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Mein Nahtoderlebnis liegt nun
15 Jahre zurück. Ich war 43 Jahre alt. Ich musste mich damals nahezu von heute
auf morgen einer Bypass-Operation unterziehen. Ich habe Familie, drei Kinder.
Ich stand zu diesem Zeitpunkt mitten im Berufsleben und hatte eine
herausfordernde Aufgabe (Anmerkung des Arbeitskreises Origenes: Alois Serwaty
hat Bauingenieurwesen studiert, war Berufsoffizier bei der Bundeswehr und
ist seit 2005 pensioniert). Dies war natürlich ein Schock, für mich und auch für die Familie. Zwei
Monate nach der Operation und einer Rehabilitation war ich wieder im Dienst. Ich
wollte mir beweisen, dass ich noch leistungsfähig bin und meinen Mann stehe, in
meinem Beruf als Offizier, als
Familienvater, als Ehemann.
Das Nahtoderlebnis trat jedoch nicht während der Bypass-Operation ein.
Einige Monate nach der Operation musste ich mich erneut einem Eingriff am Herzen
unterziehen, einer weiteren Herzkatheter-Untersuchung
mit Ballondilatation. Die Abläufe waren mir vertraut; der Eingriff erfolgte nur
bei örtlicher Betäubung der Einführstelle des Katheters in der Leiste. Ich
betrachtete diesen Eingriff als Routineuntersuchung in der Erwartung auf ein
wenig dramatisches Ergebnis. Ich hatte deshalb auch keine besonderen
Vorkehrungen getroffen, sondern fuhr morgens in das Klinikum in W. in der
Vorstellung, spätestens nach vier Tagen wieder entlassen zu sein. Freitags
hatte ich ein wichtiges berufliches Vorhaben eingeplant. Ich vertraute auf die
Ärzte und deren Professionalität.
Nach Vorbereitung begann der Eingriff routinemäßig am späten
Nachmittag. Ich war voll bei Bewusstsein, verfolgte das Geschehen am Monitor und
konnte mich mit dem medizinischen Personal, das den Eingriff durchführte,
austauschen. Allerdings war mein Gesichtsfeld durch ein grünes Tuch, dass in Höhe
meines Brustkorbes aufgespannt war, sehr eingeschränkt.
Völlig unerwartet verspürte ich während des Eingriffes jedoch eine
bleierne Müdigkeit. Zunächst wehrte ich mich dagegen, ich wollte ja alles
mitbekommen. Ich vermutete zunächst, dass die Ärzte mir ein Schlafmittel oder
eine leichte Narkose verabreicht hätten, konnte mir dies aber nicht erklären.
Ich verspürte keine Schmerzen. Dann kamen Befürchtungen auf, nun ist beim
Eingriff doch etwas schief gelaufen.
Plötzlich verspürte ich mich außerhalb meines Körpers. Ich
schwebte halbhoch im Operationssaal. Wie in einer Beobachterrolle verfolgte ich
seltsam unbeteiligt, was mit meinen Körper dort unten passierte. Da war zunächst
eine große Verwirrung in mir, da ich nicht wusste, was dies alles
bedeutete. Dann ein Gefühl der Ruhe, des Friedens, ja des Glücks.
Ich verspürte kein Bedürfnis, in meinen Körper zurückzukehren. Dennoch
geschah dies wiederum sehr unerwartet, aber mit dem Gefühl einer großen Kraftanstrengung
und ich nahm die Realität wieder so wahr, als wäre nichts geschehen. Mein Körper
und mein Bewusstsein waren wiederum eins.
Kurze Zeit später dann erneut große Müdigkeit.
Wiederum der Gedanke, dass irgendetwas beim Eingriff schief läuft. Wesentlich
intensiver jetzt der Gedanke an Tod, an die Familie, von der ich nicht Abschied
genommen hatte, bzw. Abschied nehmen konnte. Was soll nun werden? Etwas
makaber begann diese zweite Außerkörpererfahrung: Ich stellte mir mein eigenes
Begräbnis vor. Und in diesen Gedanken hinein wiederum der Ausstieg aus meinem Körper.
Ich schwebte plötzlich über der eigenen Begräbnisszene. Ich habe dieses
Detail später in Berichten einfach weggelassen, weil es mir einfach so
unglaublich irreal erschien.
