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Einführung
Was ist eigentlich an Origenes so
Besonderes, daß man sich für ihn interessieren sollte, heute noch, nachdem er
schon so lange tot ist?
Gibt es in unserer Zeit nicht brennendere Fragen, die uns beschäftigen, zeitgemäßere
Probleme auch in der Theologie? Origenes hatte
mit Sicherheit ein ganz anderes Welt und Menschenbild als wir. Kann
seine Einstellung zu wichtigen Fragen also heute noch von Bedeutung sein?
Meine Antwort lautet: Mich fasziniert
an Origenes vor allem seine glühende Liebe zur Heiligen Schrift, richtiger müßte
man sagen, zum lebendigen Wort Gottes, die aus allen seinen Werken spricht und
einfach mitreißend wirkt. Wenn er die Schrift erklärt, erlebt man ihn als
glaubenden Menschen, der in der Schrift dem lebendigen Christus begegnet. Seine
Begeisterung ist nicht nur gefühlsmäßige Ergriffenheit, sondern kommt aus
einer tiefen Überzeugung von der Großartigkeit dessen, was Gott uns durch
seine Offenbarung schenkt. Seine Liebe beruht auf dieser Erkenntnis. Sie hat
sein ganzes Leben geprägt, denn als Lehrer und Prediger war er unermüdlich mit
dem Wort Gottes beschäftigt. Seine Schriften sind zwar nur zu einem Bruchteil
überliefert, aber selbst dieser Rest stellt eine ungeheure Arbeitsleistung dar.
Kein einziger Kommentar ist im Originaltext erhalten, aber aus dem, was uns zugänglich
ist, erkennen wir, daß es sich um Arbeiten handelt, die mit großer Genauigkeit
und Sorgfalt jedem einzelnen Satz des heiligen Textes nachspüren, und deshalb
von beträchtlichem Umfang sind. Der Römerbriefkommentar z.B., den doch Rufin
schon auf die Hälfte verkürzt hat, wird fünf Bände der "Fontes
Christiani"
füllen.
Origenes ist der erste bedeutende Theologe
in der östlichen Kirche. Seine Theologie ist geprägt von dem Gedanken, daß
Gott durch seinen Logos die Verbindung mit dem Menschen sucht. Weil Origenes
diesen Gedanken so stark betont, hat man geschlossen, sein Denken sei mehr von
der Philosophie als von der Bibel beeinflußt. Der Begriff Logos spielte nämlich
im mittleren Platonismus, in der Stoa und in der jüdisch ‑
hellenistischen Philosophie eine bedeutende Rolle. Viele Aussagen des Origenes
begegnen uns auch in der philosophischen Literatur, Origenes kannte sie, aber er
nahm nur das in sein Denken auf, was der Heiligen Schrift gemäß war. Mit
philosophischen Gedanken und Bildern konnte er Aussagen der Schrift verständlich
machen. Darum ist er in erster Linie als biblischer Theologe anzusehen.
Die Grundüberzeugung des Origenes von der Mittlerstellung des Logos verleiht
seinem theologischen Denken und seiner Spiritualität eine erstaunliche
Geschlossenheit und Konsequenz, aber auch gleichzeitig eine große Weite, weil
Origenes kein System errichtet, sondern eine lebendige Person in die Mitte
seines Lebens und Denkens stellt.
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Das Charisma des Origenes
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Was mich an Origenes begeistert, hat
schon zu seinen Lebzeiten seine Hörer in der gleichen Weise angesprochen, denn
Gregorius Thaumaturgos, sein bekanntester Schüler, bedankt sich nach seiner
Ausbildungszeit unter der Leitung des Origenes bei seinem Lehrer vor allem dafür,
daß dieser ihm die Liebe zur Heiligen Schrift vermittelt hat und bekennt von
ihm, daß er mit dem Charisma der Schriftauslegung beschenkt wurde: "Er ( =
Origenes) besaß die hervorragende Gabe, die er von Gott empfangen hatte,
Interpret des Wortes Gottes für die Menschen zu sein, Gottes Wort zu verstehen
im Hören auf Gott und es auszulegen für die Menschen damit sie es begreifen können"
Damit erkennt er etwas sehr Wesentliches. Origenes hat durch dieses sein
Charisma eine bleibende Bedeutung für die Kirche, nicht nur für die Kirche
seiner Zeit, sondern für die Kirche als ganze. Vergleichbar in seiner Bedeutung
ist z. B. das Charisma des heiligen Augustinus, das jedoch anders ausgeprägt
ist. Augustinus ist vor allem Seelsorger; auch heute noch spricht er die
Menschen an, wenn sie sein Selbstzeugnis in den Confessiones lesen und durch
sein Beispiel angeregt werden, sich wie er vom weltlichen Leben zu einem
konsequenten Christentum zu bekehren. Das Charisma beider ist von ihrer
Biographie her zu verstehen, Augustinus war Bischof und hatte sich um viele
Menschen und auch ihre Alltagssorgen zu kümmern, mußte aber auch viele
kirchenpolitische Probleme und Fragen der Glaubenslehre lösen; Origenes dagegen
war Lehrer und Verkündiger, er konnte sich ganz der Auslegung der Heiligen
Schrift widmen. Das Charisma beider bestimmte ihr Leben, und wir erkennen darin
das Wirken des Heiligen Geistes für seine Kirche.
Origenes hat schon in seiner Kindheit eine
Beziehung zur Heiligen Schrift gehabt, denn sein Vater brachte ihm die
Grundlagen der Bildung anhand des heiligen Textes bei.
