Was ist dran an der Behauptung zahlreicher esoterischer Gruppierungen,
der Reinkarnationsgedanke sei den Urchristen nicht fremd gewesen? Gibt
es geschichtliche Hinweise zur Bestätigung jenseitiger Behauptungen,
die Vorstellung vom Menschen als in die Materie gefallenes, sühnendes
Geistwesen sei Bestandteil frühchristlichen Denkens gewesen?- Unser
Mitarbeiter Prof. Dr. Werner Schiebeler machte sich auf die
Suche und fand interessante Ansätze in Arbeiten frühchristlicher
und zeitgenössischer Theologen und Forscher. Lesen Sie zu den Themen
"Reinkarnation" und "Geisterfall" auch folgende Beiträge: "Schuldloses
Leiden - Warum?" von R. Passian (Zeitschrift
"Wegbegleiter 3/96, S. 79) sowie von
Dr. A. Däumling "Wie verträgt sich die christl.
Erlösungslehre mit d. Reinkarnationsidee?" (Zeitschrift
"Wegbegleiter 4/96, S. 166)
Wenn man davon ausgeht, dass der irdische Tod nicht das Ende des menschlichen
Lebens ist, stellt sich natürlich die Frage, was dann weiterhin alles
geschieht. Über die unterschiedlichen nachtodlichen Schicksale gibt
es durch die Verbindung mit der jenseitigen Welt seit 150 Jahren umfangreiche
Schilderungen. Eine Auswahl davon habe ich in dem Buch "Leben nach dem
irdischen Tod. Die Erfahrungen von Verstorbenen" dargestellt. Doch ergibt
sich die weitere Frage: Ist die irdische Geburt überhaupt der Beginn
unseres Daseins, und wie und von wem wird unser Verhalten auf dieser Erde
beurteilt? Sind Wohlverhalten oder begangene Verbrechen völlig folgenlos?
Über diese Fragen haben sich die Menschen schon sehr früh,
bereits vor Jahrtausenden, Gedanken gemacht, die dann auch in die jeweiligen
religiösen Vorstellungen eingegangen sind. Diese waren derart, dass
das menschliche Dasein durch einen Schöpfungsakt der Gottheit in Erscheinung
getreten ist. Die den Menschen mitgegebene Willensfreiheit führte
aber dazu, dass die Geschöpfe nicht immer nach den Wünschen und
Gesetzen des Gottes oder der Götter ihr Leben verbrachten. Begangene
Vergehen oder Untaten erforderten aber gemäß dem Gerechtigkeitssinn
der Menschen eine Bestrafung, Wiedergutmachung und Reue. Wo und wie aber
sollte oder konnte das erfolgen?
Die Bestrafung oder Belohnung wurde in manchen religiösen Systemen
(auch im christlichen) im Jenseits, im Himmel, Fegefeuer und Hölle
angesiedelt. Im Himmel oder Paradies erfolgt die ewige Belohnung, im Fegefeuer
eine zeitlich befristete "Freiheitsstrafe" mit anschließender "Begnadigung"
und in der Hölle oder Tartarus die "lebenslängliche Freiheitsstrafe
unter erschwerten Bedingungen" mit eingeschalteten Folterungen durch Feuertorturen.
Hier war Reue zwecklos und Umkehr unmöglich. In diesem System hatten
Einsicht in begangene Fehler, der Wille und die Möglichkeit zur Wiedergutmachung
und die Rückgliederung auch des Schwerverbrechers, wenn er erst einmal
gestorben war, keinen Platz. Außerdem sollte die jenseitige Einstufung
nicht nur vom irdischen Lebenswandel des Verstorbenen, sondern in starkem
Masse auch von der Wirksamkeit priesterlicher Zeremonien und bestimmter
Opferriten abhängen.
Eine solche Regelung widersprach dem Gerechtigkeitsempfinden vieler
Menschen und dem Glauben an eine liebende Gottheit. Aus diesem Grund entwickelte
sich schon sehr früh eine andere Anschauung, nämlich die, dass
das menschliche Erdenleben nicht einmalig und unwiederholbar ist. Je nach
moralischem Erfolg oder Misserfolg eines beendeten Erdenlebens wird ein
Verstorbener entweder sofort oder nach einer mehr oder weniger langen Übergangszeit
im Jenseits in ein neues Erdenleben hineingeboren. Man spricht von Wiedergeburt,
Reinkarnation, Metempsychose oder Seelenwanderung, wobei den
verschiedenen Bezeichnungen oft etwas unterschiedliche Bedeutung zugemessen
wird. Die Form der Wiedereinverleibung, z. B. in den Körper eines
Tieres (im Hinduismus als möglich angesehen) oder den eines hoch-
oder tiefgestellten Menschen mit mehr oder weniger schwerem Schicksal,
hängt von der Vorbelastung des Verstorbenen bzw. Neugeborenen ab.
Man spricht von "Karma". Das Wort kommt aus dem Sanskrit und heißt
zunächst "Tat, Werk, Handlung", bedeutet dann aber auch die Frucht
oder Folge der Tat. Unter Karma versteht man eine Kette von Auswirkungen
früherer, in anderen Existenzen begangener Taten. Karma ist die gute
oder böse Vergeltungskraft moralischer oder unmoralischer Handlungen,
ein Prinzip allgemeiner Ursächlichkeit, das unser gegenwärtiges
Schicksal aus den guten Taten oder Verfehlungen früherer Existenzen
auf dieser Erde oder in der jenseitigen Welt herleitet.
