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Das Neue Weltbild

   

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

 

   

   

  

 


 

 


 

 

 

 

Anfang

GERHARD ADLER   

  Origenes -  Ketzer oder Kirchenvater?

Dieser Artikel  ist erschienen in der Zeitschrift "Grenzgebiete der Wissenschaft" Heft 3 und 4  Jahrgang 45 (1996)  ISSN 1021­8130.  Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Verlages.

   

      

      

 

 

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Über den Autor


Gerhard Adler, geb. 1941, Anglistik- und Geschichtsstudium, als Publizist vorwiegend an Fragen der Weltanschauung und des Menschenbildes interessiert. Leiter der Abtei­lung Literatur im Radioprogramm des Südwestfunks Baden-Baden. Von seinen Veröffentlichungen seien erwähnt: Revolutionäres Lateinamerika (1970); Die Jesus-Bewegung. Aufbruch der enttäuschten Jugend (1972); Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde.... Parapsychologie, Okkultismus und Religion (1974 und 1976); Wiedergeboren nach dem Tode? Die Idee der Reinkarnation (1977, 1980 und 1986); Erinnerung an die En­gel. Wiederentdeckte Erfahrungen (1986); Die Engel des Lichts. Von den Erstlingen der Schöpfung (1992); als Herausgeber: Tausend Jahre Heiliges Rußland. Orthodoxie im Sozia­lismus {1987 und 1988); Komm, Trost der Nacht. Ein Brevier {1989).

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Zusammenfassung

 

 

ADLER, Gerhard: „Denn immer ist das Ende dem Anfang ähnlich". Origenes - Ketzer oder Kirchenvater?

Auf Origenes von Alexandreia (185-254) beruft sich die wachsende Zahl von Zeitgenossen, die sich für die Idee der Seelenwanderung erwärmt. Die Kirchengeschichte gedenkt seiner stets mit Superlativen: als des ersten, des größten Theologen, aber auch als des Erzhäretikers. Wer jedoch hat schon genau gelesen, was in dessen umfangreichem Werk wirklich steht? Es gibt kaum eine bibel- und kirchenkritische These unserer aufgeklärten Schriftgelehrten von heute, die nicht schon zu Origenes' Zeiten die Gemüter bewegt hätte. Nur dies hat es bei Origenes nicht gegeben: die ermüdende Anthropozentrik der heutigen Theologie, die permanente Beschäftigung der Kirche mit sich selbst. Diese Häresie der lähmenden Selbstbespiegelung findet sich beim amtlich verurteilten Häretiker Origenes nicht, dafür aber eine erfrischende Sicht auf Mensch, Welt und Gott, eine vitale Ausein­andersetzung mit den Gegnern von Juden und Christen im Hellenismus, bei der man im großen und ganzen alles vorgedacht findet, was uns heute noch weltanschaulich umtreibt.


 

 

 

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I. ORIGENES UND SEINE ZEIT

„Welcher vernünftige Mensch wird annehmen, ,der erste, zweite und dritte [Schöpfungs-] Tag sowie Abend und Morgen' seien ohne Sonne, Mond und Sterne geworden und der sozusagen erste sogar ohne Himmel? Wer ist so einfältig zu meinen, ,Gott habe' wie ein Mensch, der Bauer ist, ,im Osten ei­nen Park in Eden gepflanzt' und darin einen sichtbaren und mit den Sinnen wahrnehmbaren ,Baum des Lebens' geschaffen, so daß man, wenn man seine Frucht mit den leiblichen Zähnen genoß, das Leben empfing, dagegen am ,Guten und Bösen' Anteil erhielt, wenn man von dem entsprechenden Baum nahm und aß? Wenn es weiter heißt, ,Gott sei am Abend im Park gewandelt' und ,Adam habe sich unter dem Baume versteckt', dann wird, glaube ich, niemand daran zweifeln, daß dies bildlich mittels einer nur scheinbar und nicht leibhaftig geschehenen Geschichte auf gewisse Geheimnisse hinweist. Aber auch wenn ,Kain aus Gottes Angesicht geht', ist es den Tieferblickenden klar, daß dies den Leser veranlaßt zu untersuchen, was das Angesicht Gottes und das Daraus-Fortgehen bedeuten. [...]

Sogar die Evangelien sind voll von Darstellungen derselben Art, (z. B.) wenn der Teufel Jesus ,auf einen hohen Berg' führt, um ihm von dort .die König­reiche der ganzen Welt und ihre Herrlichkeit zu zeigen'. Denn wer von denen, die derartige Stellen nicht bloß oberflächlich lesen, würde nicht die Meinung verwerfen, mit dem leiblichen Auge, das Höhe braucht, um das tiefer Gelegene wahrnehmen zu können, sei das Reich der Perser, Skythen, In­der und Parther und die Verherrlichung der Könige durch die Menschen erblickt worden?" 1

 

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1. Schriftverständnis

Diese Bemerkung zu sachgemäßem Verständnis der Heiligen Schrift stammt nicht etwa von einem aufmüpfigen, historisch-kritisch arbeitenden Exegeten unserer Tage. Die Fragestellung wirkt zwar durchaus gegenwärtig und mag sogar — für Unkundige in der Bibelwissenschaft - als aufklärerisch erscheinen. Doch das Zitat wurde schon um 225 niedergeschrieben, ist also an die 1770 Jahre alt. Somit steht es ganz am Anfang des Bemühens seitens der Christen, ihre Bibel methodisch zu durchdenken. ORIGENES, der Verfasser dieses Textes, bringt schon - ein gutes Jahrhundert nach der Entstehung des Neuen Testaments - so ziemlich alle Probleme auf den Punkt, die einen jeden umtreiben, der ernsthaft mit der Schrift befaßt ist. So kümmert sich ORIGENES bereits um einen zuverlässigen Originaltext der Bibel, also um philologische Genauigkeit. Die ungezählten inhaltlichen Probleme, an denen noch die heutigen Leser Anstoß nehmen - in unserem Beispiel ist es der Schöpfungsbericht -, will er mit einer Methode lösen helfen, die von drei verschiedenen Sinnebenen der einzelnen Stellen ausgeht. So wie der Mensch in Leib, Seele und Geist gegliedert sei, meint ORIGENES mit so manchem jüdischen Gelehrten seiner Zeit, so sei auch in vielen Bibelstellen ein quasi körperlicher Sinn auszumachen, nämlich das ganz primäre wörtliche Verständnis; ferner eine übertragene Bedeutung, die der Psyche entspreche; schließlich sei da noch ein geheimnisvoller dritter Sinn, der sich nur dem geistbegabten Menschen erschließe. Diese Lehre vom drei­fachen Schriftsinn, dem leiblichen, dem seelischen und dem geistlich-pneumatischen, findet also ihre Entsprechung in der origeneischen Anthropologie.

Auch in Schriftworten, die man Jesus persönlich zuschreibt, sucht ORIGENES nach einem verborgenen Sinn.

 

„Was könnte unvernünftiger sein als das Wort: ,Grüßet niemanden unterwegs!', das nach Meinung der schlichten Gläubigen der Erlöser den Aposteln aufgetragen hat? Aber höchst unglaubwürdig ist auch das Wort vom Schlag auf die rechte Backe, da beim Schlagen jeder, wenn er nicht etwa ein Gebrechen hat, mit der rechten Hand auf die linke Backe schlägt. Unmöglich ist es sodann, dem Evangelium abzunehmen, daß ,das rechte Auge Anstoß bereitet'. Denn selbst wenn wir einmal zugeben, daß im Sehen jemand Anstoß nehmen kann: wieso muß man, da doch beide Augen sehen, die Schuld auf das rechte schieben? Wer würde denn, wenn er sich beschuldigen muß, ,eine Frau so angesehen zu haben, daß er sie begehrte', die Schuld einzig auf das rechte Auge schieben und dieses zu Recht .ausreißen'? [...] Alles dies haben wir gesagt, um zu zeigen, daß die göttliche Kraft, die uns die heilige Schrift schenkt, nicht das Ziel verfolgt, wir sollten allein das vom Wortlaut Dargebotene aufnehmen; denn dies ist zuweilen im Wortsinn nicht wahr, sondern sogar unvernünftig und unmöglich. (Weiter wollen wir zeigen,) daß in die wirkliche Geschichte und die im Wortsinn nützliche Gesetzgebung einiges andere hineingewoben ist. Doch soll niemand annehmen, wir sagten dies ganz allgemein, es habe sich gar keine Geschichte (in der Schrift) zugetragen, weil sich manche nicht zugetragen hat, und man habe gar kein Gesetz wörtlich zu befolgen, weil manches Gesetz im Wortlaut unvernünftig oder unmöglich ist, oder die Aufzeichnungen über den Erlöser seien als sinnliche Wirklichkeit nicht wahr oder keines seiner Gesetze oder Gebote sei zu befolgen. [...] die geschichtlich wahren Stellen sind viel zahlreicher als die hineingewobenen rein geistlichen Stellen. [...] Der wissenschaftlich Gebildete wird allerdings in manchen Fällen schwanken und ohne eingehende Prüfung nicht entscheiden können, ob der betreffende als geschichtlich geltende Bericht im Wortsinne geschehen ist oder nicht und ob der Wortlaut eines bestimmten Gebotes zu befolgen ist oder nicht."2

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2. Hexapla

Die Spitzfindigkeiten der Bibelausleger haben also eine lange Geschichte. ORIGENES selbst steht bereits in der Tradition rabbinischer Gelehrsamkeit. Und was nun die christliche Auseinandersetzung mit dem Bibeltext angeht, deren wissenschaftliches oder doch zumindest methodisches Herangehen, so beginnt dies mit ORIGENES.

Vor aller Deutung jedoch muß es dem ernsthaften Bibelforscher um die Frage gehen: Was steht denn wirklich da im Wortlaut der Schrift und wie zuverlässig ist dieser Wortlaut uns überliefert? ORIGENES wollte auch dieses Problem lösen. Staunend und bewundernd steht man vor den auf uns gekommenen Resten seiner sechsspaltigen Bibelausgabe, einem zu seiner Zeit ungeheuren Unterfangen. Die Hexapla, so ihr griechischer Name, an der er von 228 an sein weiteres Leben lang gearbeitet hat, diese „Sechsfache" enthält zunächst den Text der hebräischen Bibel, dem in einer zweiten Kolumne die Aussprache des hebräischen Wortlautes in griechischen Buchstaben folgt; dann stehen vier, teilweise noch mehr Übersetzungen des Alten Testaments in griechischer Sprache zum Vergleich nebeneinander. Das Hauptanliegen des ORIGENES war es, die berühmte Septuaginta, also die von jüdischen alexandrinischen Gelehrten in vorchristlicher Zeit ins Griechische übersetzte Heilige Schrift, mit dem hebräischen Urtext vergleichen zu können. Da beide Texte, der hebräische und der griechische der Septuaginta, zu seiner Zeit sozusagen als göttlich inspiriert, geradezu diktiert betrachtet wurden, auch von ORIGENES selbst, ist dessen Freimut erstaunlich, mit dem er nach allen Künsten der philologischen Akribie die kleinen und großen Unterschiede, Abweichungen und Auslassungen mit textkritischen Zeichen markiert. ORIGENES steht also christlicherseits am Anfang der wissenschaftlichen Schrifteditionen. Er hat zu diesem Zweck die hebräische Sprache erlernt und sich nicht gescheut, bei jüdischen Gelehrten Rat einzuholen.

Freunde und Anhänger, aber auch seine Gegner sprechen von ORIGENES ausnahmslos in Superlativen. Im wissenschaftlichen Rang, im Guten wie im Bösen ist er stets der Erste, der Größte, aber auch der Schlimmste aller Häretiker nämlich, der Häresiarch. Er gilt nicht nur als der Begründer der Bibelwissenschaft, sondern als der größte Theologe des christlichen Altertums überhaupt, und gleichzeitig als der Erzketzer. Was weiß man eigentlich von ihm? Welche Fakten bleiben nach so vielen Jahrhunderten bestehen vor dem kritischen Blick der Wissenschaftler, wenn man hagiographische Schönfärbereien und unberechtigte Verunglimpfungen gleichermaßen auszuscheiden bemüht ist?

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3. Leben

Es spricht für die Bedeutung des ORIGENES bereits zu seinen Lebzeiten, daß EUSEBIOS in seiner berühmten Kirchengeschichte ein ganzes Buch, das sechste, weitgehend dem ORIGENES widmet. Aus dieser auf 312 datierten Quelle, aus der erhaltenen Korrespondenz, aus den wenigen autobio­graphischen Rückschlüssen, die sich aus den origeneischen Werken selbst ziehen lassen, entwerfen die Historiker das folgende biographische Gerüst:

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a) Jugend

Alexandreia in Ägypten ist vermutlich die Geburtsstadt unseres ORIGENES. Sein Name ist zwar ägyptisch-heidnisch, bedeutet er doch der „von Horus Geborene", doch sein Elternhaus bekennt sich zum Christenturn. Mehr noch: Der Vater Leonides, vermutlich römischer Staatsbürger, wird im Jahre 202 unter Kaiser Septimius Severus wegen seines religiösen Bekenntnisses enthauptet. Da sein Sohn in diesem Zusammenhang als siebzehnjährig erwähnt wird, kann man auf das Jahr 185/86 als Geburtsjahr des ORIGENES schließen.

