Bald erfuhr das Leben des Origenes eine äußere, aber tief einschneidende
Veränderung. Als er mit 46 Jahren wieder in Palästina weilte, wurde er in Casarea durch
den Ortsbischof und den Bischof von Jerusalem zum Presbyter geweiht. Der für die Weihe
eigentlich zuständige Demetrius von Alexandrien nahm dies nicht hin. Er ließ Origenes
auf zwei ägyptischen Synoden ausweisen und exkommunizieren; die Leitung der Schule
übernahm Heraklas. Origenes siedelte im zehnten oder zwölften Regierungsjahre des
Kaisers Alexander Severus (Kap. 26), also 231 oder 233, nach Casarea über und gründete
hier eine neue Schule mit einer neuen Bibliothek. Sie blühte rasch auf. Wie er hier als
Lehrer und Erzieher wirkte, mag die Abschlußrede Gregors des Wundertäters vor Augen
rücken.
Origenes hat ihn, so bekennt der Schüler, durch Darlegung von Gründen und durch sein
persönliches Verhalten für ein Leben des Geistes und der geistigen Freiheit gewonnen.
Die Philosophie, zu der er hinführte, ist die geistige und sittliche Unterstellung unter
den Logos, die an das Göttliche angleicht. Fachliches Wissen dient nur als
unentbehrliches Material, an dem sich der Geist übt und gegen alle bloße Meinung
kritisch behaupten lernt. Hierzu leitete auch der Unterricht in der Dialektik an, der
so darf man zurückschauend sagen den alten Kampf der Philosophie gegen die
Rhetorik in der christlichen Paideia weiterführte. Im Bereich der Natur lehrte Origenes
seine Schüler mit Hilfe von Mathematik, Geometrie und Astronomie, das All und die Physis
nicht gedankenlos, sondern mit Einsicht zu bewundern. Die Selbständigkeit des Geistes
sollten sie aber vor allem gegenüber unvernünftigen Regungen in der eigenen Seele
erringen. Deshalb folgte im Unterricht auf die Physiologie die mehr praktisch als
theoretisch gehaltene Ethik. Daß die Theologie den Abschluß bildete, macht deutlich, wie
sich der ganze Bildungsvorgang und die Erweckung der eigenen Vernunft erst in der
Erkenntnis der ersten Ursache oder des ersten Urhebers vollenden. Wie Platon lehrte auch
Origenes, nicht der Mensch sei der letzte Maßstab, sondern Gott, aber er fügte hinzu:
"und seine Propheten. In der Tat gipfelte der Unterricht in der Erklärung der
heiligen Schrift. Erst hierbei erkannte Gregor die unvergleichliche Größe seines Lehrers
und geistigen Vaters ganz. Er konnte sie nicht besser beschreiben als mit den Worten, der
Geist, der die Propheten erfüllt habe, erfülle auch ihn, ihren größten Ausleger. Aber
der Unterricht wurde nicht auf die Stoffe beschränkt, die am nächsten bei dem Ziele
lagen, d. h. auf die Bibel und die Glaubenslehren, sondern er führte auch durch das ganze
weite Feld der alten Philosophen und Dichter. Überall sollten die Schüler suchen, was
wahr sei und förderlich; ausgeschlossen waren nur die Schriften der Gottesleugner, also
vornehmlich der Epikureer, weil diese Richtung von vornherein falsch und gefährlich sei.