Das Kind Origenes lernte jeden Tag eine Perikope auswendig und verlangte danach,
immer tiefer zu verstehen, was er da in seinen Geist aufnahm. Der Vater konnte
seinem Wissensdrang gar nicht Genüge tun, denn das Kind wollte sich nicht mit
einer vordergründigen Erklärung zufrieden geben, verlangte vielmehr nach einer
Deutung, die der Würde des Schriftwortes als Wort Gottes angemessen war. Ähnlich
wie jüdische Kinder wuchs also Origenes mit der Heiligen Schrift auf und lernte
es wie sie, Gott zu lieben in der ständigen Hingabe an seine Offenbarung.
Gleichzeitig wurde ihm in der Zeit der Verfolgung der ganze Ernst und Anspruch
des Christentums deutlich und zwar ganz unmittelbar, weil der eigene Vater zum Märtyrer
wurde. So ist es auch bezeichnend für ihn, daß er das Wort des Evangeliums so
wörtlich und ernst nahm, daß er sich selbst entmannte, um für das Himmelreich
frei zu sein. Später hat er diese Tat selber als Irrtum abgelehnt und als
falsches Verständnis der Schrift erkannt. Beides prägte ihn sein Leben lang:
die Liebe zum Wort Gottes und die zum Martyrium als der Vollendung christlichen
Lebens. Er starb an den Folgen der Folter, war also der eigentlichen
Wirklichkeit, wenn auch nicht dem Namen nach, Märtyrer.
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Christ
sein als Einswerden mit dem Wort
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Im
Christwerden jedes gläubigen Menschen erkennt Origenes denselben Heilsvorgang
wie in der Menschwerdung des Wortes Gottes, allerdings in abgeleiteter Weise. In
Christus ist der vom Vater gezeugte Sohn Gottes, ‑ wenn man daran denkt,
daß Gott Geist ist, spricht man, um das Gleiche auszudrücken, vom Logos, dem
Wort, das vom Geist gezeugt wird,‑ ganz mit der menschlichen Seele eins
geworden, die als das den Leib belebende Prinzip verstanden wird. Im Christen
soll die gleiche Einheit, die in Christus voll und ganz verwirklicht ist, durch
Teilhabe an ihm, die das Leben bestimmt, auch Wirklichkeit werden. In jedem
Christen geschieht also im Prinzip von neuem die Mensch‑ und
Fleischwerdung des Wortes Gottes. Daher werden in jedem Christen Gott und Mensch
miteinander verbunden zu einer lebendigen Einheit. Origenes beschreibt das
christliche Leben sehr anschaulich als Ehe mit dem lebendigen Wort, also als
Lebensgemeinschaft mit dem Wort, heute denkt man dagegen oft nur an eine
weltanschauliche Überzeugung und Geisteshaltung. Ein Christ hat nach der
Auffassung des Origenes nicht nur bestimmte Aufgaben zu erfüllen, d.h. nicht
nur sein Handeln, sondern sein Sein ist verändert durch die Gemeinschaft mit
Christus, dem Wort Gottes. Wie in Christus sind im Christen Göttliches und
Menschliches nicht mehr zu trennen. Origenes kann auch sagen, daß der Mensch
durch Christus vergöttlicht wird.
Immer wieder zitiert Origenes in diesem Zusammenhang die Stelle: "Oder wißt
ihr nicht: Wer sich an eine Dirne bindet, ist ein Leib mit ihr? Denn es heißt:
Die zwei werden ein Fleisch sein. Wer sich dagegen an den Herrn bindet, ist ein
Geist mit ihm" (1 Kor 6,16f).
Das ist nach Origenes das Ziel christlichen Lebens: ein Geist mit dem Herrn zu
werden in der Analogie zu der Einheit im Fleisch, die in der ehelichen
Gemeinschaft verwirklicht wird. Im Hohenlied des AT wird nach der Deutung des
Origenes die Liebe zwischen der Kirche bzw. der Seele und dem Wort Gottes
besungen. Er sagt im Prolog zum Hohelied‑Kommentar: "Von dieser
Liebe, welche die glückliche Seele für das Wort Gottes empfindet und in der
sie entbrennt, handelt die vorliegende Schrift, Sie singt im Geiste das
Hochzeitslied, in dem sich die Kirche dem himmlischen Bräutigam, Christus,
vereint und verbindet. Sie ersehnt, mit ihm durch das Wort verschmolzen zu
werden, um aus ihm zu empfangen und durch die keusche Zeugung von Kindern
gerettet zu werden".
Von diesem Ziel wird alles bestimmt. Dabei ist klar, daß eine solche Einheit
und Lebensgemeinschaft nicht vom Menschen her begründet werden kann. Gott
selbst muß die Initiative ergreifen, im Bild gesprochen: Er erwählt sich seine
Ehefrau, und zwar den Menschen schlechthin in Jesus Christus, die Menschheit in
der Kirche und jeden einzelnen Menschen, den er zum Glauben beruft und erwählt.
Gott ergreift die Initiative, er teilt sich mit im Wort seiner Offenbarung, das
sein ihm wesensgleicher Sohn ist. Origenes hat immer wieder betont, daß das
Wort Gottes nicht nur vom Vater gesprochen wird wie eine Mitteilung, der Vater
spricht sich selbst aus in einer geistigen Zeugung. Darum ist der Grundgedanke
des Origenes, daß das Wort Gottes in der Schrift und die Person des Sohnes
Gottes identisch sind.
