht. Schließlich eröffnet der Blick auf die Wirkung des ORIGENES für
die nachfolgende Kirchen- und Theologiegeschichte ein weiteres riesiges
Spektrum an Meinungen und Gegenentwürfen.
Doch
es gibt ein Spätwerk des ORIGENES, das man auch heute noch geradezu mit
Faszination lesen kann. Erkennen wir doch darin, trotz des großen zeitlichen
und kulturellen Abstandes, so manches Problem wieder, das uns auch gegenwärtig
bewegt. Wir sprechen von den acht Büchern gegen KELSOS, den es zunächst
vorzustellen gilt.
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1.
Kelsos
KELSOS
ist uns ausschließlich deshalb bekannt geblieben, weil eben ORIGENES ihn
recht ausführlich zitiert, um ihn dann zu widerlegen. Allein aus den umfänglichen
Zitaten bei ORIGENES konnte das Werk rekonstruiert werden. Und diese
Auseinandersetzung des ORIGENES mit des KELSOS'
Schrift -Das wahre Wort oder Die wahre Lehre - ist
durchaus ein geistiges Vergnügen, wenn man die Beschäftigung mit Weltbildern
nicht als einen Zeitverlust ansieht. Was will dieser KELSOS? Der griechische
Philosoph in später Nachfolge PLATONS - ORIGENES verunglimpft ihn als
Epikureer -, KELSOS sieht im Auftauchen des Christentums eine
Krisenerscheinung des Römischen Reiches, die es zu bekämpfen gilt. Es geht
ihm um die Aufrechterhaltung des antiken Götterkults, dem er, wohl gegen Ende
des zweiten Jahrhunderts, seine Streitschrift widmete. Er hat offenbar
Judentum und Christentum gründlich studiert, kennt also seine Gegner aus
ihren eigenen heiligen Schriften und vermag sogar die verschiedenen
Meinungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Als ORIGENES im reifen Alter,
jedenfalls nach 245 - so rechnen die Gelehrten - auf Drängen seines
Freundes AMBROSIOS zu einer Widerlegung ansetzt, ist KELSOS bereits nicht
mehr am Leben. Offenbar aber hat dessen Schrift unter den Gebildeten der Zeit
hinreichend Furore gemacht, so daß nicht wenige Christen verunsichert wurden.
KELSOS
ist um eine Rückführung der Neubekehrten zum Heidentum bemüht, nicht
zuletzt im Interesse der Stabilität von Staat, Gesellschaft und Kultur. Doch
seine Ausführungen rechtfertigen gleichsam auch die staatliche
Christenverfolgung: indem er nämlich die Christen für nichts anderes als
Aufrührer erklärt, die sich von irrwitzigen Lehren hätten verführen lassen,
statt ihre Pflichten als Untertanen zu erfüllen, zu denen ja auch das Opfer
vor der Kaiserstatue gehört.
ORIGENES
seinerseits unternimmt es, den eigenen Glaubensgenossen Argumente zu liefern,
mit denen sie diese damals offenbar verbreiteten Angriffe abzuwehren
vermochten. Gleichzeitig zielt ORIGENES auf die geistig Aufgeschlossenen und
religiös Suchenden unter den Heiden. Jedenfalls entwirft er eine vitale und
polemische Apologie seiner Religion, in die wir nun - sie hat in der deutschen
Übersetzung gut 800 Seiten - wenigstens hineinlesen wollen. Dafür wählen
wir Angriffe des KELSOS gegen den jüdischchristlichen Gottesbegriff und
gegen den von ihm lächerlich gemachten angeblichen Messias Jesus Christus.
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a) Pantheon
KELSOS verteidigt das Pantheon der griechisch-römischen
Welt mit der Arroganz des griechischen Intellektuellen gegenüber einem Volk
von Viehtreibern:
„Ihrem
Führer Moses sind die Ziegenhirten und Schafhirten gefolgt und haben sich
durch plumpen Trug einreden lassen, es gebe nur einen einzigen Gott."26
ORIGENES
argumentiert dagegen zunächst im Rahmen der antiken Göttervorstellungen,
um dann - abstrakter - den neuen Gottesbegriff von Juden und Christen zu begründen.