Hier setzt auch das sechste Buch der Kirchengeschichte des EUSEBIOS von Kaisareia ein, unsere wichtigste und ausführlichste biographische Quelle, die möglicherweise schon eine Tendenz zu legendärer Ausschmückung enthält. Doch sie beruht auf Aussagen von Zeitgenossen und auf Ori­ginaldokumenten. Es heißt da zum Beispiel über den religiösen Eifer des Märtyrersohns:

„Da erfaßte auch die Seele des noch jugendlichen Origenes die Begeisterung für das Martyrium, so daß er sich geradewegs in die Gefahren begeben und in den Kampf stürzen wollte. Es hätte nun nicht viel gefehlt, und er hätte sein Leben eingebüßt, wenn nicht die göttliche, himmlische Vorsehung zum Nutzen vieler durch seine Mutter seinem Eifer entgegengetreten wäre. Zunächst bestürmte ihn die Mutter mit Worten und bat ihn, Rücksicht auf ihre mütterliche Liebe zu nehmen. Als sie aber sah, daß er auf die Nachricht von der Gefangennahme und der Einkerkerung des Vaters ganz im Verlangen nach dem. Martyrium aufging und sich noch leidenschaftlicher darnach sehnte, versteckte sie alle seine Kleider und nötigte ihn so, zu Hause zu bleiben. Doch da ihn der für sein Alter ungewöhnlich große Eifer nicht in Ruhe ließ und er nicht untätig bleiben konnte, schickte er, weil er nichts anderes tun konnte, an den Vater einen Brief mit der dringlichen Aufforderung zum Martyrium. Wörtlich mahnte er ihn darin: ,Hab acht, daß du nicht unsertwegen deine Gesinnung änderst!"3

Da das große Vermögen des Vaters der kaiserlichen Schatzkammer zufiel, mußte er mit seinen Angehörigen an den lebensnotwendigen Dingen Mangel leiden. Allein Gott würdigte ihn seiner Fürsorge."4

Der Siebzehnjährige, offenbar hochbegabt und frühreif, muß nun für die Mutter und sechs jüngere Geschwister sorgen. Er tut dies als „Grammatiklehrer". Eine reiche christliche Dame kommt zu Hilfe; sie unterstützt das jugendliche Genie, das auf diese Weise auch noch den Studien nachgehen kann.

ORIGENES wirkt in einer Zeit wiederholter Christenverfolgungen. Für die geistig aufgeschlossenen Zeitgenossen bedeutet die Bekämpfung der jungen Gemeinschaft eine Herausforderung, sich mit der neuen Religion zu befassen; wenn Menschen Kerker, Folter, Flucht und Tod auf sich nehmen, muß von dieser christlichen Lehre offenbar eine besondere Kraft ausgehen. Da der Klerus Alexandreia verlassen hat, übernimmt es der noch jugendliche ORIGENES, die neuen Christen und die in weltanschaulich aufgewühlter Zeit Suchenden in der Lehre der Kirche zu unterweisen. Achtundzwanzig Jahre lang, heißt es, habe er die Katechetenschule in Alexandreia geleitet.

„Origenes stand im 18. Lebensjahre, als er Vorsteher der Katechetenschule wurde. Hier erzielte er zur Zeit der Verfolgungen des Aquilas, des Statthalters von Alexandreia, große Erfolge und erwarb sich durch seine Freundlichkeit und seine Gefälligkeit, die er gegen alle heiligen Märtyrer, unbekannte und bekannte, bewies, bei allen Gläubigen einen sehr gefeierten Namen. [...] Er wäre auch, wenn er so mutig zu den Märtyrern trat und sie offen und frei mit einem Kusse begrüßte, oftmals von dem herumstehenden wütenden Pöbel fast gesteinigt worden, wenn er nicht ein für allemal unter dem Schütze der göttlichen Rechten gestanden und so stets auf wunderbare Weise entkommen wäre."5

Der Nachwelt eingeprägt hat sich ein eher pikantes Ereignis, das auch EUSEBIOS erwähnt: die Selbstkastration. In asketischem Übereifer wollte der jugendliche ORIGENES sich und die schönen Ägypterinnen in der Katechetenschule vor Versuchungen des Fleisches bewahren. Später wird er selbst in seinen Bibelkommentaren diese Tat als unangemessen bezeichnen. Bei einigen Forschern ist diese Episode umstritten, jedenfalls hat sie keinen erkennbaren Einfluß auf seine Wesensart gehabt. Bei EUSEBIOS lesen wir:

„Origenes, der in dieser Zeit an der Katechetenschule zu Alexandreia wirkte, vollzog eine Tat, die zwar noch unreifen jugendlichen Sinn verriet, aber zugleich auch ein herrliches Zeugnis von seinem Glauben und seiner Enthaltsamkeit gab. Er faßte das Wort ,Es gibt Verschnittene, die sich um des Himmelreiches willen selbst verschnitten haben' allzu wörtlich und unbesonnen auf. In dem Glauben, das Heilandswort zu erfüllen, und zugleich in der Absicht, damit jedem Verdachte und schändlicher Verleumdung, wie sie von heidnischer Seite wider ihn, den noch jugendlichen christlichen Lehrer nicht nur von Männern, sondern auch von Frauen erhoben werden könn­ten, den Boden zu entziehen, ließ er sich dazu hinreißen, dieses Herrenwort in die Tat umzusetzen." 6

 

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b) Inneres Erlebnis

Die ungeheure Arbeitsenergie des ORIGENES gilt der Heiligen Schrift, ihrem rechten Verständnis und ihrer Rechtfertigung vor der antiken Götterlehre, die gleichzeitig die römische Staatsreligion darstellt. Um der Auseinandersetzung mit dem Geist seiner Zeit gewachsen zu sein, um die christliche Lehre vor den Denkern seiner Epoche erfolgreich darstellen zu können, unternimmt ORIGENES ein gründliches Studium der Philosophie. Die damit in Zusammenhang stehenden wissenschaftlichen Streit- und Einzelfragen müssen uns hier nicht beschäftigen. Immerhin ist bemerkenswert, daß ORIGENES wahrscheinlich AMMONIOS SAKKAS, einen Vertreter des sogenannten mittleren Platonismus, zu seinen Lehrern zählte, bei dem auch PLOTIN studiert hat. Ein inneres Erlebnis, eine Art Bekehrung, läßt ihn in diesen frühen Jahren die weltlichen Werke aus seiner Bibliothek ver­kaufen. Der Erlös, eine regelmäßige Zuwendung von vier Oboloi, stellt ihn frei für die intensive Arbeit an der Bibel.

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c) Lehrer

Dieses Studium hat ihn bis an sein Ende begleitet, und Theologie blieb für ihn zuerst Bibelauslegung. In Predigten und Kommentaren hat er im Verlauf seines, für damalige Verhältnisse sehr langen, Lebens fast die gesamte Bibel des Alten und des Neuen Testaments interpretiert. Der Asket ORIGE­NES, der mit den bescheidensten Mitteln seinen persönlichen Unterhalt bestritt, bezeichnete sich selbst als hart. Für das antike Mönchtum wurde er zum prägenden Vorbild. Der Beiname „der Stählerne" oder „der Diamantene", mag ein Familienname sein; meistens wird diese Bezeichnung auf seinen asketischen Ernst und Arbeitseifer hin gedeutet.

Von seinen Reiseaktivitäten ist eine mehrmonatige Fahrt nach Rom um 215 belegt; ORIGENES habe die dortige, im Vergleich mit Alexandreia schon ältere, Kirche kennenlernen wollen, heißt es bei EUSEBIOS. Von den Schriften aus dieser Zeit sind nur Bruchstücke erhalten.

Ein wichtiger Förderer von Origenes' Arbeit ist ein gewisser Ambrosios, ein reicher Mann offenbar, der immer wieder in Vorworten anerkennende Erwähnung findet. Dieser Ambrosios, dem die Nachwelt es verdankt, daß von den Arbeiten des Kirchenvaters immerhin einiges erhalten geblieben ist, hat die materiellen Voraussetzungen für ORIGENES' weitgespanntes Schaffen gewährleistet, nämlich durch die Finanzierung einer Art Schreibbüro. EUSEBIOS:

„Es standen nämlich Origenes beim Diktieren mehr als sieben Schnellschreiber zur Verfügung, welche sich zu bestimmten Zeiten ablösten; nicht geringer war die Zahl der Reinschreiber nebst den im Schönschreiben geüb­ten Mädchen. Die für dieses ganze Personal notwendigen Ausgaben bestritt Ambrosios in reichlichem Maße. Ja er nahm sogar mit unsagbarem Eifer an der mühevollen Bearbeitung der göttlichen Schrift teil, wodurch er Origenes ganz besonders zur Abfassung seiner Kommentare antrieb."7

Ambrosius fühlt sich seinem Lehrer ORIGENES zu großem. Dank verpflichtet. Durch die Begegnung mit ihm war er aus der geistigen Bindung an eine gnostische Sekte befreit worden. EUSEBIOS berichtet in diesem Zusammenhang über ORIGENES' Wirken und den Erfolg, aber auch über die um­fassende Lehrweise, die auch profane Fächer einschloß:

„Damals wurde auch Ambrosios, ein Anhänger der Häresie des Valentinos, durch die von Origenes verkündete Wahrheit überführt, so daß er, wie von einem Lichte innerlich erleuchtet, zur wahren Lehre der Kirche übertrat. Aber noch sehr viele andere gelehrte Männer kamen, da sich der Ruf des Origenes überallhin verbreitete, zu ihm, um einen Beweis von der Tüchtigkeit des Mannes in den heiligen Wissenschaften zu erhalten. Zahlreiche Häretiker und nicht wenige von den angesehensten Philosophen hörten mit Eifer ihm zu und ließen sich von ihm ebenso in den göttlichen Dingen wie auch in der heidnischen Philosophie unterrichten. Diejenigen, welche er für begabt erachtete, führte er nämlich auch in die philosophischen Fächer ein, indem er ihnen Unterricht in Geometrie, Arithmetik und den anderen grundlegenden Wissenschaften erteilte, sie mit den verschiedenen Syste­men der Philosophen bekannt machte, deren Schriften erklärte, kommentierte und im einzelnen kritisierte, was ihm auch bei den Heiden den Ruhm eines großen Philosophen eintrug. Auch viele von denen, die der Bildung ferne standen, veranlaßte er zum Studium der allgemeinen Wissenschaften, indem er ihnen erklärte, daß sie damit eine nicht wenig nützliche Unterlage für das Verständnis der göttlichen Schriften gewönnen. Aus diesem Grunde hielt Origenes die Pflege der weltlichen Wissenschaften und der Philosophie für sich selbst für sehr notwendig."8

 

 

Schon zu seiner Zeit und bis in die Gegenwart wurde die Frage gestellt: War denn dieser ORIGENES nicht eher ein Philosoph in der Nachfolge PLATONs denn ein Christ? Eine sehr frühe Antwort seitens eines heidnischen Philosophenkollegen zeigt die große Spannung zwischen griechischem Denken und christlichem Glauben auf, die aus ORIGENES' Werk tatsächlich herausgelesen werden kann. EUSEBIOS ist es wiederum, der uns den Ideenstreit überliefert:

„Ich erwähne Porphyrios, der noch zu unserer Zeit in Sizilien gelebt hat und gegen uns Schriften verfaßte, in welchen er die göttlichen Schriften zu lästern suchte und der Bibelexegeten gedachte. Da er an den Lehren keineswegs etwas aussetzen konnte, verlegt er sich aus Mangel an Beschuldigungsgründen darauf, zu schimpfen und die Schrifterklärer zu verleumden, vor allem Origenes. Nachdem er gesagt, er habe ihn in seiner Jugend kennengelernt, sucht er ihn zu verlästern, empfiehlt ihn aber , ohne es zu merken. Wo er nicht anders konnte, berichtet er über ihn die Wahrheit; wenn er aber glaubte, daß man es nicht merke, ersinnt er über ihn Lügen. Bald macht er ihm den Vorwurf, daß er Christ sei, bald verwarf er seine Fortschritte in der Philosophie. Vernimm seine eigenen Worte!