Gott gewährt dem Menschen Gemeinschaft mit sich selbst durch den Sohn, sein
Wort. Die Grundlage der biblischen Religion ist, daß Gott die Begegnung mit dem
Menschen sucht und die Möglichkeit dafür gewährt, nicht daß der Mensch
irgendein Bedürfnis in sich spürt und ihm nachgeht. Wir können diese
Wirklichkeit von der Seite Gottes und von der Seite des Menschen her betrachten.
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Gott kommt im Logos
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Gott sucht und gewährt dem Menschen
die Begegnung, indem er seinen Sohn zum Menschen sendet. Er teilt sich mit in
seinem Wort, in dem er seine göttliche Sinnfülle schenkt; Logos heißt Wort,
Sinn, Plan. Immer handelt und schafft Gott durch seinen Logos. Wenn der Vater
der Sonne gleicht, der Quelle des Lichtes und der Energie, so ist der Sohn den
Strahlen zu vergleichen, die von der Sonne ausgehen und die Gegenwart der Sonne
in die Welt vermitteln.
In diesem Bild für die dreifaltige Einheit Gottes ist der Heilige Geist der Wärme
und dem Licht der Sonne gleichzusetzen, d.h. der Wirkung der Sonne in der Welt.
Der göttliche Logos läßt also Gott für die Geschöpfe erkennbar und zugänglich
werden. Er ist gleichsam das den Menschen zugewandte Antlitz Gottes, im AT wird
das Gleiche auch durch den Namen oder die Weisheit Gottes ausgedrückt, obwohl
noch nicht ausdrücklich von einer zweiten göttlichen Person die Rede ist. In
seiner göttlichen Wesenheit kann der Logos den Menschen jedoch nur erreichen,
wenn er sich verhüllt und in irdische, geschöpfliche, menschliche Gestalt
kleidet. Darum begegnet das göttliche Wort dem Menschen immer in dieser Verhüllung,
die dichter oder weniger dicht sein kann, jedoch stets da sein muß, damit die
Freiheit des Menschen gewahrt bleibt. Würde Gott dem Menschen unverhüllt
begegnen, so könnte dieser nicht als Mensch bestehen, er wäre nicht mehr das
Wesen, das auf dem Wege ist, das freie Wesen, das seine Gestalt und Entwicklung
selbst bestimmt. Das Wort Gottes paßt sich dem menschlichen Fassungsvermögen
an, es erniedrigt sich, um zum Menschen zu gelangen. "Wie wir, wenn wir mit
einem zweijährigen Kinde sprechen, um des Kindes willen lallen....so denke ich
mir das bei Gott, wenn er es mit dem Menschengeschlecht zu tun hat. Sieh, wie
wir ausgewachsenen Männer die Worte abwandeln, die wir zu Säuglingen sprechen,
und uns nicht der Sprechweise bedienen, die wir in der Unterhaltung mit
Erwachsenen gebrauchen, sondern einer anderen kindlichen Redeweise! Auch Gott
spricht zu Kindern. Von einem alten Mann, der mit einem Kinde kindlich spricht,
könnte man sagen, er gebe sich in der Art seines Sohnes und nehme die Art des Säuglings
an. Das meint die Schrift, wenn sie sagt: Der Herr, dein Gott, gab sich in
deiner Art".
Gott hat bei aller Anpassung an die
Schwachheit des Menschen immer die Absicht, daß sein göttliches Wort in den
Menschen eindringt und ihn umgestaltet, so daß es ihm göttliche Würde und Größe
schenkt. Er will letztlich, daß sein Wort in der göttlichen Gestalt angenommen
wird, damit der Mensch wirklich Anteil an Gott bekommt. Darum rückt Gottes Wort
dem Menschen immer näher. Gott wird gleichsam immer menschlicher, damit der
Mensch ihn aufnehmen könne und so immer göttlicher werde. Das Kommen Gottes in
der Offenbarung hat eine Dynamik, sein Logos wird für den Menschen immer faßbarer
und begegnet ihm zugleich immer unverhüllter. Zunächst erkennt der Mensch den
Logos in der Schöpfung.
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a)
Der Mensch erkennt den Logos in der Schöpfung
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Die erste und grundlegende Möglichkeit,
Gottes Wort aufzunehmen, ist, es in der Schöpfung zu erkennen. Denn Gott hat
alles durch seinen Logos geschaffen, d.h. mit unendlicher Sinnfülle. Darum kann
der Mensch den Sinn allen Seins in der Schöpfung ergründen. Alle Dinge haben
ihre Sprache und verkünden dem Menschen etwas von Gott. Ihr eigentliches Wesen
leuchtet nur in seinem Licht auf. Dieses Wesen, wenn auch nur indirekt, zu
erkennen, ist für den Menschen eine große Chance, weil er so teilhat an der göttlichen
Erkenntnis und Weisheit. Die Dinge sind Brunnen, wie Origenes es formuliert, aus
denen man das lebendige Wasser schöpfen kann. Sie sind Zeichen, die es zu
deuten gilt. "Alles Seiende, 'vom sinnlich Wahrnehmbaren bis hin zum
Himmel', ist erfüllt vom Logos, der aus allen Feldern der Schöpfung leuchtet
und sie zum Gleichnisbild macht. Wenn Gott von jedem Geschöpf 'sah, daß es gut
war', dann deswegen, weil er den Logos in allen Dingen sah, weil er sein Wort,
das Bild seines Wesens, und die Entsprechung seines Willens als Grund und Sinn
in allen Kreaturen wiederfand. 'Der Logos aller Dinge ist es, der Gott als deren
Gut‑sein erscheint'".