Beim Ausstieg aus meinen Körper hatte ich den Eindruck, den Körper wie
einen Mantel abzulegen. Dieses Bild werde ich nie
vergessen. Es hat sich in mein Gedächtnis eingebrannt. Dieses Ablegen des
„alten“, irdischen Körpers war ungeheuer befreiend. Danach war ich nicht körperlos,
es war ein anderer Körper, ein geistiger Körper, die Schwere des
irdischen Körpers hatte ich zurückgelassen. Zunächst
auch in diesem Zustand große Verwirrung: Die Gedanken schossen mir so durch den
„Kopf“. Aber es war nicht der physische Kopf, der
sich mit meinem Körper ja noch auf dem Operationstisch befand. „Bist
du schon tot oder was ist dies für ein Zustand?“ „Wenn dieser
Bewusstseinszustand einfach so verschwindet, ist das dann der Tod?“ Dieser
Zweifel wich dann aber der festen Überzeugung, dass ich weiterlebe,
in welcher Form auch immer. Auch jetzt wieder dieses Gefühl der Ruhe, des
In-sich-Ruhens, des Friedens. Es gab kurze Augenblicke des Gefühls, dass sich
alle Probleme, Fragen, Gegensätze einfach auflösen, dass ich einfach alles
verstehe, eine Art „Allwissen“ habe. Leider habe ich davon nichts behalten.
Es gab aber auch fast lustige Momente: plötzlich wurde mein Schweben unstabil
und es bestand die Gefahr, einfach durch die Wand zu entschwinden. Ich war
regelrecht neugierig, was noch alles passieren würde. In diesem Zustand wurde
meine Aufmerksamkeit auf ein Detail eines medizinischen Gerätes, nämlich eine
Art Typenschild, gerichtet, das sich mir einprägte. Warum dies so interessant
war, vermag ich nicht zu sagen.
Die Rückkehr in den eigenen Körper war diesmal mit einer noch größeren
Kraftanstrengung verbunden als das erstemal. Ich nahm dann wiederum wahr, wie
ein Druckverband angelegt wurde. Unmittelbar danach war der Eingriff beendet.
Ich wurde zur Beobachtung in einen anderen Raum gebracht und später auf mein
Zimmer. Ich fühlte mich wohl, nahm ein Getränk zu mir und begann zu lesen.
Zwischendurch gelegentlich der Gedanke an dieses Erlebnis, was ich nicht
einordnen konnte. Es wurde jedoch verdrängt durch den Eindruck und die
Erwartung, dass der Eingriff erfolgreich gewesen war. Am Abend dann der Besuch
des Arztes, der mir dies bestätigte. Er erwähnte aber nebenbei, dass es
zweimal Komplikationen während des Eingriffs gegeben habe, nämlich zweimaliges Herzkammerflimmern. Jetzt erinnerte ich mich wiederum bewusst dieses
Erlebnisses. Ich schilderte dem Arzt dies kurz, nannte ihm auch Einzelheiten des
Schildes an dem Gerät, dass ich in diesem Zustand gesehen hatte. Ich wollte nur
eine kurze Erklärung, vielleicht: Ja, wir kennen dieses Phänomen, es ist so
und so zu erklären. Der Arzt reagierte aber nicht darauf. Später ließ er mir
jedoch durch eine Schwester bestätigen, dass meine Beobachtung richtig gewesen
sei. Die Schwester bestätigte mir wiederum, dass es unmöglich für den
Patienten sei, dieses Schild zu sehen. Dabei blieb es. Eine Dokumentation in den
Krankenakten ist nicht erfolgt.
Vielleicht sollte man dies zunächst einmal so stehen lassen. Jeder Versuch
eines Betroffenen, dies Erlebnis zu erklären, gerät leicht in die Gefahr, es
zu zerreden. Erlauben Sie mir dennoch einige Anmerkungen.
Ich bin also Betroffener - ein Leben lang. Das Wort „Betroffener“
(oder „Experiencer“ im Englischen) schließt ein: man ist Objekt, nicht
Subjekt, nicht selbst Handelnder. Es geschieht einfach etwas mit dir; im
Erlebnis selbst, aber auch später. Ich habe dieses Erlebnis lange Zeit für
mich behalten. Warum sollte ich auch darüber sprechen: Es kann dies ein Außenstehender
ja sowieso nicht verstehen. Also unnütze Zeitverschwendung. Aber immer wieder
kam der Wunsch auf, sich damit zu beschäftigen und eine rationale Erklärung
dafür zu finden. Dann irgendwann
Gespräche in der Familie. Meine Frau und die jüngeren Kindern (damals ca. 15
und 16 Jahre alt) finden es interessant, können damit aber wenig anfangen.
Jedoch nächtelange Gespräche darüber mit der ältesten Tochter (damals ca. 27
Jahre, verheiratet und nicht mehr zu Hause). Irgendwann durch Zufall der Kontakt
mit einem Naturwissenschaftler und Mathematiker in der Erwartung, eine
wissenschaftlich fundierte Erklärung dafür zu finden. Gegenüber esoterischen
Deutungsversuchen war und bin ich immer noch allergisch. Ich bin an den natur-
und geisteswissenschaftlichen Erklärungs- und Deutungsversuchen
interessiert, aber zunehmend auch an der spirituellen Dimension des
Erlebnisses.