Diese Auffassung begann sich, soweit man das heute historisch noch
nachweisen oder erschließen kann, zu Beginn des ersten vorchristlichen
Jahrtausends in etwas unterschiedlichen Formen auszubilden und war um 500
vor Chr. voll entwickelt. Bedeutende Vertreter dieser Lehre waren der Religionsstifter
Siddhartha
Gautama,
genannt Buddha (um 560-480 v. Chr.), der griechische Philosoph und
Mathematiker Pythagoras (580-500 v. Chr.) und seine Schule
und der griechische Philosoph Platon (427-347 v. Chr.). Zur
Zeit Christi war der Glaube an die Reinkarnation in allen damaligen Kulturvölkern
bekannt, so im ganzen römischen Reich einschließlich Palästina
und Griechenland, in Ägypten, Persien und Indien. Das bedeutet allerdings
nicht, dass alle Menschen dieser Völker auch daran glaubten oder dass
er Bestandteil der jeweiligen Staatsreligionen war. Z. B. ist in der überlieferten
Mosaischen Religion von Reinkarnation keine ausdrückliche Rede. Doch
hielten die Juden es zumindest für möglich, dass jemand, der
schon einmal als Mensch auf dieser Erde gelebt hatte, in einer neuen Menschengestalt
wiederkehren könne.
Diese Auffassung ergibt sich z. B. aus der Frage Christi
an seine Jünger (Luk. 9, 18-21): " 'Für wen halten mich die Volksscharen?'
Sie gaben ihm zur Antwort: 'Für Johannes den Täufer,
andere für Elia, noch andere meinen, einer von den alten
Propheten sei auferstanden.' " Christus weist diese Auffassungen nicht
als absurd zurück, weil derartiges ja gar nicht möglich sei,
sondern fragt einfach weiter: " 'Ihr aber, für wen haltet ihr mich?'
Da antwortete Petrus: 'Für Christus, den Gottgesandten!' Da gab er
ihnen die strenge Weisung und gebot ihnen, sie sollten das niemand sagen."
Auch gegenüber Johannes dem Täufer wird die Vermutung geäußert,
dass er ein Reinkarnierter sei. Priester und Leviten aus Jerusalem sind
zu ihm gesandt worden, um ihn zu fragen, wer er sei (Joh. 1, 19-23). Zunächst
betont Johannes, dass er nicht Christus (also der Gesalbte, der Messias)
sei. Aber dann fragen die Abgesandten weiter: "Was denn? Bist du Elia?"
Doch Johannes bescheidet sie: "Nein, ich bin es nicht." Und mit Elia ist
der alttestamentliche Prophet gemeint, welcher der grosse Warner und Ankläger
König Ahabs (etwa 874-853 v. Chr.) von Israel war. Seine
Wiederkunft war nämlich von dem Propheten Maleachi (um
450 v. Chr.) prophezeit worden. Diesen hatte Gott sagen lassen (Mal. 3,
22-24): "Wisset wohl: Ich sende den Propheten Elia, ehe der große und
furchtbare Tag des Herrn kommt."
Sogar an König Herodes Antipas, den Vierfürst
und zweiten Sohn König Herodes d. Gr., wurden in Bezug auf Jesus Christus
ähnliche Vermutungen herangetragen. Von ihm heißt es (Luk. 9, 7-9):
"Es hörte aber der Vierfürst Herodes von all diesen Begebenheiten
und fühlte sich dadurch beunruhigt, denn manche behaupteten, Johannes
(der Täufer) sei von den Toten auferweckt worden. Andere wieder meinten,
Elia sei erschienen, noch andere, einer von den alten Propheten sei auferstanden."
Christus selbst geht davon aus, dass Johannes der Täufer der wiedererschienene
Elia ist. Denn bei Matthäus 17, 9 heißt es nach Christi Unterredung
mit den aus dem Jenseits erschienenen Mose und Elia
in Gegenwart von Petrus, Jakobus und Johannes:
"Als sie dann von dem Berge hinabstiegen, gebot ihnen Jesus: 'Erzählt
niemand etwas von der Erscheinung, die ihr gesehen habt, bis der Menschensohn
von den Toten auferweckt. worden ist!' Da fragten ihn die Jünger:
'Wie können denn die Schriftgelehrten behaupten, Elia müsste
zuerst kommen?' Er gab ihnen zur Antwort: 'Elia kommt allerdings und wird
alles wieder in den rechten Stand bringen. Ich sage euch aber: Elia ist
bereits gekommen, doch sie haben ihn nicht erkannt, sondern sind mit ihm
verfahren, wie es ihnen beliebte. Ebenso wird auch der Menschensohn durch
sie zu leiden haben.' Da verstanden die Jünger, dass er von Johannes
dem Täufer gesprochen hatte."
Hier kommt ein Widerspruch zur Aussage Johannes des Täufers zutage.
Dieser stritt ja ab (Joh. 1, 19-23), der wiedererschienene Elia zu sein.
Aber vielleicht wusste er es gar nicht, von welcher Herkunft er war, oder
er wollte es nicht jedem auf die Nase binden.
Man kann aus diesen Berichten nicht schließen, alle Juden seien davon
überzeugt gewesen, dass jeder Mensch mehrfach auf diese Erde zurückkehren
müsse. Es geht aus ihnen aber sehr wohl hervor, dass man es allgemein
für möglich hielt, ein verstorbener Mensch könne auch einmal
in einer neuen Gestalt auf unserer Erde wiedergeboren werden.
