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Das Neue Weltbild

   

 

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

   

   

  

 

 

 

 

 

 

   

   

  

 


 

 


 

 

 


 

"Gotteserfahrung" in der Theologie des Origenes[1]

Sr. Theresia Heither OSB

 

 

 

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Einführung

Was ist eigentlich an Origenes so Besonderes, daß man sich für ihn interessieren sollte, heute noch, nachdem er schon so lange tot ist[2]? Gibt es in unserer Zeit nicht brennendere Fragen, die uns beschäftigen, zeitgemäßere Probleme auch in der Theologie? Origenes hatte mit Sicherheit ein ganz anderes Welt und Menschenbild als wir. Kann seine Einstellung zu wichtigen Fragen also heute noch von Bedeutung sein?

 

Meine Antwort lautet: Mich fasziniert an Origenes vor allem seine glühende Liebe zur Heiligen Schrift, richtiger müßte man sagen, zum lebendigen Wort Gottes, die aus allen seinen Werken spricht und einfach mitreißend wirkt. Wenn er die Schrift erklärt, erlebt man ihn als glaubenden Menschen, der in der Schrift dem lebendigen Christus begegnet. Seine Begeisterung ist nicht nur gefühlsmäßige Ergriffenheit, sondern kommt aus einer tiefen Überzeugung von der Großartigkeit dessen, was Gott uns durch seine Offenbarung schenkt. Seine Liebe beruht auf dieser Erkenntnis. Sie hat sein ganzes Leben geprägt, denn als Lehrer und Prediger war er unermüdlich mit dem Wort Gottes beschäftigt. Seine Schriften sind zwar nur zu einem Bruchteil überliefert, aber selbst dieser Rest stellt eine ungeheure Arbeitsleistung dar. Kein einziger Kommentar ist im Originaltext erhalten, aber aus dem, was uns zugänglich ist, erkennen wir, daß es sich um Arbeiten handelt, die mit großer Genauigkeit und Sorgfalt jedem einzelnen Satz des heiligen Textes nachspüren, und deshalb von beträchtlichem Umfang sind. Der Römerbriefkommentar z.B., den doch Rufin schon auf die Hälfte verkürzt hat, wird fünf Bände der "Fontes Christiani"[3] füllen.

Origenes ist der erste bedeutende Theologe in der östlichen Kirche. Seine Theologie ist geprägt von dem Gedanken, daß Gott durch seinen Logos die Verbindung mit dem Menschen sucht. Weil Origenes diesen Gedanken so stark betont, hat man geschlossen, sein Denken sei mehr von der Philosophie als von der Bibel beeinflußt. Der Begriff Logos spielte nämlich im mittleren Platonismus, in der Stoa und in der jüdisch ‑ hellenistischen Philosophie eine bedeutende Rolle. Viele Aussagen des Origenes begegnen uns auch in der philosophischen Literatur, Origenes kannte sie, aber er nahm nur das in sein Denken auf, was der Heiligen Schrift gemäß war. Mit philosophischen Gedanken und Bildern konnte er Aussagen der Schrift verständlich machen. Darum ist er in erster Linie als biblischer Theologe anzusehen[4]. Die Grundüberzeugung des Origenes von der Mittlerstellung des Logos verleiht seinem theologischen Denken und seiner Spiritualität eine erstaunliche Geschlossenheit und Konsequenz, aber auch gleichzeitig eine große Weite, weil Origenes kein System errichtet, sondern eine lebendige Person in die Mitte seines Lebens und Denkens stellt.

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Das Charisma des Origenes

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Was mich an Origenes begeistert, hat schon zu seinen Lebzeiten seine Hörer in der gleichen Weise angesprochen, denn Gregorius Thaumaturgos, sein bekanntester Schüler, bedankt sich nach seiner Ausbildungszeit unter der Leitung des Origenes bei seinem Lehrer vor allem dafür, daß dieser ihm die Liebe zur Heiligen Schrift vermittelt hat und bekennt von ihm, daß er mit dem Charisma der Schriftauslegung beschenkt wurde: "Er ( = Origenes) besaß die hervorragende Gabe, die er von Gott empfangen hatte, Interpret des Wortes Gottes für die Menschen zu sein, Gottes Wort zu verstehen im Hören auf Gott und es auszulegen für die Menschen damit sie es begreifen können"[5]  Damit erkennt er etwas sehr Wesentliches. Origenes hat durch dieses sein Charisma eine bleibende Bedeutung für die Kirche, nicht nur für die Kirche seiner Zeit, sondern für die Kirche als ganze. Vergleichbar in seiner Bedeutung ist z. B. das Charisma des heiligen Augustinus, das jedoch anders ausgeprägt ist. Augustinus ist vor allem Seelsorger; auch heute noch spricht er die Menschen an, wenn sie sein Selbstzeugnis in den Confessiones lesen und durch sein Beispiel angeregt werden, sich wie er vom weltlichen Leben zu einem konsequenten Christentum zu bekehren. Das Charisma beider ist von ihrer Biographie her zu verstehen, Augustinus war Bischof und hatte sich um viele Menschen und auch ihre Alltagssorgen zu kümmern, mußte aber auch viele kirchenpolitische Probleme und Fragen der Glaubenslehre lösen; Origenes dagegen war Lehrer und Verkündiger, er konnte sich ganz der Auslegung der Heiligen Schrift widmen. Das Charisma beider bestimmte ihr Leben, und wir erkennen darin das Wirken des Heiligen Geistes für seine Kirche.