Da einige, statt sich von der Erbärmlichkeit der jüdischen Schriften abzuwenden, nach befriedigenden Lösungen suchten, verloren sie sich in verworrene, dem Texte nicht entsprechende Erklärungen, welche nicht so sehr eine Verteidigung der fremden, als vielmehr Anerkennung und Lob der eigenen Sache zum Ziele haben. Diese Exegeten reden groß daher, die klaren Worte des Moses seien Rätsel; sie verhimmeln dieselben als Gottesworte voll heiliger Geheimnisse und betören durch ihren Schwindel die Fähigkeit zur Kritik. [...] Diese törichte Methode möge man an einem Manne beobachten, mit dem auch ich in meiner frühesten Jugend verkehrt habe, nämlich an Origenes, der in hohem Ansehen stand und noch heute durch seine hinterlassenen Schriften in Ansehen steht und dessen Ruhm bei den Lehrern dieser Gedanken weit verbreitet ist! Er war Schüler des Ammonios, des verdientesten Philosophen unserer Zeit. Wissenschaftlich hatte Origenes von seinem Lehrer sehr viel gewonnen, doch schlug er - was die rechte Entscheidung fürs Leben anbelangt - einen entgegengesetzten Lebensweg ein. Ammonios nämlich wandte sich, obwohl von seinen Eltern als Christ im Christentum erzogen, sobald er zu denken und zu philosophieren anfing, sofort der den Gesetzen entsprechenden Lebensweise zu. Origenes aber irrte, obwohl als Grieche unter Griechen erzogen, zu barbarischer Dreistigkeit ab. Ihr zuliebe verkaufte er sich und seine Bildung. Sein Leben war das eines Christen und widersprach den Gesetzen. In seiner Auffassung von der Welt und von Gott dachte er wie ein Grieche und schob den fremden Mythen griechische Ideen unter. Ständig beschäftigte er sich nämlich mit Platon. Er war vertraut mit den Schriften des Numenios, Kronios, Apollophanes, Longinos, Moderatus, Nikomachos und der berühmten Männer aus der pytha­goreischen Schule. Er benützte aber auch die Bücher des Stoikers Chairemon und des Cornutus, von welchen er die allegorische Auslegung der heidnischen Mysterien erlernte, und wandte diese Methode auf die jüdischen Schriften an.'

So sagt Porphyrios im dritten Buch seiner Schrift ,Gegen die Christen'. Wahr ist, was Porphyrios über die Tätigkeit und das reiche Wissen des Origenes sagt. Doch lügt er offensichtlich, wenn er behauptet, Origenes sei vom Heidentum aus übergetreten und Ammonios sei vom gottesfürchtigen Leben zum Heidentum abgefallen. Wie konnte er, der gegen die Christen schrieb, anders als lügen?"9

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d) Priester

28 Jahre lang hat ORIGENES in Alexandreia als Lehrer gewirkt, schon zu seiner Zeit in der ganzen damaligen Welt berühmt, so sehr, daß ihn selbst die Mutter des Kaisers Alexander Severus, Mammaea, um 232 nach Antiocheia einlud, um dort seine Vorträge zu hören. Reisen hatten ihn auch nach Athen und Kappadokien, nach Arabien und vor allem nach Palästina geführt. Durch seine Aufenthalte in Jerusalem und Kaisareia, lateinisch Caesarea Maritima, erwarb er sich dort zwar bischöfliche Freunde, ab er das ließ wiederum seinen Heimatbischof, Demetrios von Alexandreia, zu seinem Feind werden. Der Hintergrund ist verflochten und nicht gänzlich zu klären.

ORIGENES, zu dieser Zeit zwar Lehrer in theologischen Dingen, sogar mit Billigung seines Bischofs, aber ohne die sakramentale Weihe eines Priesters, war in Palästina als Prediger im Gottesdienst aufgetreten, und zwar im Auftrag der dortigen Bischöfe. Seinem eigenen Bischof mißfiel dies. Ob es sich dabei nur um eine disziplinäre, kirchenrechtliche Angelegenheit handelte, um persönliche Animositäten, um einen Prestigekampf zwischen der Hierarchie und einem weltweit angesehenen Laien, oder aber, vielleicht auch gleichzeitig, um dogmatische Lehrstreitigkeiten, ist ungeklärt. Als jedoch die palästinischen bischöflichen Freunde den ORIGENES, der nun nicht aus ihrer Diözese stammte, gar im Jahre 230 zum Priester weihten, betrieb der eigentlich dafür zuständige Demetrios die Verurteilung des ORIGENES - wohl auch mit dem Hinweis auf das Alte Testament, ein Verschnittener könne gar nicht Priester werden. Damit war dem Wirken des ORIGENES in Alexandreia ein Ende gesetzt. Bittere Klagen sind darüber nicht überliefert, denn ORIGENES neigte nicht zum Kreisen um die eigene Person, sondern blieb ganz auf seinen geistig-geistlichen Auftrag gerichtet.

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e) Kaisareia

Jedenfalls zieht er - wohl 232 - nach Kaisareia und begründet dort eine neue Schule. Sie wurde berühmt, nicht zuletzt durch ihre Bibliothek, in der noch EUSEBIOS viele uns verlorengegangene Originalschriften einsehen konnte. Von nun an wirkt der berühmte Autor und Prediger hauptsächlich in Kaisareia. Und aus den nun folgenden Jahren sind wichtige und umfangreiche Schriften erhalten, wenn auch teilweise nur in lateinischer Übersetzung. Fast täglich war ORIGENES in den Gottesdiensten als Ausleger der Bibel aktiv, seine Schnellschreiber stenographierten viele seiner Homilien.

Über die Lehrtätigkeit in Kaisareia, vor allem über die Ausstrahlung seiner Persönlichkeit, informiert auch eine Lobrede seines Schülers GREGOR, der später Bischof werden sollte und mit dem Beinamen Thaumaturgos, also Wundertäter, im Heiligenkalender steht.

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f) Verfolgung und Tod

Unter Kaiser Maximinus Thrax (seine Regierungszeit ist 235 - 238) bricht eine neue Christenverfolgung aus, in der die Schrift „Über das Martyrium" entsteht, die ORIGENES einigen Glaubensbrüdern widmet, die in konkreter Gefahr sind. Das Werk erinnert uns an seine frühe Jugend, als er den Brief an den Vater im Gefängnis schrieb. ORIGENES, der für sich das Martyrium ersehnt hatte, wird dessen nicht gewürdigt. Doch unter Kaiser Decius (249 - 251) wird auch er verhaftet und schwer gefoltert. EUSEBIOS zählt auf:

„seine vielen harten Leiden um der Lehre Christi willen, seine Einkerkerung und seine körperlichen Qualen, seine Schmerzen in den eisernen Ketten und in den Winkeln des Verlieses, die vieltägige Ausspannung seiner Füße. bis zum vierten Loche des Folterblockes, die Bedrohungen mit dem Feuertode, das geduldige Ertragen aller anderen von den Feinden ihm zugefügten Drangsale, den Abschluß des gegen ihn eingeschlagenen Verfahrens, wobei der Richter eifrigst mit allen Mitteln darnach strebte, ihn ja am Leben zu erhalten, ferner die von ihm sodann noch abgefaßten und hinterlassenen Schriften, welche für Trostbedürftige von großem Nutzen sind"10 .Die Absicht der Christentumsgegner, ORIGENES über Kerker und Folter zur Apostasie zu verleiten, scheiterte; der Abfall hätte unter den jungen Christen eine große Wirkung" gehabt. Andererseits suchte man auch nicht seinen Tod, weil man die Propagandawirkung des Martyriums fürchtete. ORIGENES aber starb, wohl auch infolge der erlittenen Quälereien, - so nimmt man an - zwischen 251 und 254. Sein Grab wurde noch im Mittelalter in Tyros gezeigt. EUSEBIOS kennt das genaue Datum nicht, vermerkt aber zur zeitlichen Einordnung dies:

„Als [Kaiser] Decius, ohne ganze zwei Jahre regiert zu haben, zugleich mit seinen Söhnen ermordet wurde, folgte Gallus. Um diese Zeit starb Origenes im Alter von 69 Jahren."11

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4. Werke

Wir wollen nun in die Werke des ORIGENES hineinlesen, einige wichtige Schriften wenigstens zitatweise kennenlernen. Doch dazu zunächst noch einige erläuternde Vorbemerkungen.

Was ist eigentlich typisch für unseren ORIGENES, welches von seinen Büchern zeigt den wahren Kirchenvater? darf man fragen - und wird darauf keine eindeutige Antwort erhalten. Der Umfang des Werks ist zunächst einmal riesig. Von über zweitausend Büchern ist in der Antike übertreibend die Rede; immerhin überliefert der Übersetzer und spätere Origenes-Gegner HIERONYMOS recht umfangreiche Titellisten. Davon ist nur ein Bruchteil auf uns gekommen. Aber dieser Bruchteil umfaßt schließlich in der traditionsreichen Kirchenväterausgabe von Migne mehr als elftausend engbe­druckte und schwer lesbare Spalten in griechischer und lateinischer Sprache. Noch in unserem Jahrhundert wurden Schriften oder Bruchstücke entdeckt im originalen Griechisch, und die Edition der Werke ist keineswegs abgeschlossen. In deutscher Sprache liegt keine vollständige Übersetzung vor. Die Hauptwerke jedoch, aus denen wir auch zitieren wollen, sind zugänglich, zumindest über Bibliotheken. Die Editionsgeschichte zeigt, wie mühsam und umstritten jede Herausgabe ist. Die Deutungen des origeneischen Werks, die Kontroversen und Einzeluntersuchungen füllen im wörtli­chen Sinn ganze Bibliotheken.

Dennoch wagen wir es, mit dem Vorbehalt des anthologischen Zugangs, über Ausschnitte auf ein komplexes Werk neugierig zu machen, übrigens blieb schon der christlichen Antike keine andere Wahl: Angesichts des Werkumfangs erstellten die Kirchenväter BASILEIOS DER GROSSE und GREGOR VON NAZIANZ im Jahre 360 die berühmte „Philokalia" - einen anthologischen Durchblick anhand ausgewählter Zitate.

 

Nach unserem biographischen Kurzbericht wollen wir also Einblick nehmen in die schriftliche Hinterlassenschaft des ORIGENES. Das brisante Frühwerk, das als De principiis lateinisch überliefert ist, und das zwanzig Jahre später verfaßte, in griechischer Sprache erhaltene apologetische Opus Contra Celsum (Gegen Kelsos al­so), diese beiden Schriften dienen uns als repräsentative Texte aus dem vielgestaltigen Gesamtwerk. Für die Vorstellung seiner exegetischen Arbeit sollen die Kommentare zum Matthäusevangelium und zum Römerbrief dienen.

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a) De principiis

Zwischen 220 und 250 entstand das umstrittenste Werk, eine systematische Abhandlung über den christlichen Glauben, eigentlich die erste Glaubenslehre in Buchform. Sie trägt den griechischen Titel peri archon; uns ist davon aber nur eine lateinische Übersetzung erhalten, De principiis. Rufinus von Aquileja, der Übersetzer, hat das umfangreiche Werk auch gekürzt und bearbeitet; in seinem Vorwort nennt er aber ganz offen die Kriterien für seine Modifikationen: die Rechtgläubigkeit, wie sie damals verstanden wurde.

Wohl schon zu der Zeit, als ORIGENES noch in Alexandreia wirkte, kam es zu Kontroversen um dieses Buch, mit einem Nachhall bis in unsere Zeit. Jedenfalls besteht durchaus die von PORPHYRIOS angemerkte Spannung zwischen Christentum und platonischer Philosophie in diesem „Grundlagen"-Werk, wie sich der Titel wiedergeben läßt.

Mit größerer Nüchternheit als die Zeitgenossen des Alexandriners und seine späteren kirchlichen Gegner sehen die Theologen heute den Streit um dieses Buch. Mit gutem Recht geben die Fachleute zu bedenken: ORIGENES war ganz selbstverständlich ein Kind seiner Zeit, geprägt von der griechischen Kultur, namentlich von platonischem Gedankengut. Er hat eben versucht, in den Geist seiner Epoche hinein die Lehre des Christentums zu „inkulturieren" - wie wir heute sagen würden -, einzubringen in das Lebensgefühl, in die Ausdrucksmittel und Paradigmen seiner Zeit.  ORIGENES ging dabei Wege, die von der Schrift nicht immer gedeckt waren, vor allem nicht von der nachfolgenden theologischen Entwicklung.

Ein zweiter Punkt: Bei den frühen kirchlichen Schriftstellern finden sich viele Äußerungen, die nicht mit dem Schrifttum, das als kanonische Bibel Anerkennung gefunden hat, übereinstimmen. Viele Zitate lassen sich ausfindig machen, die der späteren kirchlichen Lehrentwicklung nicht entsprechen; ORIGENES macht da gar keine Ausnahme. Die christliche Lehre war ja erst im Entstehen begriffen. Und ORIGENES ist und bleibt, trotz aller Vorbehalte in Einzelfragen, einer ihrer wichtigsten Begründer.

Zu bedenken ist auch ein Drittes: Die großen dogmatischen Entscheidungen, die das spätere Glaubensbekenntnis prägten und, negativ abgrenzend, zur Abwehr sogenannter Häresien führten, diese Konzilsentscheidungen liegen ja erst nach der Lebenszeit des ORIGENES. Nach heutigem Verständnis kann man deshalb seine Rechtgläubigkeit nicht einfach nach Maßstäben bewerten, die es zu seiner Zeit noch gar nicht gegeben hat. Die heftigen Verurteilungen des ORIGENES, die dreihundert Jahre nach seinem Tod formuliert wurden, hatten wohl auch nicht immer nur echte origeneische Aussagen zum Inhalt und erfolgten nicht in der historischen und auch innerlichen Distanz, über die wir heute verfügen.