Nun werden Kritiker der Wiedergeburtslehre sofort einwenden, das seien
ja alles, wie der Gottesglaube überhaupt, nur menschliche Hilfskonstruktionen,
also reines Wunschdenken. Nach Meinung des deutschen Philosophen Ludwig
Feuerbach
(1804-1872), der einer der Wegbereiter des Marxismus war, ist Religion
nur Schein an Stelle von Wirklichkeit, gegründet auf ein natürliches
Abhängigkeitsgefühl. Die Vorstellung von Gott und einem ewigen
Leben ist nichts als menschliche Einbildung, ein Produkt unserer schöpferischen
Phantasie. Das jedenfalls geht aus seinen beiden Hauptwerken "Das Wesen
des Christentums" (1841) und "Das Wesen der Religion" (1845) hervor. Diese
Auffassung hat dann maßgeblich die Einstellung des Marxismus und Kommunismus
zu Religion und Christentum geformt.
Dagegen haben die zahlreichen Jenseitskontakte, welche zu allen Zeiten
erfolgten, die besonders aber in den letzten 140 Jahren durch Parapsychologie
und Spiritualismus (die religiöse Ausprägung des Spiritismus)
zustande kamen, gezeigt, dass tatsächlich eine jenseitige Welt und
eine göttliche Ordnung vorhanden sind. Insofern ist es auch gut
möglich, dass bereits im Altertum in Indien und Griechenland die Mitteilungen
über eine mögliche mehrfache irdische Wiedereinverleibung über
Jenseitskontakte erfolgten und nicht rein menschliche Erfindung sind.
Für das frühe Christentum wird von dem Kirchenvater Origenes
(geb. um 185, gest. 254) und seiner Schule überliefert, dass sie die
Reinkarnationslehre vertreten haben. Origenes war der erste bedeutende
frühchristliche Theologe des griechischen Ostens. Er sichtete und
bewertete die Schriften des Neuen Testamentes auf Fälschungen und
Fehler und fertigte eine wissenschaftliche Übersetzung des Alten Testamentes
aus dem Hebräischen ins Griechische an. In ihr verglich er den Urtext,
dessen Umschreibung mit griechischen Buchstaben und seine (des Origenes)
griechische Übersetzung mit den Übersetzungen des "Symmachus",
des "Theodotion" und der "Septuaginta". Diese Bibel wurde
die "Hexapla", d. h. die "Sechsfache", genannt, weil auf jeweils
zwei gegenüberliegenden Seiten die sechs verschiedenen Texte in sechs
Spalten nebeneinander standen und auf diese Weise ein müheloses Vergleichen
möglich war. Leider ist diese Bibel bis auf 35 einzelne Bruchstücke
nicht mehr erhalten. Auch sonst sind viele der Schriften des Origenes heute
nicht mehr vorhanden, was auf die späteren Verfluchungen seiner Lehren
und seiner Person in den Jahren 543 und 553 zurückzuführen ist.
Ein weiteres Hauptwerk des Origenes waren die vier Bücher "Peri
archon" ("Über die Ursprünge" oder "über die ersten
Dinge"), in denen er den ersten Versuch einer systematisch angelegten Darstellung
des christlichen Glaubens unternahm. Auch dieses Werk ist in seiner vollständigen
griechischen Urform nicht erhalten geblieben. Es ist uns nur in der im
Jahre 398 in Italien von Rufin (oder Rufinus aus Aquileia)
angefertigten lateinischen Übersetzung überliefert. Sie trägt
den Titel "De principiis". Leider handelt es sich dabei nicht um
eine wortgetreue Übersetzung, sondern schon um eine im "orthodoxen"
Sinn erfolgte Überarbeitung, bei der besonders anstößige Stellen
bereits entfernt wurden (H. Görgemanns u. H. Karpp: "Origenes, Vier
Bücher von den Prinzipien", S. 33).
Rufinus sagt selbst in dem Vorwort (Praefatio Rufini) zu seiner Übersetzung
(Görgemanns/Karpp, S. 79): "Wo wir deshalb in seinen Büchern
etwas fanden, was seinen eigenen rechtgläubigen Lehraussagen über
die Trinität widersprach, die er an den übrigen Stellen gegeben
hatte, so haben wir das als verfälscht und unzugehörig entweder
ausgelassen oder nach der Vorschrift dargestellt, die wir bei ihm selbst
vielfach bekräftigt fanden."
Insofern kann man heute nur bedingt sagen, in welchem Umfang Origenes
eine Wiedergeburtslehre in dem bisher beschriebenen Sinn vertreten hat.
Doch deutet die schriftliche Begründung des Ediktes von Kaiser Justinian
gegen Origenes (F. Diekamp: "Die origenistischen Streitigkeiten im sechsten
Jahrhundert", S. 46), das später genauer besprochen wird, darauf hin,
dass dieser mehrfache Erdenleben des Menschen in Betracht gezogen hat.
Aber wo genaue Äußerungen fehlen, setzt leicht die Phantasie
oder auch Erfindung ein. So führt z. B. der Autor K. O. Schmidt
in seinem Buch "Kehret wieder Menschenkinder" (1970), S. 43 ein angebliches
Origeneszitat ohne Seitenzahl der Fundstelle an, das folgendermassen lautet:
"Jede Seele tritt in diese Welt entweder gestärkt durch die Siege
oder geschwächt durch die Verfehlungen und Niederlagen ihres vorhergehenden
Lebens. Ihre Stellung in der Welt als Träger von Ehren oder Verunglimpfungen
ist durch ihre früheren Verdienste oder Verschuldungen bestimmt. Und
ihr Wirken in der Welt heute bestimmt wiederum ihren Platz in dem Dasein,
das diesem Dasein folgt. Jeder von uns eilt der Vollkommenheit zu. Wir
sind gebunden, stets neue und bessere Leben zu führen, sei es auf
der Erde oder auf anderen Welten. Erst unsere völlige Hingabe an Gott,
die uns von allem Niederen reinigt, bedeutet das Ende unserer Wiedergeburten."