„Wenn
nun diese .Ziegenhirten und Schafhirten' ohne allen vernünftigen Grund, wie
er meint, die Verehrung der Götter aufgegeben haben, so möge er zeigen, wie
er selbst die Annahme der Menge von Göttern bei den Griechen oder den übrigen
nichtgriechischen Völkern rechtfertigen kann. Er weise uns also das Dasein
und die Wirklichkeit der Mnemosyne nach, mit welcher Zeus die Musen, oder der
Themis, mit welcher er die Hören gezeugt hat, oder er lege dar, daß die
stets unbekleideten Grazien wirklich existieren können. [...] Wie viel
wirkungsvoller nun und besser als diese Phantasiegebilde ist es, aus den
sichtbaren Dingen die Überzeugung von der guten Ordnung der Welt zu
gewinnen und ihren Schöpfer, den einen der einen Welt, zu verehren, die ganz
mit sich selbst zusammenstimmt und deshalb nicht das Werk von vielen Schöpfern
sein kann; [...] Denn alle Dinge sind Teile der Welt, Gott aber ist kein Teil
des Ganzen, da Gott nicht unvollkommen sein darf, wie der Teil unvollkommen
ist."27
[Kelsos:]
„Die Ziegenhirtcn und Schafhirten haben nur einen einzigen Gott angenommen,
sei es nun, daß sie ihn den Höchsten oder Adonai oder den Himmlischen oder
Sabaoth, oder sei es, daß sie diese Welt so oder so zu nennen belieben; und
eine weitere Erkenntnis haben sie nicht gewonnen. [...] es [macht] nichts aus,
ob man den über allen waltenden Gott Zeus [nennt], wie die Griechen es tun,
oder ob man ihm den zum Beispiel bei den Indern oder den bei den Ägyptern üblichen
Namen [gibt]."
„Wir
erwidern darauf: Bei der vorliegenden Frage kommt die tiefe und geheimnisvolle
Lehre von dem Wesen der Namen in Betracht; ob, wie Aristoteles meint, die
Namen ihr Dasein dem Übereinkommen verdanken, oder, wie die Stoiker glauben,
einen natürlichen Ursprung haben, wonach die ersten Laute die Dinge, für die
die Namen bestimmt waren, nachgeahmt hätten [...] oder ob, wie Epikur,
abweichend von den Stoikern, lehrt, die Namen daher einen natürlichen
Ursprung haben, daß die ersten Menschen bei [dem Anblick] der Gegenstände
gewisse Laute ausgestoßen hätten. Wenn wir nun in einer besonderen
Untersuchung die Natur wirksamer Namen darlegen können, [...] dann werden
wir sagen dürfen, daß die Namen Sabaoth, Adonai und alle die ändern, die
bei den Hebräern mit großer Feierlichkeit überliefert werden, nicht für
beliebige und gewordene Dinge, sondern mit Rücksicht auf eine gewisse
geheimnisvolle Theologie gebildet worden sind, die sich auf den Schöpfer des
Weltalls bezieht."28
„Wir
wollen aber auch den folgenden Abschnitt bei Kelsos betrachten, wo er
gleichsam jemand redend einführt, der nach dem Anhören der besprochenen
Worte folgende Fragen stellt:
,Wie
soll ich also Gott erkennen? Und wie den Weg erfahren, der zu ihm führt? Und
wie willst du mir Gott zeigen? Denn jetzt wirfst du mir ja Finsternis vor
die Augen, und ich sehe nichts Deutliches.'
Dann
gibt er gleichsam auf diese bekümmerten Fragen Antwort und glaubt die
Ursachen nennen zu können, warum auf die Augen des Sprechers der vorher erwähnten
Worte Finsternis gebreitet ist; er sagt:
,Wenn
man diese aus der Finsternis zum hellen Licht herausführte, so würden sie,
da sie den Strahlenglanz nicht aushallen könnten, an ihrem Gesichte
gestraft und geschädigt und glaubten, geblendet zu werden.'
Hierauf
wollen wir erwidern, daß alle diejenigen ,in Finsternis sitzen' und in ihr
ruhen, die ihre Augen auf die schlechten Künste der Maler und Bildner und
Bildhauer richten, die nicht aufwärts schauen und ihren Geist nicht von all
den sichtbaren und sinnlich wahrnehmbaren Dingen wegwenden und zu dem Schöpfer
des Weltalls erheben wollen, welcher ,das Licht' ist; daß dagegen jeder ,im
Lichte' verweilt, der ,dem Strahlenglanze' des Wortes gefolgt ist, das ihm
zeigt, mit welcher großen Unwissenheit und Gottlosigkeit und Unkenntnis des göttlichen
Wesens diese Bilder von ihm an Stelle Gottes angebetet wurden, und das den
Geist desjenigen, der gerettet werden will, zu dem ungewordenen und allmächtigen
Gott hinführt. Denn ,das Volk, das in Finsternis saß', die Heiden nämlich,
.erblickte ein großes Licht, und denen, die im Land und Schatten des Todes saßen,
ist ein Licht aufgegangen', der Gott Jesus.