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b) Reinkarnation

Nehmen wir jetzt als ein Beispiel die Thematik der Reinkarnation, also die Idee von Seelenwanderung oder Wiedereinkörperung. Als ein heute durchaus aktuelles Thema bietet es einen Zugang zu dem zeitlich doch recht entlegenen Werk. Wie stellt sich ORIGENES zu dieser in der griechischen Antike ganz selbstverständlichen Vorstellung? Zwei Voraussetzungen sind hier zunächst festzuhalten. ORIGENES, und das ist die erste, sieht die Schöpfung in ihrem Ursprung als eine Welt der körperlosen Geister. Daß die Welt stofflich ist, daß Menschen einen Leib annehmen, ist für ihn erst die Folge eines Fehlverhaltens der Geistwesen, sozusagen Konsequenz eines vorkosmischen Sündenfalls. Die in vielen Weltentstehungen und Untergängen sich vollziehende Evolution des Kosmos und seiner Bewohner wird schließlich auch zurückkehren zum Ausgangspunkt, zum reinen Geist also. Hier verbindet sich, und das ist der zweite Punkt, eine Deutung des Sündenfalls, wie er in der Bibel und vor allem in außerbiblischen hebräischen Schriften beschrieben ist, mit dem zyklischen Weltbild des antiken Griechenland. Die Seelenwanderungslehre PLATONs und die bei ihm überlie­ferte Abfolge der großen Weltenjahre stehen im Hintergrund des origeneischen Frühwerks. ORIGENES bleibt in all diesen Aussagen, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig lassen, immerhin vorsichtig, wenn er, zum Beispiel, vom Ende der Welt sagt:

 

„Dabei sprechen wir unsererseits mit großer Behutsamkeit, mehr als Untersuchende und Erörternde denn als fest und sicher Behauptende (cum magno metu et cautela). [...] Jedenfalls glauben wir, daß Gottes Güte durch seinen Christus die ganze Schöpfung zu einem einzigen Ende führen wird, in dem auch die Feinde unterworfen werden. [...] Wenn wir eine solche Vorstellung vom Ende haben, wo ,alle Feinde Christus unterworfen sind', wo ,als letzter Feind der Tod vernichtet wird', wo ,das Reich von Christus, dem alles unterworfen ist, dem Gott und Vater übergeben wird': dann können wir von diesem Ende her auf den Anfang der Welt blicken. Denn immer ist das Ende dem Anfang ähnlich; und daher muß, so wie das Ende von allem eines ist, so auch ein Anfang von allem angenommen werden; und so, wie die vielen Dinge ein Ende haben, so entspringen die vielen Unterschiede und Abweichungen aus einem Anfang."12

 

Solche Vorstellungen trägt also ORIGENES an die Bibel heran. Als Beispiel die Geschichte von den verfeindeten Brüdern Esau und Jakob, in der die Zuneigung Gottes eigentlich dem Betrüger Jakob gilt, nicht dem erstgeborenen Esau. ORIGENES bezieht sich auf den Römerbrief, in dem Paulus über die Kinder Rebekkas die durchaus beunruhigende Bemerkung macht:

ihre Kinder waren noch nicht geboren und hatten weder Gutes noch Böses getan; damit aber Gottes freie Wahl und Vorherbestimmung gültig bleibe, nicht abhängig von Werken, sondern von ihm, der beruft, wurde ihr gesagt: Der Ältere muß dem Jüngeren dienen; denn es steht in der Schrift: Jakob habe ich geliebt, Esau aber gehaßt. 13

ORIGENES greift die Frage des Paulus: „Heißt das nun, daß Gott ungerecht handelt?"14 auf seine Weise auf und erklärt dieses Ärgernis reinkarnatorisch:

„Wir müssen nur annehmen, daß [Jakob] auf Grund von Verdiensten eines früheren Lebens von Gott mit Recht geliebt wurde, so daß er auch nach Verdienst dem Bruder vorgezogen wurde. Dasselbe finden wir nun auch bei den himmlischen Geschöpfen; hier müssen wir beachten, daß diese Mannig­faltigkeit nicht der Urzustand der Schöpfung ist, sondern daß infolge vorangehender Ursachen jedem Wesen nach dem Wert seiner Verdienste vom Schöpfer ein Dienst zugewiesen wird, d. h. infolge der Tatsache, daß ein jeder, sofern er als Intelligenz oder als vernünftiger Geist von Gott geschaffen ist, entsprechend seinen geistigen Bewegungen und dem Denken seines Herzens sich selbst mehr oder weniger Verdienste erwirbt und für Gott liebenswert oder hassenswert wird."15

„Denn Gott lenkt die Seelen nicht im Hinblick auf die, sagen wir, fünfzig Jahre des irdischen Lebens, sondern auf die unendliche Ewigkeit; denn er hat die geistige Substanz unvergänglich gemacht und ihm selbst verwandt, und die vernünftige Seele ist nicht von der Heilung ausgeschlossen, als wäre sie auf das Leben hier auf Erden beschränkt."16

Man kann

„nur eine Erklärung geben, die die göttliche Vorsehung von jeglichem Vorwurf der Ungerechtigkeit freihält: nämlich, daß man bei ihnen gewisse frühere Ursachen annimmt; die Seelen hätten, bevor sie im Körper geboren wurden, irgendeine Schuld auf sich geladen in ihrem Denken oder in ihren Bewegungen, und dafür seien sie von der göttlichen Vorsehung zu Recht verurteilt worden, dies zu leiden. Denn die Seele ist immer freien Willens, sowohl wenn sie in diesem Körper ist, als auch wenn sie außerhalb des Körpers ist".17

 

ORIGENES vertritt also die Willensfreiheit gegen die Prädestination, eingebunden in die Wiedereinkörperungslehre, zumindest aber in die Vorstellung einer Inkarnation infolge vorgeburtlichen Fehlverhaltens. Auf diese Stellen aus dem Grundlagenwerk des ORIGENES, aus dem wir zitiert ha­ben, berufen sich viele Anhänger der Reinkarnationslehre. Mit gutem Recht, so will es scheinen. Doch das ist nicht der ganze ORIGENES in dieser Frage. Wir wollen noch zwei Äußerungen zitieren, die ORIGENES etwa zwanzig Jahre später veröffentlicht hat, um das Jahr 250, nämlich in sei­nem Kommentar zum Matthäus-Evangelium und in der Verteidigungsschrift gegen Kelsos.

Eine erste Bemerkung erfolgt eigentlich nur so nebenbei, sie ist aber dennoch deutlich. Zur Erklärung jener Stelle, in der Herodes Jesus als den wiedergekommenen Täufer Johannes bezeichnet, den er selbst hat umbringen lassen, heißt es bei ORIGENES:

„Es könnte aber jemand sagen, daß Herodes und einige Leute aus dem Volke der irrigen Lehre von der Seelenwanderung anhingen, so daß sie meinten, derjenige, der einmal Johannes war, sei (neu) geboren worden und von den Toten als Jesus wieder ins Leben gekommen. Aber auch diesen Irrtum kann man nicht für wahrscheinlich halten, weil die Zwischenzeit zwischen der Geburt des Johannes und der Jesu nicht mehr als sechs Monate beträgt. 18

Im selben Matthäus-Kommentar nimmt ORIGENES zu einer weiteren, vielfach auf Reinkarnation gedeuteten Perikope Stellung. Ist Johannes der Täufer etwa der wiedergekommene Prophet Elija?

 

„Da fragten ihn die Jünger: Warum sagen denn die Schriftgelehrten, zuerst müsse Elija kommen? Er gab zur Antwort: Ja, Elija kommt, und er wird alles wiederherstellen. Ich sage euch aber: Elija ist schon gekommen, doch sie haben ihn nicht erkannt, sondern mit ihm gemacht, was sie wollten." 19

ORIGENES gibt eine Antwort, die wiederum eindeutig ist. Und er nimmt die Schrift zum Zeugen gegen die von ihm früher vertretene Wiedereinkörperungslehre:

„Dabei scheint mir nicht die Seele Elias genannt zu werden; ich möchte nämlich nicht in die Lehrmeinung von der Wiedereinkörperung verfallen, welche der Kirche Gottes fremd ist und weder von den Aposteln überliefert ist, noch irgendwo in den Schriften erscheint. Sie steht nämlich auch dem entgegen, daß ,das Sichtbare vergänglich' ist und daß diese Weltzeit eine Vollendung erfahren wird, aber auch <der Erwartung'», daß sich jenes Wort erfüllt: ,Der Himmel und die Erde werden vergehen' und jenes andere: ,Die Gestalt dieser Welt geht nämlich vorüber' und ,Die Himmel werden vergehen' und was sich daran anschließt." 20

In einer weiteren Schrift des späten ORIGENES findet sich eine gleichsinnige Bemerkung. Sie steht in folgendem Zusammenhang: Kann denn die Weisheit der Alten wirklich standhalten gegenüber der Gotteslehre der Bibel, fragt ORIGENES ironisch-polemisch und spricht dabei auch die Seelen­wanderungslehre an:

„Wenn nun die Ägypter, um ihrer Lehre Würde zu verleihen, die Verehrung ihrer Tiere theologisch zu begründen suchen, so sind sie weise; wenn aber jemand, der dem Gesetz und dem Gesetzgeber der Juden zustimmt, alle Dinge allein auf Gott, den Schöpfer der Welt, zurückführt, so steht er in den Augen des Kelsos und seiner Gesinnungsgenossen tiefer als einer, der die Gottheit nicht bloß zu vernünftigen und sterblichen, sondern sogar bis zu den unvernünftigen Wesen herabzieht und noch mehr erniedrigt als die fabelhafte Lehre von der Seelenwanderung, nach welcher die Seele von dem Himmelsgewölbe herabfällt und bis zu den unvernünftigen Tieren, nicht nur den zahmen, sondern auch den wildesten, herabsteigt. Wenn die Ägypter solche Märchen erzählen, so glaubt man, sie hätten ihre philosophischen Meinungen in Rätsel und geheimnisvolle Worte gekleidet; wenn aber Moses, der für ein ganzes Volk schreibt, ihm seine Geschichte und seine Gesetze hinterläßt, so werden ,seine Worte' für ,leere Fabeln' angesehen, .die nicht einmal allegorische Auslegung zulassen'.21

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c) Römerbrief

Wer heute in Deutschland die Bibel liest, tut dies zumeist anhand einer revidierten Luther-Übersetzung oder er benutzt die neuere Einheitsüberset­zung, nach der auch wir hier zitieren. Damit gerät automatisch der multi­kulturelle Kontext der frühen Christenheit aus dem Blick. Der Apostel Pau­lus zum Beispiel, dessen Brief an die Römer wir jetzt zum Thema machen wollen, kann sich auf seine römische Staatsbürgerschaft berufen - er ist in Tarsus geboren, im Gebiet der heutigen Südosttürkei. Seine Religion ist natürlich die jüdische; als Schriftgelehrter liest er die Bibel hebräisch. Aber er ist auch griechischer Kultur und verfaßt seine Briefe an die von ihm betreuten Gemeinden in griechischer Sprache.