Dieses Zitat klingt wunderschön, nur habe ich es leider vergeblich
in den "Vier Büchern von den Prinzipien" gesucht, aus denen es angeblich
entnommen sein soll. Aber weil sich das Zitat so schön anhört,
wird es auch von anderen Autoren mit Hinweis auf K. O. Schmidt übernommen.
Wahrscheinlich
hat Origenes wirklich so gedacht, nur nachweisen kann man es heute nicht
mehr.
Was sich dagegen nachweisen lässt, ist seine Lehre von der "Präexistenz",
weil darüber sogar Rufin in seiner Übersetzung der Bücher
von den Prinzipien berichtet, weil sie auch seine Befürworter und
Feinde anführen und weil sie Hauptpunkt der späteren Verfluchungen
von 543 und 553 war.
Dahinter verbirgt sich folgende Lehre: Die Menschen auf dieser Erde
sind nicht erst durch ihre irdische Geburt in das Leben getreten, sondern
haben als Geschöpfe Gottes schon ein langes Dasein hinter sich. Einst
waren sie Mitbewohner des Reiches Gottes, das von ihm zusammen mit einer
Schar hoher Engel gelenkt wurde. An deren Spitze stand Gottes erster Sohn,
der als späterer Mensch den Namen Jesus der Christus trug. Der Apostel
Paulus nennt ihn (Kol. 1, 15): "das Ebenbild des unsichtbaren Gottes, der
Erstgeborene aller Schöpfung, denn durch ihn ist alles geschaffen
worden, was im Himmel und auf der Erde ist, das Sichtbare wie das Unsichtbare,
mögen es Throne oder Herrschaften, Mächte oder Gewalten sein:
alles ist durch ihn und für ihn geschaffen worden."
Weiter war nach dieser Lehre der Christus nachfolgende Engelfürst
ein Wesen, das bei uns Menschen unter dem Namen "Luzifer = Lichtträger
oder Lichtbringer" bekannt ist. Dieser litt darunter, dass er Christus
untergeordnet war, und er versuchte daher, einen Aufstand gegen ihn vorzubereiten.
Dazu brachte er einen Teil der anderen Geisterfürsten und sonstigen
Wesenheiten auf seine Seite. Als diese Umtriebe zu offener Rebellion ausarteten,
gab Gott dem Erzengel Michael als Anführer der Himmlischen
Heerscharen den Befehl, Luzifer mit seinem aufständischen Anhang aus
dem himmlischen Reich zu vertreiben (Johannes Greber: "Der Verkehr mit
der Geisterwelt Gottes, seine Gesetze und sein Zweck", S. 270). Es ereignete
sich das, was wir den "Engelsturz" nennen, und der an einigen Stellen im
Alten und Neuen Testament erwähnt wird (Hes. 28, 1-19; 2. Petr. 2,
4; Judas 5). Christus sagt dazu (Luk. 10, 18): "Ich habe den Satan wie
ein Blitz aus dem Himmel herabgestürzt gesehen." Und in der Offenbarung
Johannes (12, 7) heisst es: "Es erhob sich dann ein Kampf im Himmel: Michael
und seine Engel kämpften mit dem Drachen; auch der Drache und seine
Engel kämpften, doch gewannen sie den Sieg nicht, und ihres Bleibens
war nicht länger im Himmel. So wurde denn der grosse Drache, die alte
Schlange, die da 'Teufel' und 'Satan' heisst, der Verführer des ganzen
Erdkreises, auf die Erde hinabgestürzt, und seine Engel wurden mit
ihm hinabgestürzt."
Diese abgefallenen Wesen sollten nun nicht für ewig aus Gottes
Reich ausgeschlossen bleiben, sondern es sollte ihnen die Möglichkeit
der Rückkehr eröffnet werden. Daher wurden für sie von Gott
oder in Gottes Auftrag Besserungs- und Aufstiegsstufen geschaffen, worunter
sich auch unsere materielle Erde befand und befindet. Nach dieser Lehre
sind die Menschen auf unserem Planeten die Inkarnationen jener gefallenen
Engel, die hier eine Bewährungs- und Besserungsphase durchlaufen,
d. h. geprüft werden, ob sie in Zukunft wieder Gott und Christus untertan
sein wollen und können.
Bei Origenes stehen diese Zusammenhänge sehr verstreut, sind langatmig
dargestellt und ausserdem von Rufin vom "Schlimmsten" gereinigt worden.
Daher bringe ich hier über die Präexistenzlehre des Origenes
eine Zusammenfassung des Pseudo-Leontius von Byzanz. Er schreibt (Görgemanns/Karpp,
S. 273): "Über die Präexistenz war seine (des Origenes) Meinung
folgende: Vor den Äonen existierten Intelligenzen, die alle rein waren,
sowohl die Dämonen, wie die Seelen, wie die Engel; sie dienten Gott
und taten seine Gebote. Einer aber, der Teufel, da er freien Willen hatte,
entschloss sich, Gott zu widerstehen, und Gott verstieß ihn. Mit ihm fielen
alle anderen Mächte ab. Die, die schwer gesündigt hatten, wurden
Dämonen; die weniger gesündigt hatten, Engel; die noch weniger
gesündigt hatten, Erzengel, und so wurde jedem nach seiner eigenen
Sünde vergolten. Es blieben die Seelen übrig, welche weder so
schwer gesündigt hatten, dass sie Dämonen, aber auch nicht soviel
leichter, dass sie Engel geworden wären. Gott schuf nun die gegenwärtige
Welt, und fesselte die Seele an den Körper zu ihrer Bestrafung. Denn,
so sagt er, 'Gott sieht nicht auf die Person' (vergl. Apg. 10, 34) und
kann darum nicht diese Wesen, die alle dieselbe Natur haben (denn alle
sind vernunftbegabt und unsterblich), teils zu Dämonen, teils zu Seelen,
teils zu Engeln machen. Vielmehr ist es klar, dass er einen jeden nach
seiner Verfehlung strafte und deshalb den einen zum Dämon, den anderen
zur Seele, den anderen zum Engel machte. Denn wenn das nicht so wäre
und die Seelen nicht präexistent wären, warum finden wir dann,
dass einige Neugeborene blind sind, ohne gesündigt zu haben, während
andere gesund auf die Welt kommen? Offenbar gibt es präexistente Sünden
in den Seelen, für die einer jeden nach Verdienst vergolten wird."
