Origenes wurde etwa im Jahre 185 als ältestes Kind einer wohlhabenden ägyptischen
Familie geboren, in der es nach Eusebius bereits christliche Vorfahren gab. Er wuchs in
Alexandrien auf. Sein Name "der von Horus Stammende besagt nichts für
heidnische Herkunft; auch christliche Eltern gaben damals solche Namen, sei es,
dass man
den Bezug auf eine heidnische Gottheit nicht mehr deutlich empfand, sei es auch,
dass man
auf heidnische Verwandte Rücksicht nahm. Doch erinnert der Name daran, dass das Kind in
einer überwiegend heidnischen Umwelt aufwuchs.
In Alexandrien hatte neben der griechischen Herrenschicht die ägyptische Bevölkerung
wenig, die jüdische Minderheit viel Einfluss. Die Stadt bot mit ihren Schulen und
Bibliotheken die besten Möglichkeiten, sich griechische Bildung und Wissenschaft
gründlich anzueignen. Davon, dass Origenes auch Koptisch gesprochen hätte, weiß man
nichts. Wenn man der Überlieferung glauben darf, erkannte der Vater früh die Begabung
des Sohnes und hielt ihn an, sich ganz besonders der heiligen Schrift zu widmen und sie
auswendig zu lernen, und schon der Knabe soll nach ihrem tieferen Sinn gefragt haben,
dessen Erhellung bald eine seiner Lebensaufgaben wurde. In der Christenverfolgung des
Jahres 202 verlor der junge Student seinen Vater. Nach Eusebius hatte er ihn während der
Haft brieflich ermutigt, keine Rücksicht auf seine Familie zu nehmen. Da zur Bestrafung
des Vaters auch die Einziehung seines Vermögens gehörte, musste der Sohn nun seinen
Unterhalt als Lehrer suchen. Aus dieser Zeit berichtet Eusebius, wie entschieden sich
Origenes schon damals zur Orthodoxie der Großkirche bekannte, die sich in Alexandrien
erst mühsam gegen ältere, häretische Glaubensformen durchsetzte.
Origenes unterrichtete zunächst in "Grammatik", d.h. er betrieb eine
sprachlich-philologische Ausbildung, die die Elemente des Wissens vor allem über die
Lektüre der Dichter und Historiker vermittelte. Doch schon nach kurzer Zeit vollzog er
eine entscheidende Wende: er ging vom grammatischen zum theologischen Unterricht über .
Nach Eusebius hätte er damit die Nachfolge des Pantänus und Klemens in der Leitung einer
vom Bischof eingerichteten sogenannten Katechetenschule übernommen, in der Katechumnen
auf die Taufe vorbereitet wurden. Aber diese Darstellung kann vor der historischen Kritik
nicht bestehen. Die genannten beiden Lehrer, vielleicht auch noch einige andere, hatten
vielmehr eine freie Lehrtätigkeit ausgeübt, etwa so, wie der Apologet Justin um die
Mitte des zweiten Jahrhunderts durch privaten Unterricht unter den Gebildeten Mission
trieb. Wenn man aus seinen Schriften zurück schließen darf, so gehörte auch die
Auseinandersetzung mit heidnischer Philosophie, jüdischem Gottesglauben und häretischen
Sonderlehren zu seinem Unterrichtsprogramm; nur so ließ sich das Christentum als die
wahre Philosophie darstellen. Auch Pantänus und Klemens müssen für den Übertritt zum
Christentum als der höheren Wahrheit geworben haben. Aber einen unmittelbaren
Taufunterricht gaben sie nicht. Man darf annehmen, dass sich auch getaufte Christen,
namentlich solche gnostischer Herkunft, bei ihnen einfanden, um ihren Glauben klären und
vertiefen zu lassen.
Ähnlich wird man sich auch den theologischen Unterricht des Origenes vorzustellen
haben. Nach Eusebius übernahm ihn der junge Grammatiklehrer letzten Endes deshalb, weil
einige Heiden zu ihm kamen, um von ihm, da andere Lehrer während der Verfolgung fehlten,
"die Lehre von Gott" zu hören. Wenn er diesen Wunsch erfüllte, so machte das
seine Tätigkeit noch nicht zu einem kirchlichen Taufunterricht Immerhin entsprach sie
diesem auf einer anderen Ebene. Das missionarische Ziel muss beiden Unterrichtsformen
gemeinsam gewesen sein und anderseits kann auch der freie christliche Lehrer Origenes
nicht ohne Wissen und Einverständnis des zuständigen Bischofs unterrichtet haben. Aber
seine Lehrweise war gewiss anspruchsvoller und zugleich offener als die der kirchlichen
Katecheten, so dass sie den Teilnehmern volle Freiheit ließ, sich zum Übertritt zu
entschließen oder nicht Als einige von ihnen sehr bald Märtyrer wurden, stand ihnen
Origenes unter Gefährdung seiner eigenen Person bis zu ihrem Tode seelsorgerlich bei.