Origenes hat schon in seiner Kindheit eine Beziehung zur Heiligen Schrift gehabt, denn sein Vater brachte ihm die Grundlagen der Bildung anhand des heiligen Textes bei[6]. Das Kind Origenes lernte jeden Tag eine Perikope auswendig und verlangte danach, immer tiefer zu verstehen, was er da in seinen Geist aufnahm. Der Vater konnte seinem Wissensdrang gar nicht Genüge tun, denn das Kind wollte sich nicht mit einer vordergründigen Erklärung zufrieden geben, verlangte vielmehr nach einer Deutung, die der Würde des Schriftwortes als Wort Gottes angemessen war. Ähnlich wie jüdische Kinder wuchs also Origenes mit der Heiligen Schrift auf und lernte es wie sie, Gott zu lieben in der ständigen Hingabe an seine Offenbarung. Gleichzeitig wurde ihm in der Zeit der Verfolgung der ganze Ernst und Anspruch des Christentums deutlich und zwar ganz unmittelbar, weil der eigene Vater zum Märtyrer wurde. So ist es auch bezeichnend für ihn, daß er das Wort des Evangeliums so wörtlich und ernst nahm, daß er sich selbst entmannte, um für das Himmelreich frei zu sein. Später hat er diese Tat selber als Irrtum abgelehnt und als falsches Verständnis der Schrift erkannt. Beides prägte ihn sein Leben lang: die Liebe zum Wort Gottes und die zum Martyrium als der Vollendung christlichen Lebens. Er starb an den Folgen der Folter, war also der eigentlichen Wirklichkeit, wenn auch nicht dem Namen nach, Märtyrer.

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 Christ sein als Einswerden mit dem Wort

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 Im Christwerden jedes gläubigen Menschen erkennt Origenes denselben Heilsvorgang wie in der Menschwerdung des Wortes Gottes, allerdings in abgeleiteter Weise. In Christus ist der vom Vater gezeugte Sohn Gottes, ‑ wenn man daran denkt, daß Gott Geist ist, spricht man, um das Gleiche auszudrücken, vom Logos, dem Wort, das vom Geist gezeugt wird,‑ ganz mit der menschlichen Seele eins geworden, die als das den Leib belebende Prinzip verstanden wird. Im Christen soll die gleiche Einheit, die in Christus voll und ganz verwirklicht ist, durch Teilhabe an ihm, die das Leben bestimmt, auch Wirklichkeit werden. In jedem Christen geschieht also im Prinzip von neuem die Mensch‑ und Fleischwerdung des Wortes Gottes. Daher werden in jedem Christen Gott und Mensch miteinander verbunden zu einer lebendigen Einheit. Origenes beschreibt das christliche Leben sehr anschaulich als Ehe mit dem lebendigen Wort, also als Lebensgemeinschaft mit dem Wort, heute denkt man dagegen oft nur an eine weltanschauliche Überzeugung und Geisteshaltung. Ein Christ hat nach der Auffassung des Origenes nicht nur bestimmte Aufgaben zu erfüllen, d.h. nicht nur sein Handeln, sondern sein Sein ist verändert durch die Gemeinschaft mit Christus, dem Wort Gottes. Wie in Christus sind im Christen Göttliches und Menschliches nicht mehr zu trennen. Origenes kann auch sagen, daß der Mensch durch Christus vergöttlicht wird[7]. Immer wieder zitiert Origenes in diesem Zusammenhang die Stelle: "Oder wißt ihr nicht: Wer sich an eine Dirne bindet, ist ein Leib mit ihr? Denn es heißt: Die zwei werden ein Fleisch sein. Wer sich dagegen an den Herrn bindet, ist ein Geist mit ihm" (1 Kor 6,16f)[8]. Das ist nach Origenes das Ziel christlichen Lebens: ein Geist mit dem Herrn zu werden in der Analogie zu der Einheit im Fleisch, die in der ehelichen Gemeinschaft verwirklicht wird. Im Hohenlied des AT wird nach der Deutung des Origenes die Liebe zwischen der Kirche bzw. der Seele und dem Wort Gottes besungen. Er sagt im Prolog zum Hohelied‑Kommentar: "Von dieser Liebe, welche die glückliche Seele für das Wort Gottes empfindet und in der sie entbrennt, handelt die vorliegende Schrift, Sie singt im Geiste das Hochzeitslied, in dem sich die Kirche dem himmlischen Bräutigam, Christus, vereint und verbindet. Sie ersehnt, mit ihm durch das Wort verschmolzen zu werden, um aus ihm zu empfangen und durch die keusche Zeugung von Kindern gerettet zu werden"[9]. Von diesem Ziel wird alles bestimmt. Dabei ist klar, daß eine solche Einheit und Lebensgemeinschaft nicht vom Menschen her begründet werden kann. Gott selbst muß die Initiative ergreifen, im Bild gesprochen: Er erwählt sich seine Ehefrau, und zwar den Menschen schlechthin in Jesus Christus, die Menschheit in der Kirche und jeden einzelnen Menschen, den er zum Glauben beruft und erwählt. Gott ergreift die Initiative, er teilt sich mit im Wort seiner Offenbarung, das sein ihm wesensgleicher Sohn ist. Origenes hat immer wieder betont, daß das Wort Gottes nicht nur vom Vater gesprochen wird wie eine Mitteilung, der Vater spricht sich selbst aus in einer geistigen Zeugung. Darum ist der Grundgedanke des Origenes, daß das Wort Gottes in der Schrift und die Person des Sohnes Gottes identisch sind[10]. Gott gewährt dem Menschen Gemeinschaft mit sich selbst durch den Sohn, sein Wort. Die Grundlage der biblischen Religion ist, daß Gott die Begegnung mit dem Menschen sucht und die Möglichkeit dafür gewährt, nicht daß der Mensch irgendein Bedürfnis in sich spürt und ihm nachgeht. Wir können diese Wirklichkeit von der Seite Gottes und von der Seite des Menschen her betrachten.