Der evangelische Kirchenhistoriker Adolf von Harnack
beschreibt Teile der Lehre des Origenes folgendermassen, wobei er in Fussnoten
die Fundstellen in den Schriften des Origenes angibt, auf die er sich gerade
bezieht (A. v. Harnack: "Lehrbuch der Dogmengeschichte", Bd. I, S. 693):
"Nach Origenes werden alle Geister in der Form ihres individuellen Lebens
schliesslich zurückgeführt, gereinigt und verklärt, um einer
neuen Weltepoche zu dienen, nachdem das sinnlich Materielle durch Verklärung
gleichsam ausgeglüht ist. Alle sinnlich-eschatologischen Erwartungen
sind dabei von Origenes abgeschnitten worden. Der Formel 'Auferstehung
des Fleisches' hat er sich angeschlossen, weil die Kirchenlehre sie enthielt
und weil auch der Leib belohnt oder bestraft werden müsse. Er hat
sie aber nach 1. Kor. 15 so gedeutet, dass ein corpus spirituale
auferstehen wird, dessen Keim als eine ratio substantialis in dem
sinnlichen Leib verborgen liegt und nun zu ungemessener und mannigfaltiger
Entfaltung kommt. Alle Eigenschaften des Sinnlichen, ja auch alle Glieder,
die sinnliche Funktionen haben, werden diesem neuen Leibe fehlen, und er
wird, wie die Engel und Gestirne, in Lichtglanz strahlen. Unter Ablehnung
der Lehre, dass die Seele mit dem Körper zunächst stirbt und
sich auflöst, nahm Origenes an, dass die Seelen der Entschlafenen
sofort in das (zur Erde gehörige) Paradies kommen und dort lehrend
und lernend sich höher entwickeln. Die noch nicht geläuterten
Seelen dagegen werden in einen Strafzustand geschickt, ein Straffeuer,
das aber wie die ganze irdische Welt als ein Läuterungsort aufzufassen
ist. Von hier aus vermochte Origenes auch den Anschluss an die kirchliche
Lehre vom Gericht und den Höllenstrafen zu finden. Aber wie dem Clemens
ist ihm das Läuterungsfeuer ein zeitweiliges und ein uneigentliches;
es besteht in den Qualen des Gewissens. Schliesslich werden alle Geister
im Himmel und auf Erden, ja selbst die Dämonen und der Teufel, vom
Logos-Christus geläutert zur Gottheit zurückgebracht werden,
aufsteigend von Stufe zu Stufe (durch die sieben Himmel hindurch). Daher
hat Origenes diese Lehre als eine esoterische behandelt; 'für den
gemeinen Mann genügt es zu wissen, dass der Sünder bestraft wird,
und der Geistesmensch weiss, dass er als Geist mit Gott, dem Geiste, vereinigt
sein wird, und dass das 'ewige Evangelium' nur diese Botschaft enthält."
Diese Lehre des Origenes erregte bei seinen Gegnern schon zu seinen
Lebzeiten und in steigendem Masse in den folgenden Jahrhunderten lebhaften
Widerspruch. Er führte schliesslich zu den sogenannten "origenistischen
Streitigkeiten", die im sechsten Jahrhundert ihren Höhepunkt erreichten
(F. Diekamp: "Die origenistischen Streitigkeiten im sechsten Jahrhundert."
Sie wurden äusserlich erst durch das Eingreifen des oströmischen
Kaisers Justinian beendet.
Was aber war dieser Kaiser für ein Mann? Geboren um 483 regierte
er von 527 bis zu seinem Tod 565. Er ist also ungefähr 83 Jahre alt
geworden. Während fast seiner gesamten Regierungszeit (bis 562) führte
er Kriege: gegen die Perser, Hunnen, Slaven, Goten und Vandalen. Justinian
betrieb und erreichte die gewaltsame Wiedervereinigung des Römerreiches,
eroberte durch seinen Feldherrn Belisar Nordafrika, und Italien
und überstand zahlreiche Revolten und Generalsverschwörungen.
Auch verfasste er (oder liess unter seinem Namen verfassen?) einige theologische
Schriften. Die herausragende Tat, die Justinian jedoch vollbrachte, war
die Kodifizierung des römischen Rechtes, die seit dem 16. Jahrhundert
als Corpus iuris civilis bezeichnet wird. Neben dem Kodex der Kaisergesetze
(528/529) erschien 530-533 das Digesten- und Pandektenwerk.
Justinian verfolgte dabei die Arbeit der Juristenkommissionen mit grösstem
Interesse und gab entscheidende Anregungen. Das Digestenwerk ist das folgenreichste
juristische Buch der Welt. Nach der Bibel ist kein Werk so oft herausgegeben
und studiert worden wie die Digesten. Als "Gemeines Recht" galt das Corpus
iuris civilis in Deutschland teilweise noch bis zum Inkrafttreten des Bürgerlichen
Gesetzbuches im Jahre 1900.