Unter den Theologen ist Origenes vor allem
bekannt durch seine Allegorese, eine Interpretationsmethode, die in der Zeit des
Origenes bei Juden und Hellenisten weit verbreitet war.
Man geht von der Voraussetzung aus, daß der Text mehrere Bedeutungsebenen hat,
also nicht nur seinem buchstäblichen Sinn nach zu verstehen ist. Die zweite
Bedeutungsebene kann einzelnen Dingen als solchen anhaften, wie Brunnen und
Wasser, die bildhaft den Zugang zum Leben und das Leben selbst bezeichnen. Sie
kann auch aus dem berichteten Geschehen erschlossen werden. Voraussetzung, daß
man so an einen Text herangehen kann, ist die Überzeugung von der
Zeichenhaftigkeit der ganzen Welt, deren Deutung dem Menschen aufgetragen ist.
"Wieviele Brunnen gibt es in der Erkenntnis der Dinge", sagt Origenes.
Die Erkenntnis der geistigen Substanz der Welt, ihres Sinnes, ist auch
Erkenntnis Gottes, denn die Dinge haben ihre Dynamik in sich auf diese
eigentliche Wirklichkeit hin.
"Denn das Sichtbare wahrt eine enge
Verbindung zum Unsichtbaren, so daß der Apostel sagt: Die unsichtbare
Wirklichkeit Gottes wird seit der Erschaffung der Welt an den Werken der Schöpfung
mit der Vernunft wahrgenommen. So hat also das Sichtbare zum Unsichtbaren eine
enge Verbindung, die Erde zum Himmel, die Seele zum Leib, der Körper zum Geist,
aus ihrer Vereinigung besteht die Welt".
Aus diesem Grund kann Gott in der Sprache,
die selbst aus Elementen und Bildern der irdischen Welt besteht, sprechen. In
einer profanen Welt könnte man nicht von Gott sprechen, weil in den Dingen und
in den Formen der Sprache kein Hinweis auf das Transzendente zu finden wäre.
Weil aber alles Geschaffene am Logos teilhat, enthüllt der Logos das
eigentliche Wesen alles Geschaffenen und deutet es. Auf der Ebene der Natur
allein, also nur mit menschlichem Denken den Logos zu finden, ist eine ziemlich
schwierige Aufgabe. Die Philosophen sind berufen, diese Aufgabe wahrzunehmen,
doch sie finden nur Andeutungen und Spuren der wahren Weisheit. Man kann leicht
merken, wie vieldeutig ihre Ergebnisse sind und wie wenig sie überhaupt
erreichen. Trotzdem bejaht Origenes im Großen und Ganzen ihre Bemühungen,
sieht allerdings auch sehr deutlich die Irrtumsanfälligkeit und Ergänzungsbedürftigkeit
der philosophischen Lehren. Und doch haben die Philosophen die Funktion, die
Menschen für die Aufnahme des Logos in der Schrift und in Jesus Christus
vorzubereiten. Denn Gott will dem Menschen näherkommen, sich ihm tiefer
erschließen und begegnet ihm deshalb unmittelbarer und eindeutiger in der Schrift.
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b) Gott kommt in der in der Schrift.
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In der Schrift ist das göttliche Wort nicht
mehr in die Dinge und Abläufe der Welt eingekleidet, sondern in das menschliche
Wort, das geistiger ist und mehr an Sinn vermitteln kann. Gott gibt seinem erwählten
Volk die Offenbarung, die dieses Volk intensiver an Gott bindet als die Heiden,
die als Weg zum Logos nur die Philosophie kennen. Das Gesetz offenbart den
Willen Gottes, seine persönlichen Forderungen an den Menschen und erschließt
damit dem Volk Gottes den Sinn seiner eigenen Existenz, den es im Dienst Gottes
verwirklicht. Darum ist die Schrift in tieferem Sinn Brunnen, Zugang zum
lebendigen und lebendigmachenden Logos, als die Schöpfung. Wer die Schrift
aufnimmt, wird unmittelbarer vom Wort Gottes berührt. Natürlich besteht auch
bei der Schrift das Problem der Verständigung, der Buchstabe muß zwar
aufgenommen, aber auch durchbrochen werden, um zum göttlichen und geistigen
Sinn vorzustoßen. Schon immer gab es Probleme beim Verstehen, heute ist
allerdings die Reflexion darüber in den Vordergrund getreten. Wir wissen ausdrücklicher
um den komplizierten Vorgang des Verstehens, hermeneutische Fragen werden
lebhaft diskutiert, denn wir erfahren im Alltag, wieviel an Mißverständnissen
möglich ist, wenn man sich nicht einigt über die Grundlagen dieses
komplizierten Vorgangs. Origenes hat viel dazu zu sagen, und auch heute können
wir von ihm lernen. Voraussetzung aller Beschäftigung mit der Schrift ist für
ihn immer die Glaubensüberzeugung, daß es sich um das Wort des lebendigen
Gottes handelt im AT und NT und daß es darauf ankommt, diesem göttlichen Wort
zu begegnen, weil darin das Heil für den Menschen liegt. Im Glauben erkennt
Origenes als Autor der Heiligen Schrift Gott; damit ist sie von allen rein
menschlichen literarischen Werken unterschieden und muß auch in anderer Weise
interpretiert werden. Ihre Besonderheit besteht darin, daß sie die Möglichkeit
schenkt, dem lebendigen Logos zu begegnen, der in allen ihren Teilen verborgen
anwesend ist, verborgen zunächst in der menschlichen Sprache, die immer
bildhaft, also mit Hilfe der geschöpflichen Wirklichkeit geformt ist, verborgen
aber auch unter vielem Menschlichen, Irdischen, Geschichtlichen und sogar Bösen.