Für ORIGENES wiederum ist das Griechische wohl die Muttersprache, und aus diesem Vorteil heraus steht er recht unabhängig dem griechischen Text des Neuen Testaments gegenüber. Er scheut sich nicht, penible Fragen nach der Satzstruktur zu stellen und nimmt sich auch die Freiheit, das Griechisch des Apostels Paulus zu kritisieren. Er macht sich so seine Gedanken und mutmaßt, in welchen Städten Paulus wohl seine Texte verfaßt haben könnte, und er geht auch dem Argumentationsduktus nach, wenn er zum Beispiel zum Römerbrief bemerkt:

„So wie der Apostel Paulus den Brief komponiert hat, wirkt die Gedankenfolge fast im gesamten Text ziemlich inkonsequent. Denn einmal richtet sich sein Wort gegen die Heiden, ein anderes Mal tritt es mildernd für sie ein."22

Nicht uninteressant, ja für die meisten Leser überraschend, ist auch eine Anmerkung zu den persönlichen Verhältnissen des Völkerapostels, die sich auf frühe christliche Autoren stützen kann:

„Paulus ist nach der Überlieferung gewisser Leute als Verheirateter berufen worden. Er spricht von seiner Frau im Brief an die Philipper: ,Ich bitte auch dich, treue Gefährtin, nimm dich ihrer an!' Weil er mit ihrem Einverständ­nis von ihr frei wurde, nennt er sich einen Sklaven Christi. Wenn er aber, nach der Meinung anderer, als Freier berufen wurde, ist er nichtsdestoweniger Sklave Christi."23

Auch für heutige Leser dürfte nun doch sehr aufschlußreich sein, wie sich der Märtyrersohn ORIGENES, der die Christenverfolgungen seiner Zeit erleben muß, gerade zu jener zentralen Stelle des Römerbriefs stellt, die das Verhältnis zur Staatsmacht anspricht. Die Verse l bis 7 aus Römer 13, die wir zunächst im Zusammenhang zitieren, haben bekanntlich bis in unsere Gegenwart die Geister beunruhigt. Es heißt da wörtlich:

„Jeder leiste den Trägern der staatlichen Gewalt den schuldigen Gehorsam. Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt; jede ist von Gott eingesetzt. Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes, und wer sich ihm entgegenstellt, wird dem Gericht verfallen. Vor den Trägern der Macht hat sich nicht die gute, sondern die böse Tat zu fürchten; willst du also ohne Furcht vor der staatlichen Gewalt leben, dann tue das Gute, so daß du ihre Anerkennung findest. Sie steht im Dienst Gottes und verlangt, daß du das Gute tust. Wenn du aber Böses tust, fürchte dich! Denn nicht ohne Grund trägt sie das Schwert. Sie steht im Dienst Gottes und vollstreckt das Urteil an dem, der Böses tut. Des­halb ist es notwendig. Gehorsam zu leisten, nicht allein aus Furcht vor der Strafe, sondern vor allem um des Gewissens willen. Das ist auch der Grund, weshalb ihr Steuern zahlt; denn in Gottes Auftrag handeln jene, die Steuern einzuziehen haben. Gebt allen, was ihr ihnen schuldig seid, sei es Steuer oder Zoll, sei es Furcht oder Ehre." 24

Die Gewissensnot, die diese Stelle bei vielen Christen unter diktatorischen Regimen ausgelöst hat, ist bekannt. Es scheint, ORIGENES, der seinen Römerbriefkommentar in den Jahren 243 und 244 verfaßt hat, ist durch das Paulus-Wort nicht in tiefe Skrupel verfallen. Ein Ausschnitt aus seiner Deu­tung dieser berühmt-berüchtigten Stelle:

„Laßt uns also jetzt sehen, was der Apostel im Folgenden noch anfügt:
Jede Seele sei den höheren Gewalten Untertan
.
Meiner Meinung nach hat er es hier sehr gut gemacht, daß er den Ausdruck ,Seele' gebraucht, wenn er den Auftrag gibt, sie solle den Gewalten unterworfen sein. Niemals nämlich hätte er gesagt, jeder Geist solle sich der Gewalt unterwerfen, sondern jede ,Seele'. Von dieser Unterscheidung haben wir schon oft geredet und gesagt, der Mensch werde manchmal durch die Seele, manchmal durch das Fleisch und manchmal durch den Geist bezeichnet. Doch wenn er vom besseren Teil her bestimmt und als geisterfüllter Mensch verstanden werden soll, wird er ,Geist' genannt, wenn vom niedrigeren Teil her, ,Seele', wenn er aber seinen Namen vom schlechtesten Teil her bekommt, wird er ,Fleisch' genannt. [...] Weil der Apostel den Glaubenden Vorschriften gibt, will er jetzt also, daß wir, soweit es an uns liegt, die Ruhe und den Frieden in diesem gegenwärtigen Leben bewahren. [...] Auch unser Herr hat nämlich gesagt, solche, die in sich die Aufschrift des Kaisers hätten, sollten dem Kaiser zurückgeben, was des Kaisers ist. [...]

Denn es gibt keine staatliche Gewalt, die nicht von Gott stammt
.
Jemand sagt vielleicht: Wie den
n? Ist auch die Gewalt, welche die Diener Gottes verfolgt, den Glauben bekämpft und die Religion umstürzt, von Gott? Darauf wollen wir kurz antworten. Jeder weiß, daß das Sehvermögen uns von Gott ge­schenkt wurde wie auch das Gehör und das Empfindungsvermögen. Obwohl wir dies also von Gott haben, steht es trotzdem in unserer Macht, daß wir das Sehvermögen zum Guten oder zum Schlechten gebrauchen [...]; darum ist das Urteil Gottes gerecht, weil wir mit dem, was er uns zum guten Gebrauch gegeben hat. Mißbrauch treiben und es uns zum Gottlosen und Schlechten dient. So ist also auch alle Gewalt von Gott gegeben, damit sie das Böse bestraft, das Gute dagegen anerkennt' [...]

Und darum sagt Paulus: Wer sich daher der staatlichen Gewalt widersetzt, stellt sich gegen die Ordnung Gottes [...]. Hier spricht er nicht von den Gewalten, die Verfolgungen gegen den Glauben anzetteln; in einem solchen Fall muß man nämlich sagen: ,Man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen.' [...] ,[Es] bewegt mich, daß Paulus die weltliche Gewalt und den weltlichen Richter als im Dienst Gottes stehend bezeichnet; und das sagt er nicht einmal, sondern wiederholt es ein zweites und drittes Mal. Ich möchte also gern erforschen, wieso der weltliche Richter Gottes Diener ist. Wir haben eine Stelle in der Apostelgeschichte entdeckt; dort steht geschrieben, daß die Apostel zusammenkamen und Verordnungen erließen, die wir als solche, die aus dem Heidentum zum Glauben an Christus gekommen sind, befolgen sollten. Unter ihnen befindet sich auch Folgendes [...]: ,Der Heilige Geist und wir haben also beschlossen, euch keine weitere Last aufzuerlegen als diese notwendigen Dinge: Enthaltung von Götzenopferfleisch, Blut, Ersticktem und das Meiden von Unzucht. Wenn ihr euch davor hütet, handelt ihr richtig. Lebt wohl.' Mit diesen Geboten [...] werden weder Mord noch Ehebruch noch Diebstahl oder gleichgeschlechtlicher Verkehr noch auch die übrigen Laster, die von göttlichen und menschlichen Gesetzen bestraft werden, verboten. [...] Die übrigen Verbrechen werden ja durch die weltlichen Gesetze bestraft. [...] Denn nicht alle Verbrechen, die Gott bestraft haben will, wollte er bestraft haben durch die Bischöfe und Leiter der Gemeinden, sondern er wollte sie bestraft haben durch den weltlichen Richter. Im Wissen darum nennt Paulus ihn mit Recht den Diener Gottes, der den bestraft, der das Böse tut. [...]

Wenn wir nämlich zum Beispiel annehmen, die an Christus Glaubenden seien den weltlichen Gewalten nicht unterworfen, sie brauchten keine Steuern zu zahlen und keine Abgaben zu entrichten, niemandem Ehrfurcht und Achtung zu erweisen, würden sie nicht dadurch mit Recht die Waffen der Regierenden und Fürsten gegen sich kehren und ihre Verfolger entschuldbar, sich selbst aber schuldig machen? Sie würden dann nämlich nicht mehr wegen ihres Glaubens, sondern wegen Widersetzlichkeit bekämpft. [... ]

Denn wenn wir den Weinberg des Herrn bearbeiten und den wahren Weinstock, der Christus ist, in uns wachsen lassen, werden wir den weltlichen Dienern von diesem Weinstock keine Steuern entrichten, sondern wir werden dem Herrn selbst zur rechten Zeit die Früchte abliefern" .25


 

 

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II. ORIGENES UND DIE FOLGEZEIT

 

Die Lektüre alter Autoren bedeutet kein reines Vergnügen, vielmehr Anstrengung und Herausforderung an die Geduld. ORIGENES stellt wegen des Umfangs und der problematischen Überlieferung seines Werkes ganz besondere Anforderungen an den Leser. Die gelehrten Übersetzer und Ausdeuter haben mit ihren Editionsproblemen, Interpretationen und Detailstreitigkeiten eine kaum mehr überschaubare Literaturflut erzeugt. Keine Deutung ist unwidersprochen geblieben, selbst zur puren Biographie werden unterschiedliche Daten vorgebracht. Schließlich eröffnet der Blick auf die Wirkung des ORIGENES für die nachfolgende Kirchen- und Theologiegeschichte ein weiteres riesiges Spektrum an Meinungen und Gegenentwürfen.

Doch es gibt ein Spätwerk des ORIGENES, das man auch heute noch geradezu mit Faszination lesen kann. Erkennen wir doch darin, trotz des großen zeitlichen und kulturellen Abstandes, so manches Problem wieder, das uns auch gegenwärtig bewegt. Wir sprechen von den acht Büchern ge­gen KELSOS, den es zunächst vorzustellen gilt.

 

 

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1. Kelsos

 

KELSOS ist uns ausschließlich deshalb bekannt geblieben, weil eben ORIGENES ihn recht ausführlich zitiert, um ihn dann zu widerlegen. Allein aus den umfänglichen Zitaten bei ORIGENES konnte das Werk rekonstruiert werden. Und diese Auseinandersetzung des ORIGENES mit des KELSOS'  Schrift -Das wahre Wort oder Die wahre Lehre - ist durchaus ein geistiges Vergnügen, wenn man die Beschäftigung mit Weltbildern nicht als einen Zeitverlust ansieht. Was will dieser KELSOS? Der griechische Philosoph in später Nachfolge PLATONS - ORIGENES verunglimpft ihn als Epikureer -, KELSOS sieht im Auftauchen des Christentums eine Krisenerscheinung des Römischen Reiches, die es zu bekämpfen gilt. Es geht ihm um die Aufrechterhaltung des antiken Götterkults, dem er, wohl gegen Ende des zweiten Jahrhunderts, seine Streitschrift widmete. Er hat offenbar Judentum und Christentum gründlich studiert, kennt also seine Gegner aus ihren eigenen heiligen Schriften und vermag sogar die verschiedenen Meinungsgruppen gegeneinander auszuspielen. Als ORIGENES im reifen Alter, jedenfalls nach 245 - so rechnen die Gelehrten - auf Drängen seines Freundes AMBROSIOS zu einer Widerlegung ansetzt, ist KELSOS bereits nicht mehr am Leben. Offenbar aber hat dessen Schrift unter den Gebildeten der Zeit hinreichend Furore gemacht, so daß nicht wenige Christen verunsichert wurden.

KELSOS ist um eine Rückführung der Neubekehrten zum Heidentum bemüht, nicht zuletzt im Interesse der Stabilität von Staat, Gesellschaft und Kultur. Doch seine Ausführungen rechtfertigen gleichsam auch die staatliche Christenverfolgung: indem er nämlich die Christen für nichts anderes als Aufrührer erklärt, die sich von irrwitzigen Lehren hätten verführen lassen, statt ihre Pflichten als Untertanen zu erfüllen, zu denen ja auch das Opfer vor der Kaiserstatue gehört.

ORIGENES seinerseits unternimmt es, den eigenen Glaubensgenossen Argumente zu liefern, mit denen sie diese damals offenbar verbreiteten Angriffe abzuwehren vermochten. Gleichzeitig zielt ORIGENES auf die geistig Aufgeschlossenen und religiös Suchenden unter den Heiden. Jedenfalls entwirft er eine vitale und polemische Apologie seiner Religion, in die wir nun - sie hat in der deutschen Übersetzung gut 800 Seiten - wenigstens hineinlesen wollen. Dafür wählen wir Angriffe des KELSOS gegen den jüdisch­christlichen Gottesbegriff und gegen den von ihm lächerlich gemachten angeblichen Messias Jesus Christus.

 

 

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a) Pantheon

 

KELSOS verteidigt das Pantheon der griechisch-römischen Welt mit der Arroganz des griechischen Intellektuellen gegenüber einem Volk von Viehtreibern:

„Ihrem Führer Moses sind die Ziegenhirten und Schafhirten gefolgt und ha­ben sich durch plumpen Trug einreden lassen, es gebe nur einen einzigen Gott."26

ORIGENES argumentiert dagegen zunächst im Rahmen der antiken Göttervorstellungen, um dann - abstrakter - den neuen Gottesbegriff von Juden und Christen zu begründen.

„Wenn nun diese .Ziegenhirten und Schafhirten' ohne allen vernünftigen Grund, wie er meint, die Verehrung der Götter aufgegeben haben, so möge er zeigen, wie er selbst die Annahme der Menge von Göttern bei den Grie­chen oder den übrigen nichtgriechischen Völkern rechtfertigen kann. Er weise uns also das Dasein und die Wirklichkeit der Mnemosyne nach, mit welcher Zeus die Musen, oder der Themis, mit welcher er die Hören gezeugt hat, oder er lege dar, daß die stets unbekleideten Grazien wirklich existieren können. [...] Wie viel wirkungsvoller nun und besser als diese Phantasiegebilde ist es, aus den sichtbaren Dingen die Überzeugung von der guten Ord­nung der Welt zu gewinnen und ihren Schöpfer, den einen der einen Welt, zu verehren, die ganz mit sich selbst zusammenstimmt und deshalb nicht das Werk von vielen Schöpfern sein kann; [...] Denn alle Dinge sind Teile der Welt, Gott aber ist kein Teil des Ganzen, da Gott nicht unvollkommen sein darf, wie der Teil unvollkommen ist."27

[Kelsos:] „Die Ziegenhirtcn und Schafhirten haben nur einen einzigen Gott angenommen, sei es nun, daß sie ihn den Höchsten oder Adonai oder den Himmlischen oder Sabaoth, oder sei es, daß sie diese Welt so oder so zu nen­nen belieben; und eine weitere Erkenntnis haben sie nicht gewonnen. [...] es [macht] nichts aus, ob man den über allen waltenden Gott Zeus [nennt], wie die Griechen es tun, oder ob man ihm den zum Beispiel bei den Indern oder den bei den Ägyptern üblichen Namen [gibt]."