Es
wird also kein Christ dem Kelsos oder irgendeinem anderen Ankläger der göttlichen
Lehre Antwort geben und sagen: .Wie soll ich Gott erkennen?' Denn ein jeder
Christ hat nach Möglichkeit Gott erkannt. Und keiner fragt: ,Wie soll ich den
Weg erfahren, der zu ihm führt?' Denn er hat die Worte vernommen: Jch bin der
Weg und die Wahrheit und das Leben' und bei dem Wandeln [auf diesem Wege]
den Nutzen gekostet, der daraus entspringt. Und kein Christ dürfte wohl den Kelsos fragen: ,Wie willst du mir Gott zeigen?'
29
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b) Der Gott Jesus, der Sohn Gottes
Die
Auseinandersetzung um den Stifter des Christentums führt KELSOS ausführlich
und mit besonderer Schärfe. Die Juden seien da doch nur einem Betrüger
aufgesessen.
[Kelsos:]
„Dieser hat erst vor ganz wenigen Jahren diese Lehre eingeführt und ist von
den Christen für den Sohn Gottes gehalten worden."30
„Wer
die Tatsachen prüft, wird erkennen, daß Jesus Größeres, als menschliche
Natur vollbringen kann, unternommen, und daß er das Unternommene auch ausgeführt
hat. Denn obwohl von Anfang an alle der Ausbreitung seiner Lehre über den
ganzen bewohnten Erdkreis entgegentraten, die jedesmaligen Kaiser, deren
Oberfeldherren und Statthalter und mit einem Wort alle, denen irgendeine
Gewalt übertragen war, ferner auch die Obrigkeiten in den Städten, die
Truppen, die Gemeinden, so errang er doch den Sieg, da er seiner Natur nach
als Gottes Wort nicht gehemmt werden konnte; und da er stärker war als viele
gewaltige Gegner, so bezwang er ganz Griechenland und einen großen Teil der
übrigen Länder und bekehrte unzählige Seelen zu der von ihm verkündeten
Gottesverehrung. Notwendigerweise mußten aber unter der großen Masse der von
Gottes Wort Unterworfenen ,die einfältigen und ungelehrten Leute' weit
zahlreicher als die Gebildeten sein, je zahlreicher eben die einfältigen und
ungelehrten Leute sind im Vergleich zu den wissenschaftlich gebildeten. [...]
Hierauf
läßt Kelsos einen Juden auftreten, der sich mit Jesus selbst unterredet
und ihn, wie er meint, wegen vieler Dinge zur Rechenschaft zieht. Zuerst
wirft er ihm vor, ,daß er sich fälschlich als den Sohn einer Jungfrau
ausgegeben habe', er schmäht ihn aber auch, ,daß er aus einem jüdischen
Dorf und von einer einheimischen armen Handarbeiterin stamme'. Er sagt
dann,
.diese
[ist] von ihrem Manne, der seines Zeichens ein Zimmermann gewesen, verstoßen
worden, als des Ehebruchs schuldig. [...] unstet und ehrlos umherirrend, [hat]
sie den Jesus heimlich geboren. Dieser [hat] aus Armut sich nach Ägypten als
Tagelöhner verdungen und dort sich an einigen Zauberkräften versucht, auf
die die Ägypter stolz [sind]; er [ist] denn auch zurückgekehrt und [hat]
sich viel auf diese Kräfte eingebildet und sich ihretwegen öffentlich als
Gott erklärt.'"31
„Unser
Jesus dagegen, dem es zum Vorwurf gemacht wird, daß er aus einem Dorfe
stammt, das zudem auch nicht in Griechenland gelegen ist, und auch nicht einem
Volke angehört, das bei der großen Menge in Ansehen steht, und der geschmäht
wird, weil er ,der Sohn einer armen Handarbeiterin' war und ,wegen Armut' sein
Vaterland verließ und ,in Ägypten um Lohn diente' [...] - er hat es
vermocht, die ganze von Menschen bewohnte Erde in höherem Grade in Bewegung
zu setzen, nicht bloß als der Athener Themistokles, sondern auch als
Pythagoras und Platon und einige andere Weisen oder Könige oder Feldherrn
irgend welchen Landes der Erde.32 [...]