Gregor und sein Bruder sind aus diesem Unterricht weder als getaufte Christen noch als
Fachgelehrte hervorgegangen. Das Ziel ihres Meisters war ja zugleich höher und
allgemeiner: Bildung als Erkenntnis der letzten Wahrheit und freier Gehorsam ihr
gegenüber. Die zurückhaltende Darstellung Gregors kann jedoch nicht verdecken, daß
Origenes dieses Ziel nur in jener Wahrheit fand, die ihm allein in Jesus Christus zur
Gewißheit geworden war. Den Weg dorthin konnte er über die weltlichen Wissenschaften
nehmen, weil er auch außerhalb der kirchlichen Überlieferung Teile der einen Wahrheit
erkannte; aber er mußte zur biblischen Exegese aufsteigen, weil er nur dort den Lagos
selbst, die Verkörperung aller Wahrheit, fand. Missionierung oder Festigung des Glaubens
in völliger Freiheit und auf hoher geistiger Ebene war das letzte Ziel des Lehrers
Origenes. Daher verzichtete er in seinem Unterricht zwar auf ein geschlossenes
dogmatisches System, bot jedoch Ansätze dazu, die Lehren der Kirche und der heiligen
Schrift in philosophisch vertiefter Weise aufzufassen. Die Ähnlichkeit der Arbeitsweise
zeigt, daß die Bücher ,Peri archon mit seinem Unterricht innerlich
zusammenhängen. Dieser war ganz geprägt von der Persönlichkeit des Lehrers. Origenes
erscheint in der Rede Gregors als begnadeter Erzieher, als behutsamer Gärtner, als
Seelsorger im strengen Sinne des Wortes. Ja, die Rede erinnert oft genug an die Lobrede,
die in Platons ,Symposion Alkibiades auf Sokrates hält. Auch Origenes fesselte
widerstrebende junge Männer in wunderbarer Weise an sich, im Grunde freilich an die
Weisheit. Auch er ließ nichts ungeprüft durchgehen, am allerwenigsten die
Nachlässigkeit dessen, der sich nicht ernsthaft um die eigene Seele sorgte, und vollends
,,sokratisch" verfuhr er, wenn er mit seiner Dialektik dem Angesprochenen "ein
Bein stellte, damit er der Wahrheit im Gespräch selber auf die Spur käme oder von
ihr eingeholt würde.
Außerhalb seiner Schule diente Origenes der Kirche auch unmittelbar. Mehrmals
unternahm er Reisen, um Vertreter theologischer Sonder-meinungen zur kirchlichen Lehre
zurückzuführen. Ein erst während des Zweiten Weltkriegs gefundener Papyrus enthält
noch das Protokoll über Synodalverhandlungen, in denen wahrscheinlich zwischen 244
und 249 der große Gelehrte häretische Gefahren zu bannen wußte. Doch blieb es
ihm, der sich völlig als kirchlicher Christ fühlte, nicht erspart, zuweilen Zweifel an
seiner eigenen Rechtgläubigkeit abwehren zu müssen, so z. B. in einem Brief an Bischof
Fabian von Rom.
In Cäsarea entstanden auch die meisten Schriften des Origenes. Sie galten überwiegend
der Schriftauslegung, die er teils in Einzelerklärungen (Scholien), teils in
umfangreichen Kommentaren und im letzten Jahrzehnt seines Lebens auch regelmäßig in
Homilien vor der Gemeinde darbot. Als Origenes unter Kaiser Maximinus Thrax Maßnahmen
gegen die Christen in Palästina erwartete, verfaßte er eine ,Ermunterung zum
Martyrium. Er lehnte darin das eigene Drängen zum Leiden ab, auch deshalb, weil man
dadurch die Verfolger verleite, Böses zu tun; aber er ließ seine Leser nicht im unklaren
darüber, daß der Christ seinen Glauben auch im Leiden zu bekennen habe. Ende. der
vierziger Jahre verfaßte er acht Bücher ,Gegen Celsus, dessen scharfen Angriff
auf das Christentum er nach mehr als einem halben Jahrhundert noch sehr ernst nahm.
Auch den Vorschlag des Celsus, die Christen möchten dem bedrohten Reiche ihre Kräfte
nicht entziehen, lehnte er wegen der Verflechtung des Staates mit der heidnischen Religion
ab.
Diese ein ganzes Leben hindurch eingenommene Haltung bewahrte er auch, als im Jahre 249
die erste allgemeine Christenverfolgung einsetzte. Origenes wurde eingekerkert, in Ketten
gelegt und sehr hart gefoltert, doch vollstreckte man den angedrohten Feuertod nicht. Er
kam wieder frei und starb wahrscheinlich im Jahre 254 in Tyrus, 69 Jahre alt.
Auszug aus dem Buch "Origenes, vier Bücher
von den Prinzipien" aus der Reihe "Texte zur Forschung Band 24" von Herwig
Görgemanns und Heinrich Karpp. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt
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