Diesem auf Ordnung und Einheitlichkeit bedachten und religiös
interessierten Kaiser waren natürlich theologische Streitigkeiten
in seinem Reich völlig zuwider. Als daher antiorigenistische Gruppen
ihm eine Klageschrift, versehen mit Auszügen aus "de principiis",
einreichten, griff er höchstpersönlich ein (Diekamp, S. 41 f,
Görgemanns/Karpp, S. 34; v. Hefele, S. 786 f). Im Januar des Jahres
543 erliess er ein Edikt gegen Origenes und seine Lehren. Den wesentlichen
Inhalt gebe ich nach der Darstellung des Münsteraner Theologiedozenten Franz
Diekamp
wieder (Diekamp, S. 46). Dieser beruft sich auf "Iustiniani Liber adversus
Origenem" bei Mansi IX, Sp. 488 D - 533 E und schreibt:
"Das kaiserliche Edikt ist eines der wichtigsten Dokumente der Religionspolitik
Justinians und zugleich ein getreuer Ausdruck der unter den Antiorigenisten
herrschenden Anschauungen und Gesinnungen. In kurzen Zügen lässt
sich sein Inhalt wie folgt wiedergeben: Der Kaiser beteuert im Eingang,
es sei stets seine erste Sorge, mit Gottes Hilfe den Glauben rein zu erhalten
und der Kirche den Frieden zu sichern. Deshalb erachtete er es auch jetzt
für seine Pflicht einzugreifen, da er vernommen habe, dass gewisse
Personen dem Origenes und seinen Lehren anhängen, Lehren, die nicht
mehr christlich, sondern heidnisch, manichäisch und arianisch zu nennen
seien. Wagt dieser Mann es doch, die heilige und wesensgleiche Trias zu
lästern und zu sagen, der Vater sei grösser als der Sohn, der
Sohn grösser als der heilige Geist und der heilige Geist grösser
als die anderen Geister. Er behauptet, der Sohn könne den Vater, der
heilige Geist den Sohn nicht sehen; der Sohn und der heilige Geist seien
Geschöpfe; was wir im Vergleich zum Sohne, das sei der Sohn im Vergleich
zum Vater. Die göttliche Macht hält er für begrenzt, alle
Gattungen und Arten für gleichewig mit Gott. Von den geistigen Wesen
ist ein Teil, wie er meint, in Sünde gefallen und zur Strafe in Leiber
gebannt; nach dem Masse ihrer Sünden werden sie sogar zum zweiten
und dritten Male und noch öfter in einem Leibe eingekerkert, um nach
vollendeter Reinigung in ihren früheren sünde- und leiblosen
Zustand zurückzukehren. Er nimmt auch verschiedene Welten an, die
teils schon vorübergegangen sind, teils noch kommen werden."
"Wer wird nicht, fragt der Kaiser, von Entsetzen erfasst, wenn er von
diesem Übermass der Gottlosigkeit hört? Alle Häretiker sind
wegen der einen oder der anderen Irrlehre aus der Kirche ausgestossen worden;
welcher Christ mag also dem Origenes anhängen wollen, der in seinen
Schriften so viele Lästerungen vorgetragen und fast allen Ketzern
so viel Stoff zu ihren verderbenbringenden Lehren dargeboten hat und deshalb
schon vor alters von den heiligen Vätern mit dem Anathema (d. h. der
Verfluchung) belegt worden ist? Zwar hat er auch einige wahre Dogmen in
seine schlechten Bücher aufgenommen. Aber dieselben sind eben nicht
sein Eigentum, sondern das der Kirche; und nur aus böser Absicht hat
er so gehandelt und seine abscheulichen Lehren besonders in seine Erklärungen
der heiligen Schriften eingestreut, um arglose Seelen desto leichter zu
täuschen. Plato ist sein Lehrmeister gewesen; Arios hinwieder hat
von ihm gelernt; dem Manichäer steht er an Gottlosigkeit nicht nach."
Diekamp berichtet im Verlauf zweier weiterer Seiten noch Zusätzliches
über den Inhalt des Justinianischen Ediktes und führt dann wörtlich
die abschließenden zehn Verfluchungen (Anathematismen) auf, von denen
ich hier nur die für unser Thema wichtigen wiedergebe (Diekamp, S.
49; Görgemanns/Karpp, S. 823; v. Hefele, S. 788):
-
1. "Wenn jemand sagt oder meint, die Seelen der Menschen präexistieren,
sie seien nämlich zuvor Geister und heilige Kräfte gewesen, haben
dann aber, der göttlichen Anschauung überdrüssig, sich zum
Schlimmeren gewendet, und seien, weil dadurch die göttliche Liebe
in ihnen erkaltet sei, Seelen genannt und zur Strafe in Leiber herniedergeschickt
worden, so sei er Anathema (verflucht).
-
2. Wenn jemand sagt oder meint, dass die Seele des Herrn präexistiert
habe und vor der Menschwerdung und der Geburt aus der Jungfrau mit dem
Gott Logos vereinigt gewesen sei, so sei er Anathema.
..........
-
9. Wenn jemand sagt oder meint, die Strafe der Dämonen und der
gottlosen Menschen sei eine zeitliche und werde einmal ein Ende haben,
mit anderen Worten, es werde eine Apokatastasis (griech. = Wiederherstellung.
Gemeint ist damit die Rückkehr aller zu Gott) der Dämonen
oder der gottlosen Menschen eintreten, so sei er Anathema.