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Gott kommt im Logos

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Gott sucht und gewährt dem Menschen die Begegnung, indem er seinen Sohn zum Menschen sendet. Er teilt sich mit in seinem Wort, in dem er seine göttliche Sinnfülle schenkt; Logos heißt Wort, Sinn, Plan. Immer handelt und schafft Gott durch seinen Logos. Wenn der Vater der Sonne gleicht, der Quelle des Lichtes und der Energie, so ist der Sohn den Strahlen zu vergleichen, die von der Sonne ausgehen und die Gegenwart der Sonne in die Welt vermitteln[11]. In diesem Bild für die dreifaltige Einheit Gottes ist der Heilige Geist der Wärme und dem Licht der Sonne gleichzusetzen, d.h. der Wirkung der Sonne in der Welt. Der göttliche Logos läßt also Gott für die Geschöpfe erkennbar und zugänglich werden. Er ist gleichsam das den Menschen zugewandte Antlitz Gottes, im AT wird das Gleiche auch durch den Namen oder die Weisheit Gottes ausgedrückt, obwohl noch nicht ausdrücklich von einer zweiten göttlichen Person die Rede ist. In seiner göttlichen Wesenheit kann der Logos den Menschen jedoch nur erreichen, wenn er sich verhüllt und in irdische, geschöpfliche, menschliche Gestalt kleidet. Darum begegnet das göttliche Wort dem Menschen immer in dieser Verhüllung, die dichter oder weniger dicht sein kann, jedoch stets da sein muß, damit die Freiheit des Menschen gewahrt bleibt. Würde Gott dem Menschen unverhüllt begegnen, so könnte dieser nicht als Mensch bestehen, er wäre nicht mehr das Wesen, das auf dem Wege ist, das freie Wesen, das seine Gestalt und Entwicklung selbst bestimmt. Das Wort Gottes paßt sich dem menschlichen Fassungsvermögen an, es erniedrigt sich, um zum Menschen zu gelangen. "Wie wir, wenn wir mit einem zweijährigen Kinde sprechen, um des Kindes willen lallen....so denke ich mir das bei Gott, wenn er es mit dem Menschengeschlecht zu tun hat. Sieh, wie wir ausgewachsenen Männer die Worte abwandeln, die wir zu Säuglingen sprechen, und uns nicht der Sprechweise bedienen, die wir in der Unterhaltung mit Erwachsenen gebrauchen, sondern einer anderen kindlichen Redeweise! Auch Gott spricht zu Kindern. Von einem alten Mann, der mit einem Kinde kindlich spricht, könnte man sagen, er gebe sich in der Art seines Sohnes und nehme die Art des Säuglings an. Das meint die Schrift, wenn sie sagt: Der Herr, dein Gott, gab sich in deiner Art"[12].

 

Gott hat bei aller Anpassung an die Schwachheit des Menschen immer die Absicht, daß sein göttliches Wort in den Menschen eindringt und ihn umgestaltet, so daß es ihm göttliche Würde und Größe schenkt. Er will letztlich, daß sein Wort in der göttlichen Gestalt angenommen wird, damit der Mensch wirklich Anteil an Gott bekommt. Darum rückt Gottes Wort dem Menschen immer näher. Gott wird gleichsam immer menschlicher, damit der Mensch ihn aufnehmen könne und so immer göttlicher werde. Das Kommen Gottes in der Offenbarung hat eine Dynamik, sein Logos wird für den Menschen immer faßbarer und begegnet ihm zugleich immer unverhüllter. Zunächst erkennt der Mensch den Logos in der Schöpfung.

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a) Der Mensch erkennt den Logos in der Schöpfung

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Die erste und grundlegende Möglichkeit, Gottes Wort aufzunehmen, ist, es in der Schöpfung zu erkennen. Denn Gott hat alles durch seinen Logos geschaffen, d.h. mit unendlicher Sinnfülle. Darum kann der Mensch den Sinn allen Seins in der Schöpfung ergründen. Alle Dinge haben ihre Sprache und verkünden dem Menschen etwas von Gott. Ihr eigentliches Wesen leuchtet nur in seinem Licht auf. Dieses Wesen, wenn auch nur indirekt, zu erkennen, ist für den Menschen eine große Chance, weil er so teilhat an der göttlichen Erkenntnis und Weisheit. Die Dinge sind Brunnen, wie Origenes es formuliert, aus denen man das lebendige Wasser schöpfen kann. Sie sind Zeichen, die es zu deuten gilt. "Alles Seiende, 'vom sinnlich Wahrnehmbaren bis hin zum Himmel', ist erfüllt vom Logos, der aus allen Feldern der Schöpfung leuchtet und sie zum Gleichnisbild macht. Wenn Gott von jedem Geschöpf 'sah, daß es gut war', dann deswegen, weil er den Logos in allen Dingen sah, weil er sein Wort, das Bild seines Wesens, und die Entsprechung seines Willens als Grund und Sinn in allen Kreaturen wiederfand. 'Der Logos aller Dinge ist es, der Gott als deren Gut‑sein erscheint'"[13].