Daß in ihr der Logos wohnt, hat der heilige Geist gewirkt, der die menschlichen
Autoren dazu befähigte, sinnvolle Einsicht von Gott her so in menschliche
Sprache zu fassen, daß wirklich eine gottmenschliche Einheit entstanden ist.
Wenn sie als solche von den Hörern aufgenommen werden soll, muß der Heilige
Geist auch den Vorgang des Verstehens leiten. Denn auch zur Interpretation der
Schrift ist Inspiration erforderlich.
Der Interpret muß vor allem der Dynamik des
Wortes Gottes folgen. Wie die Dinge der Schöpfung in ihrem Wesen besser erkannt
werden können und man den göttlichen Logos in ihnen leichter erkennt, wenn man
sie mit Hilfe der Schrift versteht, so muß man auch innerhalb der Schrift dem
weiteren Fortgang der Offenbarung folgen und aus der jeweils folgenden Stufe die
vorhergehende begreifen. Darum muß das AT auf Christus hin gelesen werden, der
seinen Sinn erschließt und zeigt, daß alle Schriften von ihm sprechen. Nicht
jedem Christen ist es jedoch so ohne weiteres möglich, diesen tieferen Sinn im
AT aufzuspüren. Die Lehrer in der Kirche haben die Aufgabe, den anderen Gläubigen
dabei zu helfen, und Origenes ist es in hervorragender Weise gelungen, auch
schwierige Stellen im AT so zu erschließen, daß sie genießbar werden. Dieses
Wort kann man ruhig in seiner wörtlichen Bedeutung verstehen, denn der Logos
ist die wahre Speise der geistbegabten Natur, und nur, wenn man ihn findet unter
der Verhüllung des Buchstabens, wird die Schrift zur Nahrung des geistigen
Lebens. Wie das im einzelnen geschieht, müßte man an konkreten Beispielen
zeigen und wir wollen das zu einem späteren Zeitpunkt auch tun. Hier ist zunächst
der Gesamtzusammenhang aufzuzeigen. Gott ging in seiner Anpassung aus Liebe zu
uns Menschen noch weiter und offenbarte sich im fleischgewordenen Wort.
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c) Gott offenbart sich im
fleischgewordenen Wort.
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Da Gottes Wort nicht nur Schrift, sondern
sogar Mensch, Geschichte, Leib werden wollte, um so dem Menschen noch näher zu
kommen, ist das NT, das die Menschwerdung und das Schicksal des menschgewordenen
Wortes verkündet, der Schlüssel zur gesamten Schrift. Immer aber bleibt auch
hier die Verhüllung des menschlichen Wortes und der menschlichen Natur, die uns
einerseits die Begegnung mit Gott ermöglicht, uns aber zugleich auch von ihm
trennt. Der Mensch Jesus Christus will zu Gott, dem Vater, führen, er will uns
mit dem Vater versöhnen und uns in die Einheit seiner Liebe führen, doch dafür
muß das Menschsein in ihm sterben, um verwandelt zu werden in die göttliche
Herrlichkeit. Der Schlüssel zur Heiligen Schrift ist also noch genauer gesagt
in Tod und Auferstehung Christi als dem Zentrum des Evangeliums zu suchen.
Dieses Geschehen macht das Ziel sichtbar, zu dem der Logos in der Begegnung mit
dem Menschen führen will. Die unverhüllte Herrlichkeit des Logos soll dem
Menschen zuteil werden, die ihn in die göttliche Wesenheit hineinnimmt. Zu
dieser Würde ist er gerufen.
"Laßt uns also in dem neuen
Leben wandeln! Dem Vater wollen wir uns so als neue Menschen zeigen, der uns mit
Christus auferweckt hat, um es so zu sagen, als immer schönere Menschen, weil
wir die Schönheit unseres Antlitzes in Christus wie in einem Spiegel gewinnen.
In ihm betrachten wir die Herrlichkeit unseres Herrn und werden in dieselbe
Gestalt umgewandelt, weil Christus von den Toten auferstanden, von der irdischen
Niedrigkeit zur Herrlichkeit der Majestät des Vaters aufgestiegen ist".
"Wenn du in der Versuchung jenem Menschen nachfolgst, der für dich
versucht wurde, und alle Versuchung überwindest, dann hast du die gleiche
Zuversicht wie er, der damals zwar Mensch war, jetzt aber aufgehört hat, Mensch
zu sein. Denn der einstmals Mensch war und, nachdem er versucht worden war, sah,
wie der Teufel bis zur Stunde seines Sterbens von ihm wich, der ist von den
Toten auferstanden und stirbt fortan nicht mehr. Denn ein jeder Mensch ist dem
Tode unterworfen, dieser aber, der nicht mehr stirbt, ist auch kein Mensch mehr,
sondern Gott. Wenn er aber jetzt Gott ist, der einstmals Mensch war, und auch du
ihm ähnlich werden mußt, da wir ihm ähnlich sein werden und ihn sehen werden,
wie er ist, mußt auch du notwendigerweise Gott werden in Christus Jesus, dem
die Herrlichkeit und die Macht ist in alle Ewigkeit. Amen".