-
10. Anathema (Fluch) auch dem Origenes, der auch Adamantios heisst,
der dieses gelehrt hat, samt seinen abscheulichen, verfluchten und lasterhaften
Dogmen, und jeder Person, die dieses denkt oder verteidigt oder überhaupt
auf irgend eine Art zu irgendwelcher Zeit hierfür einzutreten wagt."
Zusätzlich zu seinem eigenen Edikt verlangte Justinian von dem
Patriarchen Menas die Einberufung einer (lokalen) Synode
in Konstantinopel (C. J. v. Hefele: "Conciliengeschichte. Nach den Quellen
bearbeitet, S. 790), welche die Verfluchungen des Kaisers zu bestätigen
hatte. Die Synode wurde noch im Jahre 543 abgehalten. Alle Teilnehmer,
sowie später weitere Patriarchen und Bischöfe, unterschrieben
das Edikt (Diekamp, S. 50; Görgemanns/Karpp, S. 35). Ausserdem wurde
die Zustimmung des römischen Papstes Vigilius (537-555) eingeholt.
Es kam also eine Verdammung des Origenes und seiner Lehren durch die Gesamtkirche
zustande, wenn auch nicht durch ein ökumenisches Konzil. Auch mag
manche Unterschrift unfreiwillig geleistet worden sein (Diekamp, S. 50
u. 137).
Das Edikt und die Verfluchungen beseitigten den Origenismus in Palästina
jedoch nicht (Görgemanns/Karpp, S. 34). Im Jahre 553 berief Justinian
die christlichen Kirchenfürsten zum 5. ökumenischen Konzil nach
Konstantinopel ein. Der Zweck war die Schlichtung theologischer Streitfragen,
des sogenannten "Dreikapitelstreites". Das Konzil begann am 5. Mai 553
(Diekamp, S. 132; v. Hefele, S. 854). Vor der offiziellen Konzilseröffnung
fanden erneut Verhandlungen über Origenes und seine Lehre statt, wobei
dieselben Bischöfe versammelt waren, die später das 5. Konzil
bildeten (Diekamp, S. 137). Zu den dabei erneut erfolgten (diesmal) 15
Verfluchungen gab Papst Vigilius im voraus seine ausdrückliche Zustimmung.
Sie waren zwar kein offizieller Bestandteil des 5. ökumenischen Konzils,
wurden aber doch von der Gesamtkirche gebilligt. Manche Kirchenhistoriker
rechnen übrigens diese erneuten 15 Verfluchungen bereits der Synode
von 543 zu (v. Hefele, S. 790).
Von den 15 Verfluchungen der 165 heiligen Väter des 5. heiligen
Konzils in Konstantinopel (Görgemanns/Karpp, S. 825) lauten die ersten
sieben, die für unsere Betrachtung hier wesentlich sind:
-
1. "Wenn einer die erdichtete Präexistenz der Seelen und ihre
daraus folgende phantastische Wiederherstellung vertritt, so sei er verflucht
(griech. "anathema esto").
-
2. Wenn einer sagt: Der Ursprung aller Vernunftwesen seien Intelligenzen
ohne Körper und Stoff gewesen, zahllos und namenlos, und sie alle
hätten eine Einheit gebildet durch die Identität der Substanz,
der Kraft und Wirksamkeit und durch ihre Einung mit dem Gott-Logos und
seine Erkenntnis; dann habe sie Überdruss erfasst an der Schau Gottes;
sie hätten sich zum Schlechteren gewendet, je nachdem wie sehr eine
jede dazu hinneigte, und hätten Körper angenommen, feinere oder
dichtere, und einen Namen zugeteilt bekommen - denn es gibt Unterschiede
sowohl der Namen wie auch der Körper bei den oberen Mächten -,
und so seien sie teils Cherubim, teils Seraphim, teils Fürstentümer,
Gewalten, Herrschaften, Throne, Engel und was es sonst an himmlischen Ordnungen
gibt, geworden und benannt worden - so sei er verflucht.
-
3. Wenn einer sagt: Die Sonne, der Mond und die Sterne hätten
ebenfalls zu der gleichen Einheit der Vernunftwesen gehört und seien
durch eine Wendung zum Schlechteren das geworden, was sie sind - so sei
er verflucht.
-
4. Wenn einer sagt: Die Vernunftwesen, die von der Liebe zu Gott erkalteten,
seien an dichtere Körper gebunden worden, wie wir sie haben, und seien
Menschen genannt worden; die aber, die zum Gipfel der Schlechtigkeit fortgeschritten
seien, seien an kalte und finstere Körper gebunden worden, sie seien
und hiessen Dämonen oder Geister der Bosheit (vergl. Eph. 6, 12) -
so sei er verflucht.
-
5. Wenn einer sagt: Aus dem Stand der Engel und Erzengel entstehe der
Stand der Seelen, aus der Seele dann der Stand der Dämonen und Menschen,
aus dem menschlichen wieder Engel und Dämonen; und jede Ordnung der
himmlischen Machte sei entweder ganz aus den höheren oder aus den
niederen (Wesen) entstanden oder aber aus den höheren und den niederen
- so sei er verflucht.
-
6. Wenn einer sagt: Das Geschlecht der Dämonen sei zwiefach in
Erscheinung getreten, es sei zusammengesetzt aus menschlichen Seelen und
aus höheren Geistern, die hierhin herabgesunken seien; nur eine einzige
Intelligenz aus der ganzen angeblichen Einheit der Vernunftwesen sei unerschüttert
in der Liebe und Schau Gottes geblieben, sie sei zum Christus und König
aller Vernunftwesen geworden und habe die ganze körperliche Natur
ins Dasein gerufen, den Himmel, die Erde und was dazwischen ist; der Kosmos
habe Elemente, die schon vor seinem Dasein existiert hätten: das Trockene,
Feuchte, Warme, Kalte sowie die Idee, nach der er geformt sei, und erst
auf Grund davon sei er entstanden; nicht die hochheilige und wesenseine
Dreifaltigkeit habe die Welt geschaffen, und deshalb sei diese geworden,
sondern der sogenannte Schöpferische Nus (griech. = Vernunft, Geist,
Wille), der vor der Welt existiert und der Welt selbst das Sein verliehen
habe, habe sie als Gewordene hingestellt - so sei er verflucht.