Unter den Theologen ist Origenes vor allem bekannt durch seine Allegorese, eine Interpretationsmethode, die in der Zeit des Origenes bei Juden und Hellenisten weit verbreitet war[14]. Man geht von der Voraussetzung aus, daß der Text mehrere Bedeutungsebenen hat, also nicht nur seinem buchstäblichen Sinn nach zu verstehen ist. Die zweite Bedeutungsebene kann einzelnen Dingen als solchen anhaften, wie Brunnen und Wasser, die bildhaft den Zugang zum Leben und das Leben selbst bezeichnen. Sie kann auch aus dem berichteten Geschehen erschlossen werden. Voraussetzung, daß man so an einen Text herangehen kann, ist die Überzeugung von der Zeichenhaftigkeit der ganzen Welt, deren Deutung dem Menschen aufgetragen ist. "Wieviele Brunnen gibt es in der Erkenntnis der Dinge", sagt Origenes[15]. Die Erkenntnis der geistigen Substanz der Welt, ihres Sinnes, ist auch Erkenntnis Gottes, denn die Dinge haben ihre Dynamik in sich auf diese eigentliche Wirklichkeit hin.

"Denn das Sichtbare wahrt eine enge Verbindung zum Unsichtbaren, so daß der Apostel sagt: Die unsichtbare Wirklichkeit Gottes wird seit der Erschaffung der Welt an den Werken der Schöpfung mit der Vernunft wahrgenommen. So hat also das Sichtbare zum Unsichtbaren eine enge Verbindung, die Erde zum Himmel, die Seele zum Leib, der Körper zum Geist, aus ihrer Vereinigung besteht die Welt"[16]. Aus diesem Grund kann Gott in der Sprache, die selbst aus Elementen und Bildern der irdischen Welt besteht, sprechen. In einer profanen Welt könnte man nicht von Gott sprechen, weil in den Dingen und in den Formen der Sprache kein Hinweis auf das Transzendente zu finden wäre. Weil aber alles Geschaffene am Logos teilhat, enthüllt der Logos das eigentliche Wesen alles Geschaffenen und deutet es. Auf der Ebene der Natur allein, also nur mit menschlichem Denken den Logos zu finden, ist eine ziemlich schwierige Aufgabe. Die Philosophen sind berufen, diese Aufgabe wahrzunehmen, doch sie finden nur Andeutungen und Spuren der wahren Weisheit. Man kann leicht merken, wie vieldeutig ihre Ergebnisse sind und wie wenig sie überhaupt erreichen. Trotzdem bejaht Origenes im Großen und Ganzen ihre Bemühungen, sieht allerdings auch sehr deutlich die Irrtumsanfälligkeit und Ergänzungsbedürftigkeit der philosophischen Lehren. Und doch haben die Philosophen die Funktion, die Menschen für die Aufnahme des Logos in der Schrift und in Jesus Christus vorzubereiten. Denn Gott will dem Menschen näherkommen, sich ihm tiefer erschließen und begegnet ihm deshalb unmittelbarer und eindeutiger in der Schrift.

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b) Gott kommt in der in der Schrift.

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In der Schrift ist das göttliche Wort nicht mehr in die Dinge und Abläufe der Welt eingekleidet, sondern in das menschliche Wort, das geistiger ist und mehr an Sinn vermitteln kann. Gott gibt seinem erwählten Volk die Offenbarung, die dieses Volk intensiver an Gott bindet als die Heiden, die als Weg zum Logos nur die Philosophie kennen. Das Gesetz offenbart den Willen Gottes, seine persönlichen Forderungen an den Menschen und erschließt damit dem Volk Gottes den Sinn seiner eigenen Existenz, den es im Dienst Gottes verwirklicht. Darum ist die Schrift in tieferem Sinn Brunnen, Zugang zum lebendigen und lebendigmachenden Logos, als die Schöpfung. Wer die Schrift aufnimmt, wird unmittelbarer vom Wort Gottes berührt. Natürlich besteht auch bei der Schrift das Problem der Verständigung, der Buchstabe muß zwar aufgenommen, aber auch durchbrochen werden, um zum göttlichen und geistigen Sinn vorzustoßen. Schon immer gab es Probleme beim Verstehen, heute ist allerdings die Reflexion darüber in den Vordergrund getreten. Wir wissen ausdrücklicher um den komplizierten Vorgang des Verstehens, hermeneutische Fragen werden lebhaft diskutiert, denn wir erfahren im Alltag, wieviel an Mißverständnissen möglich ist, wenn man sich nicht einigt über die Grundlagen dieses komplizierten Vorgangs. Origenes hat viel dazu zu sagen, und auch heute können wir von ihm lernen. Voraussetzung aller Beschäftigung mit der Schrift ist für ihn immer die Glaubensüberzeugung, daß es sich um das Wort des lebendigen Gottes handelt im AT und NT und daß es darauf ankommt, diesem göttlichen Wort zu begegnen, weil darin das Heil für den Menschen liegt. Im Glauben erkennt Origenes als Autor der Heiligen Schrift Gott; damit ist sie von allen rein menschlichen literarischen Werken unterschieden und muß auch in anderer Weise interpretiert werden. Ihre Besonderheit besteht darin, daß sie die Möglichkeit schenkt, dem lebendigen Logos zu begegnen, der in allen ihren Teilen verborgen anwesend ist, verborgen zunächst in der menschlichen Sprache, die immer bildhaft, also mit Hilfe der geschöpflichen Wirklichkeit geformt ist, verborgen aber auch unter vielem Menschlichen, Irdischen, Geschichtlichen und sogar Bösen. Daß in ihr der Logos wohnt, hat der heilige Geist gewirkt, der die menschlichen Autoren dazu befähigte, sinnvolle Einsicht von Gott her so in menschliche Sprache zu fassen, daß wirklich eine gottmenschliche Einheit entstanden ist. Wenn sie als solche von den Hörern aufgenommen werden soll, muß der Heilige Geist auch den Vorgang des Verstehens leiten. Denn auch zur Interpretation der Schrift ist Inspiration erforderlich[17].