„Wir erwidern darauf: Bei der vorliegenden Frage kommt die tiefe und geheimnisvolle Lehre von dem Wesen der Namen in Betracht; ob, wie Aristoteles meint, die Namen ihr Dasein dem Übereinkommen verdanken, oder, wie die Stoiker glauben, einen natürlichen Ursprung haben, wonach die ersten Laute die Dinge, für die die Namen bestimmt waren, nachgeahmt hätten [...] oder ob, wie Epikur, abweichend von den Stoikern, lehrt, die Namen daher einen natürlichen Ursprung haben, daß die ersten Menschen bei [dem An­blick] der Gegenstände gewisse Laute ausgestoßen hätten. Wenn wir nun in einer besonderen Untersuchung die Natur wirksamer Namen darlegen können, [...] dann werden wir sagen dürfen, daß die Namen Sabaoth, Adonai und alle die ändern, die bei den Hebräern mit großer Feierlichkeit überliefert werden, nicht für beliebige und gewordene Dinge, sondern mit Rücksicht auf eine gewisse geheimnisvolle Theologie gebildet worden sind, die sich auf den Schöpfer des Weltalls bezieht."28

„Wir wollen aber auch den folgenden Abschnitt bei Kelsos betrachten, wo er gleichsam jemand redend einführt, der nach dem Anhören der besprochenen Worte folgende Fragen stellt:

,Wie soll ich also Gott erkennen? Und wie den Weg erfahren, der zu ihm führt? Und wie willst du mir Gott zeigen? Denn jetzt wirfst du mir ja Finsternis vor die Augen, und ich sehe nichts Deutliches.'

Dann gibt er gleichsam auf diese bekümmerten Fragen Antwort und glaubt die Ursachen nennen zu können, warum auf die Augen des Sprechers der vorher erwähnten Worte Finsternis gebreitet ist; er sagt:

,Wenn man diese aus der Finsternis zum hellen Licht herausführte, so wür­den sie, da sie den Strahlenglanz nicht aushallen könnten, an ihrem Gesichte gestraft und geschädigt und glaubten, geblendet zu werden.'

Hierauf wollen wir erwidern, daß alle diejenigen ,in Finsternis sitzen' und in ihr ruhen, die ihre Augen auf die schlechten Künste der Maler und Bild­ner und Bildhauer richten, die nicht aufwärts schauen und ihren Geist nicht von all den sichtbaren und sinnlich wahrnehmbaren Dingen wegwenden und zu dem Schöpfer des Weltalls erheben wollen, welcher ,das Licht' ist; daß dagegen jeder ,im Lichte' verweilt, der ,dem Strahlenglanze' des Wortes gefolgt ist, das ihm zeigt, mit welcher großen Unwissenheit und Gottlosigkeit und Unkenntnis des göttlichen Wesens diese Bilder von ihm an Stelle Gottes angebetet wurden, und das den Geist desjenigen, der gerettet werden will, zu dem ungewordenen und allmächtigen Gott hinführt. Denn ,das Volk, das in Finsternis saß', die Heiden nämlich, .erblickte ein großes Licht, und denen, die im Land und Schatten des Todes saßen, ist ein Licht aufgegangen', der Gott Jesus.

Es wird also kein Christ dem Kelsos oder irgendeinem anderen Ankläger der göttlichen Lehre Antwort geben und sagen: .Wie soll ich Gott erkennen?' Denn ein jeder Christ hat nach Möglichkeit Gott erkannt. Und keiner fragt: ,Wie soll ich den Weg erfahren, der zu ihm führt?' Denn er hat die Worte vernommen: Jch bin der Weg und die Wahrheit und das Leben' und bei dem Wandeln [auf diesem Wege] den Nutzen gekostet, der daraus entspringt. Und kein Christ dürfte wohl den Kelsos fragen: ,Wie willst du mir Gott zeigen?' 29

 

 

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b) Der Gott Jesus, der Sohn Gottes

 

Die Auseinandersetzung um den Stifter des Christentums führt KELSOS ausführlich und mit besonderer Schärfe. Die Juden seien da doch nur einem Betrüger aufgesessen.

[Kelsos:] „Dieser hat erst vor ganz wenigen Jahren diese Lehre eingeführt und ist von den Christen für den Sohn Gottes gehalten worden."30

„Wer die Tatsachen prüft, wird erkennen, daß Jesus Größeres, als menschliche Natur vollbringen kann, unternommen, und daß er das Unternommene auch ausgeführt hat. Denn obwohl von Anfang an alle der Ausbreitung seiner Lehre über den ganzen bewohnten Erdkreis entgegentraten, die jedesmaligen Kaiser, deren Oberfeldherren und Statthalter und mit einem Wort alle, denen irgendeine Gewalt übertragen war, ferner auch die Obrigkeiten in den Städten, die Truppen, die Gemeinden, so errang er doch den Sieg, da er seiner Natur nach als Gottes Wort nicht gehemmt werden konnte; und da er stärker war als viele gewaltige Gegner, so bezwang er ganz Griechenland und einen großen Teil der übrigen Länder und bekehrte unzählige Seelen zu der von ihm verkündeten Gottesverehrung. Notwendigerweise mußten aber unter der großen Masse der von Gottes Wort Unterworfenen ,die einfältigen und ungelehrten Leute' weit zahlreicher als die Gebildeten sein, je zahlreicher eben die einfältigen und ungelehrten Leute sind im Vergleich zu den wissenschaftlich gebildeten. [...]

Hierauf läßt Kelsos einen Juden auftreten, der sich mit Jesus selbst unterredet und ihn, wie er meint, wegen vieler Dinge zur Rechenschaft zieht. Zuerst wirft er ihm vor, ,daß er sich fälschlich als den Sohn einer Jungfrau ausgegeben habe', er schmäht ihn aber auch, ,daß er aus einem jüdischen Dorf und von einer einheimischen armen Handarbeiterin stamme'. Er sagt dann, .diese [ist] von ihrem Manne, der seines Zeichens ein Zimmermann gewesen, verstoßen worden, als des Ehebruchs schuldig. [...] unstet und ehrlos umherirrend, [hat] sie den Jesus heimlich geboren. Dieser [hat] aus Armut sich nach Ägypten als Tagelöhner verdungen und dort sich an einigen Zauberkräften versucht, auf die die Ägypter stolz [sind]; er [ist] denn auch zurückgekehrt und [hat] sich viel auf diese Kräfte eingebildet und sich ihretwegen öffentlich als Gott erklärt.'"31

„Unser Jesus dagegen, dem es zum Vorwurf gemacht wird, daß er aus einem Dorfe stammt, das zudem auch nicht in Griechenland gelegen ist, und auch nicht einem Volke angehört, das bei der großen Menge in Ansehen steht, und der geschmäht wird, weil er ,der Sohn einer armen Handarbeiterin' war und ,wegen Armut' sein Vaterland verließ und ,in Ägypten um Lohn diente' [...] - er hat es vermocht, die ganze von Menschen bewohnte Erde in höherem Grade in Bewegung zu setzen, nicht bloß als der Athener Themistokles, sondern auch als Pythagoras und Platon und einige andere Weisen oder Könige oder Feldherrn irgend welchen Landes der Erde.32 [...]

Außerdem dürfte man sich wundern, woher die Jünger Jesu zu dem Entschluß kamen, furchtlos dasselbe wie ihr Meister leiden zu wollen, mutig allen Gefahren entgegenzugehen und die Heimat zu verlassen, um die ihnen von Jesus überlieferte Lehre nach seinem Willen zu verkünden, ohne daß sie doch, wie die Verleumder Jesu sagen, seine Auferstehung von den Toten gesehen, oder die Überzeugung gewonnen hatten, daß jener etwas Göttliches sei.33

Doch wir wollen uns nun wieder zu den Worten zurückwenden, die Kelsos den Juden sagen läßt, zu der Behauptung nämlich, ,die Mutter Jesu [ist] von dem Zimmermanne, mit dem sie verlobt war, verstoßen worden, weil sie des Ehebruchs überführt worden [ist] und von einem Soldaten namens Panthera geboren [hat]'. Wir wollen sehen, ob nicht die Fabeldichter ins Blinde hinein ,den Ehebruch der Jungfrau mit Panthera' und ,die Vertreibung durch den Zimmermann', dies alles erfunden haben, um so die wunderbare Empfängnis vom Heiligen Geiste zu beseitigen. Sie hätten ja doch auf ande­re Weise die Geschichte wegen ihrer Unbegreiflichkeit verdächtigen können und nicht gleichsam wider Willen die Tatsache zuzugeben brauchen, daß Jesus nicht aus einer gewöhnlichen ehelichen Verbindung hervorgegangen ist. Und es war folgerichtig, daß die Leute, die die wunderbare Geburt Jesu nicht gelten lassen wollten, irgendeine Lüge ausdachten.34 [...]

Es scheint mir nun nicht nötig zu sein, die folgenden Worte des Kelsos zu bekämpfen, da sie nicht im Ernst, sondern im Spott gesagt sind:

,Ob nun die Mutter Jesu schön war, und Gott sich wegen ihrer Schönheit mit ihr verband, obwohl er seiner Natur nach keinen sterblichen Körper lieben konnte? Indessen war es gar nicht wahrscheinlich, daß der Gott sie lieben würde, da sie weder begütert noch von hoher Geburt war, denn niemand kannte sie, nicht einmal ein Nachbar. Als sie sich den Haß des Zimmermanns zuzog und von ihm verstoßen wurde [...], hat ihr weder göttliche Macht noch die Gabe der Überredung Rettung verschafft. Diese Dinge also [...] haben gar keine Beziehung auf das Reich Gottes.'

Unterscheiden sich denn solche Reden wohl von dem Geschwätz jener Leute, die auf öffentlicher Straße andere schmähen und nichts sagen, was der Aufmerksamkeit wert ist?35 [...] [Dann] behauptet Kelsos, der Ausspruch gegen die Reichen: ,Es ist leichter, daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe, als daß ein Reicher in das Reich Gottes eingehe', [ist] geradezu aus Platon genommen, indem Jesus den platonischen Satz: .Unmöglich ist es, daß ein hervorragend guter Mensch zugleich auch hervorragend reich sei', verfälscht [hat].'

Wo findet sich nun einer, nicht nur unter den Anhängern Jesu, sondern auch unter den übrigen Menschen, der, wenn er die Sachlage nur ein wenig zu beurteilen vermag, nicht über Kelsos lachen würde, sobald er ihn behaupten hört, Jesus, der bei den Juden geboren und erzogen und für ,den Sohn des Zimmermanns Joseph' gehalten wurde, der nicht nur nicht in den Wissenschaften der Griechen, sondern nicht einmal in denen der Hebräer unterrichtet worden ist, was ja auch die wahrheitsliebenden [heiligen] Schriften von ihm bezeugen, habe den Platon gelesen".36

 

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c) Christen und Staatsmacht

 

Ein letztes Zitat aus der Überfülle der origeneischen Apologie gegen KELSOS bezieht sich auf das Verhältnis der Christen zur Staatsmacht, wie die­ses sich in der von wiederholten Verfolgungen gezeichneten Lebenszeit un­seres Autors darstellte. Von KELSOS stammte die Forderung an die Chri­sten: „dem Kaiser beistehen mit aller Kraft, mit ihm für das uns abmühen, was recht ist, für ihn kämpfen und, wenn die Not es fordert, mit ihm ins Feld rücken und mit ihm seine Truppen anführen".

[Origenes:] „Darauf haben wir zu sagen, daß wir zu rechter Zeit den Herrschern .beistehen', und zwar sozusagen mit göttlicher Hilfe, da wir ,die Waffenrüstung Gottes' anlegen. Und dies tun wir, gehorsam dem Apostelwort, das so lautet: ,Ich ermahne euch nun zuerst, zu vollziehen Bitten, Gebete, Fürbitten, Danksagungen für alle Menschen, für Könige und für Obrigkeiten'. Und je frömmer jemand ist, um so mehr richtet er durch seine den Herrschern geleistete Hilfe aus, auch mehr als die Sol­daten, die zur Feldschlacht ausziehen und so viele von den Feinden ver­nichten, als sie imstande sind. [...] Wir vernichten aber mit unseren Gebeten auch alle Dämonen, welche die kriegerischen Unternehmungen anstiften und Eide brechen und den Frieden stören, und helfen da­durch den Herrschern mehr als die Personen, welche äußerlich zu Felde ziehen.37 [...]