Für mich persönlich ist ein Nahtoderlebnis heute eine tief in uns
verwurzelte (vielleicht genetisch verankerte) Ahnung einer anderen
Wirklichkeit, eine Ahnung des Urgrundes, aus dem wir kommen und in
den wir zurückkehren, nicht im Sinne einer platonischen Seelenwanderung. Diese
Ahnung findet ihren Glauben in unserer religiösen Überzeugung, sie
findet ihre Indizien in wissenschaftlichen Erkenntnissen, wenn wir diesen
offen und ideologiefrei gegenüber stehen und sie findet ihre Darstellung in Bildern
des Unbewussten, die sich in transzendierten Vorstellungen unserer täglichen,
realen, materiellen Erlebniswelt manifestieren. Nahtoderfahrungen sind für mich
ein Baustein zu einem „vernünftigen Vertrauen, in eine andere Dimension
hinein zu sterben.“ (Hans Küng) Ein letztes Geheimnis wird vielleicht für
immer dabei bleiben.
Oder ist es doch nur eine komplexe Halluzination, gar etwas Krankhaftes,
gar erste Anzeichen einer Geisteskrankheit? Aber wie erklärt sich dann meine
Beobachtung, die leider nicht unmittelbar dokumentiert wurde? Wie erklären sich
die Bilder in Nahtoderfahrungen, die unabhängig von religiösen und
soziokulturellen Bedingungen vergleichbar sind? Ist die Vorstellung von einer
unsterblichen Seele nur ein gigantischer Bluff, ein Trostpflaster im Sterben,
ausgelöst von bizarren Erregungsmustern der gestressten Neuronenverbände?
Wer hat dann diesen Bluff in unser Gehirn programmiert - die Evolution?
Fragen, die weit über Erklärungsversuche des Nahtoderfahrungs-Phänomens
hinausreichen?
Aus meiner Sicht steckt in diesen Erfahrungen eine
ungeheure Sprengkraft. Diese Sprengkraft sehe ich auf drei Ebenen:
·
In der Neurobiologie: Wenn es gelänge, auch
nur in einem einzigen Fall extrasensorische Wahrnehmungen bei OBEs im
„wissenschaftlichen Sinne“ zu beweisen, hätte die Neurobiologie mit ihren
Theorien ein erhebliches Problem.
·
Die Sprengkraft für die Theologie bestünde
darin, dass vielleicht ein völlig neues oder zumindest verändertes Gottes- und
Religionsbild am Horizont aufleuchten würde.
·
Die dritte Ebene ist die der Betroffenen.
Darauf will ich jetzt noch eingehen.
Was hat diese
Grenzerfahrung nun bei mir bewirkt? Ganz konkret: Zunächst einmal die feste Überzeugung, dass es eine Realität
gibt, die weit über das hinausgeht, was wir mit unseren Sinnen und unserem
Verstand und damit vielleicht auch mit den heutigen Methoden der Wissenschaft
erklären können, eine Realität, die religiösen Glaubensvorstellungen sehr
nahe kommt. Es ist für
mich
kein „Beweis“ für das Jenseits im wissenschaftlichen Sinne. Es findet im
Diesseits statt, aber es ist ein Programm, das an der Schwelle zwischen Leben
und Tod abläuft. Dennoch hat es zu einer inneren und äußeren Wiederannäherung
an meine Kirche (Anmerkung des Arbeitskreises Origenes: Herr Serwaty gehört
der katholischen Kirche an) geführt. Es dazu geführt, dass ich stärker in
der Lage bin, Emotionalität und Spiritualität zu akzeptieren. Es hat
mich
zu einer intensiven Beschäftigung mit dieser Thematik und natur- und
geisteswissenschaftlichen Fragestellungen zu Grundfragen unserer Existenz geführt.
Dennoch möchte ich mir eine vorsichtig kritische Einstellung
insbesondere in der Deutung dieses Erlebnisses bewahren.
Dieses Erlebnis wirkt nach, es schwingt nach; in unterschiedlicher Stärke,
mal nicht spürbar, mal stärker spürbar. Es stellt das Leben auf den Kopf,
vielleicht nicht so sehr das äußere Leben, vielmehr das Seelenleben. Es stellt
Fragen, verunsichert und dennoch vermittelt es zugleich ein Gefühl der
Gelassenheit gegenüber dem was kommt. Und diese Schwingung hört erst im Tode
auf, vielleicht wirkt sie aber auch darüber hinaus.
Eines ist für mich unbestreitbar: Es ist weniger ein
Nah-Todeserlebnis, es ist vielmehr eine äußerst intensive Lebenserfahrung,
wo immer dieses Leben auch stattfinden mag; eine intensive Lebenserfahrung, die
Mut zum Leben macht - vielleicht auch angesichts des eigenen physischen Todes.
Die Beschäftigung mit den letzten, oder eher vorletzten Dingen, ist spannend
und macht das Leben noch lebens- und liebenswürdiger (Sabine Mehne). Aber das
Paradies kann warten. Die Ewigkeit dauert noch lange genug.
Alois Serwaty