 

Der Interpret muß vor allem der Dynamik des Wortes Gottes folgen. Wie die Dinge der Schöpfung in ihrem Wesen besser erkannt werden können und man den göttlichen Logos in ihnen leichter erkennt, wenn man sie mit Hilfe der Schrift versteht, so muß man auch innerhalb der Schrift dem weiteren Fortgang der Offenbarung folgen und aus der jeweils folgenden Stufe die vorhergehende begreifen. Darum muß das AT auf Christus hin gelesen werden, der seinen Sinn erschließt und zeigt, daß alle Schriften von ihm sprechen. Nicht jedem Christen ist es jedoch so ohne weiteres möglich, diesen tieferen Sinn im AT aufzuspüren. Die Lehrer in der Kirche haben die Aufgabe, den anderen Gläubigen dabei zu helfen, und Origenes ist es in hervorragender Weise gelungen, auch schwierige Stellen im AT so zu erschließen, daß sie genießbar werden. Dieses Wort kann man ruhig in seiner wörtlichen Bedeutung verstehen, denn der Logos ist die wahre Speise der geistbegabten Natur, und nur, wenn man ihn findet unter der Verhüllung des Buchstabens, wird die Schrift zur Nahrung des geistigen Lebens. Wie das im einzelnen geschieht, müßte man an konkreten Beispielen zeigen und wir wollen das zu einem späteren Zeitpunkt auch tun. Hier ist zunächst der Gesamtzusammenhang aufzuzeigen. Gott ging in seiner Anpassung aus Liebe zu uns Menschen noch weiter und offenbarte sich im fleischgewordenen Wort.

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c) Gott offenbart sich im fleischgewordenen Wort.

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Da Gottes Wort nicht nur Schrift, sondern sogar Mensch, Geschichte, Leib werden wollte, um so dem Menschen noch näher zu kommen, ist das NT, das die Menschwerdung und das Schicksal des menschgewordenen Wortes verkündet, der Schlüssel zur gesamten Schrift. Immer aber bleibt auch hier die Verhüllung des menschlichen Wortes und der menschlichen Natur, die uns einerseits die Begegnung mit Gott ermöglicht, uns aber zugleich auch von ihm trennt. Der Mensch Jesus Christus will zu Gott, dem Vater, führen, er will uns mit dem Vater versöhnen und uns in die Einheit seiner Liebe führen, doch dafür muß das Menschsein in ihm sterben, um verwandelt zu werden in die göttliche Herrlichkeit. Der Schlüssel zur Heiligen Schrift ist also noch genauer gesagt in Tod und Auferstehung Christi als dem Zentrum des Evangeliums zu suchen. Dieses Geschehen macht das Ziel sichtbar, zu dem der Logos in der Begegnung mit dem Menschen führen will. Die unverhüllte Herrlichkeit des Logos soll dem Menschen zuteil werden, die ihn in die göttliche Wesenheit hineinnimmt. Zu dieser Würde ist er gerufen.

 

"Laßt uns also in dem neuen Leben wandeln! Dem Vater wollen wir uns so als neue Menschen zeigen, der uns mit Christus auferweckt hat, um es so zu sagen, als immer schönere Menschen, weil wir die Schönheit unseres Antlitzes in Christus wie in einem Spiegel gewinnen. In ihm betrachten wir die Herrlichkeit unseres Herrn und werden in dieselbe Gestalt umgewandelt, weil Christus von den Toten auferstanden, von der irdischen Niedrigkeit zur Herrlichkeit der Majestät des Vaters aufgestiegen ist"[18]. "Wenn du in der Versuchung jenem Menschen nachfolgst, der für dich versucht wurde, und alle Versuchung überwindest, dann hast du die gleiche Zuversicht wie er, der damals zwar Mensch war, jetzt aber aufgehört hat, Mensch zu sein. Denn der einstmals Mensch war und, nachdem er versucht worden war, sah, wie der Teufel bis zur Stunde seines Sterbens von ihm wich, der ist von den Toten auferstanden und stirbt fortan nicht mehr. Denn ein jeder Mensch ist dem Tode unterworfen, dieser aber, der nicht mehr stirbt, ist auch kein Mensch mehr, sondern Gott. Wenn er aber jetzt Gott ist, der einstmals Mensch war, und auch du ihm ähnlich werden mußt, da wir ihm ähnlich sein werden und ihn sehen werden, wie er ist, mußt auch du notwendigerweise Gott werden in Christus Jesus, dem die Herrlichkeit und die Macht ist in alle Ewigkeit. Amen"[19].