Verlangt aber Kelsos von uns, daß wir ,zur Verteidigung des Vaterlandes' auch ,die Führung von Truppen' übernehmen, so mag er wissen, daß wir auch dieses tun, und zwar nicht in der Absicht, um von den Menschen gese­hen zu werden und bei ihnen eitlen Ruhm zu ernten. Denn im Verborgenen und in unserm Herzensinnern sind die Gebete, die, wie von Priestern, von uns für das Wohl unserer Mitbürger zum Himmel emporgesandt werden. Die Christen aber erweisen ihrem Vaterlande mehr Wohltaten als die übri­gen Menschen. Denn sie unterrichten die Bürger und lehren sie fromm zu sein gegenüber dem über der Stadt waltenden Gott [...]38

Wenn nun die Christen die Übernahme von staatlichen Ämtern ablehnen, so tun sie das nicht, um sich den gemeinsamen Dienstleistungen des bürger­lichen Lebens zu entziehen, sondern um sich für den göttlicheren und not­wendigeren Dienst an der Kirche Gottes zum Wohl der Menschen zu erhal­ten. Hier haben sie in notwendiger und zugleich in gerechter Weise die Lei­tung und sind für alle besorgt: für diejenigen, welche der Kirche angehören, daß sie täglich sittlicher leben, und für diejenigen, welche außerhalb der Kirche stehen, daß sie zu den heiligen Worten und Werken des [christlichen] Glaubens gelangen." 39

Dieser Einblick in die Kontroversen der frühen Kirche mit der antiken Welt kann allenfalls neugierig machen, aber nicht die Lektüre der (noch heute gängigen) Argumente des KELSOS und die Entgegnungen des ORIGENES in der ersten christlichen Apologetik ersetzen. Aber auch jenseits von Bekenntnis oder Ablehnung des Christentums erleben wir an diesem Werk den ideengeschichtlich spannenden Zusammenstoß zweier Weltbilder. Die neue christliche Weltanschauung versucht, in einem ihr fremd gewordenen und feindlich gegenüberstehenden Umfeld argumentativ Fuß zu fassen, die Sprache und die Bildwelt des Gegners aufzunehmen und neu zu wenden.


 

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2. Verurteilung des Origenes

 

Die Geschichte des Christentums kennt ein Kapitel, das in den Handbüchern unter „origenistische Streitigkeiten" firmiert. Für die Entwicklung der Theologie im Morgen- und Abendland sind diese Auseinandersetzun­gen folgenreich gewesen, für die Werküberlieferung aber katastrophal. Die Verurteilungen des ORIGENES als Ketzer hatten zur Konsequenz, daß seine Schriften systematisch vernichtet wurden, uns deshalb nur ein Bruchteil der griechischen Werke sowie verändernde lateinische Übersetzungen zugänglich sind. Diese Bruchstückhaftigkeit der Überlieferung ist mit dafür verantwortlich, daß ein zuverlässiges und einheitliches Bild von der Lehre des Kirchenvaters nicht existiert. Daß sich das Denken des ORIGENES selbst im Laufe seines langen Schaffens auch gewandelt hat, wie wir am Beispiel der Reinkarnationsidee gesehen haben, ist bei einem großen Geist eigentlich nichts Überraschendes. Die geistige Entwicklung bei ORIGENES selbst und die problematische Tradierung der Schriften führen dazu, daß nur selten Eindeutigkeit darüber besteht, was als verbindliche Aussage betrachtet werden darf. Wie man sieht: Die reiche geistige Tradition, wie sie die Geschichte des christlichen Denkens hervorgebracht hat, zeigt auch eine beschwerliche Seite.

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a.)    Augustinus

 

Schon zu seinen Lebzeiten hatte ORIGENES begeisterte Anhänger und heftige Gegner. Aber die großen Auseinandersetzungen begannen erst Ende des 5. Jahrhunderts. Einen namhaften Kritiker findet er, am Beginn des fünften Jahrhunderts, in AUGUSTINUS, dem einzigen der Kirchenväter, der in seiner Bedeutung mit ORIGENES zu vergleichen ist. In De Civitate Dei lesen wir diese Kritik an der origeneischen Lehre vom Abfall der Seelen:

„Man sagt, die Seelen hätten gesündigt und hätten daher in verschiedenen Abstufungen, je nach Maßgabe ihrer Sünden verschiedene Körper gleichsam als Fesseln erhalten, und diese Fessel sei die sichtbare Welt, und darin liege der Grund für die Weltschöpfung, durch die also nichts Gutes ins Dasein gerufen, sondern Böses eingedämmt werden sollte. Daraus macht man mit Recht dem Origenes einen Vorwurf. Er hat nämlich in der Tat in seinem Werk, das er Peri archon betitelt, diese Anschauung vertreten. Unsagbar muß ich mich wundern, wie hier ein Mann, der in den Büchern der Kirche so außerordentlich unterrichtet und bewandert war, nicht beachtet hat, daß die Schrift bei allen Werken Gottes hinzufügt: ,Und Gott sah, daß es gut war', auf daß so als Grund der Schöpfung der (sichtbaren) Welt nahegelegt werde, alles sei als Gutes von der Gutheit Gottes geschaffen."40

 

 

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b) Anathematismen

 

Mit besonderer Schärfe erfolgt die Auseinandersetzung aber im 6. Jahrhundert, als der große Alexandriner ausdrücklich und wiederholt zum Ketzer erklärt und einige seiner Werke kirchenamtlich als häretisch indiziert wurden. Als Bibelausleger blieb er jedoch bis in die Neuzeit anerkannt, und sei­ne Lehre vom mehrfachen Schriftsinn hat in der christlichen Exegese große Wirkungen gezeitigt. Da aber ORIGENES auch Überzeugungen verbreitet hat, denen die Lehrentwicklung nicht folgen konnte, wurden diese auf einer späteren Stufe theologischer Erkenntnis verurteilt.

Wir wollen auch diese Anathematismen, also Verurteilungen, kennenlernen, wenn auch gleich hinzuzufügen ist: Die Forschung ist sich nicht einig, ob damit wirklich immer nur Lehren des ORIGENES getroffen werden. Jedenfalls haben diese Verurteilungen Kirchengeschichte geschrieben und haften bis heute dem „Erzhäretiker" an.

Zur Geschichte kurz dies: In der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts wirkte in Ägypten der Mönch EUAGRIOS PONTIKOS, der in seinen Predigten und Schriften auch origenistische Lehren vertrat. Orientalische Mönche, die unter dem Einfluß von dessen Gedankengut standen, gerieten in der ersten Hälfte des 6. Jahrhunderts in Streit mit Origenes-Gegnern. Der Konflikt wurde vor den Kaiser JUSTINIAN gebracht, der sich selbst als Theologe verstand und der sich wiederum in einem Edikt des Jahres 543 an den Patriarchen von Konstantinopel namens MENAS wandte. Der Ton ist auffällig aggressiv und gilt auch Aussagen, die sich bei ORIGENES gar nicht finden:

„Nachdem also die Dinge sich so verhalten und die von Origenes ausgesprochenen Lästerungen allen offenbar geworden sind, ziemt es sich, folgendermaßen den Bann über ihn ergehen zu lassen:

Wenn einer sagt oder dafürhält, die Seelen der Menschen seien präexistent gewesen, insofern sie früher Intelligenzen und heilige Mächte gewesen seien; es habe sie aber Überdruß ergriffen an der Schau Gottes und sie hätten sich zum Schlechteren gewendet; darum seien sie abgekühlt von der Liebe zu Gott, hätten davon den Namen .Seelen' bekommen und seien zur Strafe in Körper hinabgeschickt worden - so sei er im Banne.

Wenn einer sagt oder dafürhält, die Seele des Herrn sei präexistent gewesen und geeint mit dem Gott-Logos vor der Fleischwerdung und Geburt aus der Jungfrau - so sei er im Banne. Wenn einer sagt oder dafürhält, daß zuerst der Leib unseres Herrn Jesus Christus im Schöße der heiligen Jungfrau gebildet wurde, und danach der Gott-Logos und die Seele als präexistente mit ihm vereinigt wurden - so sei er im Banne.

Wenn einer sagt oder dafürhält, der Gott-Logos sei allen himmlischen Ordnungen gleich geworden, indem er für die Cherubim ein Cherub und für die Seraphim ein Seraph wurde und schlechthin allen Mächten in der Höhe gleich wurde - so sei er im Banne.

Wenn einer sagt oder dafürhält, daß bei der Auferstehung die Leiber der Menschen kugelförmig erweckt werden, und wenn er nicht bekennt, daß wir aufrecht erweckt werden - so sei er im Banne.

Wenn einer sagt oder dafürhält, der Himmel, die Sonne, der Mond, die Sterne und die Wasser über den Himmeln seien beseelte und vernünfti­ge Mächte - so sei er im Banne.

Wenn einer sagt oder dafürhält, der Herr Jesus Christus werde in der kommenden Weltzeit für die Dämonen gekreuzigt werden, so wie (er) auch für die Menschen (gekreuzigt wurde) - so sei er im Banne.

Wenn einer sagt oder dafürhält, Gottes Macht sei begrenzt, und er habe (nur) soviel geschaffen, wie er umfassen und denken konnte; oder die Geschöpfe seien gleich ewig mit Gott - so sei er im Banne.

Wenn einer sagt oder dafürhält, die Bestrafung der Dämonen und der gottlosen Menschen sei zeitlich und werde zu irgendeiner Zeit ein Ende haben; oder es werde eine Wiederbringung von Dämonen oder gottlosen Menschen geben - so sei er im Banne.

Der Bann (sei gesprochen) über Origenes, der auch Adamantios heißt, welcher dies ausgesprochen hat, samt seinen abscheulichen und fluchwürdigen Lehren, und über jede Person, die dies denkt oder verteidigt oder in irgendeinem Punkt überhaupt zu irgendeiner Zeit dies zu vertreten wagt."41

Inhaltlich gingen diese Verurteilungen auch in die Dokumente des 2. Konzils von Konstantinopel von 553 ein und entfalteten von da an eine fatale Wirkung für das Werk des ORIGENES, wenn sich seine tatsächlichen Aussagen von den Verurteilungen auch nur teilweise getroffen sehen müssen. Im abschließenden 15. Kanon gegen die Origenisten heißt es in den Konzilserklärungen noch einmal wörtlich:

„Wenn einer sagt: Der Zustand der Intelligenzen werde der gleiche sein wie früher, als sie noch nicht herabgestiegen oder gefallen waren, so daß der Anfang gleich dem Ende ist und das Ende das Maß des Anfangs - so sei er im Banne."42

 

Hier klingt also erneut die berühmt-berüchtigte apokatastasis panton an, die Wiederherstellung aller Dinge, der Begriff, der am engsten mit dem Namen des ORIGENES verbunden geblieben ist. Der große Kirchenvater konnte sich nicht mit dem Bild eines allmächtigen und zudem guten Schöpfers abfinden, von dem auch eine ewige Strafe in den Qualen der Hölle ausgehen sollte. Nicht einmal der oberste aller Teufel, meint ORIGENES, müsse letztlich mit einer immerwährenden Verdammnis rechnen, und um dieser Möglichkeit des Heils für alle, der Wiederherstellung aller Dinge in ihrem ursprünglich gewollten Zustand willen, läßt ORIGENES Äonen um Äonen ablaufen, damit auch der Letzte und der Schlimmste zur Anschauung Gottes heimkehren möge. Dieser Gedanke, sei er auch in der Geschichte der Kirche so manches mal für häretisch erklärt worden, macht unseren ORIGENES so sympathisch. In einer Zeit, in der die Heilsgewißheit noch geringer ist als die Unheilssicherheit, tritt uns ein erfrischender Denker entgegen, der unsere zeitgenössische Häresie ganz und gar nicht teilt: die fatale Anthropozentrik, das Kreisen der Theologie um den Menschen. In unserem Jahrhundert haben namhafte Theologen die Rehabilitierung des Häretikers betrieben. Kein geringerer als Hans Urs von BALTHASAR hat ORIGENES deshalb so hoch geschätzt, weil er eine ewige Verdammnis mit der Güte Gottes nicht in Einklang bringen konnte.

Gleichzeitig sind Sondergruppen daran interessiert, ihre eigenen Lehren mit dem Namen des großen Verfolgten zu schmücken. Die Wirkung des origeneischen Denkens ist also noch keineswegs an ein Ende gekommen. Heutige Beurteilungen haben jede Polemik verloren, zeigen eher eine milde Ironie, wie sie der Tübinger Kirchenhistoriker Hermann Josef VOGT zum Ausdruck bringt, den wir stellvertretend für die neuere Origenes-Forschung zitieren:

„Warum also wurde Origenes zum Häretiker erklärt? Erstens, weil er Aufgaben nicht gelöst hat, die ihm in seiner Zeit gar nicht gestellt waren! Was mit ihm geschah, war also nicht Vergangenheitsbewältigung, die ja die Vergangenheit als das zu nehmen hat, was sie war, sondern an Origenes geschah Vergangenheitsvergewaltigung. Zweitens wurde Origenes verurteilt, weil man die Art seines fragenden, tastenden Theologisierens und Exegesierens nicht mehr verstanden hat.