Außerdem
dürfte man sich wundern, woher die Jünger Jesu zu dem Entschluß kamen,
furchtlos dasselbe wie ihr Meister leiden zu wollen, mutig allen Gefahren
entgegenzugehen und die Heimat zu verlassen, um die ihnen von Jesus überlieferte
Lehre nach seinem Willen zu verkünden, ohne daß sie doch, wie die Verleumder
Jesu sagen, seine Auferstehung von den Toten gesehen, oder die Überzeugung
gewonnen hatten, daß jener etwas Göttliches sei.33
Doch
wir wollen uns nun wieder zu den Worten zurückwenden, die Kelsos den Juden
sagen läßt, zu der Behauptung nämlich, ,die Mutter Jesu [ist] von dem
Zimmermanne, mit dem sie verlobt war, verstoßen worden, weil sie des
Ehebruchs überführt worden [ist] und von einem Soldaten namens Panthera
geboren [hat]'. Wir wollen sehen, ob nicht die Fabeldichter ins Blinde hinein
,den Ehebruch der Jungfrau mit Panthera' und ,die Vertreibung durch den
Zimmermann', dies alles erfunden haben, um so die wunderbare Empfängnis vom
Heiligen Geiste zu beseitigen. Sie hätten ja doch auf andere Weise die
Geschichte wegen ihrer Unbegreiflichkeit verdächtigen können und nicht
gleichsam wider Willen die Tatsache zuzugeben brauchen, daß Jesus nicht aus
einer gewöhnlichen ehelichen Verbindung hervorgegangen ist. Und es war
folgerichtig, daß die Leute, die die wunderbare Geburt Jesu nicht gelten
lassen wollten, irgendeine Lüge ausdachten.34
[...]
Es
scheint mir nun nicht nötig zu sein, die folgenden Worte des Kelsos zu bekämpfen,
da sie nicht im Ernst, sondern im Spott gesagt sind:
,Ob
nun die Mutter Jesu schön war, und Gott sich wegen ihrer Schönheit mit ihr
verband, obwohl er seiner Natur nach keinen sterblichen Körper lieben
konnte? Indessen war es gar nicht wahrscheinlich, daß der Gott sie lieben würde,
da sie weder begütert noch von hoher Geburt war, denn niemand kannte sie,
nicht einmal ein Nachbar. Als sie sich den Haß des Zimmermanns zuzog und
von ihm verstoßen wurde [...], hat ihr weder göttliche Macht noch die Gabe
der Überredung Rettung verschafft. Diese Dinge also [...] haben gar keine
Beziehung auf das Reich Gottes.'
Unterscheiden
sich denn solche Reden wohl von dem Geschwätz jener Leute, die auf öffentlicher
Straße andere schmähen und nichts sagen, was der Aufmerksamkeit wert ist?35
[...] [Dann] behauptet Kelsos,
der
Ausspruch gegen die Reichen: ,Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr
gehe, als daß ein Reicher in das Reich Gottes eingehe', [ist] geradezu aus
Platon genommen, indem Jesus den platonischen Satz: .Unmöglich ist es, daß
ein hervorragend guter Mensch zugleich auch hervorragend reich sei', verfälscht
[hat].'
Wo
findet sich nun einer, nicht nur unter den Anhängern Jesu, sondern auch unter
den übrigen Menschen, der, wenn er die Sachlage nur ein wenig zu beurteilen
vermag, nicht über Kelsos lachen würde, sobald er ihn behaupten hört, Jesus,
der bei den Juden geboren und erzogen und für ,den Sohn des Zimmermanns
Joseph' gehalten wurde, der nicht nur nicht in den Wissenschaften der
Griechen, sondern nicht einmal in denen der Hebräer unterrichtet worden ist,
was ja auch die wahrheitsliebenden [heiligen] Schriften von ihm bezeugen,
habe den Platon gelesen".36
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c) Christen und Staatsmacht
Ein letztes Zitat aus der Überfülle der
origeneischen Apologie gegen KELSOS bezieht sich auf das Verhältnis der
Christen zur Staatsmacht, wie dieses sich in der von wiederholten
Verfolgungen gezeichneten Lebenszeit unseres Autors darstellte. Von KELSOS
stammte die Forderung an die Christen: „dem Kaiser beistehen mit aller
Kraft, mit ihm für das uns abmühen, was recht ist, für ihn kämpfen und,
wenn die Not es fordert, mit ihm ins Feld rücken und mit ihm seine Truppen
anführen".