 

Wir haben so gesehen, in welcher Art und Weise der göttliche Logos sich dem Menschen nähert: in der Schöpfung, der Schrift, im Menschen Jesus Christus, dessen menschliche Natur sterben muß, um ganz in die göttliche einbezogen zu werden. Immer geht es um den Logos, der die Verbindung mit Gott ermöglicht. Ich lasse Logos bewußt unübersetzt, denn der Bedeutungsumfang ist in keinem deutschen Wort zu fassen. Man müßte gleichzeitig Wort, Sinn, Plan, geistige Ausrichtung sagen. Wort bezeichnet das Vermittelnde, Sinn betrifft die Art der Mitteilung, und Plan kennzeichnet das Tragende und Bestimmende, das dabei mitschwingt. Origenes weiß, daß der Logos in der Schrift noch viele andere Wesensbezeichnungen hat; er ist das Bild Gottes, die Weisheit, das Licht und das Leben, die Gerechtigkeit, der Hirt und die Tür, das Brot und das Wasser[20]. Für Origenes ist der Name Sohn der entscheidende Name, den der Name Logos nur deutlicher macht, weil er zeigt, wie wir Menschen in Kontakt mit Gott kommen können. Origenes weiß aus der Schrift, daß der Logos, der hier gemeint ist, anders als in der hellenistischen Philosophie Person ist, der Sohn Gottes, der Mensch geworden ist, um zu allen Menschen zu gelangen[21].

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Die Aufnahme des Logos

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Der Mensch ist das Wesen, das nicht nur wie die gesamte Schöpfung in seiner Existenz naturhaft vom Logos geprägt ist, sondern eine Anlage hat, die es befähigt, immer mehr vom Logos aufzunehmen. Diese Anlage bezeichnet Origenes als die Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen. Sie ist nicht im körperlichen Bereich anzusetzen, sondern in der Geistbegabung des Menschen, und sie besteht genau darin, das Wort Gottes als geistige Nahrung empfangen zu können. Erkennen ist der Weg, auf dem es zu dieser Einheit kommt, wobei Erkennen viel mehr besagt als ein verstandesmäßiges Ergreifen, es ist wieder ein Bild für das Zustandekommen der Lebensgemeinschaft, denn Erkennen bedeutet in den eigenen Geist aufnehmen, und zwar so, daß das aufgenommene Wort nun den Geist formt und bestimmt. Die Nahrung wird in diesem Fall nicht in die eigene Substanz überführt, sondern sie verwandelt sich den Menschen an. Darum kann Paulus, der ein Geist mit dem Herrn geworden ist, sagen: "Nicht mehr ich lebe, sondern Christus lebt in mir" (Gal 2,20). Zu Anfang hat der Mensch nur die grundsätzliche Möglichkeit und Fähigkeit, Gottes Wort aufzunehmen, er ist darin das Abbild des Bildes Gottes. Er soll aber hinwachsen zur vollen Ähnlichkeit mit dem Logos, er soll ihm völlig gleichgestaltet werden. Dann erst ist das Ziel, das Gott bei der Schöpfung des Menschen verfolgte, erreicht. Der Mensch ist als Bild Gottes und ihm ähnlich geschaffen; das eine wird ihm sogleich mitgegeben, damit er das andere empfangen kann.

 

Origenes erklärt zu Gen 1,26: "Wir müssen sehen, was das für ein Bild ist, und erforschen, als Gleichnis welchen Bildes der Mensch geschaffen wurde. Denn es heißt nicht: Gott schuf den Menschen nach seinem Bild oder Gleichnis, sondern: Er schuf ihn nach dem Bild Gottes. Dieses andere Bild Gottes also, nach dessen Gleichnis der Mensch erschaffen wurde, ist ohne Zweifel unser Erlöser, der Erstgeborene aller Schöpfung, von dem geschrieben steht, daß er der Glanz des ewigen Lichtes und die ausgeprägte Gestalt des Wesens Gottes ist, weil er selbst von sich sagt: Ich bin im Vater, und der Vater ist in mir, und: Wer mich sieht, sieht auch den Vater. Wie nämlich jemand, der das Bild eines anderen sieht, den sieht, dessen Bild es ist, so sieht auch jeder Gott durch das Wort Gottes, das das Bild Gottes ist. Und so ist das Wort wahr: Wer mich sieht, sieht auch den Vater. Als Gleichnis dieses Bildes also ist der Mensch erschaffen worden."[22]

 

Origenes wird nicht müde, immer wieder zu betonen, wie wesentlich es für den Menschen ist, ständig aus dem Wort Gottes zu leben, es immer wieder in sich aufzunehmen, es ständig zu betrachten. Wenn er vom Logos als dem Bild Gottes redet, ist die Betrachtung die Weise der Aufnahme, durch die der Christ, wie Paulus sagt, in dasselbe Bild umgewandelt wird. Wenn er vom Logos als dem Brot und dem Wasser des Lebens spricht, dann ist Essen und Trinken die entsprechende Form der Aufnahme, und wenn Origenes vom Logos als dem Wort und der Weisheit Gottes spricht, dann entspricht dem auf der Seite des Menschen das Erkennen. Das Bild ist verschieden, immer aber geht es um die Lebensgemeinschaft mit dem Wort, die Einheit von Gott und Mensch vermittelt durch den göttlichen Logos[23].