Dies ist zwar nicht sicher bezeugt, aber man darf es zutrauen.
Als Origenes den Grammatikunterricht aufgab, verkaufte er nach der Erzählung Eusebius
aus seiner Bibliothek die Werke der griechischen Literatur gegen eine geringe Leibrente,
um unabhängig als Philosoph leben zu können. Das heißt im Sinne der Zeit, er wollte in
Zucht und Askese ein Leben des Geistes führen und, was er lehrte, vorleben. Gerade die
Einheit von Leben und Lehre zog seine Schüler besonders an. Er handelte schon früh nach
der Einsicht: "Weder Praxis noch Theorie sind allein etwas ohne das andere. In
der Praxis ging er damals so weit, sich nach Matth. 19, 12 selbst zu verstümmeln. Da man
auch von anderen freiwilligen Eunuchen unter den Christen jener Zeit weiß, braucht man an
der Wahrheit dieser Nachricht nicht zu zweifeln (s. Hanson). Später hat Origenes freilich
die wörtliche Auslegung jenes Jesuswortes verworfen. Die eigene
"literalistische" Erfahrung mag ihn bestärkt haben, das geistige Verständnis
der heiligen Schrift um so entschiedener zu vertreten.
Die "Theorie" hat Origenes in seinem neuen, theologischen Unterricht so ernst
genommen, dass er dazu jetzt eingehend Philosophie studierte. Er hat diese Hinwendung zu
ihr und zur antiken Wissenschaft später wohl zwischen 231 und 233 in einem
Briefe gerechtfertigt. Darin heißt es: "Als ich mich der Lehre widmete und der Ruf
unserer Fähigkeit sich verbreitete, kamen bald Häretiker zu mir, bald aber die Leute,
die sich mit den griechischen Wissenschaften befassten, vor allem den philosophischen.
Daraufhin entschloss ich mich, sowohl die Lehren der Häretiker zu prüfen als auch das,
was die Philosophen über die Wahrheit zu sagen versprachen. Indem wir dies taten, haben
wir den Pantänus nachgeahmt, der vor uns durch seine nicht geringe Ausbildung in jenen
Wissenschaften viele gefördert hat, und auch den Heraklas, der jetzt im Presbyterium der
Alexandriner sitzt. Ihn fand ich bei dem Lehrer der philosophischen Wissenschaften, den er
schon fünf Jahre lang aufgesucht hatte, ehe ich anfing, jene Lehrvorträge zu
hören."
Wer war dieser ungenannte Lehrer? Der Neuplatoniker Porphyrius hat in seinem Werk
,Gegen die Christen dort, wo er den Origenes würdigt, den Namen überliefert:
Ammonius. Gemeint ist der berühmte Träger dieses Namens, der später den Beinamen Sakkas
erhielt und vielleicht ursprünglich der christlichen Kirche angehört hatte. Dieser
pythagoreische Ekstatiker konnte Origenes in der Auffassung bestärken, Philosophie sei
weniger wissenschaftliche Lehre als Erweckung und Anleitung zu einem geistig-asketischen,
religiösen Leben und gründe sich letztlich auf Offenbarung. Ammonius regte Plotin, der
erst nach Origenes sein Schüler wurde, dazu an, in der platonischen Philosophie die
Wendung zum Neuplatonismus herbeizuführen. Eine Studienzeit bei demselben Lehrer macht es
auch verständlich, dass Origenes und Plotin in ihrer Fragestellung (wie: Vernunft und
Offenbarung) und Arbeitsweise (Lehre als Auslegung autoritativer Texte) vielfach
übereinstimmen. In den eigenen Unterricht bezog Origenes wenigstens für Begabte auch
andere Wissenschaften wie Geometrie und Arithmetik mit ein; sie alle dienten ihm ebenso
wie die Philosophie selber zum besseren Verstehen der heiligen Schrift. Denn unter dem
philosophischen Interesse litten seine biblischen Studien nicht. Er lernte auch Hebräisch
und schuf zu einer nicht näher bestimmten Zeit das äußerst umfangreiche Werk der
,Hexapla, das Wort für Wort den hebräischen Text des Alten Testaments und die
erreichbaren griechischen Übersetzungen nebeneinanderstellte und so erkennen ließ, wie
sich die von den Christen gebrauchte Septuaginta zum Grundtext und der sonstigen
Überlieferung verhielt. Die Geldmittel zu diesem und zu anderen Werken stellte der
wohlhabende Ambrosius zur Verfügung, den Origenes aus der valentinianischen Gnosis in die
Kirche zurückgeführt hatte. Sein Gönner ermöglichte ihm später geradezu einen
literarischen Großbetrieb, in dem ihm ständig einige Schnellschreiber, Reinschreiber und
Schönschreiberinnen zu Diensten standen.