[Origenes:] „Darauf haben wir zu sagen, daß wir zu
rechter Zeit den Herrschern .beistehen', und zwar sozusagen mit göttlicher
Hilfe, da wir ,die Waffenrüstung Gottes' anlegen. Und dies tun wir, gehorsam
dem Apostelwort, das so lautet: ,Ich ermahne euch nun zuerst, zu vollziehen
Bitten, Gebete, Fürbitten, Danksagungen für alle Menschen, für Könige und
für Obrigkeiten'. Und je frömmer jemand ist, um so mehr richtet er durch
seine den Herrschern geleistete Hilfe aus, auch mehr als die Soldaten, die
zur Feldschlacht ausziehen und so viele von den Feinden vernichten, als sie
imstande sind. [...] Wir vernichten aber mit unseren Gebeten auch alle Dämonen,
welche die kriegerischen Unternehmungen anstiften und Eide brechen und den
Frieden stören, und helfen dadurch den Herrschern mehr als die Personen,
welche äußerlich zu Felde ziehen.37 [...]
Verlangt
aber Kelsos von uns, daß wir ,zur Verteidigung des Vaterlandes' auch ,die Führung
von Truppen' übernehmen, so mag er wissen, daß wir auch dieses tun, und zwar
nicht in der Absicht, um von den Menschen gesehen zu werden und bei ihnen
eitlen Ruhm zu ernten. Denn im Verborgenen und in unserm Herzensinnern sind
die Gebete, die, wie von Priestern, von uns für das Wohl unserer Mitbürger
zum Himmel emporgesandt werden. Die Christen aber erweisen ihrem Vaterlande
mehr Wohltaten als die übrigen Menschen. Denn sie unterrichten die Bürger
und lehren sie fromm zu sein gegenüber dem über der Stadt waltenden Gott
[...]38
Wenn
nun die Christen die Übernahme von staatlichen Ämtern ablehnen, so tun sie
das nicht, um sich den gemeinsamen Dienstleistungen des bürgerlichen Lebens
zu entziehen, sondern um sich für den göttlicheren und notwendigeren
Dienst an der Kirche Gottes zum Wohl der Menschen zu erhalten. Hier haben
sie in notwendiger und zugleich in gerechter Weise die Leitung und sind für
alle besorgt: für diejenigen, welche der Kirche angehören, daß sie täglich
sittlicher leben, und für diejenigen, welche außerhalb der Kirche stehen, daß
sie zu den heiligen Worten und Werken des [christlichen] Glaubens
gelangen." 39
Dieser Einblick in die Kontroversen der frühen Kirche
mit der antiken Welt kann allenfalls neugierig machen, aber nicht die Lektüre
der (noch heute gängigen) Argumente des KELSOS und die Entgegnungen des
ORIGENES in der ersten christlichen Apologetik ersetzen. Aber auch jenseits
von Bekenntnis oder Ablehnung des Christentums erleben wir an diesem Werk
den ideengeschichtlich spannenden Zusammenstoß zweier Weltbilder. Die neue
christliche Weltanschauung versucht, in einem ihr fremd gewordenen und
feindlich gegenüberstehenden Umfeld argumentativ Fuß zu fassen, die
Sprache und die Bildwelt des Gegners aufzunehmen und neu zu wenden.
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2.
Verurteilung des Origenes
Die
Geschichte des Christentums kennt ein Kapitel, das in den Handbüchern unter
„origenistische Streitigkeiten" firmiert. Für die Entwicklung der
Theologie im Morgen- und Abendland sind diese Auseinandersetzungen
folgenreich gewesen, für die Werküberlieferung aber katastrophal. Die
Verurteilungen des ORIGENES als Ketzer hatten zur Konsequenz, daß seine
Schriften systematisch vernichtet wurden, uns deshalb nur ein Bruchteil der
griechischen Werke sowie verändernde lateinische Übersetzungen zugänglich
sind. Diese Bruchstückhaftigkeit der Überlieferung ist mit dafür
verantwortlich, daß ein zuverlässiges und einheitliches Bild von der Lehre
des Kirchenvaters nicht existiert. Daß sich das Denken des ORIGENES selbst im
Laufe seines langen Schaffens auch gewandelt hat, wie wir am Beispiel der
Reinkarnationsidee gesehen haben, ist bei einem großen Geist eigentlich
nichts Überraschendes. Die geistige Entwicklung bei ORIGENES selbst und die
problematische Tradierung der Schriften führen dazu, daß nur selten
Eindeutigkeit darüber besteht, was als verbindliche Aussage betrachtet
werden darf. Wie man sieht: Die reiche geistige Tradition, wie sie die
Geschichte des christlichen Denkens hervorgebracht hat, zeigt auch eine
beschwerliche Seite.
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a.)