Wir haben so gesehen, in welcher Art
und Weise der göttliche Logos sich dem Menschen nähert: in der Schöpfung, der
Schrift, im Menschen Jesus Christus, dessen menschliche Natur sterben muß, um
ganz in die göttliche einbezogen zu werden. Immer geht es um den Logos, der die
Verbindung mit Gott ermöglicht. Ich lasse Logos bewußt unübersetzt, denn der
Bedeutungsumfang ist in keinem deutschen Wort zu fassen. Man müßte
gleichzeitig Wort, Sinn, Plan, geistige Ausrichtung sagen. Wort bezeichnet das
Vermittelnde, Sinn betrifft die Art der Mitteilung, und Plan kennzeichnet das
Tragende und Bestimmende, das dabei mitschwingt. Origenes weiß, daß der Logos
in der Schrift noch viele andere Wesensbezeichnungen hat; er ist das Bild
Gottes, die Weisheit, das Licht und das Leben, die Gerechtigkeit, der Hirt und
die Tür, das Brot und das Wasser.
Für Origenes ist der Name Sohn der entscheidende Name, den der Name Logos nur
deutlicher macht, weil er zeigt, wie wir Menschen in Kontakt mit Gott kommen können.
Origenes weiß aus der Schrift, daß der Logos, der hier gemeint ist, anders als
in der hellenistischen Philosophie Person ist, der Sohn Gottes, der Mensch
geworden ist, um zu allen Menschen zu gelangen.
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Anfang
Die Aufnahme des Logos
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Der Mensch ist das Wesen, das nicht nur wie
die gesamte Schöpfung in seiner Existenz naturhaft vom Logos geprägt ist,
sondern eine Anlage hat, die es befähigt, immer mehr vom Logos aufzunehmen.
Diese Anlage bezeichnet Origenes als die Ebenbildlichkeit Gottes im Menschen.
Sie ist nicht im körperlichen Bereich anzusetzen, sondern in der Geistbegabung
des Menschen, und sie besteht genau darin, das Wort Gottes als geistige Nahrung
empfangen zu können. Erkennen ist der Weg, auf dem es zu dieser Einheit kommt,
wobei Erkennen viel mehr besagt als ein verstandesmäßiges Ergreifen, es ist
wieder ein Bild für das Zustandekommen der Lebensgemeinschaft, denn Erkennen
bedeutet in den eigenen Geist aufnehmen, und zwar so, daß das aufgenommene Wort
nun den Geist formt und bestimmt. Die Nahrung wird in diesem Fall nicht in die
eigene Substanz überführt, sondern sie verwandelt sich den Menschen an. Darum
kann Paulus, der ein Geist mit dem Herrn geworden ist, sagen: "Nicht mehr
ich lebe, sondern Christus lebt in mir" (Gal 2,20). Zu Anfang hat der
Mensch nur die grundsätzliche Möglichkeit und Fähigkeit, Gottes Wort
aufzunehmen, er ist darin das Abbild des Bildes Gottes. Er soll aber hinwachsen
zur vollen Ähnlichkeit mit dem Logos, er soll ihm völlig gleichgestaltet
werden. Dann erst ist das Ziel, das Gott bei der Schöpfung des Menschen
verfolgte, erreicht. Der Mensch ist als Bild Gottes und ihm ähnlich geschaffen;
das eine wird ihm sogleich mitgegeben, damit er das andere empfangen kann.
Origenes erklärt zu Gen 1,26:
"Wir müssen sehen, was das für ein Bild ist, und erforschen, als
Gleichnis welchen Bildes der Mensch geschaffen wurde. Denn es heißt nicht: Gott
schuf den Menschen nach seinem Bild oder Gleichnis, sondern: Er schuf ihn nach
dem Bild Gottes. Dieses andere Bild Gottes also, nach dessen Gleichnis der
Mensch erschaffen wurde, ist ohne Zweifel unser Erlöser, der Erstgeborene aller
Schöpfung, von dem geschrieben steht, daß er der Glanz des ewigen Lichtes und
die ausgeprägte Gestalt des Wesens Gottes ist, weil er selbst von sich sagt:
Ich bin im Vater, und der Vater ist in mir, und: Wer mich sieht, sieht auch den
Vater. Wie nämlich jemand, der das Bild eines anderen sieht, den sieht, dessen
Bild es ist, so sieht auch jeder Gott durch das Wort Gottes, das das Bild Gottes
ist. Und so ist das Wort wahr: Wer mich sieht, sieht auch den Vater. Als
Gleichnis dieses Bildes also ist der Mensch erschaffen worden."
Origenes wird nicht müde, immer
wieder zu betonen, wie wesentlich es für den Menschen ist, ständig aus dem
Wort Gottes zu leben, es immer wieder in sich aufzunehmen, es ständig zu
betrachten. Wenn er vom Logos als dem Bild Gottes redet, ist die Betrachtung die
Weise der Aufnahme, durch die der Christ, wie Paulus sagt, in dasselbe Bild
umgewandelt wird. Wenn er vom Logos als dem Brot und dem Wasser des Lebens
spricht, dann ist Essen und Trinken die entsprechende Form der Aufnahme, und
wenn Origenes vom Logos als dem Wort und der Weisheit Gottes spricht, dann
entspricht dem auf der Seite des Menschen das Erkennen. Das Bild ist
verschieden, immer aber geht es um die Lebensgemeinschaft mit dem Wort, die
Einheit von Gott und Mensch vermittelt durch den göttlichen Logos.