Mehrere Reisen erweiterten den Gesichtskreis des immer bekannter werdenden Gelehrten.
Im Jahre 212 reiste Origenes nach Rom, um die "uralte Kirche der Römer"
kennenzulernen. Etwa drei Jahre später ließ ihn der Statthalter der Provinz Arabien zu
sich rufen, da er seinen Unterricht wünschte. Die Einladung erfolgte in höchst
offizieller Form, nämlich über den Bischof und den kaiserlichen Präfekten in
Alexandrien. Als hier um das Jahr 215 Kaiser Caracalla aus persönlichen Gründen grausam
wütete, besonders gegen die Schulen, begab sich Origenes heimlich nach Palästina. Diese
Reise wurde für sein späteres Leben bedeutungsvoll. Er fand dort freundliche Aufnahme.
Vielleicht damals, vielleicht aber auch erst später bei seinem zweiten Aufenthalt (so
Hornschuh) bat man ihn, obwohl er kein ordinierter Presbyter war, im Meßgottesdienst
"vor den Bischöfen" die Schrift auszulegen. Das musste in seiner Heimat Anstoß
erregen, weil hier die Lehrer- Inhaber eines alten kirchlichen Amtes- nur den
Wortgottesdienst ohne die Feier der Eucharistie abzuhalten pflegten. Der alexandrinische
Bischof Demetrius rief Origenes zurück und bestellte ihn zum Leiter einer Schule. Erst
durch diesen amtlichen Auftrag entstand im Jahre 217 die alexandrinische Katechetenschule.
Demetrius kann nicht erwartet haben, Origenes werde sich von jetzt an auf die Vorbereitung
zur Taufe beschränken. Mindestens musste diesem auch das Gespräch mit den Häretikern
verbleiben, also eine Art Konvertitenseminar, das höhere Ansprüche stellte. Die Frage
war, ob er auch den freieren, philosophischen Unterricht fortsetzen könne.
Origenes war davon überzeugt, dass der Christ, der die geistigen Fähigkeiten dazu
besitze, ein vertieftes Verständnis seines Glaubens suchen werde, auch suchen dürfe und
suchen müsse. Die soziologische Folgerung war nicht zu verkennen. Es musste zweierlei
christlichen Unterricht geben, weil es zweierlei Glieder der einen Kirche gab, einfache
und fortgeschrittene. Gemäß dieser kritischen Haltung gegenüber dem bestehenden
Kirchentum handelte Origenes. Erst jetzt (anders berichtet es Eusebius Kap. 15) bei der
Einrichtung der Katechetenschule wird er den schon erwähnten Heraklas als Mitarbeiter
hinzugezogen haben; er betraute ihn mit der Einführung der Elementarschüler, während er
selbst seine gehobene und freiere Lehrtätigkeit in kaum veränderter Weise fortsetzte. So
ging diese kirchliche Schule über den sonst üblichen Taufunterricht hinaus und gewann
eine breitere Wirkung.
Im Jahre 218 oder 222 folgte Origenes der Einladung der Kaiserinmutter Julia Mammaea,
ihr in Antiochien einiges von seiner Theologie vorzutragen. Wichtiger ist, dass um 217
sein literarisches Schaffen einsetzte. Er schrieb über die Auferstehung, begann mehrere
Bibelkommentare, darunter den zur Genesis und zum Johannesevangelium, und auch seine
Schrift ,Peri archon‘ entstand damals, wahrscheinlich Anfang der zwanziger
Jahre. Jedenfalls hatte er, als seine Hermeneutik entwarf, die Zeit des
asketischen Rigorismus bereits
hinter sich.
Auszug aus dem Buch "Origenes, vier Bücher
von den Prinzipien" aus der Reihe "Texte zur Forschung Band 24" von Herwig
Görgemanns und Heinrich Karpp. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt
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