Augustinus
Schon zu seinen Lebzeiten hatte ORIGENES begeisterte
Anhänger und heftige Gegner. Aber die großen Auseinandersetzungen begannen
erst Ende des 5. Jahrhunderts. Einen namhaften Kritiker findet er, am Beginn
des fünften Jahrhunderts, in AUGUSTINUS, dem einzigen der Kirchenväter, der
in seiner Bedeutung mit ORIGENES zu vergleichen ist. In De Civitate Dei
lesen wir diese Kritik an der origeneischen Lehre vom Abfall der Seelen:
„Man
sagt, die Seelen hätten gesündigt und hätten daher in verschiedenen
Abstufungen, je nach Maßgabe ihrer Sünden verschiedene Körper gleichsam als
Fesseln erhalten, und diese Fessel sei die sichtbare Welt, und darin liege der
Grund für die Weltschöpfung, durch die also nichts Gutes ins Dasein gerufen,
sondern Böses eingedämmt werden sollte. Daraus macht man mit Recht dem
Origenes einen Vorwurf. Er hat nämlich in der Tat in seinem Werk, das er Peri archon betitelt, diese Anschauung vertreten. Unsagbar muß ich mich
wundern, wie hier ein Mann, der in den Büchern der Kirche so außerordentlich
unterrichtet und bewandert war, nicht beachtet hat, daß die Schrift bei allen
Werken Gottes hinzufügt: ,Und Gott sah, daß es gut war', auf daß so als
Grund der Schöpfung der (sichtbaren) Welt nahegelegt werde, alles sei als
Gutes von der Gutheit Gottes geschaffen."40
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b) Anathematismen
Mit besonderer Schärfe erfolgt die Auseinandersetzung
aber im 6. Jahrhundert, als der große Alexandriner ausdrücklich und
wiederholt zum Ketzer erklärt und einige seiner Werke kirchenamtlich als häretisch
indiziert wurden. Als Bibelausleger blieb er jedoch bis in die Neuzeit
anerkannt, und seine Lehre vom mehrfachen Schriftsinn hat in der
christlichen Exegese große Wirkungen gezeitigt. Da aber ORIGENES auch Überzeugungen
verbreitet hat, denen die Lehrentwicklung nicht folgen konnte, wurden diese
auf einer späteren Stufe theologischer Erkenntnis verurteilt.
Wir
wollen auch diese Anathematismen, also Verurteilungen, kennenlernen,
wenn auch gleich hinzuzufügen ist: Die Forschung ist sich nicht einig, ob
damit wirklich immer nur Lehren des ORIGENES getroffen werden. Jedenfalls
haben diese Verurteilungen Kirchengeschichte geschrieben und haften bis heute
dem „Erzhäretiker" an.
Zur
Geschichte kurz dies: In der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts wirkte
in Ägypten der Mönch EUAGRIOS PONTIKOS, der in seinen Predigten und
Schriften auch origenistische Lehren vertrat. Orientalische Mönche, die
unter dem Einfluß von dessen Gedankengut standen, gerieten in der ersten Hälfte
des 6. Jahrhunderts in Streit mit Origenes-Gegnern. Der Konflikt wurde vor den
Kaiser JUSTINIAN gebracht, der sich selbst als Theologe verstand und der sich
wiederum in einem Edikt des Jahres 543 an den Patriarchen von Konstantinopel
namens MENAS wandte. Der Ton ist auffällig aggressiv und gilt auch Aussagen,
die sich bei ORIGENES gar nicht finden:
„Nachdem also die Dinge sich so verhalten und die
von Origenes ausgesprochenen Lästerungen allen offenbar geworden sind,
ziemt es sich, folgendermaßen den Bann über ihn ergehen zu lassen:
Wenn
einer sagt oder dafürhält, die Seelen der Menschen seien präexistent
gewesen, insofern sie früher Intelligenzen und heilige Mächte gewesen seien;
es habe sie aber Überdruß ergriffen an der Schau Gottes und sie hätten sich
zum Schlechteren gewendet; darum seien sie abgekühlt von der Liebe zu Gott, hätten
davon den Namen .Seelen' bekommen und seien zur Strafe in Körper
hinabgeschickt worden - so sei er im Banne.
Wenn
einer sagt oder dafürhält, die Seele des Herrn sei präexistent gewesen
und geeint mit dem Gott-Logos vor der Fleischwerdung und Geburt aus der
Jungfrau - so sei er im Banne. Wenn einer sagt oder dafürhält, daß zuerst
der Leib unseres Herrn Jesus Christus im Schöße der heiligen Jungfrau
gebildet wurde, und danach der Gott-Logos und die Seele als präexistente mit
ihm vereinigt wurden - so sei er im Banne.
Wenn
einer sagt oder dafürhält, der Gott-Logos sei allen himmlischen Ordnungen
gleich geworden, indem er für die Cherubim ein Cherub und für die Seraphim
ein Seraph wurde und schlechthin allen Mächten in der Höhe gleich wurde - so
sei er im Banne.