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Die
Frucht der Verbindung von Logos und Mensch
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Die Kirche als ganze und jeder
einzelne Christ ist berufen zur Ehe mit dem lebendigen Wort. Diese Ehe darf
nicht unfruchtbar bleiben. Die Kinder, die aus dieser Verbindung erwachsen, sind
alle Handlungen und Taten, die aus dem Geist Christi geschehen. Paulus nennt sie
die Früchte des Geistes und zählt sie im Galaterbrief auf: "Liebe,
Friede, Freude" u.s.w (vgl. Gal 5,22). Origenes kann das Bild in doppelter
Weise verwenden. Entweder ist der Mensch der Bräutigam, der als seine Frau die
Weisheit heimführt und mit ihr diese Kinder zeugt, oder der Mensch ist die
Braut, die vom Logos als dem Bräutigam ganz in Besitz genommen wird, so daß
sie die Kinder des Wortes zur Welt bringen kann. Die Seele wird ein Geist mit
Christus, wenn sie ihn so in sich aufnimmt, daß er ihr Denken und Tun bestimmt.
Sie gebiert dann Kinder aus dieser Verbindung, die von Origenes meist als
Tugenden benannt werden. Er sagt z.B.: "Wahrhaft selig ist die
Nachkommenschaft, die entsteht, wenn die Seele mit dem Wort Gottes vereinigt
worden ist, wenn sie sich gegenseitig umarmt haben. Daraus wird ein herrliches
Geschlecht entstehen, daher kommt die Keuschheit, die Gerechtigkeit, die Geduld,
die Milde, Liebe und alle wertgeschätzten Tugenden als Nachkommenschaft."
Wir dürfen aber hier nicht den Begriff "Tugenden" im heute üblichen
Sinn verstehen, gemeint sind nicht asketische Haltungen, die der Mensch sich mit
eigener Anstrengung aneignen kann, sondern Früchte aus der Verbindung mit
Christus. In ihnen tritt das Leben Christi, das in uns ist, nach außen in
Erscheinung. Christus kommt zur Welt, er wird geboren von der Kirche oder dem
einzelnen Glaubenden, wenn er unser Menschsein so erfaßt, daß es ganz von ihm
durchdrungen wird. Dann geschieht es, daß, wie Origenes sagt, "allein der
Geist Christi in uns atmet in Werken, Worten und dem geistigen Verstehen gemäß
der Lehre Christi, unseres Herrn".
Aus dem Erkennen und Aufnehmen des Wortes
Gottes erwachsen also die guten Taten. Das sollte man nicht im Sinn eines
zeitlichen Nacheinander verstehen: Erst muß man das Wort Gottes verstehen, dann
kann man es tun, sondern gemeint ist die innere theologische Ordnung, in der die
Aufnahme des Logos das gute Tun begründet und trägt, so daß die Praxis daraus
folgt. In der realen Zeitfolge kann aber das gute Tun durchaus auch der
Erkenntnis vorangehen oder sie begleiten; auch dann bleibt das oben Gesagte
wahr.
Es ergibt sich folgerichtig, daß Origenes
bei seinen Mahnungen zum christlichen Leben den Hauptakzent darauf legt, daß
ein Christ sich immer wieder frei machen muß von allen irdischen Beschäftigungen,
um das Wort Gottes zu hören, denn nur so wird ja sein Christsein immer neu begründet.
Die Menschen sind zu allen Zeiten gleich, es war auch zur Zeit des Origenes
schwierig, die Christen davon zu überzeugen, daß sie auf Dauer nicht Christen
sein können, wenn sie Christus nicht immer neu Raum in ihrem Leben geben. Darum
ermahnt Origenes sehr anschaulich und konkret:
"Ich fürchte, daß die Kirche noch in
Traurigkeit und unter Seufzen Kinder gebären muß. Oder bedeutet es für sie
etwa nicht Traurigkeit und Seufzen, wenn ihr nicht zusammenkommt, um das Wort
Gottes zu hören, bzw. kaum an den Festtagen zur Kirche kommt, und auch das
nicht so sehr aus Verlangen nach dem Wort als aus Eifer für das Fest und
sozusagen unter dem Vorwand eines öffentlichen Erholungstages? Was soll also
ich tun, dem die Verwaltung des Wortes anvertraut ist? Wenn ich auch ein unnützer
Knecht sein mag, habe ich doch vom Herrn den Auftrag, seiner Familie die Nahrung
abzumessen, und zwar zur rechten Zeit. Was soll ich also tun? Wo und wann soll
ich eure Zeit finden? Das meiste davon, vielleicht fast alles, verbringt ihr mit
irdischen Beschäftigungen. Etwas verbraucht ihr auf dem Markt, etwas für den
Handel, der eine hat Zeit für den Ackerbau, der andere für Streitereien. Zum Hören
des Wortes Gottes hat niemand oder haben nur ganz wenige Zeit. Aber warum klage
ich euch an wegen eurer Beschäftigungen, warum klage ich über die Abwesenden?
Auch jetzt, hier in der Kirche, seid ihr nicht aufmerksam, sondern vergeudet aus
Gewohnheit die Zeit mit irgendwelchen Geschichten. Dem Wort Gottes und den
heiligen Lesungen kehrt ihr den Rücken zu. Ich fürchte, daß auch euch das
Prophetenwort vom Herrn gesagt wird: Sie kehrten mir den Rücken zu und nicht
das Gesicht. Was soll ich also tun, da mir der Dienst des Wortes anvertraut ist?
Was vorgelesen wird, betrifft ein Mysterium; es muß allegorisch ausgelegt
werden. Kann ich tauben und abgewandten Ohren die Perlen des Wortes Gottes einflößen?"