Drittens aber auch, - das sei bei aller Sympathie für Origenes [...] nicht verschwiegen - weil er vielleicht doch zu vorwitzig war und nicht nur mit Gedanken umgegangen ist, sondern bis zum Ende seines Lebens auch Lehren festgehalten hat - wie die Präexistenz der Seelen, - die sich mit dem Glauben, mit der Gesamtaussage der Heiligen Schrift endgültig nicht vereinbaren lassen, die er aber wohl geändert hätte, wenn die Kirche ihm eine klare anderslautende Lehre hätte vor Augen stellen können; denn Mann der Kirche wollte er immer sein."43

Zu Lebzeiten des ORIGENES war das Christentum eine kleine Sekte, die sich allenthalben bedroht fühlen mußte. Trotz der Verfolgungen - oder vielleicht gerade deshalb - entwickelte die neue Religion eine ungeheure Strahlkraft. In der Gegenwart kann von äußerer Bedrohung nicht die Rede sein, aber auch nicht mehr von Strahlkraft, jedenfalls nicht in der westlichen Welt. Die christliche Weltanschauung scheint zu den absterbenden Traditionen des Abendlandes zu gehören, denen eine diffuse Moderne gegenübersteht, Verständnis- und beziehungslos weithin. Es sieht zwar nicht danach aus, als sei heute eine neue, für die Zukunft siegreiche Weltanschauung im Entstehen, die eine überzeugende Breitenwirkung zu entfalten vermöchte. Dennoch ist augenfällig, daß das Christentum in unseren Breiten dabei ist, für viele Menschen seine Funktion zu verlieren.

Wie in der Antike, wird sich die christliche Religion neu verständlich machen müssen. Frauen und Männer vom Maß der Kirchenväter sind den Kirchen zu wünschen.

Dem großen Denker vom Beginn, ORIGENES, wollen wir, mit einer Aussage über die Menschwerdung des Erlösers, das Schlußwort überlassen:

„Aber von all dem Wunderbaren und Großen bei ihm geht doch dies über die Bewunderung des menschlichen Geistes hinaus, und die Schwäche des sterblichen Verstandes hat keinen Weg gefunden, es zu denken und zu begreifen: daß diese große Macht der göttlichen Majestät, eben dieses Wort des Vaters und Gottes Weisheit selbst, in welcher ,alles geschaffen ist, das Sichtbare und das Unsichtbare', in den engen Grenzen jenes Menschen, der in Judäa erschien, anwesend war, wie der Glaube sagt; daß Gottes Weisheit in den Schoß einer Frau einging, als Kind geboren wurde und weinte wie alle kleinen Kinder; ferner daß er beim Sterben in Angst war, wie es berichtet wird und er selbst es bekannte, als er sagte: .Meine Seele ist betrübt bis an den Tod'; und schließlich, daß er den Tod erlitt, der unter den Menschen als größte Entehrung gilt, wenngleich er am dritten Tag wieder auferstand. Wir finden also manches bei ihm, das so menschlich ist, daß er sich nicht von der allgemeinen Gebrechlichkeit der Sterblichen unterscheidet, und anderes, das so göttlich ist, daß es einzig zu dem ersten und unaussprechlichen Wesen der Gottheit paßt. Da stockt der beschränkte menschliche Verstand und weiß, von Staunen ergriffen, nicht, wozu er sich neigen, was er festhalten, wohin er sich wenden soll. Wenn er Gott denkt, sieht er einen Sterblichen; wenn er einen Menschen annimmt, erblickt er einen Sieger über das Reich des Todes, der mit der Beute aus dem Totenreich zurückkehrt. [...]44

Das waren die Dinge, die uns jetzt in den Sinn kamen, da wir das überaus schwierige Thema der Fleischwerdung und Gottheit Christi erörterten. Wenn einer etwas Besseres zu finden vermag und seine Lehre mit klareren Beweisen aus der heiligen Schrift stützen kann, so mag seine Lehre statt der unsrigen angenommen werden."45

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Fußnoten

1 de princ IV 3, l (S. 731 - 735)
2 de princ IV 3, 3-5 (S. 739 - 747)
3 he VI 2 (S. 277 f.)
4 Ebd., S. 278
5 Ebd.
VI 3,S.279

6 Ebd.VI8,S.283
7 he VI 23,S.296f.

8 he VI 18,S.291f.

9 he VI19,S.292f.
10 he VI 59,S.306
11 he VII l, S. 521
12 de princ I 6, 1-2, S. 215 - 217

13 Rom 9, 11-13

14 Rom 9, 14
15 de princ II, 9, 7, S. 415 - 417
16 de princ III l, 13, S. 509

17 de princ III, 3, 5, S. 599 - 601
18 Comm in Mat X, 20, S. 88
19 Mt 17, 10-12

20 Comm in Mat XIII l, S. 240f.; vgl. ebd. Band III, S. 108: „Auch die Reden des Basilides [...] ver­seuchen und verderben die Hörer nicht weniger; sie lehren ja in diesen Reden, es gäbe keine andere Strafen für die Sünden als nur die Wiedereinkörperung der Seelen nach dem Tod. Denn wenn ich einmal davon absehe, daß diese Lehre offenbar falsch ist, nehmen sie außerdem noch die heilsame Furcht von den Menschen".

Vgl. Comm in Rom 5, l, Bd. III, S. 62f.; 5, 9, Bd. III, S. 164f.; 6, 8, Bd. III, S. 262f.; Hom in Lucam, Fragment 9, S. 402f.; s. Crouzel, S. 201 - 205
21 Contra Celsum I 20, S. 40f.
 bzw. BKV 52, S. 28f.; vgl. CCVII 32, BKV 53, S. 248f.; CantCo 2, nach v. Bai., S. 50
22 Comm in Rom 3, l, Bd. II, S. 31
23 Comm in Rom l, l, Bd. l, S. 81
24 Rom 13, 1-7

25 Comm in Rom 9, 25-30, Bd. V, S. 91 - 103
26 CC I, 23 (S. 42f. bzw. BKV 52, S. 30f.)
27_ CC I 23 (S. 43 bzw. 31)
28 CC I 24 (S. 44f. bzw. 32f.)
29 CC VI 66 (S. 115f. bzw. BKV 55, S. 186f.)
30 CC I 26 (S. 48 bzw. S. 36)
31 CC I 28 (S. 49 - 51 bzw. S. 37 - 59)
32 CC I 29 (S. 52f. bzw. 40f.)
33 CC I 31 (S. 54 bzw. 42)
34 CC I 31 (S. 56 bzw. S. 44)
35_ CC I 39 (S. 58f. bzw. S. 55f.)
36 CC VI 16 (S. 97f. bzw. Bd. 2, S. 115f.)
37 CCVIII 73 (S. 196f. bzw. Bd. 2, S. 391f.)
38 CC VIII 74 (S. 198 bzw. Bd. 2, S. 393)
39 CC VIII 75 (S. 199 bzw. Bd. 2, S. 394)
40 De Civitate Dei XI 23 (zit. nach H. RAHNER, S. 207f.)
41 Zil. nach Anhang de princ, S. 823 - 25
42_ Ebd., S. 831
43 Hermann-J. VOGT: Warum wurde Origenes zum Häretiker erklärt?
(1987), 96
44 de princ II 6, 2 (S. 359)
45 de princ II 6, 7 (S. 373)

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Literatur

TEXTE:

·        Origenis Opera Omnia. Migne, Patrologiae Graecae Tomus 11-17

·        Origenis Hexaplorum quae supersunt sive veterum interpretum Graecorum in totum Vetus Testamentum Fragmenta. Ed. Fridericus Field [Oxford, 1875]. - Nachdruck. - Hildesheim, 1964

·        ORIGENES: Commentarii in epistulam ad Romanos / Römerbriefkommentar [lateinisch, deutsch]. Übersetzt und eingeleitet von Theresia Heither OSB. Fontes Christiani 2/1-5. - Frei­burg: Herder, 1990 - 1996

·        ORIGENES: In Lucam homiliae / Homilien zum Lukasevangelium [lateinisch, griechisch, deutsch]. Übersetzung und Einleitung von Hermann-Josef Sieben. Fontes Christiani 4/1-2. -Freiburg: Herder, 1991 - 1992

·        ORIGENES: Das Gespräch mit Herakleides und dessen Bischofskollegen über Vater, Sohn und Seele. Die Aufforderung zum Martyrium. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Edgar Früchtel. - Stuttgart: Anton Hiersemann, 1974 (Bibliothek der griechi­schen Literatur; 5)

·        ORIGENES und GREGOR der Große: Das Hohelied. Eingeleitet und übersetzt von K. Suso Frank. - Einsiedeln: Johannes Verlag, 1987 (Christliche Meister; 29)

·        ORIGENES: Der Kommentar zum Evangelium nach Matthäus. Eingeleitet, übersetzt und mit Anmerkungen versehen von Hermann J. Vogt. - Stuttgart: Anton Hiersemann, 1983, 1990, 1993 (Bibliothek der Griechischen Literatur; 18, 30, 38)

·        Des Origenes acht Bücher gegen Celsus. Aus dem Griechischen übersetzt von Paul Koetschau. - München: 1926/27 (Bibliothek der Kirchenväter; 52 und 53)

·        ORIGENES: Gegen Kelsos. Deutsche Übersetzung von Paul Koetschau. Ausgewählt und bear­beitet von Karl Pichler. - München: Kösel, 1986 (Schriften der Kirchenväter; 6)

·        ORIGENES: Geist und Feuer. Ein Aufbau aus seinen Schriften von Hans Urs von Balthasar [1938]. - 3. Aufl. - Einsiedeln: Johannes Verlag, 1991 (Christliche Meister; 43)

·        Origenes und die Predigt der drei ersten Jahrhunderte. Ausgewählte Reden. Mit einer Einleitung in deutscher Übersetzung herausgegeben von F. J. Winter. - Leipzig, 1893

·        ORIGENES: Vier Bücher von den Prinzipien. Herausgegeben, übersetzt, mit kritischen und erläuternden Anmerkungen versehen von Herwig Görgemanns und Heinrich Karpp. - 3. Aufl. - Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1992 (Texte zur Forschung; 24)

·        ORIGNE: Homelies sur la Genese. Ed. Henri de Lubac und Louis Doutreleau. Sources Chrcti-ennes 7bis. - Paris, 1976 - 2. Auf). 1985

·        ORIGNE: Traite des Principcs. Ed. Henri Crouzel und Manlio Simonetti. Sources Chretien-nes 252, 253, 268, 269 und 312. - Paris, Band I und II 1978, III und IV 1980, V 1984

·        Ausgewählte Schriften des heiligen Gregorius Thaumaturgos, nach dem Urtexte übersetzt von Dr. Joseph Margraf. - Kempten, 1875 (Bibliothek der Kirchenväter; 159)

·        EUSEBIOS von Caesarea: Kirchengeschichte. [Herausgegeben und eingeleitet von Heinrich Kraft. Die Übersetzung von Philipp Haeuser (Kempten, 1952) wurde neu durchgesehen von Armin Gärtner] - 2. Aufl. - München: Kösel, 1981 [Sechstes Buch S. 275 - 318]

·        Des heiligen Kirchenvaters Eusebius Hieronymus Ausgewählte Briefe. Aus dem Lateinischen übersetzt von Ludwig Schade. 2 Bände. - München, 1936 und 1937 (Bibliothek der Kirchenväter; 16 und 18)



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SEKUNDÄRLITERATUR:

·        ALTANER, Berthold / STUIBER, Alfred: Patrologie: Leben, Schriften und Lehre der Kirchenväter. - 8. Aufl. - Freiburg: Herder, 1978, S. 197 - 209

·        ANDRESEN, Carl: Logos und Nomos: die Polemik des Kelsos gegen das Christentum. - Ber­lin, 1955 (Arbeiten zur Kirchengeschichtc; 30)

·        BARDENHEWER, Otto: Geschichte der altkirchlichen Literatur. Zweiter Band. - 2 Aufl -1914, S. 96-194

·        BENZ, Ernst: The Contribution of Origen of Alexandria to an African Theology. In: Abba SA-LAMA: A Review of the Association of Ethio-Hellenic Studies. Vol. VI. - Athen, 1975, S. 17 - 36

·        BERNER, Ulrich: Origenes. - Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1981 (Wege der Forschung; 147)

·        BIANCHI, Ugo: Origen's Treatment of the Soul and the Debate over Metensomatosis. In: Origeniana Quarta; 270 - 281

·        CAMPENHAUSEN, Hans Freiherr von: Griechische Kirchenväter. - 8. Aufl. - Stuttgart: Kohl­hammer, 1993

·        CROUZEL, Henri: Theologie de l'image de Dieu chez Origene. - Paris: Aubier, 1956

·        DROBNER, Hubertus R.: Lehrbuch der Patrologie. - Freiburg: Herder, 1994

·        EICHINGER, Matthias: Die Verklärung Christi bei Origenes: die Bedeutung des Menschen Jesus in seiner Christologie. - Wien: Herder, 1969 (Wiener Beiträge zur Theologie; XXIII)

·        FRÜCHTEL, Edgar: Origenes: das Gespräch mit Heraklid - Stuttgart: Anton Hirschmann, 1974 (Bibliothek der griechischen Literatur; 5)

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