Wenn einer sagt oder dafürhält, daß bei der Auferstehung
die Leiber der Menschen kugelförmig erweckt werden, und wenn er nicht
bekennt, daß wir aufrecht erweckt werden - so sei er im Banne.
Wenn einer
sagt oder dafürhält, der Himmel, die Sonne, der Mond, die Sterne und die
Wasser über den Himmeln seien beseelte und vernünftige Mächte - so sei er
im Banne.
Wenn einer sagt
oder dafürhält, der Herr Jesus Christus werde in der kommenden Weltzeit für
die Dämonen gekreuzigt werden, so wie (er) auch für die Menschen (gekreuzigt
wurde) - so sei er im Banne.
Wenn einer sagt oder dafürhält, Gottes Macht
sei begrenzt, und er habe (nur) soviel geschaffen, wie er umfassen und denken
konnte; oder die Geschöpfe seien gleich ewig mit Gott - so sei er im Banne.
Wenn einer sagt oder dafürhält, die Bestrafung der Dämonen und der
gottlosen Menschen sei zeitlich und werde zu irgendeiner Zeit ein Ende haben;
oder es werde eine Wiederbringung von Dämonen oder gottlosen Menschen geben
- so sei er im Banne.
Der Bann (sei gesprochen) über Origenes, der auch Adamantios heißt, welcher dies ausgesprochen hat, samt seinen abscheulichen
und fluchwürdigen Lehren, und über jede Person, die dies denkt oder
verteidigt oder in irgendeinem Punkt überhaupt zu irgendeiner Zeit dies zu
vertreten wagt."41
Inhaltlich gingen diese Verurteilungen auch in die
Dokumente des 2. Konzils von Konstantinopel von 553 ein und entfalteten von
da an eine fatale Wirkung für das Werk des ORIGENES, wenn sich seine tatsächlichen
Aussagen von den Verurteilungen auch nur teilweise getroffen sehen müssen.
Im abschließenden 15. Kanon gegen die Origenisten heißt es in den Konzilserklärungen
noch einmal wörtlich:
„Wenn
einer sagt: Der Zustand der Intelligenzen werde der gleiche sein wie früher,
als sie noch nicht herabgestiegen oder gefallen waren, so daß der Anfang
gleich dem Ende ist und das Ende das Maß des Anfangs - so sei er im
Banne."42
Hier klingt also erneut die berühmt-berüchtigte
apokatastasis panton an, die Wiederherstellung aller Dinge, der Begriff, der
am engsten mit dem Namen des ORIGENES verbunden geblieben ist. Der große
Kirchenvater konnte sich nicht mit dem Bild eines allmächtigen und zudem
guten Schöpfers abfinden, von dem auch eine ewige Strafe in den Qualen der Hölle
ausgehen sollte. Nicht einmal der oberste aller Teufel, meint ORIGENES, müsse
letztlich mit einer immerwährenden Verdammnis rechnen, und um dieser Möglichkeit
des Heils für alle, der Wiederherstellung aller Dinge in ihrem ursprünglich
gewollten Zustand willen, läßt ORIGENES Äonen um Äonen ablaufen, damit
auch der Letzte und der Schlimmste zur Anschauung Gottes heimkehren möge.
Dieser Gedanke, sei er auch in der Geschichte der Kirche so manches mal für
häretisch erklärt worden, macht unseren ORIGENES so sympathisch. In einer
Zeit, in der die Heilsgewißheit noch geringer ist als die Unheilssicherheit,
tritt uns ein erfrischender Denker entgegen, der unsere zeitgenössische Häresie
ganz und gar nicht teilt: die fatale Anthropozentrik, das Kreisen der
Theologie um den Menschen. In unserem Jahrhundert haben namhafte Theologen
die Rehabilitierung des Häretikers betrieben. Kein geringerer als Hans Urs
von BALTHASAR hat ORIGENES deshalb so hoch geschätzt, weil er eine ewige
Verdammnis mit der Güte Gottes nicht in Einklang bringen konnte.
Gleichzeitig
sind Sondergruppen daran interessiert, ihre eigenen Lehren mit dem Namen des
großen Verfolgten zu schmücken. Die Wirkung des origeneischen Denkens ist
also noch keineswegs an ein Ende gekommen. Heutige Beurteilungen
haben jede Polemik verloren, zeigen eher eine milde Ironie, wie sie der Tübinger
Kirchenhistoriker Hermann Josef VOGT zum Ausdruck bringt, den wir
stellvertretend für die neuere Origenes-Forschung zitieren:
„Warum
also wurde Origenes zum Häretiker erklärt? Erstens, weil er Aufgaben nicht
gelöst hat, die ihm in seiner Zeit gar nicht gestellt waren! Was mit ihm
geschah, war also nicht Vergangenheitsbewältigung, die ja die Vergangenheit
als das zu nehmen hat, was sie war, sondern an Origenes geschah
Vergangenheitsvergewaltigung. Zweitens wurde Origenes verurteilt, weil man die
Art seines fragenden, tastenden Theologisierens und Exegesierens nicht mehr
verstanden hat.