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 Die Frucht der Verbindung von Logos und Mensch

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Die Kirche als ganze und jeder einzelne Christ ist berufen zur Ehe mit dem lebendigen Wort. Diese Ehe darf nicht unfruchtbar bleiben. Die Kinder, die aus dieser Verbindung erwachsen, sind alle Handlungen und Taten, die aus dem Geist Christi geschehen. Paulus nennt sie die Früchte des Geistes und zählt sie im Galaterbrief auf: "Liebe, Friede, Freude" u.s.w (vgl. Gal 5,22). Origenes kann das Bild in doppelter Weise verwenden. Entweder ist der Mensch der Bräutigam, der als seine Frau die Weisheit heimführt und mit ihr diese Kinder zeugt, oder der Mensch ist die Braut, die vom Logos als dem Bräutigam ganz in Besitz genommen wird, so daß sie die Kinder des Wortes zur Welt bringen kann. Die Seele wird ein Geist mit Christus, wenn sie ihn so in sich aufnimmt, daß er ihr Denken und Tun bestimmt. Sie gebiert dann Kinder aus dieser Verbindung, die von Origenes meist als Tugenden benannt werden. Er sagt z.B.: "Wahrhaft selig ist die Nachkommenschaft, die entsteht, wenn die Seele mit dem Wort Gottes vereinigt worden ist, wenn sie sich gegenseitig umarmt haben. Daraus wird ein herrliches Geschlecht entstehen, daher kommt die Keuschheit, die Gerechtigkeit, die Geduld, die Milde, Liebe und alle wertgeschätzten Tugenden als Nachkommenschaft."[24] Wir dürfen aber hier nicht den Begriff "Tugenden" im heute üblichen Sinn verstehen, gemeint sind nicht asketische Haltungen, die der Mensch sich mit eigener Anstrengung aneignen kann, sondern Früchte aus der Verbindung mit Christus. In ihnen tritt das Leben Christi, das in uns ist, nach außen in Erscheinung. Christus kommt zur Welt, er wird geboren von der Kirche oder dem einzelnen Glaubenden, wenn er unser Menschsein so erfaßt, daß es ganz von ihm durchdrungen wird. Dann geschieht es, daß, wie Origenes sagt, "allein der Geist Christi in uns atmet in Werken, Worten und dem geistigen Verstehen gemäß der Lehre Christi, unseres Herrn"[25].

Aus dem Erkennen und Aufnehmen des Wortes Gottes erwachsen also die guten Taten. Das sollte man nicht im Sinn eines zeitlichen Nacheinander verstehen: Erst muß man das Wort Gottes verstehen, dann kann man es tun, sondern gemeint ist die innere theologische Ordnung, in der die Aufnahme des Logos das gute Tun begründet und trägt, so daß die Praxis daraus folgt. In der realen Zeitfolge kann aber das gute Tun durchaus auch der Erkenntnis vorangehen oder sie begleiten; auch dann bleibt das oben Gesagte wahr.

Es ergibt sich folgerichtig, daß Origenes bei seinen Mahnungen zum christlichen Leben den Hauptakzent darauf legt, daß ein Christ sich immer wieder frei machen muß von allen irdischen Beschäftigungen, um das Wort Gottes zu hören, denn nur so wird ja sein Christsein immer neu begründet. Die Menschen sind zu allen Zeiten gleich, es war auch zur Zeit des Origenes schwierig, die Christen davon zu überzeugen, daß sie auf Dauer nicht Christen sein können, wenn sie Christus nicht immer neu Raum in ihrem Leben geben. Darum ermahnt Origenes sehr anschaulich und konkret:

"Ich fürchte, daß die Kirche noch in Traurigkeit und unter Seufzen Kinder gebären muß. Oder bedeutet es für sie etwa nicht Traurigkeit und Seufzen, wenn ihr nicht zusammenkommt, um das Wort Gottes zu hören, bzw. kaum an den Festtagen zur Kirche kommt, und auch das nicht so sehr aus Verlangen nach dem Wort als aus Eifer für das Fest und sozusagen unter dem Vorwand eines öffentlichen Erholungstages? Was soll also ich tun, dem die Verwaltung des Wortes anvertraut ist? Wenn ich auch ein unnützer Knecht sein mag, habe ich doch vom Herrn den Auftrag, seiner Familie die Nahrung abzumessen, und zwar zur rechten Zeit. Was soll ich also tun? Wo und wann soll ich eure Zeit finden? Das meiste davon, vielleicht fast alles, verbringt ihr mit irdischen Beschäftigungen. Etwas verbraucht ihr auf dem Markt, etwas für den Handel, der eine hat Zeit für den Ackerbau, der andere für Streitereien. Zum Hören des Wortes Gottes hat niemand oder haben nur ganz wenige Zeit. Aber warum klage ich euch an wegen eurer Beschäftigungen, warum klage ich über die Abwesenden? Auch jetzt, hier in der Kirche, seid ihr nicht aufmerksam, sondern vergeudet aus Gewohnheit die Zeit mit irgendwelchen Geschichten. Dem Wort Gottes und den heiligen Lesungen kehrt ihr den Rücken zu. Ich fürchte, daß auch euch das Prophetenwort vom Herrn gesagt wird: Sie kehrten mir den Rücken zu und nicht das Gesicht. Was soll ich also tun, da mir der Dienst des Wortes anvertraut ist? Was vorgelesen wird, betrifft ein Mysterium; es muß allegorisch ausgelegt werden. Kann ich tauben und abgewandten Ohren die Perlen des Wortes Gottes einflößen?"[26]

Wir spüren in diesen Worten die ganze Begeisterung des Origenes für seinen Dienst als Prediger. Er sieht seine Hauptaufgabe als Priester in der Verkündigung des Wortes Gottes. Wir spüren auch den ganzen Ernst der Situation. Origenes weiß, daß es darauf ankommt, das Wort Gottes zu hören, daß unser Leben als Christen davon abhängt. Das Wort ist das tägliche Brot der Christen, ohne das sie nicht überleben können. Mit einem anderen Bild aus dem Evangelium: Das Wort ist das Geld des Herrn, das Talent, das er uns anvertraut. Danach zu leben bedeutet Wucher damit treiben und es vermehren, nämlich um unser eigenes Leben, das ihm dann ganz zur Verfügung steht.