Wir spüren in diesen Worten die ganze
Begeisterung des Origenes für seinen Dienst als Prediger. Er sieht seine
Hauptaufgabe als Priester in der Verkündigung des Wortes Gottes. Wir spüren
auch den ganzen Ernst der Situation. Origenes weiß, daß es darauf ankommt, das
Wort Gottes zu hören, daß unser Leben als Christen davon abhängt. Das Wort
ist das tägliche Brot der Christen, ohne das sie nicht überleben können. Mit
einem anderen Bild aus dem Evangelium: Das Wort ist das Geld des Herrn, das
Talent, das er uns anvertraut. Danach zu leben bedeutet Wucher damit treiben und
es vermehren, nämlich um unser eigenes Leben, das ihm dann ganz zur Verfügung
steht.
Es geht aber nicht um vereinzelte Taten,
sondern der Christ sollte ganz Logos werden, sein Leben sollte ein einziges
umfassendes Gebet sein, d.h. Wort von Gott und an Gott zurückgegeben. Es
braucht dafür nicht aus dem normalen Rahmen menschlichen Lebens herauszufallen,
es ist kein Leben der Ekstase, sondern volles menschliches Leben in der Einheit
mit dem lebendigen Wort Gottes. "Der Vollkommene", sagt Origenes,
"tut alles gemäß dem Logos, so daß sein gesamter Lebenvollzug zum Gebet
wird".
Origenes hat kein theologisches System
errichtet, sein theologisches Denken ist aber sehr konsequent und folgerichtig
von einigen wichtigen Erkenntnissen geprägt: Gott tritt in Verbindung mit den
Menschen durch seine Offenbarung im Logos. Diese Verbindung anzunehmen ist das
Heil für den Menschen, der damit sein Menschsein nicht nur erfüllt, sondern
sogar überschreitet. Christus ist der lebendige Logos, den man in allen Worten
und Werken Gottes erkennen darf, um mit ihm eins zu werden. Diese Einheit kann
man erfahren und erleben. Origenes war kein Mystiker, wie man diesen Begriff im
Allgemeinen verwendet. Man kann aber bei ihm mit Recht von einer Logosmystik
sprechen, wenn man sich bewußt bleibt, daß damit keine außerordentlichen
Erfahrungen gemeint sind, sondern die alltäglichen Erfahrungen des Menschen.
Das muß ja so sein, wenn der Logos wirklich der Weg ist, den Gott dem Menschen
zeigt, der ihm begegnen will, jedem Menschen, nicht nur besonders dafür
Veranlagten. Im Wort Gottes können wir Gott erfahren, ihn selber als den
absolut Unfaßbaren, der sich für uns erschließt im Sinn der Schöpfung, im
Wort der Heiligen Schrift, das in Christus zum Evangelium wird, zur frohen
Botschaft von der Aufnahme des Menschen in die göttliche Herrlichkeit auf dem
Weg über Leiden, Sterben, Auferstehung und Himmelfahrt Jesu Christi.
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Als
Vortrag gehalten in der Abtei Mariendonk am 16. und 19.11.91.
Origenes
wurde um 185 geboren, er starb um 254. Eine kurze Biographie des Origenes s.
H.Chadwick, Origenes: Gestalten der Kirchengeschichte hrsg.v. M.Greschat
(Stuttgart 1984) 134-157.
Bei
der Reihe "Fontes Christiani" handelt es sich um eine
zweisprachige Neuausgabe christlicher Quellentexte aus Altertum und
Mittelalter, erschienen im Herder-Verlag 1990ff.
Zur
Frage nach der Gesamteinschätzung des Origenes bei einzelnen Forschern vgl.
U.Berner, Origenes = EdF 147 (Darmstadt 1981).
Gregorius
Thaumaturgos, Lobrede auf Origenes.
Vgl.
zum Leben des Origenes auch Eusebius von Cäsarea, Kirchengeschichte. Hrsg.
und eingel. v. H.Karpp (München 1967) 276-306.
Vgl.
H.Rahner, Das Menschenbild des Origenes: Eranos-Jahrbuch XV (Zürich 1947)
197-248, bes.228-230.
In
der Biblia Patristica werden 52 Stellen angegeben, wo Origenes diesen Text
zitiert.
Vgl.
R.Gögler, Zur Theologie des biblischen Wortes bei Origenes (Düsseldorf
1963) bes. 259-270.
De princ. I,1,6 und I,2,7.
Vgl.
JerHom 18,6 Übers. bei Gögler a.a.O. 310.
Gögler a.a.O. 255 mit Verweis auf JohCom 13,42.
Vgl.
Gögler a.a.O. 60‑97; H.Crouzel, La distinction de la "typologie"
et de l'"allégorie": Bulletin de littérature ecclésiastique 65
(1964) 161‑174.
Das
ist jüdischem Verständnis sehr nahe, vgl. O.Betz, Offenbarung und
Schriftforschung in der Qumransekte = Wiss. Untersuchungen zum NT 6 (Tübingen
1960).
LkHom
29,7: Origenes, Homilien zum Lukasevangelium. Übers. u. eingel.v.
H-J.Sieben = FC 4,2 (Freiburg 1992) 305.
Vgl.
JohCom Buch 1 bes. 27-35.
Vgl.
Crouzel, Origène et la "connaissance mystique" = ML.T 56 (Brügge
/ Paris 1961).
Vgl.
A.Lieske, Die Theologie der Logosmystik bei Origenes = MBTh 22 (Münster
1938).
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