Drittens
aber auch, - das sei bei aller Sympathie für Origenes [...] nicht verschwiegen
- weil er vielleicht doch zu vorwitzig war und nicht nur mit Gedanken
umgegangen ist, sondern bis zum Ende seines Lebens auch Lehren festgehalten
hat - wie die Präexistenz der Seelen, - die sich mit dem Glauben, mit der
Gesamtaussage der Heiligen Schrift endgültig nicht vereinbaren lassen, die
er aber wohl geändert hätte, wenn die Kirche ihm eine klare anderslautende
Lehre hätte vor Augen stellen können; denn Mann der Kirche wollte er immer
sein."43
Zu
Lebzeiten des ORIGENES war das Christentum eine kleine Sekte, die sich
allenthalben bedroht fühlen mußte. Trotz der Verfolgungen - oder vielleicht
gerade deshalb - entwickelte die neue Religion eine ungeheure Strahlkraft. In
der Gegenwart kann von äußerer Bedrohung nicht die Rede sein, aber auch
nicht mehr von Strahlkraft, jedenfalls nicht in der westlichen Welt. Die
christliche Weltanschauung scheint zu den absterbenden Traditionen des
Abendlandes zu gehören, denen eine diffuse Moderne gegenübersteht, Verständnis-
und beziehungslos weithin. Es sieht zwar nicht danach aus, als sei heute eine
neue, für die Zukunft siegreiche Weltanschauung im Entstehen, die eine überzeugende
Breitenwirkung zu entfalten vermöchte. Dennoch ist augenfällig, daß das
Christentum in unseren Breiten dabei ist, für viele Menschen seine Funktion
zu verlieren.
Wie in
der Antike, wird sich die christliche Religion neu verständlich machen müssen.
Frauen und Männer vom Maß der Kirchenväter sind den Kirchen zu wünschen.
Dem
großen Denker vom Beginn, ORIGENES, wollen wir, mit einer Aussage über die
Menschwerdung des Erlösers, das Schlußwort überlassen:
„Aber von all dem Wunderbaren und Großen bei ihm
geht doch dies über die Bewunderung des menschlichen Geistes hinaus, und die
Schwäche des sterblichen Verstandes hat keinen Weg gefunden, es zu denken und
zu begreifen: daß diese große Macht der göttlichen Majestät, eben dieses
Wort des Vaters und Gottes Weisheit selbst, in welcher ,alles geschaffen ist,
das Sichtbare und das Unsichtbare', in den engen Grenzen jenes Menschen, der
in Judäa erschien, anwesend war, wie der Glaube sagt; daß Gottes Weisheit in
den Schoß einer Frau einging, als Kind geboren wurde und weinte wie alle
kleinen Kinder; ferner daß er beim Sterben in Angst war, wie es berichtet
wird und er selbst es bekannte, als er sagte: .Meine Seele ist betrübt bis an
den Tod'; und schließlich, daß er den Tod erlitt, der unter den Menschen als
größte Entehrung gilt, wenngleich er am dritten Tag wieder auferstand. Wir
finden also manches bei ihm, das so menschlich ist, daß er sich nicht von der
allgemeinen Gebrechlichkeit der Sterblichen unterscheidet, und anderes, das
so göttlich ist, daß es einzig zu dem ersten und unaussprechlichen Wesen
der Gottheit paßt. Da stockt der beschränkte menschliche Verstand und weiß,
von Staunen ergriffen, nicht, wozu er sich neigen, was er festhalten, wohin er
sich wenden soll. Wenn er Gott denkt, sieht er einen Sterblichen; wenn er
einen Menschen annimmt, erblickt er einen Sieger über das Reich des Todes,
der mit der Beute aus dem Totenreich zurückkehrt. [...]44
Das
waren die Dinge, die uns jetzt in den Sinn kamen, da wir das überaus
schwierige Thema der Fleischwerdung und Gottheit Christi erörterten. Wenn
einer etwas Besseres zu finden vermag und seine Lehre mit klareren Beweisen
aus der heiligen Schrift stützen kann, so mag seine Lehre statt der unsrigen
angenommen werden."45
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