-
7. Wenn einer sagt: Christus, der, wie es heisst, in göttlicher
Gestalt war (vergl. Phil. 2, 6) und vor aller Zeit mit dem Gott-Logos geeint
war, habe sich in den jüngsten Tagen entäussert (vergl. Phil.
2, 7) zum Menschlichen, da er Mitleid hatte mit dem, wie sie sagen, "vielzerteilten
Fall" der Wesen, die zur gleichen Einheit gehörten; und in der Absicht
sie zurückzuführen, sei er zu allen gekommen, er habe sich in
verschiedene Körper gekleidet und verschiedene Namen angenommen, er
sei allen alles geworden (vergl. 1. Kor. 9, 22), unter Engeln ein Engel,
unter Mächten eine Macht, und unter den anderen Ordnungen und Arten
der Vernunftwesen habe er die zu einer jeden passende Gestalt angenommen;
endlich habe er 'ähnlich wie wir Fleisch und Blut erhalten' (vergl.
Hebr. 2, 14) und sei auch für die Menschen Mensch geworden - und wenn
einer nicht bekennt, dass der Gott-Logos sich entäußert hat und Mensch
geworden ist - so sei er verflucht."
Damit war für die (damals noch vereinte) christlich-katholische
Kirche das Thema "Präexistenz" und "Wiedergeburt" abgeschlossen. Es
fällt auf, dass in der Übersetzung und Bearbeitung des Rufinus
und in den Verfluchungen von 543 und 553 der Begriff der mehrfachen irdischen
menschlichen Wiedergeburt nicht auftritt. Dagegen kommt Kaiser Justinian
in dem einleitenden Text seines Ediktes von 543 ausdrücklich darauf
zu sprechen, indem er sagt (Diekamp, S. 46): "Von den geistigen Wesen ist
ein Teil, wie er (Origenes) meint, in Sünde gefallen und zur Strafe
in Leiber gebannt. Nach dem Maß ihrer Sünden werden sie sogar zum
zweiten und dritten Male und noch öfter in einem Leibe eingekerkert,
um nach vollendeter Reinigung in ihren früheren sünde- und leiblosen
Zustand zurückzukehren." Mit diesen Worten betont Justinian, dass
Origenes eine vollständige Wiedergeburtslehre vertreten hat.
Wie Origenes darauf gekommen ist, entzieht sich unserer Kenntnis. War
es die Wiederaufnahme alten Gedankengutes aus seiner griechisch geprägten
Umwelt (er selbst war Ägypter aus Alexandrien), waren es eigene gedankliche
Schlussfolgerungen oder war es Wissen, das er oder Freunde oder Vorgänger
von ihm aus einem Jenseitsverkehr gezogen hatten? Wir wissen es nicht.
Auf jeden Fall war das Thema "Wiedergeburt" seit 553 für die Christenheit
äußerlich für 1300 Jahre vom Tisch. Erst der Mitte des 19. Jahrhunderts
aufkommende neuzeitliche Spiritismus und Spiritualismus belebte für
Christen das Thema erneut.
Prof. Dr. Werner Schiebeler
Literaturangaben
Diekamp, F.: Die origenistischen Streitigkeiten im sechsten Jahrhundert,
Verlag der Aschendorffschen Buchhandlung, Münster 1899
Görgemanns , H. u. Karpp, H.: Origenes, Vier Bücher von
den Prinzipien, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 1976
Greber, J.: Der Verkehr mit der Geisterwelt Gottes, seine Gesetze
und sein Zweck, J. Greber Memorial Foundation, 139 Hillside Avenue,
10. Aufl., 1987, Teaneck, N.J. 07666, U.S.A. (Wenn dieses Buch über
den Buchhandel nicht erhältlich ist, kann es über den Verlag
Martin Weber, D-77746 Schutterwald bezogen werden.)
Harnack, A, v.: Lehrbuch der Dogmengeschichte, 3 Bde., Verlag
J. Mohr, Tübingen, 5. Aufl. 1931
Hefele, C. J., v.: Conciliengeschichte. Nach den Quellen bearbeitet,
Herdersche Verlagshandlung, Freiburg, 2. Aufl. 1875
Ludwig: "Origenes und die Präexistenz", Psychische Studien,
Jahrgang XXXXIII/1916, S. 247-258
Schiebeler, W.: Der Tod, die Brücke zu neuem Leben, Verlag
Die Silberschnur, Melsbach/Neuwied 1988
Schiebeler, W.: Zeugnis für die jenseitige Welt, Verlag
Die Silberschnur, Melsbach/Neuwied 1989
Schiebeler, W.: Leben nach dem
irdischen Tod. Die Erfahrungen von Verstorbenen, Verlag Die Silberschnur,
Melsbach/Neuwied 1989
"Schuldloses
Leiden - Warum?" von R. Passian (Zeitschrift
"Wegbegleiter 3/96, S. 79)
Dr. A. Däumling "Wie verträgt sich die christl.
Erlösungslehre mit d. Reinkarnationsidee?" (Zeitschrift
"Wegbegleiter 4/96, S. 166)
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