Es geht aber nicht um vereinzelte Taten, sondern der Christ sollte ganz Logos werden, sein Leben sollte ein einziges umfassendes Gebet sein, d.h. Wort von Gott und an Gott zurückgegeben. Es braucht dafür nicht aus dem normalen Rahmen menschlichen Lebens herauszufallen, es ist kein Leben der Ekstase, sondern volles menschliches Leben in der Einheit mit dem lebendigen Wort Gottes. "Der Vollkommene", sagt Origenes, "tut alles gemäß dem Logos, so daß sein gesamter Lebenvollzug zum Gebet wird"[27].

Origenes hat kein theologisches System errichtet, sein theologisches Denken ist aber sehr konsequent und folgerichtig von einigen wichtigen Erkenntnissen geprägt: Gott tritt in Verbindung mit den Menschen durch seine Offenbarung im Logos. Diese Verbindung anzunehmen ist das Heil für den Menschen, der damit sein Menschsein nicht nur erfüllt, sondern sogar überschreitet. Christus ist der lebendige Logos, den man in allen Worten und Werken Gottes erkennen darf, um mit ihm eins zu werden. Diese Einheit kann man erfahren und erleben. Origenes war kein Mystiker, wie man diesen Begriff im Allgemeinen verwendet. Man kann aber bei ihm mit Recht von einer Logosmystik[28] sprechen, wenn man sich bewußt bleibt, daß damit keine außerordentlichen Erfahrungen gemeint sind, sondern die alltäglichen Erfahrungen des Menschen. Das muß ja so sein, wenn der Logos wirklich der Weg ist, den Gott dem Menschen zeigt, der ihm begegnen will, jedem Menschen, nicht nur besonders dafür Veranlagten. Im Wort Gottes können wir Gott erfahren, ihn selber als den absolut Unfaßbaren, der sich für uns erschließt im Sinn der Schöpfung, im Wort der Heiligen Schrift, das in Christus zum Evangelium wird, zur frohen Botschaft von der Aufnahme des Menschen in die göttliche Herrlichkeit auf dem Weg über Leiden, Sterben, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi.

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[1]Als Vortrag gehalten in der Abtei Mariendonk am 16. und 19.11.91.

[2]Origenes wurde um 185 geboren, er starb um 254. Eine kurze Biographie des Origenes s. H.Chadwick, Origenes: Gestalten der Kirchengeschichte hrsg.v. M.Greschat (Stuttgart 1984) 134-157.

[3]Bei der Reihe "Fontes Christiani" handelt es sich um eine zweisprachige Neuausgabe christlicher Quellentexte aus Altertum und Mittelalter, erschienen im Herder-Verlag 1990ff.

[4]Zur Frage nach der Gesamteinschätzung des Origenes bei einzelnen Forschern vgl. U.Berner, Origenes = EdF 147 (Darmstadt 1981).

[5]Gregorius Thaumaturgos, Lobrede auf Origenes.

[6]Vgl. zum Leben des Origenes auch Eusebius von Cäsarea, Kirchengeschichte. Hrsg. und eingel. v. H.Karpp (München 1967) 276-306.

[7]Vgl. H.Rahner, Das Menschenbild des Origenes: Eranos-Jahrbuch XV (Zürich 1947) 197-248, bes.228-230.

[8]In der Biblia Patristica werden 52 Stellen angegeben, wo Origenes diesen Text zitiert.

[9]CantCom Prol.

[10]Vgl. R.Gögler, Zur Theologie des biblischen Wortes bei Origenes (Düsseldorf 1963) bes. 259-270.

[11] De princ. I,1,6 und I,2,7.

[12]Vgl. JerHom 18,6 Übers. bei Gögler a.a.O. 310.

[13] Gögler a.a.O. 255 mit Verweis auf JohCom 13,42.

[14]Vgl. Gögler a.a.O. 60‑97; H.Crouzel, La distinction de la "typologie" et de l'"allégorie": Bulletin de littérature ecclésiastique 65 (1964) 161‑174.

[15]NumHom 12,1.

[16]LevHom 5,1.

[17]Das ist jüdischem Verständnis sehr nahe, vgl. O.Betz, Offenbarung und Schriftforschung in der Qumransekte = Wiss. Untersuchungen zum NT 6 (Tübingen 1960).

[18]RömCom 5,8.

[19]LkHom 29,7: Origenes, Homilien zum Lukasevangelium. Übers. u. eingel.v. H-J.Sieben = FC 4,2 (Freiburg 1992) 305.

[20]Vgl. JohCom Buch 1 bes. 27-35.

[21]Vgl. De princ. 1,3,1.

[22]GenHom 1,13.

[23]Vgl. Crouzel, Origène et la "connaissance mystique" = ML.T 56 (Brügge / Paris 1961).

[24]NumHom 12,1.

[25]JosHom 13,4.

[26]GenHom 10,1.

[27]Sel in Ps 1,2.

[28]Vgl. A.Lieske, Die Theologie der Logosmystik bei Origenes = MBTh 22 (Münster 1938).

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